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Hans Thoma

1839 – 1924

siehe Bildunterschrift

Hans Thoma, Schwemme. Mit Erlaubnis der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart.

Wenn man die Friedenszeit zwischen 1870 und 1914 als eine geschlossene Epoche von besonderem geschichtlichen Charakter betrachtet, so wird deutlich, daß die Lebensarbeit Hans Thomas durchaus dieser Periode angehört, daß dieser Maler am Gesicht der vier Jahrzehnte entscheidend mitgearbeitet hat und auch wiederum von ihnen gebildet worden ist. Aufstieg und Vollendung des Talents fallen ganz in diesen Zeitabschnitt. Mehr noch als die Lebensarbeit Liebermanns, Trübners oder Corinths wirkt die Thomas abgeschlossen, sie wirkt schon historisch. Die Persönlichkeit nimmt sich ganz patriarchalisch aus – und das nicht nur durch Alter und Erscheinung.

In diesen Jahrzehnten hat Thoma eine wichtige Seite der deutschen Romantik verkörpert. Nachdem er als Maler wie ein Holländer und wie ein Anhänger der Schule von Fontainebleau begonnen hatte, hat er sich, nach einer Periode äußerer Erfolglosigkeit, sich bewußt wandelnd, dem Kreise um Richard Wagner angeschlossen. Sein Ideal mag Hans Sachs gewesen sein, wie dieser uns in den »Meistersingern« entgegentritt, wie edle Epigonengesinnung ihn sieht. Ein Maler und Poet dazu! In die schwüle Erlösungssehnsucht, in das Fieberklima der Wagnerschen Romantik hat er seine persönliche Jovialität und eine gewisse lächelnde Abendrotsmilde getragen. Er hat, als Maler, die ehrgeizige Idee Wagners, vom Zentrum des deutschen Geistes aus eine neue Weltkunst zu schaffen, so sehr aufs Stammhafte, aufs Provinzielle angewandt, daß in seiner Lebensarbeit von der Freiluft des künstlerischen Weltverkehrs eigentlich kaum noch ein Hauch ist und daß dieses Lebenswerk nur von Deutschen recht verstanden und gewürdigt werden kann. Seine ursprünglich vorhandene Originalität und Gründlichkeit hat Thoma in die Tracht einer intimen Heimatskunst gesteckt. Das Wagnersche Heldengedicht deutscher Legendenromantik, gewürzt mit Schopenhauers Weltverneinungsphilosophie, ist ihm zur weltbejahenden Idylle geworden. Er hat in der Folge dem lauten Rationalismus und der schrillen Phantastik der Großstadtkunst die bäuerliche Beschaulichkeit seiner Schwarzwaldheimat entgegengestellt, er weist zurück auf Schwind, der ebenfalls ein malender Illustrator gewesen ist, und weiter rückwärts noch auf die nazarenische Landschaftergruppe, der eine lange Reihe feiner, aber auch ängstlich feiner Begabungen angehörten. Einige Züge seiner Bilder erinnern an englische Praeraffaeliten, an den kunstgewerblich empfindenden Walter Crane, andere lassen an Böcklin oder Marées denken, und auch Hinweise auf den Lehrer, Schirmer, finden sich. Thoma ist ein Maler des symbolisch Sentimentalischen; er malt beziehungsvoll seine Zufriedenheit und seine Rührung: er ist empfindungselig. In seinen Bildern klingt jener Geist nach, der – künstlerisch reiner und bestimmter – in Haydns Sonatensätzen, in Vossens Idyllen, in Eichendorffs von Wanderglück erfüllten Erzählungen, in Mörickes Gedichten anmutig sein Wesen treibt. Die glücklichsten Werke der Manneszeit und des Alters sind bleibende Dokumente dieser deutschen Lebenslyrik. Sie haben das Beruhigende von Liedern. Jeder Deutsche, der nicht allzu spät nach dem Jahre 1870 geboren wurde, kommt mit gewissen Lebensinstinkten von dieser Idyllengesinnung nie ganz los. Sie sitzt einem im Blut von den Richterschen Buchillustrationen her, die uns die Welt deutscher Märchen erschlossen haben, – von den Erzählungen und Liedern der deutschen Romantiker her, die bereits in den Lesebüchern der Schule zum Knaben gesprochen haben –, von der Atmosphäre des Elternhauses von dem unproblematischen Glück der Jugend her. Immer wieder ertappen sich Männer, deren Haare schon ergrauen, vor Bildern und Zeichnungen Thomas darüber, daß sie zu träumen, zu wünschen und sich zu erinnern beginnen. Vorne der Weg durch Gras und Sommerblumen, auf dem Kinder dahinspielen, weiterhin, am sich schlängelnden Bach entlang, Weiden- und Erlengebüsch mit ornamental gebogenem Gezweig, dahinter, sanft ansteigend, die feuchte Wiese mit weidendem Vieh, dann der Waldrand mit seinen geheimnisvollen Schatten unter schön geformten Baumkronen, Rehe, die mit scheu fragender Bewegung hervortreten, und