Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Die Räuber.

Eine vergoldete Pille und eine eitle Berechnung. – Schiller liest im Bopserwald seinen Freunden die Räuber vor. – Entstehungsgeschichte dieser Tragödie. – Ihr Charakter. – Melancholie und Arbeit. – Die Dissertation. – Schiller disputirt. – Ein fataler Revers. – Regimentsmedicus ohne Degenquaste mit 18 Gulden monatlich bei Augé's Grenadieren.


»Ich muß gestehen«, äußerte Herzog Karl am 13. November 1779 gegen den Intendanten seiner Akademie, – »ich muß gestehen, der Eleve Schiller hat in seiner Dissertation viel Schönes gesagt und besonders viel Feuer gezeigt. Eben deßwegen aber und weilen solches wirklich noch zu stark ist, denke ich, kann die Dissertation noch nicht öffentlich in die Welt ausgegeben werden. Dahero glaube ich, wird es auch noch recht gut vor ihm Ich erachte mich nicht berechtigt, diesen urkundlichen Verstoß gegen die Grammatik zu verbessern. sein, wenn er noch ein Jahr in der Akademie bleibt, wo inmittelst sein Feuer noch ein wenig gedämpft werden kann, so daß er alsdann einmal, wenn er fleißig zu sein fortfährt, gewiß ein recht großes Subjectum werden kann.«

Diese Entscheidung des herzoglichen Censors war ein dicker Censurstrich kreuz und quer durch eine Hoffnung, welcher sich der Eleve Schiller das ganze Jahr her überlassen hatte. Von dem brennenden Wunsch getrieben, endlich aus der akademischen Kaserne loszukommen, hatte er sich in dieser Zeit den nöthigen Zwang angethan, um mit Fleiß und Beharrlichkeit seinem Brotstudium obzuliegen. Nicht ohne Erfolg; denn über ein Thema aus ihrer Fachwissenschaft eine Abhandlung einzureichen, waren die Akademisten erst dann ermächtigt, wann sie ihren Lehrern hiezu befähigt genug vorkamen. Erschienen diese Abhandlungen den beurtheilenden Fachmännern und in letzter Instanz dem Großpädagogarchen, dem Herzog, der Veröffentlichung durch den Druck würdig, so galt die Erziehung der Verfasser für vollendet und die Stunde der Erlösung aus der Akademie hatte geschlagen. Schiller's Probeschrift vom Jahr 1779 führte den Titel »Philosophie der Physiologie« und er hatte sich in dieser deutsch entworfenen, dann lateinisch ausgeführten Dissertation vorgesetzt, das leibliche und das seelische Leben, sowie die Wechselbeziehungen beider im Menschen zu betrachten und darzulegen, was, den übriggebliebenen Bruchstücken nach zu urtheilen, in einer Weise geschah, welche zeigt, daß der Jüngling schon hier aus den Schranken handwerksmäßiger Anschauungen zu philosophischer Durchdringung der Naturgesetze vorzuschreiten strebte. Weil vollends dieser Versuch mit etlichen kraftgenialen Ausfällen auf anerkannte Autoritäten gewürzt war, so langte Schiller mit seiner Abhandlung etwas unsanft an den medizinischen Zopf seines Lehrers und jetzigen Beurtheilers Klein, welcher zwar den »guten und auffallenden Seelenkräften und dem Alles durchsuchenden Geist« des jungen Mannes Gerechtigkeit widerfahren ließ, aber zugleich – und allerdings nicht ganz mit Unrecht – verlangte, daß derselbe erst noch die »jugendlichen Gährungen« überwinde, bevor er von der Schule losgesprochen werde. Demzufolge entschied der Herzog in der angegebenen Weise. Ob der Herr Intendant, indem er dem jungen Mann diese Entscheidung mittheilte, denselben auch die Vergoldung der Pille, nämlich die Meinung des Herzogs, daß Schiller dereinst gewiß ein »recht großes Subjectum« werden könne, sehen ließ, vermag ich nicht zu sagen. Aber gewiß ist wohl, daß der Fürst, als er jenes Wort sprach, nicht geahnt hat, in welchem Umfange dasselbe ein prophetisches sei.

