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Ferdinand Hodler †

1853 – 1918

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Mönch, Eiger und Jungfrau.

Wenn nicht alles täuscht, hat Ferdinand Hodler den Höhepunkt seines Ruhmes schon bei Lebzeiten überschritten. Den Höhepunkt eines Ruhmes, der sich verhältnismäßig schnell, ja gewaltsam im Kunstgetümmel der Zeit Bahn gebrochen hat und an den von Kulturhungrigen große Hoffnungen geknüpft worden sind. Hodler trat in einem Augenblick auf, wo weitere Kreise bei uns der impressionistischen Kunst überdrüssig zu werden begannen, wo vor allem die vielen, die den Impressionismus niemals geliebt haben, die nie ein lebendiges Verhältnis zu den großen Franzosen und zu den deutschen Meistern einer modernen Wirklichkeitskunst gefunden haben, laut und immer lauter von Stil zu sprechen begannen. Das ist ein Wort, dem der Deutsche, dem der Germane im weiteren Sinne sogar, niemals widersteht. Dieses Wort scheint ihm ein Mysterium, es scheint ihm das Sakrale der Kunst zu umschließen; und er glaubt, daß man, ebenso wie das moralisch Gute, auch den Stil wollen kann. Hodlers Stilkunst wurde darum, nach dem obligaten, diesmal aber ziemlich kurzen Entsetzen, mit einem Ruf begrüßt, aus dem man eine gewisse Erlösung heraushören konnte. Kluge und wohlmeinende Leute atmeten sichtbar auf, als der Druck der Franzosenherrschaft in der Kunst scheinbar von uns genommen wurde, als das Germanische in einer neuen Weise zu siegen schien. Damals tauchte die Argumentation zuerst auf, dieser neue Stil wäre berufen, den Impressionismus zu »überwinden«, er habe den Impressionismus vollständig verarbeitet und sei, siegreich idealisierend, darüber hinausgegangen. Die nächste Entwicklung hat diesen Propheten scheinbar auch Recht gegeben. Mit überraschender Schnelligkeit hat die Kunst Hodlers Schule gemacht. Zunächst in der Schweiz, wo sich die jungen Maler dem Einflusse des gewaltsamen Stilisten ebensowenig entziehen können, wie in Deutschland die jungen Musiker dem Einfluß Richard Wagners auszuweichen vermögen. Dann aber sind, in allen europäischen Ländern fast, verwandte Bestrebungen zutage getreten, und es ist in der Folge jene neue Stilbewegung in der Malerei entstanden, die als Ganzes zwar aus dem Impressionismus hervorgeht, die aber auch wieder als eine Reaktion darauf bezeichnet werden muß.

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Einzelstudie für das Wandgemälde im Rathaus von Hannover.

Ich habe den Geist dieser neuen Stilkunst einmal ein modernes Nazarenertum genannt. Das soll heißen, daß es sich um eine neue Begriffs- und Gedankenkunst handelt, in die sich die moderne Menschheit hineinflüchtet, weil sie die Geistesfreiheit, die der Verkehr mit dem Impressionismus fordert, nicht länger als einige Jahrzehnte hat ertragen können. Die europäische Menschheit will wieder sichtbare Zäune und Schranken im Geistigen, sie will das Kunstgesetz nicht nur genialisch ahnen, sondern will es begrifflich kennen und mathematisch verstehen, sie kann es dauernd nicht ertragen, das groß Kosmische aus jedem Winkel der Natur hervorleuchten zu sehen, das Göttliche in jeder Werktagsminute zu fühlen und sich überall und beständig umflossen zu fühlen von den ewigen Geheimnissen, die tief im Gemeinen wohnen und wurzeln; sie braucht eine neue Systematik, eine neue Symbolik, ein neues Begriffsleben, das die Stunde, den Tag entlastet und aus dem heraus neue Konventionen der Kunst gebildet werden können, sie will anstelle des Fließenden wieder ein Festes, ja ein Starres setzen, etwas, das sich beweisen, erklären und begreifen läßt. Aus dieser Stimmung heraus ist Hodlers Erfolg zu verstehen. Sein Nazarenertum hat natürlich beim ersten Blick ein ganz anderes Gesicht als die Kunst der Nazarener im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts; es ist viel urwüchsiger, gesünder, sinnlicher und starkknochiger. Im Kern aber ist hier und dort etwas sehr Verwandtes. Rethel, der ja direkt mit den Nazarenern noch in Verbindung stand, kann als Mittler gelten. In dem Karton- und Freskotemperament des kühnen Schweizers ist das Nazarenertum, wenn man will, impressionistisch geworden, das heißt, es hat Züge der herrschenden Malerei, der neuen künstlerischen Weltanschauung angenommen; der Geist aber ist der alte unsterbliche germanische Nazarenergeist.

