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Hans Meid

1883 – 1957

Hans Meid, Selbstbildnis im Atelier.
© 31.12.2027

Wer Hans Meid nennt, denkt zumeist an den Radierer. Denn so beachtenswert auch die Malversuche und die Zeichnungen dieses Künstlers sind, die Eigenart der Persönlichkeit und die Originalität des Talents kommen erst in seinen Radierungen klar zum Ausdruck. Die Radiertechnik ist offenbar das natürliche künstlerische Ausdrucksmittel Meids; als Radierer hat er jenes leicht Handschriftliche, das den Anschein erweckt, als habe sich die Empfindung wie von selbst in graphische Form verwandelt. Er ist ein geborener Radierer. Da er aber zugleich ein sehr lebendig mit seiner Zeit fühlender, über sein Spezialistentum hinausblickender Künstler ist, so verkörpert er in all seiner Jugend ein Stück Entwickelung der deutschen Radierung überhaupt.

Die Radierkunst ist in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger unfrei gewesen, das heißt, sie hat, neben den künstlerischen Zielen, immer auch außerkünstlerische Zwecke verfolgt. Entweder ist sie in den Dienst der alten Meister getreten und hat Bilder Rembrandts, Rubens', Frans Hals' und anderer Klassiker reproduziert, oder sie hat es unternommen, mit der Malerei zu wetteifern und große Blätter herzustellen, die statt der zu kostspieligen Wandbilder die Wohnräume schmücken sollen. Was die Radierung auf den Spuren des alten Kupferstichs reproduzierend geleistet hat, das ist bezeichnet, wenn man den Namen des vortrefflichen Karl Köpping nennt; wessen sie nach Seiten einer bildartigen Wirkung fähig ist, darauf deutet ein Name, wie der Erich Wolfsfelds. In den graphischen Abteilungen unserer Glaspalastausstellungen kann man alljährlich diese im besten Sinne akademischen Arbeitsweisen der Radierkunst noch studieren. Aber man sieht dort auch, daß es sich um einen Radierstil handelt, der sich überlebt hat. Die Radierung als künstlerisches Mittel, ein Meisterwerk schwarz-weiß wiederzugeben, wird immer mehr von den mechanischen Reproduktionsverfahren abgelöst; und das ausführlich und fertig radierte Blatt als repräsentativer Ersatz des Bildes wird immer mehr zurückgedrängt von einer mehr skizzistisch freien oder von einer aus spezifischen Schwarz-weiß-Wirkungen entwickelten und eigene geistige Bedeutung suchenden Radierkunst. Die beiden wichtigsten Erneuerer der deutschen Radierung in diesem Sinne sind Max Klinger und Max Liebermann geworden. Klinger hat, theoretisch und praktisch, mit prachtvollem Nachdruck gezeigt, daß die Schwarz-weiß-Kunst ein ganz anderes, ein viel weiteres Ideengebiet bearbeiten kann als die Malerei, daß die künstlerisch freie Radierung eigner Stoffe und eigner Ausdrucksformen bedarf und daß sie als erzählende, als symbolisch beziehungsreiche Zeichenkunst jenseits jener Grenzen erst recht zu wirken vermag, die die am Zuständlichen viel mehr gefesselte Malerei streng zu respektieren hat. Max Liebermann hat auf der anderen Seite die Radierung zu einem Ausdrucksmittel der impressionistischen Darstellungskunst gemacht; er hat die Radierung ein für allemal vom »Fertigmachen« befreit und eine moderne Erneuerung im Geiste der Technik Rembrandts vorgenommen. Klinger und Liebermann stehen sich als Vertreter zwei verschiedener Prinzipien gegenüber; doch haben sie gleicherweise die deutsche Radierkunst aus der Dienstbarkeit befreit.