Also das »zu starke« Feuer Schiller's sollte vermittelst der Verlängerung seines akademischen Curses um ein Jahr »noch ein wenig gedämpft werden.« Eitle Berechnungen der Menschen! Gerade dieses Jahr verlängerten Zwanges blies das Feuer zur sturm- und drangvollen Lohe an. Gerade dieses Jahr übte auf den Vulkan in der jungen Dichterbrust einen solchen Druck, daß er um so heftiger aufkochte, überschäumte und einen wildprächtigen Lavastrom auswarf: – »Die Räuber.«

siehe Bildunterschrift

14. Schiller liest seinen Freunden im Bopserwald die »Räuber« vor.
Originalzeichnung von Th. v. Oer. Geschnitten von H. Bürkner

In der Morgenfrühe eines schönen Sommersonntags – so will eine durchaus glaubwürdige Ueberlieferung Mitgeth. von Wagner a. a. O. I, 6., die sich aber nach Art mündlicher Traditionen um genaue Angabe des Tages leider nicht bekümmert hat – war die Division, bei welcher Schiller und mehrere seiner Freunde standen, unter Führung ihres Hauptmanns zu einem ordonnanzmäßigen Spaziergang ausgerückt. Der Zug ging die alte Weinsteige hinauf zu dem Wald, welcher noch jetzt, freilich vielgelichtet, die Bopserhöhe krönt. Hier gab's ein Gemunkel unter der Schiller umgebenden Gruppe – Hoven, Heideloff, Dannecker, Kapf, Schlotterbeck – und während die Andern auf dem Wege nach Birkach zu vorwärts gingen, schlugen sich die sechs Freunde einzeln und verstohlen seitwärts in den Wald. An einer heimeligen Stelle machten sie Halt und lagerten sich auf das Moos, mit Ausnahme Schiller's, welcher, an den Stamm einer Fichte gelehnt, ein zerknittertes, vielfach um- und durchgearbeitetes Manuscript aus der Brusttasche seiner Uniform zog. Es war sein Trauerspiel, das er bei dieser dem Reglement der Anstalt abgelisteten Gelegenheit den Freunden im Zusammenhänge vorlesen wollte. Der Vortrag des Dichters war Anfangs ruhig und gehalten, als er aber zu der Stelle in der fünften Szene des vierten Actes kam, wo Karl Moor seinen todtgeglaubten Vater in dem Thurmkerker wiederfindet, steigerte sich der Ausdruck des Vorlesers so sehr, daß die Freunde über die Großartigkeit der Dichtung und die Leidenschaftlichkeit der Declamation in Erstaunen, ja in Bestürzung geriethen, um dann in lauteste Beifallsbezeugungen auszubrechen.

Ich wage nicht zu entscheiden, ob diese Szene, von welcher Heideloff als Augen- und Ohrenzeuge eine Skizze entworfen hat und welche nachmals von Dramatikern und Künstlern mit künstlerischer Freiheit reproducirt wurde, in das Jahr 1779 oder aber in das folgende zu setzen sei, glaube aber, das letztere Datum sei vorzuziehen. Die Räuber wurden nämlich anerkannter Maßen während des letzten Jahres von Schiller's Aufenthalt in der Akademie im Wesentlichen vollendet und konnten kaum vor dem Sommer 1780 so weit vorgerückt sein, wie die berührte Vorlesung schließen läßt. Auch unterliegt es keinem Zweifel, daß aus schon beregten Ursachen der jugendliche Dichter gerade im Jahre 1780 in der rechten Räuberdichtungsstimmung sich befinden mußte. Doch soll damit keineswegs bestritten werden, daß die Anfänge der epochemachenden Tragödie von früher datiren können und wirklich datiren. Sie reichen in Wahrheit in das Jahr 1777 zurück. Schiller's Genius war nie so geartet, daß er in einem Wurfe ein Werk fertig brachte. Er arbeitete langsam, immer vor-, wieder zurück- und abermals vorschreitend, sein Dichten war kein improvisatorisches. Außerdem verwehrte ja schon die peinlich strenge Tagesordnung der Akademie jede Möglichkeit, ein solches Stück in einem Zuge oder auch nur in unbedeutenden Zwischenräumen zu schreiben. Jede darauf verwandte halbe oder ganze Stunde war eine der akademischen Haus- und Studienordnung förmlich abgestohlene und es liegt hierin schon ein Erklärungsgrund, und zwar kein unbedeutender, von der bis zum wilden Grimm vorgehenden Gewaltsamkeit des Gedichts. Man denke sich einen jungen Titanen, welcher, mit Spiegelberg zu reden, »unter der milzsüchtigen Laune eines gebieterischen Corporals« zu leiden hat, d. h. einem schnüffelnäsigen Nieß die Augenblicke ablauern muß, wo er seine Geliebte, die Muse, küssen kann, und man wird sich über den Ungestüm dieser Küsse nicht eben verwundern.