Weniger allgemein kann man es so ausdrücken: Hodlers Stilkunst ist ein schweizerischer Präraffaelitismus. Man beachte wohl, denn es ist entscheidend, daß sowohl die Präraffaeliten in England vor vierzig Jahren wie auch die Nazarener vor hundert Jahren sehr entschieden als Revolutionäre auftraten, während sie zugleich eine Reaktion wollten. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich, wenn man bedenkt, daß es sich hier und dort um eine Kunst handelt, in der Gedanken und Begriffe das Primäre sind, nicht die Formen. Die Formen wurden vielmehr mit persönlich gefärbter Programmatik, eklektizistisch den alten Meistern und zugleich auch der Natur entnommen, und sie empfingen ihre originelle oder doch zuerst sehr originell erscheinende Prägung im wesentlichen von der Idee. Es handelte sich mehr um eine eigenartige Auswahl und Zusammenstellung von Formen als um neu geprägte, neu geschaffene Formen. Zugespitzte Begriffe, Gedanken, die sich absichtsvoll verdichtet haben, wirken stets sensationell. Sie wirken neu, sie sind es auch wohl oft; dabei braucht aber das rein Künstlerische, dessen sie sich bedienen, keineswegs neu zu sein. Die Form wird von der Sensation der Idee gewissermaßen mitgerissen, sie nimmt einen Zug von Größe und Neuheit an, der zuerst verwirrt und unterjocht, in dem Maße aber, wie einem die Ideen vertraut werden, und wie man den Formen kritisch gegenübertritt, verlieren sie an Kraft und Unmittelbarkeit. So war es bei Böcklin, Segantini, Thoma und Klinger, bei Cornelius und Overbeck, bei Puvis de Chavannes und den englischen Präraffaeliten. Und ähnlich ergeht es uns nun auch mit Hodler. Auch seine Kunst wirkt sensationeller, im Ganzen und in den einzelnen Werken, als die Form es beim genauen Hinsehen rechtfertigt. Wenn man Hodlers Bilder mit denen von Burne-Jones etwa vergleicht, und sie dann schweizerisch präraffaelitisch nennt, so muß man allerdings laut das Wort schweizerisch betonen. Denn der Unterschied im Völkischen spricht in diesem Fall sehr stark mit. Die englischen Präraffaeliten haben sich seinerzeit Botticelli als oberstes Vorbild erwählt, Hodler hat mehr an den kräftigeren und natürlicheren Piero della Francesca gedacht. Das schon ist sehr bezeichnend. Die Volksempfindung in England hat die Präraffaeliten zu einer gewissen Glätte und Süßlichkeit, zu schwächlicher Anmut, zu einer frauenhaften Gotik und zu vielen leeren Kunstgewerblichkeiten verführt; der Schweizer ist demgegenüber malerisch und zeichnerisch viel kräftiger, viel sinnlich urwüchsiger und elementarer. Ein starkes bäuerisches Element ist in seiner Stilkunst, wogegen die Engländer alle an einer gewissen Überkultur leiden. Was in der Malerei der Burne-Jones, Morris und all der anderen krankhaft empfindlicher Nerv ist, das ist bei Hodler robuster Muskel. Die Engländer sind Detaillisten und bleiben stets flächenhafte Zeichner; Hodler ist ein Totalist, er ist voller Malerinstinkte und sucht das Räumliche darzustellen. Aber bei allen Unterschieden, bei allen Vorzügen Hodlers besteht im Grundzug doch die Verwandtschaft, und es muß die Stilkunst des Schweizers darum als ein neuer, als ein nachimpressionistischer Präraffaelitismus angesprochen werden. Das Heimatland dieser modernen Kartonkunst, die das Freskenhafte will, erklärt manches. Die Schweiz ist ein Land, wo sich im Alemannischen das Germanische sehr rein erhalten hat. Das Germanische will in der Kunst aber stets mehr oder weniger verallgemeinern, das