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18.

Holländische, wallonische, französische, deutsche Stationen mit wechselnden Namen flogen vorbei, Grenzen waren Schall und Rauch, der D-Zug durchschnitt sie. Nichts war neu. Beinahe wurde dieses zusammengekauerte Sitzen, Einatmen schlechter Luft, Vorbeiflitzen, Sehen eines endlosen Landschaftsfilms, dessen Rolle erst mit dem eigenen Dasein abgespult war, tägliche Beschäftigung.

Basel duckte sich zurück. Der Lötschbergtunnel fraß Zug und Mann, in Schlangenwindungen rutschte er hoch über den Städten der Urkantone, drang zur Mittagsmahlzeit bei Göschenen in den Gotthard, ließ herüben die finsteren Fetzen und Brandungen düsterschweren Wolkendrohens und sprang bei Airolo in warme Sonne, polterte längs der Steinwüste des Tessin, flitzte über die Brücke des blauen Luganer Sees, fraß sich aus dem Gebirge heraus durch Ebene, Berg und Ebene, durch grotesken Faschistenzauber, Spießbürger mit Pose und altem Lazzaronitum, denen die römische Geste zu Gesicht stand wie das Mehl dem Schornsteinfeger. Jan zählte auf seiner Karte die Städte des Appenins. Rascher als er dachte, schluckte ihn der Bahnhof Roms.

Bleierner Schlaf – furchtlose Anmeldung – Suchen auf Meldeämtern: Yvonne!

*

»Ich habe dich nicht vermißt, denn ich dachte, du würdest irgendwie kommen müssen. Es scheint wirklich, daß ich die Einzige bin, die dich kennt.«

»Du weißt, daß zwischen uns beiden keine Gemeinschaft herrscht«, sagte Jan schroff. »Wie willst du dir das Leben einrichten, ohne mich freizugeben?«

Yvonne schüttelte den Kopf, daß das blauschwarze Haar zu beiden Seiten des ovalen Gesichtes sich vorwarf und sagte leichthin: »Das Leben ist viel einfacher als du es nimmst. Aber auch viel zu kompliziert, wenn du gegen den Strom schwimmst, als daß du mit ihm fertig werden könntest. Wenn du jetzt zu mir nach Rom gekommen bist, so hat das von deinem Standpunkt aus nur den Sinn, für immer mit mir zu brechen. Das, mein lieber Jan, hast du dir viel einfacher gedacht. Es liegt mir nichts an dir und du kannst wohnen in der Welt, wo du willst. Einmal, und das ist lange her, hast du mit mir gespielt. Jetzt spiel ich mit dir!«

Jan brauste auf.

»Es gibt kein Gesetz, das mich an dich bindet.«

»Dies, lieber Jan«, sagte Yvonne, »ist ein törichter Ausdruck und eine noch einfältigere Unterstellung. Es gibt zum Beispiel kein Gesetz, das dich zwingt, deinen falschen Namen zu tragen und du trägst ihn doch, weil du die richtige Stunde verschlafen hast, in der du dich noch von ihm lösen konntest ...«

Jan zuckte zusammen. – Sollte er ihr mit milden Vorstellungen kommen, sie zu gütlichem Nachgeben bewegen?

Er kam gar nicht dazu, diesen Gedanken auszuführen, denn Yvonne lachte leise belustigt.

»Legst du dir schon schöne Redensarten für einen guten Abgang zurecht? Ich hatte den Eindruck, daß du endlich einmal um etwas kämpfen wolltest.«

Jan biß sich auf die Lippen.

»Zunächst«, sagte er kurz, »wirst du das Haus meines Doppelgängers verlassen.«

Yvonne schmollte etwas.

