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Waldemar Rösler †

1882 – 1916

siehe Bildunterschrift

Waldemar Rösler, Sommerlandschaft.

Der Anlage nach stand Rösler ungefähr zwischen Th. von Brockhusen und Max Beckmann. Mit Brockhusen, dem ostpreußischen Studienkameraden, hatte er eine gewisse kühle Kühnheit der Naturauffassung gemein, eine nachdrückliche Energie, den Eindruck zu vereinfachen, ihn technisch zu stilisieren und die Landschaft mathematisch fast nach Raumwerten zu zerlegen; mit Beckmann verband ihn eine charakteristische moderne Romantik und eine zur Koloristik drängende Fülle, die der Naturpsychologie Liebermanns den tieferen melodischen Klang und das dekorative Element hinzufügen möchten. Rösler ist aber schneller als seine beiden Genossen zu einer gewissen Reife gekommen, weil er seine Mittel zu organisieren verstand, weil er nicht so überreizt war, wie Brockhusen es nach der Seite einer impressionistischen Systematik ist und Beckmann nach der Seite einer delacroixartigen Ideenfülle, weil er, ohne jede Banalität, vernünftig mit seinem Talent haushielt. Man vermag den Künstler vor den besten seiner Bilder zu vergessen, diese können für sich leben. Und das eben ist ein Zeichen von Reife.

Rösler hatte sich im wesentlichen über seinen Weg schon entschieden, als er nach Berlin kam. Dennoch darf man ihn einen Liebermannschüler dem Geiste nach nennen; einen Schüler, der seinen Meister aus der Ferne studiert hat. Was er bei Neide, dem Maler der »Lebensmüden«, und bei Dettmann in Königsberg gelernt hatte, das sind nur Elementarkenntnisse, die auf seine Eigenart im tieferen Sinne nicht gewirkt haben. Rösler gehörte zu jenen Talenten, die sich vor allem durch das Studium guter moderner Malerei gebildet haben, die nur aufmerksam hinzusehen brauchten – sei es auf Liebermann, Monet oder van Gogh –, um zu fühlen, wie sich in ihnen das Eigne lockert, die nur den Hinweis brauchen, um viele Konsequenzen gleich praktisch zu erkennen. Dieses war das lebendig Intelligente in Röslers Talent. Seine feinste natürliche Klugheit aber hat er bewiesen, als er, einer der unmittelbarsten Liebermannschüler, sein Vorbild niemals imitierte. Er hat dem Geist nachgeahmt, nicht die Hand; er hat im Dativ nachgeahmt, nicht im Akkusativ. Er lernte, wie man stets lernen sollte: mit Hilfe eines Meisters hat er sich selbst entdeckt und selbständig gemacht. Rösler lebte zuletzt in einem Vorort Berlins. Wenn er sein Haus verließ, war er mit wenigen Schritten am Bahndamm. Dort gibt es unter anderem einen mit Akazien eingefaßten Sandweg, von dem aus der Blick, vorbei an Bahnhofsgebäuden und Holzschuppen, übers Gleis fort auf das freie Feld hinausschweifen kann und auf einen hohen, reinen Himmel. Hier malte Rösler am häufigsten. Nicht Studien, die im Atelier zu Bildern gemacht wurden, sondern fertige Landschaften. Er streifte mit seinem großen Malgerät die Umgegend auch weiterhin ab, so daß das Malen oft zu einer auch körperlich recht mühsamen Sache wurde. Stets aber war es die als reizlos verschriene Vorortlandschaft bei Berlin oder eine andere, meist als banal geltende Natur, in die Rösler die blutreiche Romantik seiner Seele, die starke Vitalität seiner Jugend hineintrug. Er malte in der Nähe des Bahnhofs Großlichterfelde-Ost, wo Großstadtkehricht in den Gräben liegt und das profane Leben zur Miete wohnt, den ewigen Glanz der alltäglich neugeborenen Natur, das farbig Funkelnde des kosmischen Schöpfungsduftes. Er hatte das entscheidende Malergeheimnis erkannt, so daß seinem Auge keine Gegend mehr häßlich oder gleichgültig erscheinen konnte; der innere Jubel dieser gesunden Seele nahm teil an allem Lebendigen, die Mystik aller Realität oder, was dasselbe ist, die greifbare Realität des Naturgeheimnisses ging diesem heiteren Malerauge allerorts auf, ihm ward das Innere zu einem Äußeren und das Außen zum Innen. Rösler hat dem Bahndamm und dem ärmlichen Akazienweg in seiner Nachbarschaft etwas profan Heroisches abgewonnen; er hat dem gegenständlich Banalen eine fast romantische Einsamkeitsstimmung abzuringen gewußt. In Röslers Landschaften ist das, was die Illusion des Lebens gibt. In seiner sehr pastosen Malweise, die mit Anstrengung den richtigen, den lebendigen Ton sucht, malte er eine öde winterliche Landstraße mit einigen dürren Bäumen und einer Telegraphenstange so, daß darin eigentlich alle winterlichen Landstraßen der Welt enthalten sind. Aber er tat es nicht absichtlich stilisierend, sondern indem er den Extrakt des Eindrucks, das in seinen Augenerlebnissen Konstante suchte oder, wie man auch sagen kann, indem er der jähen Impression auf den Grund ging. Er malte eine Fabrik hinter mageren Frühlingsbäumen und verstand damit eine Illusion des Frühlingswetters zu geben. Er hatte die glückliche Gabe, das Allgemeingültige als das Selbstverständliche zu empfinden, und malerische Phantasie genug, um mittels einer ihm eigentümlichen Bilderschrift seine Empfindungen im Betrachten aufleben zu lassen. Angesichts seiner Herbstbilder, in denen sich, aus kräftigen blauen Schattentönen hervorwachsend, ein paar sehr überzeugende Farben wuchtig zu fast großartigen Wirkungen zusammenfügen, spürt man, wie das Gefühl von Kraft und Jugend, das der Maler vor der Natur hatte, belebend auf einen übergeht. Man fühlt sich erfrischt von der Art, wie Rösler mit zuversichtlicher Farbenlust das Licht und die Sonne, die Klarheit des Winters und den herben Duft des nordischen Frühlings gemalt hat.