heißt, es will den Begriff, die Idee, den Gedanken, das Prinzip künstlerisch verkörpern, und das führt wie von selbst zur Stiltendenz. Im Germanen ist irgendwo im Kern seines Wesens eine Kälte, und er liebt eine kalte Kunst, das heißt eine abstrakte, auf Systematik und Regeln beruhende Kunst – oder auch die absolute Genauigkeit und Objektivität. Nicht Grünewald und Holbein sind populär, sondern Dürer, nicht Leibl ist es, sondern Böcklin, nicht der junge Menzel, sondern der alte. In diese Linie gehört auch der Erfolg Hodlers. Man entgegne nicht, seine Kunst sei doch durch und durch idealistisch. Gewiß ist sie das, aber darin liegt kein Widerspruch. Alles ideenhaft Konstruierte, alles systematisch Abstrakte, alles utopistisch Übersteigerte ist zugleich idealistisch und kalt. Eine andere Ursache, daß diese moderne Gewaltsamkeit in der Schweiz ans Tageslicht treten konnte, liegt in der Traditionslosigkeit der Schweizer Malerei. Die Schweiz liegt nicht nur geographisch wie eine Gebirgsinsel inmitten großer Länder, sie ist nicht nur politisch eingeengt von allen Seiten durch mächtige Staaten. Auch das Schicksal seiner Kunst ist es von je gewesen, daß die Kunst der umgebenden Länder, vor allem Deutschlands und Frankreichs, entscheidend eingewirkt hat. Die Schweizer Kunst ist immer abhängig gewesen; aber es ist immer auch eine Abhängigkeit voller Originalität gewesen. In der Abhängigkeit ist die herrliche gesunde Volksnatur deutlich in vielen eigenen, ja eigensinnigen Sonderzügen hervorgetreten. Diese besondere Volksnatur aber beweist auch wieder durch ihre Geschichte, daß sie für gewisse Geistesströmungen besonders stark inkliniert. Zum ersten geht durch das Volk ein entschieden puritanischer Zug, ein Zug von partikularistischer Methodik, der allen Völkern in Gebirgsländern eigen ist, in Norwegen, Tirol, den Pyrenäen und in Schottland. (In Parenthese: der englische Präraffaelitismus kommt eigentlich von Schotten her!) Dieser Zug spiegelt sich ja auch in dem republikanisch-bourgeoisen politischen Leben der Eidgenossen deutlich wieder, in seiner Tüchtigkeit sowohl wie in all seiner Einseitigkeit, Auch die Geistesgeschichte der Schweizer zeigt deutlich, daß auf der einen Seite eine entschiedene Begabung für das Mathematische vorherrscht und auf der andern Seite jene tendenzvolle, stets aber auch mit einer naturburschenhaften oder romantischen Frische verbundene Dogmatik, wie sie in dem Wirken J. J. Rousseaus, Bodmers, Lavaters, Pestalozzis und Jeremias Gotthelfs, zum Beispiel, zum Ausdruck gekommen ist. Etwas davon ist ja sogar noch in dem herrlichen Talent des freiesten modernen Schweizers, Gottfried Keller. Nimmt man alles das zusammen und bedenkt, daß diese entschiedene Stammeseigenart, langsam erstarkt zwischen nachbarlichen Kultureinflüssen, daß der Idealismus eines originellen Puritanertums, ohne Richtung gebende Kunsttraditionen, den Ehrgeiz hatte selbständig plötzlich hervorzutreten, einen Platz einzunehmen und der Zeit etwas Neues zu sagen, so darf man sich nicht wundern, daß es auf die Proklamierung eines neuen Stilprinzips hinausgelaufen ist. Es mußte etwas Programmatisches, es konnte nicht eine organisch gewachsene Kunst werden, weil es sich um eine Tat des Willens, nicht des Instinktes handelte. Der Wille aber kann eben nur programmatisch vorgehen. Der Wille, der moderne Kulturwille, der Kulturehrgeiz eines Drei- bis Viermillionenvolkes hat sich kräftig geregt, und Hodler ist sein Prophet geworden.

