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Ernst Barlach

1870 – 1938

siehe Bildunterschrift

Ernst Barlach, Bettlerin, Zeichnung.

Die Freunde moderner Kunst, die jedes Talent von starker Eigenprägung als einen Gewinn betrachten, stehen mit sich vertiefendem Interesse vor den Skulpturen und Zeichnungen Ernst Barlachs, bezwungen von der energischen Originalität dieser Arbeiten. Obenhin urteilende Kunstbetrachter, Naturalisten des Denkens, die nur das plausibel Scheinende begreifen, werden in Barlach, auf Grund seiner überstilisierten Skulpturen und seiner bis zur Monomanie lapidaren Zeichnungen, viel Undifferenziertes vermuten. Diese wissen nichts von jenem Gesetz der ewigen Gegensätzlichkeit, das uns allen erst Gleichgewicht verbürgt, das weiche Naturen oft treibt, als Künstler hart zu scheinen, wie es harte Naturen im Ästhetischen zuweilen das Weiche, ja, das Sentimentalische suchen läßt, das den athletischen Leibl als Maler frauenhaft zärtlich nuancieren ließ, das die in vielen Zügen schüchterne und verlegene Natur Corinths antreibt, sich gewaltsam zur Schau zu stellen und das im geistreich beweglichen Liebermann den Ehrgeiz erweckt hat, als Maler ein Muster des Einfachen und Ungeistreichen zu sein. Auch hinter den rücksichtslos vereinfachenden Formen der Barlachschen Kunst, hinter all ihrem Grotesken und Ungemilderten steht nicht ein primitives Empfinden, sondern ein komplizierter Mensch mit einem zarten, keuschen und reichen Innenleben. Hinter der scheinbaren Armut der Barlachschen Ornamentalität lebt eine gestaltenreiche Fülle, wie sie heute nicht oft gefunden wird. Was gefühllos scheinen könnte, ist sehr oft das Resultat eines gewaltsamen Ausbruchs, was dem flüchtigen Blick wie unnatürliche Stilisierung aussieht, ist der innerlich notwendige Ausdruck eines unter der Dämonie seines Temperaments Erschauernden, eines leidenschaftlich Aufschluchzenden, eines von der Schicksalsdramatik des Alltags Berauschten. Was den Oberflächlichen in Barlachs Arbeiten grotesk, bizarr, manieriert und tendenziös anmuten könnte, das ist die natürliche Äußerungsform einer Persönlichkeit, die einsam ist, weil sie die Tiefe will, und die ganz von selbst originell wird, eben weil sie einsam ist. Barlachs Plastiken stammen letzten Endes ab von den Grotesken, die als Wasserspeier und Balustradenfiguren auf den Vorsprüngen alter gotischer Dome hocken, sie haben etwas von dem wie im poetischen Erschrecken gefundenen, unheimlich beseelten Ausdruck gotischer Heiligen, denen innere Ekstase die Glieder verrenkt, den Leib ausgemergelt und den Körper ganz zu einem Gefäß der Psyche gemacht hat. Alle Plastiken Barlachs leben sozusagen in einer Atmosphäre, in deren Tiefe ferne Gewitter drohend murren. Und sind doch durchaus Plastiken, in jeder Form skulptural gedacht, ganz kubisch empfunden in der Anlage, mit technischem Ingenium immer ins Materialgemäße übersetzt, mit feinstem Handwerkssinn durchgemeißelt und durchmodelliert, frei von allem literarisch Unkünstlerischen und ganz Produkte äußerer und innerer Naturanschauungen.

