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Oskar Kokoschka

1886 – 1980

Kokoschka gegenüber ist ruhige Besonnenheit angebracht, weil er von einer Gemeinde begeisterter Maler, Dichter und Kunstfreunde in einer verstiegenen Sprache verherrlicht und als Messias ausgerufen worden ist. Die Feststellung dessen, was ist – soweit sie einer zeitlich bedingten Fassungskraft überhaupt möglich ist –, hat in diesem Fall grundsätzlichen Wert; sie ist aber auch eine Handlung der Gerechtigkeit dem begabten Künstler gegenüber. Der Fünfunddreißigjährige kann fordern, besser eingeschätzt zu werden, als es von den dichterischen Superlativen der Weggenossen geschieht, nämlich sachlich und kritisch.

Die Ursachen des Überschwangs sind leicht einzusehen. Sie werden deutlich, wenn man feststellt, daß Kokoschkas Kunst nicht nur malerisch bestimmt ist, sondern auch psychologisch und literarisch. Dieses lebhafte Talent erregt nicht so sehr durch seine Anschauungsform, als vielmehr durch seine Art, die Dinge geistig aufzufassen. Er schafft sensationell, weil er in neuer Form ein Ideenmaler ist. Und man weiß aus der Geschichte der neueren Kunst, daß vor allem immer Ideen etwas Aufrührerisches haben.

Zum zweiten wird der Erfolg bedingt durch die Art, wie sich im Talent die Kräfte mischen. Es ist diesem Künstler die Selbstsicherheit derer eigen, die keiner Art von Hemmung mehr unterstehen, ja, es steigert sich bei ihm diese Sicherheit bis zu einer edlen Kühnheit. Er läßt sein Fühlen und Denken fast mit jener Freiheit ausströmen, die das Traumleben beherrscht, die den Wachenden aber meistens wieder verläßt; er hat in hohem Maße die Tugend, an sich selbst zu glauben. Und das verleiht seinen Malereien einen Schwung, dem man sich nicht entziehen kann. Dieser Kraft der Empfindung (die freilich durch die Freudschen Theorien dahingegangen zu sein scheint), ist nun aber eine ungewöhnliche Geschicklichkeit der Darstellung, eine Virtuosität gesellt, wie sie so sinnlich lebhaft nur auf Wiener Boden gedeiht. Es ist ungefähr wie bei dem Musiker Richard Strauß, der tiefsinnig als Psychologe daherkommt und im Grunde ein Charmeur, fast ein Operettentemperament ist und der eben durch diesen Widerspruch die Zeitgenossen so mächtig erregt und verführt. Figaro verkleidet sich heute gern als Zarathustra. In Kokoschkas Malereien ist neben dem Furor und dem Tiefsinn ungehemmter Wirkungsabsichten immer auch eine Koketterie, die besticht, eine Süßigkeit, die sich einschmeichelt. Zum dritten aber stellt sich, eben in dem Augenblick, wo die Spannung gefährlich wird, das Akademische, das heißt das Konventionelle ein.

Diese Mischung ist für ein Publikum, das mit allen Sinnen Neues will, das aber nicht eben scharf zu unterscheiden versteht, unwiderstehlich. Was der Kunst Kokoschkas, vor allem bei der Jugend, eine starke Resonanz sichert, ist das Stimmungshafte darin. Das Wesen des Stimmungshaften ist, daß große Teile der Erscheinung, der »Wahrheit« absichtlich ignoriert, ja vernichtet werden, um das eine, das wirkt, desto stärker herauszubilden, daß das Subjekt über das Objekt den Sieg davonträgt und den Jubel über diesen Sieg im Fluß der Formen, im Singen der Farben, im Glanz der Technik froh, aber auch etwas eitel, offenbart. In dieser Weise denkt der Österreicher, der die Luft der Wiener Kunstgewerbeschule geatmet hat und der alles Leben in seine von Natur lyrisch liebenswürdigen, aber von der Zeit erregten und ehrgeizig angespannten Empfindungen hineinzieht, bis sie deren Farben annehmen, die ganze Erscheinungswelt in Stimmungen, er baut alle Dinge ideenhaft auf und umgibt sie mit einer Atmosphäre eigenwilliger Romantik. Indem er es aber tut, wird seiner zeichnenden und malenden Hand alles zur Arabeske. Form und Farbe bewegen sich, wie sich die Sprache mit Rhythmus, Reim und Klang im Gedicht dahinbewegt, die Artistik bemächtigt sich der Ideen, neben die Absicht tritt der Geschmack.