Es ist seines Ortes erwähnt worden, wie frühzeitig schon der junge Schiller mit dramatischen und zwar mit tragischen Entwürfen sich getragen habe. Erst in einer viel späteren Zeit seines Lebens, damals, als der Wallenstein entstand, kam es ihm zu klarem Bewußtsein, daß er geboren, ein Tragöde zu sein. Doch mußte den Jüngling schon die Bekanntschaft mit Shakspeare entschiedener auf seine Bestimmung hinleiten und dann gaben die theatralischen Spiele, denen wir in der Akademie begegneten, für die Entwicklung seines dramatischen Hanges auch äußerliche Anregungen ab. Sein Freund Heideloff, angehender Maler und Architekt, wurde noch als Zögling der Militär-Akademie von dem Herzog bei Zurüstung höfischer Feste vielfach als Decorateur verwendet und hatte sich bei solchen Anlässen besonders auch Kenntniß der Bühnentechnik erworben. Er war demzufolge bei den dramatischen Darstellungen in der Akademie selbst der eigentliche Schöpfer und Lenker des szenischen Apparats und ermunterte einerseits, um über die nöthigen Prologe, Epiloge u. dgl. m. verfügen zu können, den Freund zur theatralischen Gelegenheitsdichterei, andererseits zur Uebernahme von Rollen. Das Letztere war freilich ein Fehlgriff, denn wenn je ein Mensch nicht zum Schauspieler geboren wurde, so war es Schiller. Aber die Beschäftigung mit der Bühne befruchtete den eigensten Trieb der jungen Dichterseele und verlangend sah er sich nach einem Stoff um, aus welchem sich ein Drama bilden ließe. Freund Hoven machte ihn auf die Geschichte von zwei feindlichen Brüdern aufmerksam, welche in Haug's Schwäbischem Magazin stand und wahrscheinlich von Schubart herrührte Hoven a. a. O. 55. Bruderzwist war übrigens, wie der Julius von Leisewitz und die Zwillinge von Klinger bezeugen, zu jener Zeit ein beliebter tragischer Vorwurf.. Dieses Thema ergriff der Dichter und begann es dramatisch zu formen. Aber die Ausführung schritt langsam vor. In aller Heimlichkeit ward hier ein Monolog, dort eine Szene zu Papier gebracht. Es klingt sagenhaft, darf jedoch auf das Zeugniß von Schiller's trefflicher Schwester Christophine hin Bei Karoline von Wolzogen, I, 36. als volle Wahrheit angenommen werden, daß der Dichter zuweilen ein Unwohlsein fingirte, um im Krankensaal der Akademie über die reglementarische Abendstunde hinaus die Vergünstigung einer Lampe zu genießen, deren Schein einen Theil der Räuber entstehen sah. Kam dann der visitirende Aufseher, so fuhr das Manuscript unter bereitliegende medizinische Bücher, und wenn, wie nicht selten geschah, der Herzog selbst die Runde machte, mochte er das spätnächtliche Aufsitzen des Eleven Schiller bei scheinbar fachwissenschaftlichen Studien nicht ungnädig vermerken.