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Schweizer Landschaft.

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Entwurfskizze für das Wandbild im Rathaus zu Hannover.

Die Schweiz, ja die moderne Kunst hat alle Ursache, sich dieses Propheten zu freuen; denn er war eine Persönlichkeit von starkem Wuchs, ein Talent, in dessen Wesen nichts Unklares war, das ganz deutliche Absichten hatte und sie immer deutlich aussprach. Hodler ist ein Künstler, der fest auf dem Boden seines Volkstums steht und der doch auch Instinkte einer ganzen Zeit künstlerisch zu verkörpern weiß. Unter den schaffenden Begabungen war er eine der entschiedensten; er wirkte richtunggebend, wie es nur ein Künstler kann, in dem Talent und Menschentum vollständig eines geworden sind. Noch mehr: er für seine Person hatte die schöne Naivität, der, wie ohne Anstrengung, neue Formen gelingen. Nur stand diese kernige Naivität im Dienste einer Kunstidee, die ihrem ganzen Wesen nach nicht naiv sein kann. Das sind die beiden Seiten der Kunst Hodlers.

Betrachten wir einige seiner charakteristischen Bilder.

Fünf Greise in einer Reihe dasitzend. Vier haben gleichmäßig die Hände gefaltet, die Figur in der Mitte läßt die Arme schlaff hängen. Es sind apostelhafte Gestalten, in zeitlose Gewänder gekleidet. Im Faltenwurf, in der Haltung der Glieder, in den Bartformen, kurz in allem Einzelnen ist eine prinzipielle, nicht eine absolute Symmetrie erstrebt. Hodler nennt dieses Bild »Die Enttäuschten«. Er hat sich selbst einmal so ausgesprochen: »Sieben Greise, alle gebeugt, müde, mit demselben klagenden Ausdruck und der gleichen oder nur wenig veränderten Stellung vermögen die Idee der »Enttäuschung« besser zu verdeutlichen, als sie nur einer klar zu machen vermöchte.« Diese Erwägung ist nicht sehr künstlerischer Art. Die »Enttäuschung« läßt sich überhaupt nicht malerisch zulänglich darstellen. Der Gedankengang ist dekorativ ornamentaler Natur, möchte man sagen, er gleicht dem, der den Bildhauer Minne leitete, als er dieselbe knieende Figur fünfmal nebeneinander auf einen runden Brunnenrand setzte. Eine etwas gestörte Symmetrie wirkt ja stets geheimnisvoll; aber nur, solange man nicht hinter das Kompositionsgeheimnis gekommen ist. Bei Hodler ist eben dieses das Gefährliche: daß man zu bald hinter sein Kompositionsgeheimnis kommt. Denn was von dem Bild »Die Enttäuschten« gesagt ist, gilt für viele ähnliche. Einen Zug von fünf rhythmisch dahinwallenden Greisen nennt Hodler »Eurhythmie«. Ein andermal heißen fünf dunkel gekleidete, gebeugt dasitzende Greise »Die Lebensmüden«. Oder es sind fünf nackte Figuren – die Gestalt in der Mitte akzentuiert stets die Komposition – mit ekstatisch anbetenden Gebärden im Halbkreis originell dekorativ angeordnet, und das Bild heißt »Der Tag«. Oder es schweben sechs Engel mit steilrecht herabfallenden weißen Gewändern, halbkreisförmig angeordnet dicht über dem Boden einer blumigen Wiese, und im Mittelpunkt kniet ein nacktes Knäblein vor einem jungen Bäumchen; das Ganze heißt »Der