siehe Bildunterschrift

Waldemar Rösler, Straße in Groß-Lichterfelde.

In seinen letzten Jahren hat Rösler auch in Ostpreußen Landschaften gemalt. Da ist, zum Beispiel, eine abendliche Dorfansicht, die koloristisch so kühn und klingend gestaltet ist, daß man einer Gruppe am Dorfbrunnen unwillkürlich einen Evangelienstoff zugrunde legt. Die Realität ist so glücklich übersteigert, daß sich das Poetische wie von selbst einstellt. Das aber ist stets ein gutes Zeichen. Denn es ist besser, wenn der Betrachter ohne Zutun des Malers auf einen Titel etwa kommt wie »Christus am Brunnen«, als daß der Maler seinem Bilde solchen hochtrabenden Namen gibt. In dieser Landschaft sieht man manches von dem erfüllt, was Fritz von Uhde nie gelingen wollte; sie ist voller Saft und malerischer Phantasie, während zugleich die ganze Lyrik einer starken Seele zum Ausdruck kommt. Das Dekorative der Farbigkeit ist in keinem Punkte kunstgewerblich: es ist nicht aus dem gefälligen Ton entwickelt, sondern aus dem richtigen Ton. Das Objekt der Darstellung ist, hier wie in den andern Landschaften, der Raum und das Geheimnis des Lebens im Raum. Sodann gibt es unter diesen ostpreußischen Landschaften Darstellungen des Dünengebirgs mit Schluchten, die überwuchert sind von einem dichten ginsterartigen Buschwerk, und mit fernen Ausblicken nach dem hell aufglänzenden Meer – alles sehr farbig und klangvoll und aus einer reichen Materie heraus gebildet. Es gibt mehrere Ansichten einer weithin sich schwingenden Meeresbucht, mit Uferbergen, Brandung und ausfahrenden Booten; und dann wieder Darstellungen des weiten Feldergebiets hinter den Dünen, das sich flach und weit dahin dehnt, in dem die Horizontale triumphiert und das Auge von Plan zu Plan immer weiter in die Tiefe gezogen wird; Wiesen und Kornfelderweiten, mit spärlichem Buschwerk, mit Zaunreihen, Landwegen und weidendem Vieh, über die sich ein farbig bewegter Himmel wölbt und die von farbigem Licht ganz überstrahlt sind. Die Motive an sich sind immer alltäglich, ob sie nun im Sommer in Ostpreußen gefunden sind, oder im Frühling, im Herbst und im Winter in der Umgegend Berlins, in Groß-Lichterfelde, Tempelhof, am Teltowkanal oder in der Nähe der Kadettenanstalt. Das Motiv ist nur Medium, ist nur Träger der malerischen Stimmung. Es liefern sich vor allem die Farben der Himmel und des sich im Räume heftig dehnenden Terrains einen Kampf, der zuweilen zum Tumult ausartet. So sehr, daß selbst Roheiten nicht vermieden werden. Sie und ebenso die übertriebene und übertreibende Pastosität des Farbenauftrags sind Merkmale einer Jugend, die noch in der Entwicklung stand. Die Heftigkeit, womit Rösler die zähen Farbschichten übereinander strich, wobei zuweilen koloristisch reiche Effekte eines fast neo-impressionistischen Farbengeflimmers entstanden, ist nicht so sehr ein Zeichen der Sicherheit, als vielmehr ein Merkmal des Suchens nach dem Richtigen. Eines Suchens auf dem Malgrund selbst, und während der Arbeit. Dieser Vorbehalt spricht es schon aus, daß die Landschaftskunst Röslers in ihren Resultaten recht ungleich ist. Es gibt einige Arbeiten – besonders mit Motiven aus Lichterfelde –, die einen erstaunlichen Grad von Beherrschung zeigen und deren lebenswahre Romantik den Betrachter bezwingt; aber es gibt auch Landschaftsbilder, die wie nur halb geglückte Skizzen wirken. Man erkennt auf den Bildflächen sogar an verschiedenen Stellen ein verschiedenartiges Gelingen. Es gibt Partien von schöner malerischer Richtigkeit und daneben Stellen, die ziemlich obenhin zugestrichen sind. Das trifft vor allem dort zu, wo das Format besonders groß ist. Dieses zu große Format ist charakteristisch für die Jugendlichkeit des Talents. Es brauchte Platz, um sich ausdehnen zu können, brauchte eine gewisse Ellenbogenfreiheit.