So entstanden bis zum Schluß des Jahres 1780 allmälig die Räuber. Da ich aber, wie schon im Vorwort zu meinem Buch erklärt worden, keine Aesthetik der Werke Schiller's, sondern die Geschichte seines Lebens schreibe, mag der Leser weder hier noch weiterhin lange Abhandlungen über die ersteren erwarten. Zu meinem Zwecke reicht es aus, die Bedingungen und Verhältnisse anzugeben, unter welchen Schiller's Werke geschaffen wurden, und hervorzuheben, was sie wollten und wie sie wirkten. Was die Räuber angeht, so war das Stück seinem Gehalt wie seiner Form nach ein Product der Sturm- und Drangzeit, eine glänzendste Offenbarung der Kraftgenialität, welche hier unter dem Druck äußerer Umstände zur ganzen Energie ihres Ausdrucks sich erhob. Die Aeußerung Karl Moor's in der zweiten Szene des ersten Acts, daß das Gesetz noch keinen großen Mann gebildet habe, aber die Freiheit Kolosse ausbrüte, enthält das ganze Drama im Keim. Die Räuber waren also ein Fehdebrief, ein wilder Kriegsruf gegen das Gesetz, d. h. gegen die gesellschaftliche Convenienz, und wie sich der Geist des Stückes zornvoll gegen diese aufbäumt, so wirft auch die Sprache alle Schranken des conventionellen Anstands revolutionär vor sich nieder. Das geht so weit, daß man deutlich merkt, der Dichter habe sich der bei Studenten der Medizin häufig vorkommenden Gewohnheit, mit physiologischen Cynismen förmlich Parade zu machen, nicht entschlagen können oder wollen. Die Freiheit, die er verlangt und anstrebt, ist im Grunde eine so inhalts- und ziellose, daß sie aus der Luft Rousseau'scher Abstractionen mit Notwendigkeit in den Schmutz des Räuberlebens herabfallen muß. Positiv ist in der Tragödie nur der unbändige Veränderungstrieb einer Jugend, welcher es in der eigenen Haut zu enge geworden war. Alles Uebrige ist abstract und so sind auch die Personen, obgleich Schiller in den Figuren seiner Bande verschiedene seiner Mitzöglinge zu portraitiren versucht hat. Lebenswirklichkeit muß man in dem Stücke nicht suchen: was für eine Schemengestalt ist z. B. Amalia! Aber freilich, als Göthe die Maria und Elisabeth im Götz, die Lotte im Werther zeichnete, standen ihm schon die realen Züge zu Gebote, welche er an Gretchen, Aennchen, Friederike und Charlotte erfahren hatte. Was wußte dagegen Schiller, als er die Räuber schrieb, von den Frauen? Nichts. Was von der Welt überhaupt? Nur, was im Plutarch und Rousseau stand, denn den Shakspeare hat er selbstgeständlich erst viel später verstanden. Die Charaktere in den Räubern sind daher keine Menschen, sondern nur Abstractionen himmelhoher Tugenden oder höllentiefer Laster, wie eben der ins Ungeheuerliche vergrößernde und zugleich verzerrende Hohlspiegel sie zeigt, in welchem eine geniale und unerfahrene Jugend die Welt zu sehen leicht sich verführen läßt. Schiller, als Verfasser der Räuber, wird, scheint mir, vortrefflich charakterisirt, wenn man auf ihn anwendet, was Jean Paul von einem seiner Jünglinge sagt: – »Dieser Heros, in der Karthause und mehr unter der Vorwelt als Mitwelt aufgewachsen, legte an Alles antediluvianische Riesenellen.« Wie Jedermann weiß, hat der Dichter in späterer Zeit keineswegs mit väterlicher Zärtlichkeit auf seinen wilden Erstling zurückgesehen, ja er hat die Räubertragödie schon vier Jahre nach ihrer Vollendung als ein »Ungeheuer« verdammt In einem 1784 im deutschen Museum II, 365 gedruckten Aufsatz, der höchst merkwürdig ist, weil er in prägnantester Weise die wahre Genesis der Tragödie zeichnet. »Früh verlor ich mein Vaterland – sagt Schiller a. a. O. – um es gegen die große Welt auszutauschen, die ich nur eben durch die Fernröhre kannte. Ein seltsamer Mißverstand Natur hat mich in meinem Geburtsorte zum Dichter verurtheilt (!). Neigung für Poesie beleidigte die Gesetze des Instituts, worin ich erzogen ward, und widersprach dem Plan seines Stifters. Acht Jahre lang rang mein Enthusiasmus mit der militärischen Regel. Aber Leidenschaft für die Dichtkunst ist stark wie die erste Liebe: was sie ersticken sollte, sachte sie an. Verhältnissen zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweifte mein Herz in eine Idealwelt aus. Aber unbekannt mit der wirklichen, von welcher mich eiserne Stäbe schieden, unbekannt mit den Menschen – denn die Vierhundert, die mich umgaben, waren ein einziges Geschöpf, der getreue Abguß eines und desselben Modells, von welchem die plastische Natur sich feierlich lossagte - unbekannt mit den Neigungen freier, sich selbst überlassener Wesen, denn hier kam nur eine zur Reife, die ich jetzt nicht nennen will: jede übrige Kraft des Willens erschlaffte, indem eine einzige sich convulsivisch spannte; jede Eigenheit, jede Ausgelassenheit der tausendfach spielenden Natur ging in dem regelmäßigen Tempo der herrschenden Ordnung verloren; – unbekannt mit dem schönen Geschlecht – die Thore dieses Instituts öffnen sich, wie man wissen wird, Frauenzimmern nur, ehe sie anfangen, interessant zu werden, und wenn sie aufgehört haben, es zu sein; – unbekannt mit Menschen und Menschenschicksal, mußte mein Pinsel nothwendig die mittlere Linie zwischen Engel und Teufel verfehlen, mußte er ein Ungeheuer hervorbringen, das zum Glück in der Welt nicht vorhanden war und dem ich nur darum Unsterblichkeit wünschen möchte, um das Beispiel einer Geburt zu verewigen, welche die naturwidrige Ehe der Subordination und des Genius in die Welt setzte. Ich meine die Räuber.«. Er ist dabei mit jener ganzen Strenge gegen sich selbst verfahren, welche nicht der geringste adliche Vorzug eines Mannes gewesen ist, dessen Muse das Gewissen ist La conscience est sa muse, sagte Frau von Staël, ebenso schön als wahr von Schiller. De l'Allemagne. Oeuvr. compl. X, 237.. Aber, wie mir scheint und wie es auch einem so feinen und gegen Schiller keineswegs freundlich gesinnten Kenner wie Ludwig Tieck schien, nicht ganz mit Recht. Denn auch abgesehen davon, daß die Räuber ein unvergängliches Document der Stimmung ihrer Entstehungszeit sind, und abgesehen von der ungeheuren Wirkung, die sie gethan, kann diese Tragödie Züge einer ursprünglichen Kraft und Größe aufweisen, wie sie der Dichter später kaum je wieder erreicht und jedenfalls nicht übertroffen hat. Wer jemals aus dem Munde eines bedeutenden Darstellers den Traum Franz Moor's vom Weltgericht vernommen hat (Act 5, Sz. 1), der wird gestehen müssen, daß hier eine Region des Erhabenen erreicht ist, welche selbst ein Aeschylos, ein Dante und Shakspeare nur in glücklichsten Momenten erreichen.