Auserwählte«. Man erkennt schon aus diesen Andeutungen, daß es sich um einen sehr bewußten, halb sakralen Symbolismus handelt. Jeder Symbolismus muß sich aber mit innerer Notwendigkeit dekorativ, ornamental geben, er muß das Lineare betonen, muß sehr deutliche Konturen ziehen, die Wirklichkeiten stark umstilisieren und architektonische Wirkungen erstreben. Hodler benennt das Prinzip, wonach er stilisiert, mit dem Wort Parallelismus. Er hat bewußt und absichtsvoll ausgebildet, was unzählige Künstler vor ihm schon instinktiv oder, wenn bewußt, ohne viel Wesens davon zu machen, getan haben, wenn sie in die Arm- und Beinbewegungen mehrerer Figuren einen gewissen Parallelismus, eine rhythmisch schematische Übereinstimmung brachten, wenn sie ihre Landschaften »komponierten« und dem Auge Raumgassen schufen. Man braucht, zum Beispiel, nur einen Blick auf das Oeuvre Liebermanns zu werfen, um auch dort allerenden einen freilich nicht grundsätzlich betonten Parallelismus zu finden. Hodler braucht solche Hilfsmittel der Stilisierung und der Überstilisierung, er braucht gewisse Künstlichkeiten, um auszudrücken, was in ihm nach Gestaltung verlangt. Denn er will ja nicht in ein Äußeres das Innere hineinmalen, sondern umgekehrt ein Inneres hinterher mit einem Äußeren verbinden. Er malt in erster Linie Vorstellungen. Wenn er, zum Beispiel, einen »Teil« malt – sehr bezeichnend ein wenig als Selbstbildnis, wie er ja auch in der Tat die Tellgestalt in der Kunst der modernen Eidgenossen ist –, so gibt er die von aller Realität befreite Vorstellung, die Idee des Teil. Er stellt den Schutzpatron dar, er projiziert ihn ins Gleichnishafte. Als er für das Rathaus von Hannover eine historische Schwurszene malte, suchte er nicht eine geschichtliche Wirklichkeit vorzutäuschen, sondern er malte, paradox gesprochen, die Impression einer Abstraktion. Als er für die Universität in Jena den Auszug der Jenenser Studenten zum Freiheitskrieg darstellen sollte, rekonstruierte er nicht eine Wirklichkeit, sondern komponierte Begriffe und suchte sie mit Leben dann zu füllen. Er dichtet in allen solchen Fällen als Maler Heldengedichte, mit Reimen, die fast allzulaut gegeneinanderklirren, mit Rhythmen, die schon gar zu durchsichtig, die wie ein eintönig stampfendes Marschtempo sind. Er transponiert die Themen, bis alles Konkrete daraus verschwunden ist, bis sie ganz und gar symbolisch geworden sind, und sucht rückwärts dann wieder das Leben. Das kann er in einer Zeit, die von der Prosa lebt, nicht tun, ohne die Hilfe alter Meister, alter Freskokünstler in Anspruch zu nehmen. Auch hier liegt eine Ursache für den Erfolg Hodlers. Denn er hat es verstanden, mit großer Originalität ein Eklektizist zu werden. Er hat sich an die persönlichsten und männlichsten der vorraffaelischen Maler gehalten, an Piero della Francesca und Mantegna, er hatte die Basler Zeichnungen Holbeins vor Augen und ist im Milieu der Gotik künstlerisch herangewachsen. Und er hat die Anregungen der alten Meister in einer bewunderungswürdigen Weise