siehe Bildunterschrift

Waldemar Rösler, Selbstbildnis.

Einem Talent gegenüber, wie Rösler es war, wird es offenbar, daß der Impressionismus, den Monet und Manet etwa vertreten haben, von den jungen Künstlern nur als Durchgangsgebiet betrachtet wird, daß die Mission Liebermanns darin bestanden hat, den französischen Impressionismus bei uns zu akklimatisieren und ein bleibendes Zwischenglied zu sein. Es wird sichtbar, wie wenig eigentlich die ganz unmittelbar von Manet, Monet, Liebermann oder von andern Vorbildern Angeregten aus der Berliner Sezession, wie wenig die direkt Nachahmenden die Kunst erweitert haben und wie lebendig die neue Generation wenigstens Instinkt, Wille und Talent hat, es zu tun. Die lebendige, die selbständige Nachfolge kommt jetzt erst herauf. Und in demselben Augenblick, wo sie sichtbar wird, zeigt sich wieder der spezifisch deutsche Instinkt, der stets zu einer optimistischen Erhöhung des Angeschauten drängt. Die Folge ist eine Art von neuer Romantik auf der ganzen Linie. Eine Romantik, die nun aber durch die Schule des Impressionismus, durch die Lehre von Manet und Liebermann, von Cézanne und van Gogh gegangen ist. Es erwacht allenthalben in ähnlicher Weise eine Lust, in unmittelbar Gesehenes neue Bedeutung hineinzutragen. Daraus ergibt sich dann ein neuer Wille zum Kolorismus. Was wir sehen, ist eine Umbildung der Liebermannschen Anregung zu einer Kunst, die ein prononciert deutsches Gesicht hat. Liebermanns Malerei will stets den Ausdruck, sie will ergründen; die Kunst der Neuen dagegen will neben dem Ausdruck die Freude, sie will klingen und erregen. Aber sie hütet sich dabei, ebensosehr wie die der Impressionisten, vor der »Idee«. Trotzdem die neue Romantik zu absichtlichen Übersteigerungen neigt, denkt sie nicht literarisch, sondern geht von der Technik aus, vom Handwerk und von der Anschauung. Mit alledem ist nicht gesagt, daß es sich um einen »Fortschritt« handelt; aber es handelt sich ganz gewiß um lebendig Neues, das zweifellos folgenreich sein wird. Auch Rösler folgte dieser neuen Romantik. Er wäre ihr zweifellos ein bedeutender Vertreter geworden, wenn er länger gelebt hätte. Er ist aber, neben so vielen anderen jungen Malern, ein Opfer des Krieges geworden. Eines der am lebhaftesten beklagten. Mit ihm ist viel anregende und entwickelnde Kraft zu Grabe getragen worden. Er wirkte wie ein Organ des Zeitgeistes, wir erblicken in ihm einen jungen Meister, dessen künftige Mission zwar nicht zu beweisen war, der aber mit seinen hinterlassenen Werken dem Betrachter den Glauben aufzwingt, daß dem bedeutenden Anfang eine bedeutende Entwicklung gefolgt wäre, wenn nicht das schöne Menschentum der Brutalität des Lebens unterlegen wäre.

siehe Bildunterschrift

Waldemar Rösler, Frühlingslandschaft.


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