Die düstere, gewaltsam aufgereckte Phantasiewelt der Räuber, in welcher der junge Dichter während der Jahre 1779-80 lebte und webte, muß tiefe Schatten in sein Gemüth geworfen haben. Wir finden ihn um diese Zeit in einer trüben, lebensüberdrüssigen, fast verzweifelnden Stimmung »Ich bin noch nicht einundzwanzig Jahre alt – schrieb er in einem vom 15. Januar 1780 datirten Brief – aber ich darf es sagen: Die Welt hat keinen Reiz für mich mehr, ich freue mich nicht mehr auf die Welt und der Tag meines Abschiedes aus der Akademie, der vor wenigen Jahren ein freudevoller Festtag würde gewesen sein, wird mir kein frohes Lächeln abgewinnen können. Mit jedem Schritte, den ich im Jahr gewinne, verliere ich immer mehr von meiner Zufriedenheit; je mehr ich mich dem reiferen Alter nähere, desto mehr wünsche ich als Kind gestorben zu sein. Wäre mein Leben mein eigen, so würde ich nach dem Tode geizig sein. So aber gehört es meiner Mutter und drei'n ohne mich hülflosen Schwestern, denn ich bin der einzige Sohn und der Vater fängt an graue Haare zu bekommen.«. Aber es ist nichts Ungewöhnliches, daß begabte Naturen in Jünglingsjahren einer solchen vorübergehenden Muthlosigkeit verfallen, vollends bei widerwärtigen äußeren Verhältnissen. So ein jugendlicher Himmelsstürmer bildet sich ein, mit der Convenienz Fangball spielen, mit des »Reimes Hammer« die spröde Wirklichkeit in Trümmer schlagen zu können. Stößt dann der idealistische Wolkenwandler recht hart mit den realen Zuständen zusammen, so verfällt er zeitweilig jenem Welt- und Lebensekel, welcher ja auch den jungen Göthe, der doch schon als solcher so ziemlich praktisch mit der Wirklichkeit sich abzufinden wußte, eigenem Geständniß zufolge mit dem selbstmörderischen Dolche spielen ließ. Zum Glück kennen die »melancholischen Jacques« von achtzehn bis zwanzig Jahren die Welt noch nicht hinlänglich, um aus dem Spiele Ernst zu machen. Schiller übrigens fand gegen trübe Gedanken schon damals ein heilsames Gegengewicht in der »Beschäftigung, die nie ermattet.« Er wandte sich mit neuem Eifer dem Studium des Alterthums zu, als ob er das Bedürfniß fühlte, das sturm- und drangvolle Chaos, aus welchem Karl Moor hervorging, wenigstens auf Stunden mit dem klaren Himmel und dem goldenen Sonnenlicht der antiken Poesie zu vertauschen. Wahrscheinlich angeregt durch die eben erschienenen Gesänge von Bürger's metrischer Verdeutschung des Homer, versuchte er wie zur Vorübung auf eine spätere Arbeit Bruchstücke aus Virgil's Aeneis in Hexametern zu übertragen Eine Probe erschien unter dem Titel »der Sturm auf dem Tyrrhener Meer« im 11. Stück des Schwäb. Magazin f. 1780 und Haug konnte mit Recht dazu anmerken: »Kühn, viel, viel dichterisches Feuer!«. Aus mehr innerlichem Drang entsprang um dieselbe Zeit, veranlaßt durch den Tod von Hoven's in der Akademie gestorbenem jüngeren Bruder, die Elegie »eine Leichenphantasie«, eines der wenigen Jugendgedichte, welche Schiller später der Aufnahme in seine Gedichtsammlung würdig erachtete Die schönen Zeilen in diesem Gedichte:
Stolz, wie die Rosse sich sträuben und schäumen,
Werfen im Sturme die Mähnen umher,
Königlich wider den Zügel sich bäumen,
Trat er vor Sklaven und Fürsten einher –
welche Schiller dem todten Freunde nachrief, dürften mehr noch auf den Dichter selbst passen, in jener Zeit, wo er die Räuber schuf. Im Uebrigen kann die Leichenphantasie ein Beispiel abgeben von der naturalistischen Lässigkeit, womit Schiller dem Reimgesetz gegenüber damals und noch viel später verfuhr. Viele Jahre nach seinem Tode hat einer seiner Gegner die Verse der Leichenphantasie: –
Muthig sprang er im Gewühle der Menschen,
Wie auf Gebirgen ein jugendlich Reh;
Himmel umflog er in schweifenden Wünschen,
Hoch, wie die Adler in wolkiger Höh' –
zur Unterlage eines giftigen Epigramms gemacht, und wenn der Verfasser desselben, A.W. Schlegel, dafür mit Recht nur allgemeine Entrüstung einerntete, so darf die Pietät doch nicht verschweigen, daß in Wahrheit Schiller sein Lebenlang auf die Reinheit des Reims zu wenig Gewicht gelegt hat. Es rührte dies daher, daß er die Reminiscenz seiner heimatlichen Mundart nie völlig zu überwinden vermochte. Die Schwaben sind in Betreff der Aussprache der Vokale außerordentlich nachlässig. So sprechen sie das a wie ein dumpfes o, das e wie ä und mißhandeln namentlich die Doppelvokale so sehr, daß in einem echtschwäbischen Munde das ö durchgehends wie e oder ä, das ü und y wie i klingt. Im Uebrigen wurde die Reinheit des Reims in ihrer ganzen Strenge bekanntlich erst durch Platen in die deutsche Poesie eingeführt.
.

