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Louis Corinth

1858 – 1925

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Louis Corinth Triptychon.

Corinth ist der einzige im Kreis der ersten Berliner Sezessionisten, der populär geworden ist. Liebermann nicht ausgenommen. Liebermann hat mehr Einfluß, wird mehr respektiert und beherrscht deutlicher die neue deutsche Kunst; Corinth aber steht dem Verständnis und dem Herzen des Publikums näher. Er versteht es, die Betrachter seiner Bilder schmunzeln zu machen. Als er um 1900 nach Berlin kam, entrüstete man sich über den Rücksichtslosen; bald aber wurde es deutlich, daß der Ostpreuße mit dem breiten Lachen, den klaren blauen Böcklinaugen und der Bärengrazie ein Gegenstand der Entrüstung nicht sein kann. Die Stimmung schlug um, als man instinktiv fühlte, daß Corinth die Kunst und das Handwerk zwar sehr ernst nimmt, aber keine peinlich strengen Forderungen an den Betrachter stellt, daß sein Talent von einem das Unterhaltende produzierenden künstlerischen Spieltrieb beherrscht wird, daß er nicht ein Prediger in der Wüste ist, sondern ein Genießer. Darum hat es amüsiert, wenn Corinth bluffend oft den ewigen Berliner Premierengeist für seinen Ruhm nützte. Man erkannte ihn, wie er ist, in jenen Selbstbildnissen, wo er entweder philosophisch neben einem Skelett und dann wieder faunisch mit offener borstiger Brust dasteht, das Weinglas in der Linken, im Arm das halb entblößte Liebchen, und mit der Rechten ihr holländisch derb in die Brust greifend, so daß das weiche Fleisch mit dem zierlichen Purpurhütchen darauf zwischen den Fingern hervorquillt. Wein, Weib, Gesang: mit diesem Lebensmotiv wirkt man immer. Dieses Motiv des Genießens aber geht durch das ganze Lebenswerk Corinths. Malt er eine Kreuzigung, so erschrickt man nicht eben vor den blutrünstigen Henkersknechten, den zerfetzten Körpern am Kreuz und dem Jammer der Situation. Man merkt gleich, es ist nicht so schlimm gemeint; es ist ein künstlerisches Spiel, prachtvoll durchgeführt, um mit Bravour ein beherrschtes Handwerk und eine flüssige Malerei zu zeigen, um ein ungewöhnliches Talent dreist zur Schau zu stellen. Es ist dieselbe Gesinnung, die einmal eine Kreuzigung und dann wieder Versuchungen des Heiligen Antonius, Parisurteile oder Susannen im Bade malte. In jedem Falle sind das Wesentliche die ausdrucksvoll heruntergemalten, riberaartig mageren Männerakte und die Darstellung nackter Dirnchen, die wie in einer Atmosphäre gutmütig gewährender Sinnlichkeit leben. Es sind mit Hilfe einer heiteren Fleischeslust aus christlichen oder mythologischen Legenden Anekdoten gewonnen, die humoristisch ins moderne Alltägliche hinüberschillern, die voller Drastik und Selbstironie sind. Ebenso ist Corinth in seinem Element, wenn er mit delikater Kraft und geistreicher Virtuosität Fleischerläden oder Schlachthäuser malt. Denn seine Phantasie ist ganz und gar fleischlich. Es ist, als wolle seine Kunst immer hineinbeißen ins volle Fleisch des Lebens. Dieselbe Vitalität ist in seinen Akten und Stilleben, in seinen Landschaften und Porträts. Und doch kommt er – das ist das Bemerkenswerte – nie ganz von der Palette los. Er ist, bei aller Sinnlichkeit, ein Zeichner auch als Maler. Das will sagen: er bleibt, in all seiner Fülle, immer ein wenig deutsch abstrakt. Als Mensch hat er vielleicht ebensoviel robuste Vitalität wie Courbet oder Jordaens; seine Malerei jedoch ist bei weitem nicht so sinnlich volltönend wie die dieser beiden. Sie ist dünner, körperloser, weniger konkret. Die Vitalität bleibt zu großen Teilen im Menschlichen, sie verwandelt sich nicht restlos in Malerei. Darum ist sie so deutlich, so aufdringlich sogar zuweilen im Stoff. Corinth ist in seiner Art ein Meister; aber ein Meister der Oberflächen; er beherrscht die Natur, doch durchdringt er sie nicht bis in ihre Tiefen.