Vor den Bildnissen spricht man spontan den Namen Lenbach aus. Nicht allein um des nachgeborenen Venezianertums willen, nicht nur weil man erkennt, wie mit raffinierter Skizzistik die tizianische Form im Sinne Lenbachs umgedeutet worden ist, sondern auch, weil die dargestellten Menschen gewissermaßen psychologisch skelettiert werden. Jedes Bildnis Kokoschkas ist wie ein »sprühendes Feuilleton«. Jeder Mensch erscheint psychologisch wie auf eine Formel gebracht, und darum ist der Ausdruck immer auf die Spitze getrieben. Dieses läßt, wie bei Lenbach, die Bildnisse im ersten Augenblick stark wirken, hat aber den Nachteil, daß der Ausdruck beim längeren Hinsehen leicht zur Grimasse erstarrt. Es ist zuviel »Auffassung« da; doch ist die Auffassung geistvoll. Zuweilen erhebt sie sich bis zum Dichterischen, zuweilen bis zur höheren Charakteristik. Es ist dann nur logisch, daß man vor einigen der neueren Bildnisse die Namen Van Gogh und Munch nennt, wie man vor den frühen an Lenbach denkt. Diesen Weg mußte wohl ein Talent nehmen, das ebenso intim, wie mit der Kunst der Vergangenheit, mit dem verkehrt, was die Gegenwart malerisch und geistig bewegt. Die Psychologie konnte beim Rezeptmäßigen Lenbachs nicht stehen bleiben, sie kennt den Wert der Impression und hat den Ehrgeiz, dichterisch, nicht nur feuilletonistisch in die Sphäre des Symbolischen hinaufzusteigen. Das gelingt auch zuweilen; eine Lenbachnuance bleibt aber doch.

Erich Heckel, Die Auswanderer. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin.
© 31.12.2050

Am unmittelbarsten überzeugen die Landschaften. Und zwar ebensowohl, wenn man deutlich die alten Meister bezeichnen kann, die zu Anregern geworden sind, wie auch wenn der Zusammenhang mit der Landschaftskunst der Impressionisten unverkennbar ist. Bei Kokoschka ist der Impressionismus dekorativ geworden; aber es ist das Naturgefühl des ersten Eindrucks erhalten. Dadurch kommt in die Landschaften ein kühner Temperamentszug. Man denkt, ohne daß eine unmittelbare Verwandtschaft nachzuweisen wäre, an die späten Landschaften Corinths. Wie Kokoschka zu diesem Maler denn überhaupt Beziehungen hat. Etwas Klingendes und Blumiges ist in Kokoschkas Landschaften, eine gefällige Schönheit ist darin, die der Wahrheit nicht Gewalt antut.

Was Kokoschka zu Corinth zieht, ist wohl dessen außerordentliche Fähigkeit, das Akademische mit neuer Lebendigkeit in Beziehung zu setzen, revolutionär zu empfinden und doch eine sehr konservative Natur zu sein. Am meisten spürt man diese Wahlverwandtschaft vor den Bildniszeichnungen, wenn Kokoschka damit auch hinter Corinth zurückbleibt; man spürt sie aber auch vor einem Bild des letzten Jahres wie die »Freunde«, das ebensowohl um seiner Konzeption und malerischen Haltung wie auch um seiner Raumlosigkeit willen an Corinths »expressionistische« Bilder der letzten Zeit denken läßt.