Wenn man Barlach eine Poetennatur nennt, so ist das ein Hilfsmittel, um die innere Romantik dieses Künstlers innerhalb der festen Grenzen seiner Raumkunst zu bezeichnen. Barlach ist in seiner Art ebensosehr Bildhauer wie Gaul. Aber wenn man diesen einen beruhigten Klassiker nennen kann, so ist Barlach im Gegensatz zu ihm ein innerlich bewegterer Romantiker. Und das eben läßt ihn als eine Natur erscheinen, die poetisch beeinflußt zu nennen, nahe liegt. Nicht nur, weil er sich auch literarisch als Lyriker und Dramatiker versucht hat, nicht nur, weil er so gern und oft sogar als ausgesprochener Sittenschilderer zeichnet, sondern weil er von Stunde zu Stunde in Symbolen lebt und weil er seiner ganzen Anlage nach ein tragischer Mensch ist. Weil er an sich selber leidet, wie die Daumier- oder Milletnaturen etwa, und sich eben dadurch als vom Uradel der Kunst abstammend erweist. Der starke Ernst dieses Künstlers fordert vom Betrachter mit Gewalt Aufmerksamkeit. Schon als äußere Erscheinung fällt Barlach unter modernen Künstlern auf. Die jungen Sezessionisten könnte man oft, wenn man zuerst mit ihnen bekannt wird, ohne gleich zu wissen, wer und was sie sind, für Privatdozenten, Bankbeamte oder Ingenieure halten; in Barlach erkennt aber jedermann sofort den Künstler. Er gehört mit seinem Wesen und auch mit seinem edlen, ein wenig bohèmehaften Romantikeraussehen zu den Caspar-David-Friedrich-Erscheinungen der deutschen Kunst; in ihm ist etwas wie ein Otto-Ludwig-Naturell, denn er ist zugleich dramatisch gewaltsam und lyrisch innig, ist ein philosophischer Eigenbrötler und zugleich ein Mensch der Weite. Soll von einem spezifischen Deutschtum in der modernen Kunst geredet werden, so ist vor allem auf Künstler seiner Art zu verweisen. Dieser Holsteiner, der in Hamburgs Nähe aufwuchs, ist jenen vergrübelten Niederdeutschen verwandt, die der Lebende sich neu entdeckt hat und zu denen Ph. Otto Runge gehört. Um 1800 wäre auch er wahrscheinlich ein Nazarener geworden; ein Nazarener mit der Witterung für den Impressionismus. Heute noch sind ihm unverkennbare nazarenische Züge eigen. Er ist etwas wie ein deutscher Minne. Auch in seinen Skulpturen und Zeichnungen ist die asketisch gewordene Sinnlichkeit der Form und die gotische Transzendenz des unmittelbar Angeschauten. Äußerlich gehört er im übrigen in manchem Zug zu jenen Modernen, die bewußt aufs Primitive zurückgreifen. Barlach lernt lieber von den Ägyptern und Etruskern als von den Griechen, lieber von Japanern und Gotikern als von den Renaissancemeistern.

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Ernst Barlach, Der Sterndeuter. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin

Nichts ist bezeichnender für den Ruhelosen als der Umstand, daß das innere Rußland ihm zur Fundgrube bedeutender Motive geworden ist, wogegen der Aufenthalt in der Villa Romana in Florenz ziemlich spurlos an ihm vorübergegangen ist. Rußland hat ihn mächtig erschüttert. Er hat es etwa so gesehen, wie es uns aus Dostojewskijs Romanen entgegenkommt. Er hat ihm Mut zu einem wahrhaft schonungslosen Naturalismus gemacht; aber er hat das Wirkliche dort zugleich auch in der Atmosphäre jener Dostojewskijhaften Mystik gesehen, die das stinkend Alltägliche übersinnlich fast erscheinen läßt und aus dem Spiel der Realitäten ein tiefsinniges Schicksalsmärchen macht. In Rußland ist ihm die Wirklichkeit sozusagen steppenhaft stilisiert entgegengekommen; er hat die russischen Menschen plastisch gleich begriffen, wenn sie ihm mit Physiognomien entgegentraten, die in jedem Zug von einem ungezügelten Innenleben erzählen, mit tartarisch gestülpten und slawisch geschlitzten Gesichtern, mit vergrämten, verschwelgten, verzweifelten und unheimlich brütenden Antlitzen. Er hat die große Linie dieser Welt geahnt, wenn er als Zeichner dann oft auch etwas gar zu summarisch vorgegangen ist, und hat das bäuerische Proletarierelend mit Hilfe langer Kaftane und halbantikischer Faltengewänder plastisch so zu verarbeiten gewußt, daß man vor den besten seiner Skulpturen fast wie vor japanischen Bronzen steht.

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Ernst Barlach, Teil eines Kamins. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin.