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Louis Corinth, Schlächterladen.
Bildquelle: de.wikipedia.org

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Louis Corinth, Bildnis des Grafen E. von Kayserling.
Bildquelle: de.wikipedia.org

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Louis Corinth, Bildnis seines Vaters.

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Louis Corinth, Der Kronleuchter.

Man kann ihn einen Impressionisten nicht nennen. Er ist vielmehr ein selten starkes Ateliertalent, das den Impressionismus kapiert und verarbeitet hat. Der rechte Impressionist ist stets ein vom Eindruck der Natur Betroffener, der Wirklichkeitsvisionen zu gestalten sucht, ja, der sie, wie unter einer Zwangsvorstellung, gestalten muß. Corinth betrachtet die Natur mehr von seinem Können aus und denkt: sieh da, das könnte man malen. Es fehlt die große Notwendigkeit. Darum wirken seine Bilder auch nicht monumental. Er hat den hinreißenden Furor des Temperaments und des Pinsels; doch ist ihm nicht jedes Bild im tieferen Sinne ein Schicksal. Bei einem Maler wie Liebermann ist das Talent ein Organ des Willens; bei Corinth dagegen dient alle Energie dem Talent. Wenn Liebermann seinem Talent ein strenger Erzieher, ein Geber und Wohltäter geworden ist, so empfängt Corinth schlechterdings alles von dem seinen. Jenem wird jede Skizze fast zu einem neuen Erlebnis, zu einem Kampf; Corinths Schaffen erscheint demgegenüber kampflos heiter. Liebermann ließe sich nie auf die Zumutung ein, ohne Besinnen etwa einen Christus oder eine Susanne zu malen, denn das sind für ihn sehr verwickelte Probleme; Corinth würde skrupellos beginnen und immer etwas Talentvolles zustande bringen. Niemals freilich ein großes objektives Meisterwerk. In diesem Sinne ist seine schnelle Bereitschaft, ist sein Stoffreichtum kein Vorzug. Doch weist dieser Reichtum andererseits auch wieder auf eine unserer Zeit ganz seltene Fruchtbarkeit des Geistes. Er zieht die ganze Welt der Erscheinungen und der Phantasie, soweit sein Blick reicht, in seinen Lebenstag hinein und gibt allen Dingen die Farbe seines Geistes. Immer nimmt er die Dinge geistreich launig, aber er nimmt sie nicht sehr tief. Er nimmt nichts feierlich; und er glaubt, bevor er etwas anderes glaubt, zuerst immer an sich selbst, an sein Handwerk, an seine Zeit und an Berlin. Corinth verwandelt in eine stets geschmeidige Malerei das Blutrünstige und das frauenhaft Zarte, das Bestialische und Drollige, Romantik und Persiflage, stiernackige Kraft und heitere Grazie, das Sinnliche und das Literarische, die Wahrheit der Natur und die Künstlichkeit der Mode; in seiner Welt sind beisammen Christusgestalten, Apostel, Henker, nackte Heilige, geharnischte Krieger, exotisches Getier, reiche Stoffe, Blumen, Früchte und Landschaften, das perverse Fräulein Salome aus Berlin W, Susanne mit den beiden Alten, Odysseus als grindiger Bettler, Schauspieler in ihren Rollen, Schlächtergesellen, Bourgeois und Bohemiens, Kostümmodelle und er selbst in vielen Zuständen seines Daseins; er malt exotische Improvisationen, alttestamentarische Motive und mythologische Allegorien, Peter Hille, Hagenbeck, Eduard Meyer und elegante Gesellschaftsdamen, Nahes und Fernes, Antikes und Gestriges – und vor allem Akte und immer wieder Akte. Die sich brüstende Nacktheit und die sich in Schmerzen windende, die sich sträubende und die sich wollüstig zur Schau stellende Nacktheit, die junge, rosig üppige Nacktheit und die alte, ausgemergelte gelbe. Die Hauptsache ist Fleisch, und immer wieder Fleisch. Er malt die Frauen ihres Kopfes, ihres Gewandes oder, am liebsten, aller ihrer sieben Sachen wegen; und gleich daneben malt er Blut und knirschende Knochen. Ist der Bürger chokiert – um so besser. Dann lacht Corinth sein breitestes Lachen und setzt auf einen Schelm anderthalbe. Am Ende hat er, wie es sich gezeigt hat, das Spiel gewonnen, weil er eine Natur ist, die sich gegen alle Widerstände durchsetzt.