verarbeitet, hat die alten Formen sehr selbständig umgebildet und persönlich gemacht. Es lebt heute keiner, der denselben Mut zu einer so kompromißlosen Eindeutigkeit hätte. Wie er, als Eklektizist, die Soldatenreihen auf dem Jenenser Bild marschieren läßt, wie er auf dem Hannoveraner Bild alle Schwörenden die Hand steil emporrecken läßt und sie in deutlichen, farbig unterschiedenen Kreisen um den Sprecher gruppiert, das ist bis zum Grotesken fast überstilisiert, das ist beinahe peinlich in seiner Sinnfälligkeit. Hodlers Darstellungsform wäre nicht mehr Stil, sondern Stilisiererei, wenn nicht ein merkwürdig starkes Naturgefühl in vielen Einzelheiten hinzukäme. Wenn man auf dem Jenenser Bild, zum Beispiel, die Einzelfiguren der Studenten betrachtet, die sich den Ranzen aufschnallen, das Pferd besteigen und den Rock anziehen, so gewahrt man, daß es sich um Naturstudien handelt, die groß gesehen und beim Zeichnen gleich komponiert, das heißt auf ein Wesentliches zurückgeführt worden sind. Man darf sagen, daß in solchen Gestalten der Geist des Impressionismus ist. Nicht ohne Ursache hat Hodler diese Studien auf Einzelblättern oft wiederholt. Sie sind aus derselben Absicht geboren wie etwa der »Mäher« oder der »Holzfäller«, die ihrerseits wieder, über einen weiten Zwischenraum hinweg, auf van Gogh und Millet zurückweisen. Wie Hodler in diesem Punkt mit der modernen Kunst zusammenhängt, das wird deutlich, wenn man gewisse Details vergleicht. Nimmt man, zum Beispiel, aus den »Badenden Jungen« aus dem Jahre 1897 oder aus dem Bilde »Nach dem Bade« von 1904 von Liebermann einzelne charakteristische Figuren heraus und isoliert sie, sieht man von der atmosphärisch weichen Malweise dieses Künstlers ab und blickt nur auf die Zeichnung, auf die Erfassung der charakteristischen Bewegung, und stellt man dann diese Details neben jene Einzelfiguren, neben jene stilisierten Naturstudien Hodlers, so wird man eine enge Verwandtschaft wahrnehmen. Hodler ist in der Tat bis zu gewissen Graden Impressionist, und er ist am bedeutendsten, ursprünglichsten und originellsten, wo er es ist. Das ist aber dort der Fall, wo er am wenigsten Symbolist ist, wo er am unmittelbarsten mit der Natur in Berührung kommt. Vor allem also auch als Landschafter. Hodler versteht es ohne Zweifel am besten von allen Lebenden, die an sich unmögliche Aufgabe, die Hochgebirgswelt zu malen, mit künstlerischem Gefühl zu lösen. Hierbei kommt ihm sein Stilisierungsvermögen, seine Fähigkeit, den Impressionismus auf das Konstruktive der Natur anzuwenden, gut zustatten. Immer aber steigert er das vom Eindruck Empfangene auch so weit, daß das Charakteristische allgemein symbolisch erscheint. Eine Blumenwiese wird dem Schweizer immer mehr oder weniger zu einer Idee des Frühlings, eine nackte Gestalt zum Menschen an sich und eine charakteristische Bewegung zu einer Bewegungsallegorie. Diese gefährliche Lust, alle Dinge sinnbildlich zu nehmen, bringt Hodler nicht selten in die Nähe Thomas. Er wirkt oft wie ein schweizerischer Thoma.