Inzwischen war die Zeit herangekommen, den im vorigen Jahre mißlungenen Versuch zu wiederholen. Behufs der Entlassung aus der Akademie mußte eine neue Dissertation verfaßt werden. Unser Kandidat der Medizin wählte als Thema: »Der große Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen.« Es wurde gebilligt, aber unter der Bedingung, daß Schiller daneben noch eine lateinische Abhandlung De differentia febrium inflammatoriarum et putridarum schreibe, was denn auch beiläufig und obenhin geschah. Mit viel mehr Ernst und Eifer wurde das selbstgewählte Thema angefaßt und ausgeführt. Es mußte einen strebsamen Geist anziehen, welcher am Secirtisch, das Skalpell in der Hand, oft genug dem geheimnißvollen Punkte nachgespürt haben mochte, wo animalisches und spirituelles Leben sich berühren. Man wird es ganz in der Ordnung finden, daß ein junger Mediziner in seiner Abhandlung die Sinnlichkeit zur Basis aller menschlichen Thätigkeit machte, aber bemerkenswerth war das immerhin für den künftigen großen Repräsentanten des Idealismus. Der Poet verleugnete sich übrigens auch in dieser Arbeit nicht, indem zur Erhärtung physiologischer und psychologischer Sätze mit Vorliebe Dichter citirt wurden, z. B. Shakspeare. Recht ergötzlich aber mußte es dem Candidaten vorkommen, seine Herren Censoren ein Bißchen zu mystifiziren. Er hatte nämlich den Freunden versprochen, eine Stelle aus den Räubern in die Dissertation einzuschmuggeln, und er hielt Wort, indem er sein Werk unter dem fingirten Titel: » Life of Moor, tragedy by Krake«, citirte. Noch mehr, es kam in der Abhandlung auch eine ganz bestimmte Hindeutung vor, daß Schiller schon damals einen zweiten tragischen Stoff ins Auge gefaßt hatte, den Fiesco. Die von Amtswegen bestellten Beurtheiler der Abhandlung zollten dem Verfasser das Lob, er habe sein Thema »mit vielem Genie behandelt und nicht allein gute Schriftsteller schicklich benutzt, sondern auch selbsten über die Materie gedacht.« Die Dissertation wurde demgemäß gedruckt, Schiller hatte sie dem Herzog zugeeignet und am Schlusse der Widmung gesagt: »Diese Blätter seien dem Stifter meines Glückes geheiligt; aber die Nachsicht des Vaters beschütze diesen schwachen Versuch vor den gerechten Forderungen des Fürsten« – Worte, die sich in der Feder, welche so eben die Räuber niedergeschrieben hatte, ziemlich sonderbar ausnehmen.