Fuhrwerke, die auf fernen Waldwegen verschwinden, als würden sie irgendwo vom Glück erwartet; über dem Wald aber, bis zum Horizont, das wellige Land mit Dörfern und Feldern, in der Sonne und unter dahinstreichenden Wolkenschatten, zum Wandern, zur Lust des Wanderns einladend, alle Freuden eines schönen Sommertags versprechend und heiter hinaufweisend in den leicht bewölkten, lichtstrahlenden Himmel. Man überrascht sich unversehens über dem Wunsch, in dem rauchenden Jägerhaus, das im Abendschein traulich daliegt, zu übernachten; man betrachtet die zarten, von der untergegangenen Sonne rosig beleuchtenden Lämmerwölkchen am tiefblauen Himmel und freut sich des schönen Abends; man blickt in das Wasser des Rheins und ergötzt sich an den feinen Ornamenten der sprudelnden Strömung. Das Leben scheint leicht und gut zu sein. Gottes Welt sieht aus wie ein Garten, den er lächelnd den Guten öffnet. Durch alle Landschaften lustwandelt die Lebenshoffnung, und eben darum fühlt der Betrachter sich wieder ganz wie ein Kind, dem die Hoffnung ja die einzige Göttin ist. So ergeht es den Besten. Der ausgezeichnete Alfred Lichtwark, zum Beispiel, hat sich aufs ernsthafteste um gute Malerei bemüht, er hat für sein Museum Bilder von Liebermann und von den Franzosen gesammelt, hat Corinth und Slevogt Aufträge gegeben und ist an keiner bedeutenden neueren Erscheinung vorübergegangen: sein Herz aber gehörte den intimen Landschaftern aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, den Nerly, Reinhold, Dahl und den Hamburger Meistern, er fühlte sich im Instinkt, wie zu Runge und Caspar Friedrich, mehr zu Thoma als zu den Impressionisten hingezogen. Diesem Instinkt verdankt Thoma seine Popularität. Er besticht den Betrachter als Poet und Illustrator einer sanguinischen und doch auch wieder melancholisch leicht verschleierten Lebenspoesie. Darum wird sein Name von so vielen mit Zärtlichkeit genannt. Man liebt ihn um der Gegenstände willen, die er malt, und um der liebevollen Gesinnung willen, womit er es tut. Er wird der Maler des deutschen Waldes genannt, er ist der Maler des Schwarzwaldbaches, der weidenden Ziegenherde, des traulichen Hausgartens und des stillen Feierabends. Und unvermerkt poetisiert er in eine Heimatslandschaft biblische Vorgänge dann hinein. Englein fliegen darin umher, Maria und Joseph ziehen vorüber, der Verlorene Sohn weidet die Schweine, und Christus spricht milde und gut am Brunnen mit der Jungfrau. Man vergißt fast darauf zu achten, ob die Malerei eigentlich gut sei. Sie ist ja nicht immer gut, sie ist im Laufe der Jahre oft sogar sehr schwach geworden; doch hat Thoma die künstlerischen Kräfte so zu mischen verstanden, daß er jedem etwas zu sein vermag. Er ist denen wert, die in Knaus ihren liebsten Meister sehen, aber er versteht es, mit gewissen Werken auch denen um Leibl zu genügen. Zuerst war er verkannt, dann wurde er populär; zugleich erscheint er modern und altmodisch; manchmal wirkt er wie einer, der all sein Können verlernt hat, und dann zeigt es sich doch wieder, daß er mehr Handwerk hat als viele Genossen, deren Technik blendet. Widerspruchslosen Beifall der Kenner erzwingen sich einige seiner Frühbilder, die zur Malweise der Frankfurter Schule, zum alten Holland und modernen Frankreich hinüberweisen, die vereinfachende Hand eines Erfahrenen verrät manche Zeichnung; am stärksten wirken Wasserfarbenblätter, Landschaften aus Deutschland und Italien, in denen andeutend und mit handschriftlicher Leichtigkeit ein Ganzes der Natur im zufälligen Ausschnitt gegeben ist. Im Kasseler Museum hängt ein Aquarell, eine Ansicht von Carrara mit den Marmorbrüchen, die das Werk eines Meisters ist. Die Stilisierung haftet hier nicht mehr am Gegenständlichen, sie besteht nicht mehr in einer empfindungsvollen Betonung von Dingen, die eine Geschichte erzählen, sie klebt nicht am ornamentalen Reiz des Details, sondern sie nähert sich in ganz selbständiger Art der Kurzschrift van Goghs oder Signacs. Auch an Marées fühlt man sich ein wenig erinnert. Thomas Arbeiten sind aber sehr ungleich: sie können sich, wie in der Kasseler Landschaft, bis zum Meisterhaften erheben, und sie können innerhalb des schlechthin Dilettantischen bleiben.

siehe Bildunterschrift

Hans Thoma, Bildnis seiner Frau. Mit Erlaubnis der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart.