Hans Meid steht nun in einer sehr originellen Weise hinter ihnen. Er hat von beiden gelernt; aber er hat auch von den Akademikern gelernt. Wäre er einige Jahrzehnte früher geboren worden, so wäre er wahrscheinlich grundsätzlich ein Radierer etwa geworden wie Erich Wolfsfeld. Er ist aber ganz ein Kind dieser Jahrzehnte; die Zeit hat sein an gesunden Handwerksinstinkten reiches Talent im besten Sinne modern gemacht. So kommt es, daß Meid als Radierer eine interessante Stellung einnimmt. Er möchte, als ein echter Spezialist, seinen Radierungen so viel wie möglich Wichtigkeit der Wirkung verleihen. Darum radiert er gern große Blätter, radiert sie oft ausführlich bildhaft und brilliert in der Wahl und Behandlung seiner Stoffe. Seine Zyklen »Othello« und »Don Juan« bieten die Beweise dafür. Es wirkt das naive Bildinteresse Meids, seine Neigung zum theatralisch bewegten Stoff den tiefsinnigen, von Goyas Geist beeinflußten Radiereinfällen Klingers gegenüber freilich ein wenig wie Reaktion; doch zeigt es sich, daß Meids Talent auch wieder mit ernstem Studium durch das Œuvre Klingers dahingegangen ist, daß es ihm gelungen ist, in vielen Fällen die strenge Ausführlichkeit Klingers leicht und gefällig zu machen. Die Technik Meids beweist sodann, daß er trotz seiner erzählenden Tendenzen auch die Darstellung der Impression erstrebt, daß er bewußt die oft kalligraphischen Ausführlichkeiten Klingers vermeidet, daß er mit jenem graphischen Esprit, den wir mit dem Namen Whistler bezeichnen, mehr kritzelnd die »lebenden Punkte« der Erscheinungen zu geben sucht. Als ein wichtiger Faktor kommt endlich noch der Einfluß Slevogts hinzu – des Zeichners Slevogt, der ein intellektueller Schüler Menzels ist und der mit dem Griffel so hinreißend zu improvisieren und mit impressionistischer Knappheit zu erzählen weiß. Es ist die geistreiche Mischung liebenswürdig gemilderter moderner Kunstkräfte, die Mischung von Erzählungskunst und formalem Esprit, was Meids Radierungen in wenigen Jahren so beliebt und in einer gewissen Weise sogar populär gemacht hat. Seine Radierkunst schmeichelt sich unwiderstehlich ein. Sie hat Schwung und natürliche Grazie. Sehr glücklich versteht es dieser Charmeur – vor allem in seinen Don-Juan- und Othello-Zyklen –, den Geist des Lebens mit dem der Bühne zu durchdringen; er weiß das Pathos der Bühne zu nutzen, ohne theatralisch zu werden, und in seine Darstellungen mit Hilfe der Szene Erfindungsfülle und malerische Phantasie zu legen. Unvergleichlich ist es, wie in dem Don-Juan-Zyklus das Opernhafte frei, leicht und nicht ohne Größe betont worden ist. Es ist ein unmittelbar lebendiger Don Juan gegeben, aber zugleich auch der Opernheld Mozarts; das Natürliche erscheint durchdrungen von der Musik des Orchesters, vom Glanz des bel canto; es ist in diesen Radierungen das Rampenlicht zum Sonnenlicht geworden. Freilich sind die Blätter keineswegs gleichmäßig. Einige sind sehr dunkel, sehr ausgeführt und fast zu bildartig, andere sind mit wenigen Strichen blendend hell nur hingeschrieben. Schön ist in allen die festlich musikalische Romantik, schön sind überall die Lebensornamente der Rauflust, der Verführung, des Festtrubels und der Verliebtheit, schön ist das malerische Barock dieser Don-Juan-Stimmungen. Die graziöse Üppigkeit der Meidschen Phantasie kommt in seinen erotischen Szenen dann noch deutlicher zum Vorschein. Man denkt an Corinth; und in der Ferne zeigt sich der Stil Fragonards. Um so mehr, als in dem impressionistischen Formgekräusel, in der zart andeutenden Technik Meids ein modernes Rokoko klingt und singt. Am schönsten sind vielleicht die Blätter, worin Meid sich seiner naturalisierten Rokokophantastik, seiner impressionistischen Romantik unmittelbar vor der Natur hingibt, also zum Beispiel die »Landschaften mit Reitern«, die »badenden Frauen am Springbrunnen«, der »Corso in Florenz« und ähnliche Arbeiten. In diesen Blättern zeigt sich eine natürliche Verwandtschaft mit dem Talent Karl Walsers.

Hans Meid, Sonntag in den Cascinen bei Florenz.
© 31.12.2027

Hans Meid, Der Springbrunnen.
© 31.12.2027

Hans Meid, Landschaft mit zwei Reitern.
© 31.12.2027

Meid ist Schwabe und darum der Art Walsers in einigen Punkten auch wohl stammverwandt. Gelernt hat er bei Trübner. Daran erinnert deutlich auch das im besten Sinne Atelierhafte seines Vortrags, die Lust an dekorativen Wirkungen und an gefälliger malerischer Breite. Freilich möchte man sich einen Trübnerschüler kräftiger und härter denken; aber die Schüler des Karlsruher Meisters haben fast alle diese Lust am grazilen Strich und an der zarten Tonigkeit. Die Lyrik der Schüler ist schon in der Art des Meisters verborgen. Später hat Meid einige Zeit in der Meißner Porzellanmanufaktur gearbeitet. Auch diese Tätigkeit scheint nicht ohne Einfluß geblieben zu sein, so peinlich sie dem Künstler gewesen ist; sie erklärt recht gut das zart Gewischte, das hell Durchsichtige, ja das Porzellanartige der Meidschen Radiertechnik. Auch Renoir ist ja die Folgen seiner Tätigkeit als Porzellanmaler niemals ganz los geworden. Im übrigen ist Meid Autodidakt. Seine wichtigsten Lehrer sind Wahllehrer. Er versteht es ausgezeichnet, Anregungen so vollständig zu verarbeiten, daß etwas Neues daraus wird.

Hans Meid, Aus dem Othello-Zyklus. Mit Erlaubnis des Kunstsalons J. Casper, Berlin.

Mustert man die Reihe unserer jüngsten Künstler, so gehört Meid zu den glücklichen, zu den am schnellsten aufgeblühten Talenten. Seine feine und edle Begabung ist charmant, ohne dem Kompromiß zugänglich zu sein; der Kampf und Krampf des Revolutionären hat sie verschont. Meid will, was er kann, und kann, was er will. Selbst wenn eine bedeutende Höherentwickelung diesem Talent nicht mehr beschieden sein sollte, wird es uns des Anregenden noch viel zu bieten haben. Und stets und überall wird er willkommen sein. Denn er hat eine neue Art von Lächeln in unsere ernste, fast krankhaft ernste Kunst gebracht; und dafür gibt ihm der Betrachter, dankbar und belebt, ein Lächeln der Zustimmung zurück.

Hans Meid, Aus dem Don-Juan-Zykmlus.
© 31.12.2027


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