Dem Reglement gemäß sollte der Kandidat seine Dissertation in öffentlicher Disputation vertheidigen und war das auch auf dem Titelblatt des ursprünglichen Druckes in Aussicht gestellt Vgl. d. cit. Gesammtausg. v. Sch. W. XII, 3.. Da aber das ausführliche Prüfungsprogramm der Akademie für 1780 einer solchen Disputation nicht erwähnt, so scheint es, die Ceremonie sei dem Dichter erlassen worden. Dagegen wissen wir aus einer der lautersten und wichtigsten Quellen der Jugendgeschichte Schiller's Schiller's Flucht von Stuttgart und Aufenthalt in Mannheim von 1782 bis 1785 (von Andreas Streicher). Stuttg. 1836., daß dieser bei der in Rede stehenden Jahresprüfung, wenn nicht in eigener Sache, so doch als Opponent gegen einen Professor in lateinischer Sprache disputirend aufgetreten ist. In den Reihen des zahlreich bei dieser Feierlichkeit anwesenden Publikums stand, schüchterner Neugierde voll, ein junger Tonkünstler, bestimmt, in der trübsten Periode von des Dichters Leben diesem als treuester Freund sich zu bewähren. Der Jüngling wußte bis dahin Nichts von Schiller und kannte nicht einmal dessen Namen. Aber während der Dichter dem Professor opponirte, machte die Erscheinung desselben – die röthlichen Haare, die gegen einander sich neigenden Kniee, das schnelle Blinzeln der Augen, wenn er lebhaft sprach, das öftere Lächeln während des Sprechens, besonders aber die schön geformte Nase und der tiefe, kühne Adlerblick, der unter einer sehr vollen, breitgewölbten Stirne hervorleuchtete – einen unauslöschlichen Eindruck auf den jungen Musiker. Als die Disputation zu Ende und die von Zöglingen der Akademie aufgeführte Festcantate verklungen war, schloß er sich dem Zug in den großen Speisesaal an und bemerkte hier, daß Herzog Karl sich huldvoll mit Schiller unterhielt, den Arm auf dessen Stuhl lehnte und in dieser Stellung lange mit ihm sprach; wie auch, daß Schiller gegen seinen Fürsten dasselbe Lächeln, dasselbe Augenblinzeln behielt wie vorhin gegen den Professor Streicher a. a. O. 65-66..