Vor wenigen Jahren noch schien Barlachs Lapidarität in Gefahr, im Kunstgewerblichen stecken zu bleiben, etwa so wie der plastische Stil von Luksch, Wrba oder Taschner. Um so mehr als die Inanspruchnahme seiner Fähigkeiten für keramische Arbeiten auch äußerlich Bedingungen zum kunstgewerblichen Formalismus schuf, als diesem Künstler ein unverkennbarer Drang zum ornamentalen Spiel und zur Linie an sich eigen ist und als er endlich nicht nur ein sehr sicherer und geschickter Zeichner, vor allem Aktzeichner ist, sondern sich auch zu allem Handwerklichen so streng erzogen hat, daß er technisch eigentlich alles kann, was er will. So ist er, zum Beispiel, einer der ganz wenigen modernen Bildhauer, die Holz zu bearbeiten verstehen, die natürlichen Sinn für die besondere Behandlung der Holzplastik haben, die das schöne Holzmaterial wie von innen heraus zu beseelen wissen und nicht nur immer vom Modellierton aus denken. Jetzt ist diese Gefahr moderner Verkunstgewerblichung längst überwunden. Nach schweren Lehrjahren, die den Norddeutschen durch die Klassen der Hamburger Gewerbeschule geführt haben, durch das Diez-Atelier der Dresdner Akademie und durch die Akademie Julian in Paris, während derer er mit seinem Hamburger Genossen Garbers zusammen Monumentalbauplastiken im flotten Atelierstil gemacht hat und Grabmale von schön gestalteter Innigkeit, die ihn durch talentvolle Milletnachahmung und Rodineinflüsse haben gehen lassen, um den Zeichner dann zeitweise zu einem Genossen der Simplizissimus-Illustratoren zu machen, hat Barlach einen Punkt innerer Entwicklung erreicht, wo er sich selbst und die Möglichkeit seiner Natur kennt. Es erwecken die Werke seiner letzten Jahre die Gewißheit, daß wir einen Künstler vor uns haben, der nicht mehr ein Opfer des Stilformalismus werden kann, weil er ein geborener Plastiker ist. Dieser Bildhauer hat sich zur rechten Zeit von Berlin in eine mecklenburgische Landschaft zurückgezogen, nachdem er empfangen hat, was er braucht. Er hat leidenschaftlich fast die Einsamkeit gesucht – und ihm gelingen nun Werke, die in jedem Jahr schöner sind als im vorhergehenden. In der Stille gewinnt dieser Bildhauer-Dichter die schöne Einfalt des reifen Mannes, die ohne weiteres phantasievoll und voller Gestalt ist. Man spürt es vor jeder Arbeit Barlachs, daß sein Credo ist, nichts zu wollen als die Kunst, nichts zu begehren als die Fähigkeit, das den Wundern des Daseins gegenüber dramatisch und doch keusch Erlebte in reinen Formen auszudrücken. In dem zwischen Wirklichkeit und Vision sich bewegenden Leben seiner Tage kommen ihm wie von selbst glänzende poetisch-skulpturale Einfälle, die in der Bildhauerkunst ganz neu sind; in der Zurückgezogenheit reift ihm immer mehr die Kraft formaler Gestaltung, so daß sich die romantisch beseelte Lapidarität seiner Plastiken in einer unendlich originellen Weise den besten altdeutschen Holzskulpturen nähert. Es gleicht dieser Künstler seinem »Sterndeuter«, weil auch er den schmerzlich forschenden Künstlerblick beständig nach oben gerichtet hält, ganz selbstvergessen und ohne jede Schönlingspose. Da er wirklich in den Sternen sein Schicksal geschrieben weiß, während er fest doch auf dem Boden der Natur und seines Handwerks steht, ist seiner Kunst die Gebärde eines überzeugenden, wenn auch grotesk gefesselten Heroismus eigen. Eines Heroismus, der nicht die bekannten Theatergebärden hat, sondern dem im Gegenteil eine schüchterne Ungelenkigkeit, eine gewisse bäuerliche Blödigkeit eigen ist. Es ist der echte neue, der moderne Heroismus. Unter den deutschen Malern des vorigen Jahrhunderts begegnet man ihm in verschiedenen Verkleidungen des öfteren; nie aber bisher unter den Bildhauern.

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Ernst Barlach, Der Spaziergänger. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin.

Barlach befreit sich offenbar von dem was ihn peinigt, indem er es plastisch gestaltet. Und ihn peinigt, wie gesagt, vieles, ihm ist das Leben an sich leidvoll. Barlach handelt als Bildhauer ungefähr so, wie Böcklin als Maler handelte, als er, zum Beispiel, die drückende Unfreiheit der Ehe in dem Bild »Odysseus und Kalypso« gleichnishaft darstellte. In dieser Weise wachsen auch bei Barlach höchst subjektive Empfindungen ins Allgemeingültige hinein. So sind offenbar Bildwerke entstanden, wie »Der Schwertzieher«, »Der Sterndeuter«, »Der Einsame«, »Der Wüstenprediger«, »Der panische Schrecken« oder »Der Ekstatiker«. Barlach lebt und denkt in Symbolen. Ähnlich ist es bei den Gestalten, die mehr objektiv dem Leben nachgebildet worden sind. In diesen Fällen hat der Künstler die seiner Empfindung antwortenden Gegenbilder in der Natur gefunden. Bezeichnend ist, daß jene erste Gruppe fast nur männliche Gestalten, daß sie sozusagen nur dramatisierte Selbstbildnisse enthält, daß in der zweiten Gruppe aber die Frauengestalt überwiegt. In allen Fällen aber sind Menschen dargestellt, die das Leben gewaltsam erleiden, Opfer des Lebens und zugleich Vertreter eines mehr passiven als aktiven Heldentums.