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Louis Corinth, Selbstbildnis und Akt.

Die ersten entscheidenden Eindrücke hat Corinth in München empfangen. Darum ist er die Münchner Atelieratmosphäre auch niemals wieder ganz losgeworden. Paris hat seine bedeutende technische Begabung sodann bis zu einer gewissen freien akademischen Meisterschaft entwickelt. Es ist bezeichnend, daß er in Paris nicht die Lehren Courbets, Manets und der großen Impressionisten gesucht hat, sondern daß in der Académie Julian der süßliche Routinier Bouguereau sein Lehrer wurde. Auch dessen Einfluß ist heute noch nachzuweisen. Darauf hat Corinth zehn Jahre lang wieder die Münchner Kunstatmosphäre gesucht und eine Reihe schöner, festgefügter Bilder gemalt, um im Jahre 1900 dann nach Berlin überzusiedeln. Hier, vor allem unter Liebermanns Einfluß, ist er ganz er selbst geworden. In Berlin erst hat er den Impressionismus recht kennen und für sich verwerten gelernt, was er im Laufe seiner Studienjahre den alten Niederländern abgesehen hatte; in Berlin ist er ein moderner Maler geworden. Der Kolonialpreuße hat in der Kolonialstadt Berlin recht eigentlich seine Heimat gefunden. Hier steht Corinth in seiner besonderen Mischung von ungebrochener Naturkraft und Konventionalismus, von Gründlichkeit und Bravour als eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten unserer neuen Kunst da. An natürlichem Talent kommen ihm nur ganz wenige gleich. In fast allen seinen Bildern sind jene persönlichen Merkmale, die den Betrachter sofort sagen lassen: ein Corinth. Nie ist das eigentümlich Handschriftliche zu verkennen, das diesen Maler zu einem Charmeur des kühnen Strichs macht, selbst nicht im allzu Flüchtigen, im nicht Gestalteten; im Gesamtwerk dominiert ein blonder rosiger Lokalton, den kein anderer Maler so hat, und immer sind die Farben in einer ganz eigenen Weise, wie mit nervöser Flattrigkeit, durcheinandergearbeitet, durcheinanderschraffiert. Seine Bilder sind nicht eigentlich farbig. Die Dominante ist überall der gelbliche Fleischton; auf bestimmte Farbenklänge besinnt man sich nur schwer. Groß ist aber die malerische Bewegtheit seiner Flächen. Wundervoll geglückt ist oft die Beherrschung der Materie; vor allem dort, wo die Natur dem Maler ständig vor Augen stand und ihn zwang, bis ans Ende sorgsam zu bleiben. Corinth ist ein Künstler, der eigentlich alles kann, der aber auch wieder viel mehr als nur ein Geschickter ist. Er bleibt immer er selbst, was er auch beginnt, er hat seinen persönlichen Darstellungsstil, der zu ihm gehört wie das Sprechen und Denken und der, wenn er auch voller Manierismen steckt, immer doch jenseits der toten Manier bleibt. Nicht alle Arbeiten Corinths werden in der deutschen Kunstgeschichte einen Platz behalten. Aber eine Anzahl seiner besten Werke wird bleiben. Und diese Werke werden, neben denen Liebermanns, der Nachwelt die Art der nachmenzelischen Berliner Malerei dauernd vor Augen führen.

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Louis Corinth, Schlächterladen.


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