Hiemit war des Dichters Lehrzeit in der Militär-Akademie beschlossen. Aber indem sich Ende Dezembers 1780 die Pforten der Anstalt endlich zum Austritt vor ihm aufthaten, führten sie den jungen Mann keineswegs in die ersehnte Freiheit. Es gab da ein fatales Document, einen Revers, welchen der Hauptmann Schiller und seine Frau am 23. September 1774 unterzeichnet hatten. Kraft dieses Reverses war der Dichter – wie alle unentgeldlich in der Militär-Akademie erzogenen Jünglinge – verpflichtet, »sich gänzlich den Diensten des herzogl. würtembergischen Hauses zu widmen und ohne darüber zu erhaltende gnädigste Erlaubniß nicht daraus zu treten« Vgl. Wagner a. a. O. I, 43, 82. Es ist selbstverständlich, daß der Herzog ein gutes Recht hatte, auf Entschädigung für aufgewandte Erziehungskosten zu denken; allein die Art und Weise, wie er dieses Recht ausnützte – und zwar keineswegs nur unserm Dichter gegenüber – kann doch einigermaßen den leidenschaftlichen Schubart entschuldigen, wenn dieser die Militär-Akademie eine »Sklavenfabrik« oder »Sklavenplantage« schalt.. Gestützt hierauf, geruhte der Herzog, das Gängelband militärischer Subordination, an welches der Dichter bisher gebunden gewesen war, nicht zu lösen, sondern nur etwas zu verlängern. Mit andern Worten, Schiller wurde bei dem nach seinem Commandanten, dem General Augé, genannten und in Stuttgart garnisonirenden Grenadierregiment, welches bei der Verwahrlosung, in die das Militärwesen gefallen, aus dritthalbhundert nicht so fast Soldaten als vielmehr Invaliden bestand, die in jämmerlich geflickten Uniformen und gelegentlich bettelnd durch die Straßen schlichen, als Regimentsarzt ohne Porte d'épée – eine herbe Demüthigung für den Jünglingsstolz – angestellt mit einer Monatsgage von – 18 Reichsgulden. Das war kein ermuthigender Anfang, um so weniger, da der junge Mann die medizinische Praxis von vorneherein mit Abneigung betrachtete. Gewiß, es muß eine Stunde bitterer Enttäuschung für Herrn Johann Kaspar und Frau Elisabeth gewesen sein, als der neugebackene Regimentsmedicus sein Patent nach der Solitude brachte. Hatte nicht der Herzog den Eltern für ihren Sohn, als er diesen willkürlich der gewünschten theologischen Laufbahn entriß, eine »sehr gute Versorgung« in Aussicht gestellt? Und jetzt – »Feldscherer« ohne Degenquaste, d. h. ohne Offiziersrang, mit 216 Gulden jährlich, schon damals in Stuttgart zu viel zum Sterben und nicht genug zum Leben, – nicht ganz 36 Kreuzer täglich, eine »sehr gute Versorgung« in der That! Als nach der berührten akademischen Feierlichkeit der Herzog, traulich auf Schiller's Stuhl gelehnt, sich so lange und gnädig mit dem jungen Manne unterhalten hatte, konnte dieser denken, er habe doch wohl nicht ohne Grund in der Widmung seiner Dissertation den Fürsten den »Stifter seines Glücks« genannt. Jetzt, aus dem knappzugemessenen Urlaub von der Solitude nach der Residenz zurückgehend, mochte er, die bestürzten Mienen der Seinigen noch vor Augen, mit Bitterkeit empfinden, daß Herzog Karl eine eigenthümliche Methode habe, die Leute glücklich zu machen.


 << zurück weiter >>