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Der Auserwählte.

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Der Holzfäller.

In einer merkwürdigen Weise gehen, wie man sieht, bei Hodler Natürlichkeit und Künstlichkeit, Systematik und Anschauungskraft durcheinander. Ebenso seltsam stehen in seiner Kunst eine gewisse Brutalität und ein zartes Artistentum nebeneinander. Man erkennt das präraffaelitisch Zarte und Zärtliche auch bei Hodler, vor allem in Einzelheiten. Es ist in den gotisierenden Falten der Gewänder und im zarten Strich mancher Zeichnung. Gewisse Details weisen sogar ein wenig zu dem süßlichen Wiener Klimt hinüber. Man spürt oft eine gewisse Koketterie im Handschriftlichen, eine Neigung präraffaelitisch zart und eigenwillig die Starrheit der Kartonformen arabeskenhaft zu kräuseln und mit der Form zu spielen, man spürt eine Vorliebe für das preziös Gekünstelte. Hier ist der Punkt, wo sich Hodler mit seinem jüngeren Landsmann Carl Walser berührt. Nur daß Walser frei ist vom Programmatischen, daß er einen schwächeren aber auch reineren Typus darstellt. In den ersten Jahren schienen diese beiden Künstler einander ganz wesensfremd; je mehr wir aber mit der Kunst der Schweizer Künstler vertraut werden, desto mehr lernen wir sie als eine große Künstlerfamilie anzusehen, deren Glieder sich nur dem Grad, nicht der Art nach unterscheiden. Amiet und Welti, Buri, Huber und alle die andern schließen sich in derselben Stilidee fest zusammen. Diese Stilidee ist ihr Schicksal, sie können ihr gar nicht entfliehen. Sie alle – nur der in Berlin lebende Walser ist auszunehmen – benutzen höchst bezeichnenderweise gewisse Darstellungsformen des Neo-Impressionismus. Sie malen wie Divisionisten, in einer naturfernen, bunten und doch farblosen Manier, weil sie alle im Grunde Kartonkünstler, das heißt Freskomaler ohne Wände, ohne Architektur sind, weil sie programmatisch – Hodler an ihrer Spitze – etwas Heroisches darstellen wollen und, da die Zeit diesem Wollen praktische Widerstände entgegensetzt, in eine neue Art von Romantik geraten. Diese Geistesstimmung ist es auch, was Hodler und die Seinen mit Böcklin verbindet. Böcklin malte ganz anders und auch etwas anderes. Er stilisierte seine märchenhaften, symbolistisch poetischen Einfälle mit Hilfe der Antike, mit Hilfe Tizians und Raffaels, er war, man möchte sagen, ein Nachraffaelit. Und er war daneben ein genau ausführender, illusionistisch malender Naturalist. Bei Künstlern, in deren Werken die Form sekundär ist, die von der Idee ausgehen und die Kunstmittel der Zeit und der Vergangenheit benutzen, wie ihr Programm es will, sind die äußeren »Stil«unterschiede immer sehr groß. Trotzdem sind Böcklin und Hodler einander verwandt, sie begegnen sich eng in ihrer Nationalität. Böcklin war reicher und menschlich voller als Natur, Hodler strenger und einsichtsvoller als formender Künstler; beide bewegen ihre Zeit durch eine stilisierende Programmkunst. Auch Segantini gehört in diesen Kreis, er, der zum Teil von Millet, zum Teil von dem Engländer Watts und auch vom Naturalismus herkam und der sich eine eigene Technik schuf, um einen »Stil« zu haben. Und man mag schließlich an Puvis de Chavannes denken, an dessen Darstellungsstil gewisse Frühwerke Hodlers – z. B. der »Dialogue intime« – so unmittelbar denken lassen. Auch die blassen, kultivierten, klassizistischen Wandmalereien dieses edlen Franzosen gehören, wie die Werke Hodlers, jener ganz modernen Kunstgattung an, die man Kulturkunst nennen könnte. Von allen Werken dieser Kunst kann man dasselbe anmerken, so verschieden sie auch im Grad, im Wert, in der Fähigkeit der Realisierung sind: Kultur läßt sich nicht wollen, nicht absichtsvoll machen; sie wächst entweder von selbst, als die Summe vieler, unberechenbarer und unleitbarer Kräfte, oder sie wächst überhaupt nicht. Das Verdikt, ganz allgemein gesprochen, lautet also: höchst edel, aber nicht im Ganzen, nur in Teilen organisch. Und dieser Ausspruch gilt ebenfalls von der Kunst Hodlers.

Es mag wunderlich erscheinen, daß in diesem Buch am meisten Einschränkungen gemacht werden gegenüber der Kunst eines Talentes, das von den besprochenen Talenten eines der bedeutenderen und sicher eines der einflußreichsten gewesen ist. Das ist kein Übelwollen; es liegt die Ursache vielmehr darin, daß am meisten von dem gefordert wird, der die höchsten Erwartungen erregt, und darin, daß Hodlers Eigenart zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung auffordert. Nimmt man diesen Maler und sein Werk als gegeben hin, so bietet seine Bilderwelt dem sich darin Versenkenden eine reiche Fülle schöner Anregungen. Doch ist es eben nicht leicht, ihn als gegeben kritiklos hinzunehmen. Wer selbst einen Willen hat, muß sich notwendig an dem harten Willen dieses bergartigen Menschen reiben, wer neben ihm in der Zeit lebt und an dem Gesicht der Zeit mitarbeitet, hat dieses Talent gewaltsam erlebt, hat sich ihm aber nicht unbedingt hingegeben.

siehe Bildunterschrift

Ferdinand Hodler, Mädchen. (Ausschnitt.)


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