Das ist es, was besorgt macht, wenn gewisse Teile der Jugend sich der Kunst Thomas mit programmatischem Nachdruck nun wieder zuwenden. Es ist ja nicht ganz inkonsequent, wenn im Heiligtum der Jüngsten neben der Büste van Goghs auch die Thomas aufgestellt wird, so grundverschieden die Persönlichkeiten auch sind, und es mag der stille Alte, so gut wie ein anderer, als Vorbild verehrt werden, wenn ein vom Impressionismus übersättigtes Malergeschlecht an die Stelle des Tons, der Farbe, der Valeur wieder einmal die ornamentalische Form setzen, wenn sie wieder mehr zeichnen als malen will. Groß ist nur die Gefahr, daß die Verehrer Thomas unmerklich wieder zu einem neuen Kultus des Gegenstandes verführt werden, und daß in einem neuen Symbolismus der Gegenstände dann schnell die kaum errungene Fähigkeit zu malen und Farben malerisch zu traktieren verloren geht. Es droht die Gefahr, daß, mit pathetischer Verachtung für anders Denkende, viel von »Stil« die Rede ist und daß das Qualitätsgefühl, das den Begriff »Stil« überhaupt nicht kennt, darüber zeitweise wieder verstummen muß.

Ich unterschätze Thoma keineswegs; ich gestehe, daß mich die Empfindung oft vertraulich zu ihm hinzieht. Einige seiner Frühwerke liebe und bewundere ich, viele andere achte ich durchaus hoch. Lange aber halte ich es in seiner Nähe nie aus. Wer das Leben in seiner ganzen Kraft, Fülle und Härte empfindet, dem kann Thoma nicht genügen. Wer in der Kunst eine Sache der Menschheit, nicht eines Stammes sieht, nicht eine Angelegenheit für den Feierabend, für das Ofenwinkelglück, sondern eine Tätigkeit, die das Äußerste vom Manne fordert und in der sich eine jeder Belastungsprobe gewachsene Weltanschauung spiegeln soll, für den kann Thoma ein dauernder Umgang nicht sein. Den muß es darum auch verdrießen, wenn die Jugend vor Thomas Werken von der »Überwindung des Impressionismus« zu reden beginnt. Man könnte dazu anmerken, daß das Beste, der unsterbliche Teil in Thomas Werken dem Impressionismus verwandt ist und daß immer noch nicht erfaßt wird, was der Begriff Impressionismus umschreibt oder doch umschreiben kann. Besser aber ist es, überhaupt nicht von Stilbezeichnungen zu sprechen, sondern von Talenten und von Persönlichkeiten. Operationen mit den Worten Eindruckskunst und Ausdruckskunst führen schließlich dahin, das Zeitliche und Konventionelle wichtiger zu nehmen als das Überzeitliche und Geniale. Die deutsche Kunst wird in dem Augenblick klassisch sein, wo sie das Wort Stil nicht mehr kennt. Vor allem der Künstler sollte, sofern er Talent hat, das Wort Stil gar nicht in den Mund nehmen. Stil ist, was große Persönlichkeiten machen, wenn sie reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.

In diesem Sinne hat Thomas Lebenswerk, streckenweit wenigstens, den natürlichen Stil, der nicht gedacht, sondern nur gelebt werden kann. Das allein ist es, was diesem Werk die geschichtliche Bedeutung gibt, was es so im Rückblick notwendig erscheinen läßt. Es ist ein Teil der Zeit, die hinter uns liegt – und auch ein Teil der ewigen deutschen Empfindung. Wir wollen darum zu vergessen beginnen, was unzulänglich ist in den Arbeiten Thomas, wir wollen uns nur an das Echte, Gestaltete und Bleibende darin halten und dankbar sein für die kindlichen Paradiesempfindungen, die der Künstler oft in uns erweckt hat, für seine unablässige Anstrengung, unsere innere Unruhe durch »selige Morgentraumdeutweisen« zu begütigen, wir wollen ganz unprogrammatisch lieben, was in Thomas Lebenswerk liebenswert ist und was schon heute der kleinen, der nationalen Unsterblichkeit sicher ist.

siehe Bildunterschrift

Hans Thomas, Taunuslandschaft. Mit Erlaubnis der Deutschen Verlagsanstalt, Stuttgart.


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