Wichtig ist schon das Stoffliche. Die Modelle sind Bettler, Vagabunden, Wanderer; oder man begegnet einer »sorgenden Frau«, einer »alten Frau am Stock«, einem »frierenden Mädchen«, einer Gruppe »Verlassener«, und zwei Bildwerke heißen sogar ganz allegorisch »Trauer« und »Hunger«. Das Merkwürdige und Neue ist, daß Absichten, wie sie sich in diesen Titeln schon aussprechen, von einem Bildhauer verwirklicht worden sind. In der Malerei begegnet man ähnlichen Tendenzen ja häufig genug. Bemerkenswert ist, daß es hier gelungen ist, man darf sagen, zum erstenmal seit Riemenschneider oder doch seit der volkstümlichen Holzbildhauerei des Barock, dichterischen Stimmungen und grüblerischen Weltgefühlen eine genau zusagende plastische Form und eine überzeugende Technik zu finden, daß eine schöne, stets beängstigte, leicht verletzliche Künstlernatur, die die Einsamkeit sucht, den Beweis der Möglichkeit erbringt, innerhalb der Skulptur zu dichten, Stimmungen zu gestalten, auf das schwankende Geheimnis hinter aller Erscheinung hinzuweisen und doch in den Grenzen der plastischen Kunst zu bleiben, ja, diese Grenzen sogar mit streng beschränkender Kraft neu zu bezeichnen. Barlach wäre problematisch ohne sein starkes, ursprüngliches plastisches Formgefühl, um so mehr als er vielseitige Interessen hat, als er auch ein romantisch monumentalisierender Illustrator und ein Dramatiker des Gespenstischen sein möchte. Ohne dieses bestimmte und zur äußersten Bestimmtheit drängende Formgefühl hätte sich der dichtende Bildschnitzer im Genrehaften verlieren müssen. Das Bedeutende und Einzige der Begabung, die Barlach heißt, besteht in der Fähigkeit, innere Vorgänge in Formen zu verwandeln, die ihrerseits dieselben Empfindungen hervorrufen, in der Fähigkeit den Dichtungen der Seele ein lebendiges Formenkleid zu weben. Leider läßt sich über diese Form, über ihr Wesen und ihre Entstehung, also über das Entscheidende, etwas durchaus Aufklärendes nicht sagen. Man kann darauf hinweisen, daß Barlach von Millet nie ganz losgekommen ist, daß er mit Nutzen gotische und japanische Plastik studiert hat, daß der Anblick russischer Volkstypen für ihn entscheidend geworden ist und daß die Einfachheit seiner Form auf dem Boden der genauesten Naturkenntnis wächst; man kann sprechen von der Geschlossenheit der Massen, von der altmeisterlichen Weisheit, womit oft in große glatte Flächen unendlich lebendige Licht- und Schattenakzente von Händen und Köpfen gesetzt sind, von der Beseelung und Ausdruckskraft der Form und von der Erhöhung des Proletarischen zum grotesk Monumentalen; es ließe sich manches sagen über das sinnliche Gefühl für die Materie, über die vom Holzmaterial und der Technik geschaffene Haut, worauf merkwürdige Bronzelichter spielen, über Rundplastik und Relief und über die soliden Handwerkstugenden dieser Kunst – man wäre damit aber der Form und ihrem Geheimnis im wesentlichsten nicht viel näher gekommen.

Eine Schule wird Barlachs Stil wahrscheinlich nicht zeitigen, weil seiner Art ein gewisser Anachronismus eigen ist. Formen dieser Art müssen leer werden, wenn nicht ebenso lebendige Persönlichkeiten sie jedesmal spontan von neuem erschaffen. Wahrscheinlich bleibt die Holzbildwerkerei Barlachs eine Episode. Aber das ist kein Einwand gegen diese wie aus dem tiefsten Volksgefühl hervorbrechende Kunst. Das Beste in der deutschen Kunst ist in eben diesem Sinne oft Episode und Anachronismus gewesen.

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Ernst Barlach, Zeichnung aus dem »Toten Tag«. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin.


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