»Er hat kein Haus. Wir bewohnen nur das erste Stockwerk. Einen fabelhaft schönen alten Palazzo, von dem man über Rom hinwegsehen kann. Einen wunderschönen alten Garten hat er, sage ich dir, wie es keinen in Holland gibt, in den du dich mit all deinen Anschlägen verlaufen kannst. Wenn du meinst, daß es so besser ist, gebe ich die schöne Wohnung auf. Ich packe sofort und kann noch heute das Haus verlassen. Wir nehmen uns dann eine kleine hübsche Wohnung. Ich habe politisch vorteilhaft mit van Kerken gearbeitet. Du kannst jetzt sogar auf meine Kosten leben und tun, was du willst, aber frei gebe ich dich niemals. Dir paßte es einmal, ein kleines Mädel zu haben, über das du hinweggingst, als wäre es nichts. Heute paßt es mir, einen Pinscher zu haben, den ich an der Leine führe, und dies mit den Mitteln des Gesetzes, denn du findest keinen Grund, mich loszuwerden. Ich fand es begreiflich, daß deine Geschäftsreise, die dich nur so lange forthielt, als es nötig war, dringend war und daß du keine Zeit fandest, mir irgendwelche Nachricht zu geben. Ich bin viel zu klug, um das nicht zu verstehen, lieber Jan.«

In Jan zerrte es. Aber der Boden, auf dem er unter so haltlosen Voraussetzungen stand, war heiß. Vielleicht brachte Geduld, was der Augenblick versagte.

»Hast du eine Wohnung, lieber Jan, müssen wir ins Hotel oder willst du überhaupt von Rom fort?«

Einen Augenblick überlegte Jan die Möglichkeiten und den Vorteil, sie aus der Hauptstadt in eine unbedeutende Gegend wegzuziehen. Das Gefühl der Belastung mit einem ihm widerwärtigen Menschen, den er aus tiefstem Grunde haßte, behielt die Oberhand. Er blieb deshalb stumm und sah an ihr vorbei.

»Ich will mich nicht aufdrängen«, höhnte Yvonne mit leiser Stimme weiter. »Soll ich also bleiben oder was soll ich tun? Willst du bei uns Tee trinken? Willst du überhaupt bei uns bleiben? Er ist mir nichts. Ich bin ein freier Herr. Aber ich helfe ihm ein wenig bei seinen politischen Geschäften. Gegenwärtig bespitzeln wir eine romanische Armee für Frankreich. Ein glänzendes Geschäft! sage ich dir, da wir alle Nachrichten unauffällig aus dem Lande bringen. Dieses Geschäft ist eine wirkliche Goldgrube, das jeden Luxus gestattet. – Ich werde dafür sorgen, daß Jan dich gut empfängt«, ergänzte Yvonne mit dem sicheren Empfinden, daß Jan den anderen schon um seiner Existenz willen hassen mußte.

»Es ist mir gleichgültig, wo du bist«, sagte Jan. »Doch muß diesem unmöglichen Zustand ein Ende gemacht werden. – Du bist trotz allem nicht geschickt genug«, spottete er. »Wenn ich euch der italienischen Polizei übergebe, was dann?«

»Oh, das ist nicht schlimm«, gab Yvonne zurück. »Man kann uns nichts nachweisen. Wir leben in guten Verhältnissen, haben Vermögen, im übrigen die besten Beziehungen zur Polizei und den Männern, auf die es bei einem solchen Schachzug ankommt. Ich würde keine großen Geschichten machen, sondern sagen, daß du diesen Trick erfunden hättest, weil ich dir wegen deines falschen Passes und deiner falschen Existenz überhaupt mit Anzeige drohte. Ein kindliches Spiel ist diese Angeberei, aber in der Not begreiflich. Im übrigen hast du bis jetzt noch kein vernünftiges Wort gesagt.«

Jan schweigt.

Yvonne lächelte das entzückendste Lächeln ihres wohlgebildeten Gesichtes und schlug ihm leicht auf die Schulter.

»Nun muß ich also etwa sagen«, begann sie mit einer koketten Bewegung, »wir erwarten dich heute Abend zum Essen. Du wirst dich richtig erholen können. Dann wollen wir einmal weiterreden. Also bis dahin, mein Lieber ...« Yvonne verneigte sich leicht und ließ Jan stehen.

Südlich lebhaftes Volk umfremdete ihn, wieder trieb es ihn ziellos durch die Gassen. Verständnislos starrte er die Zeugen aller Zeiten an. Die ausdruckslose Müdigkeit eines Pilgers, der seinem Ziele fern ist, übermannte ihn. Einer von den viel zu vielen war er, die da und dort mit wissenden Augen aus dem Gewühl des Volkes auftauchten und hilflos wieder in ihm verschwanden.


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