Der bewegliche Geist Kokoschkas knüpft viele Fäden. Die »Auswanderer« haben etwas Präraffaelitisches. Madox Brown wäre zu nennen. Nicht weil er ein Bild ähnlichen Inhalts gemalt hat, sondern weil in der Empfindung etwas Wesentliches übereinstimmt. Auch in Kokoschkas Bild, dessen Karikiertheiten stellenweis zu ergreifen wissen, schwingt jenes romantische Gelüst, das in England von einer Wiedergeburt der Kunst mittels der Idee und – des Eklektizismus träumte. Auch hier durchdringt sich das menschlich Ernste mit einer gewissen affektierten Stilistik; und im »Gehalt« ist etwas Kunstgewerbliches versteckt. Die Darstellung eines Orpheus und einer Eurydike – man würde ohne den Katalog nicht auf mythologische Gestalten raten – ist zu einem schönen Gobelin geworden.

Die Form ist sehr bewegt. Gesichter und Hände sind voller Wülste und Buckeln, die Muskeln treten hervor, die Nerven scheinen bloß zu liegen. Jede übertriebene Form soll psychologisch etwas bedeuten. In Gewändern und Hintergründen fließen die Formen klingend durcheinander. Jede Form aber dient in gleicher Weise synthetischen Absichten. Die Transzendental- und Universalgelüste der Romantik werden offenbar, diese Malerei möchte malen und dichten in einem. Doch sammelt sich immer nur in einzelnen Punkten ein höheres Leben. Überall kämpft das Grauen mit der Süße, und am Ende muß der Virtuose den Streit schlichten. Was wie Überkraft erscheint, ist ein nervöses Barock. Wie sehr Kokoschkas Malerei im Barock wurzelt, und zwar im österreichischen, an Tiepolo orientierten Barock, verrät die große »Windsbraut«. Es ist dem Künstler damit eine erstaunlich talentvolle Dekoration gelungen. Es ist ein kokett gewalttätiges Bravourstück. In diesem Sinne gerät alles bravourös, was Kokoschka berührt.

Erich Heckel, Windsbraut. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin
© 31.12.2050

Man erkennt es auch am Technischen. In den frühen Bildnissen erscheint die Fläche wie marmoriert, später ist mit der Ölfarbe gewissermaßen modelliert, wie mit farbigen Tonklumpen. Zuerst hat Kokoschka lasiert, mit dünnen Farben getuscht und mit dem Pinselholz dann hineingezeichnet, jetzt ist er sehr pastos geworden. So sehr sich die Technik aber gewandelt hat, die Empfindung hat sich nicht geändert. Auch die pastos gemalten Bilder sehen wie aquarelliert aus. Alles hat, trotz der Zerrissenheit in der Nähe, aus genügender Entfernung gesehen eine gefällige Glätte, alles kommt aus einem preziösen Geschmack, aus einer liebenswürdigen Natur. Wo Kokoschka das Drohende meint, gerät es ihm unvermerkt zur Schmeichelei, das Rasen der Form wird zum Tanz und das bohrende Ergründen zur geistreichen Improvisation.

Erich Heckel, Doppelbildnis. Mit Erlaubnis von Paul Cassirer, Berlin.
© 31.12.2050

Man kann, alles in allem, Kokoschka nicht so einschätzen, wie seine Bewunderer es tun, aber auch nicht so, wie seine Gegner. Er ist ein begabter Künstler, er war fast ein Wunderkind. Sein Talent ist nicht durchaus angenehm, es hat fatale Züge, aber es ist voller Leben und ungemein bezeichnend für unsere Zeit. Es leidet unter dem Schicksal, daß es mehr epigonisch als pionierend ist. Der Dichter Kokoschka, der die Fähigkeit hat, Theaterskandale zu entfesseln, trotzdem er sich im Grunde recht damenhaft gibt, hat gelegentlich im übersinnlich-sinnlichen Pathos des »Hohen Liedes« das Traumwort gesagt: »ich höre die Rufe der Schiffer, die in die Länder der sprechenden Vögel wollen«. Diese Sehnsucht nach den »Ländern der sprechenden Vögel« ist wohl Kokoschkas Bestes. Sie hat teil an allen seinen Arbeiten. Es ist eine weibliche Sehnsucht, zart, süß und schmerzlich, aber bedient von einer scharfen Klugheit. Und in diesen Polen: frauenhafte Sehnsucht und männliche Geistesschärfe hängt die von der Zeit bewegte und die Zeit bewegende Kunst Kokoschkas.


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