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6.

Im eleganten Straßenkostüm steht Yvonne an der Siegessäule und wartet. Sie berechnet hart und klug, kennt sein Leben in Berlin und denkt: Flieht er, so reißt er seine ganzen Verbindungen entzwei. Weicht er mir aus, so weiß er nicht, wie ich spiele. Also muß ihn seine Klugheit zwingen, hierher zu kommen.

Aus dem Schatten löst sich die Gestalt eines elegant gekleideten Mannes. Nachlässig, aus dem Bewußtsein heraus, stets mehr als korrekt zu sein, überquert er die Fahrbahn.

Wieder spielt er die alte Komödie. Nach kurzer Begrüßung geht er kühl auf das Ziel der Unterredung.

»Ich bin Holländer, gnädiges Fräulein. Wir sind nicht ganz so heißblütig wie die Franzosen, vielleicht auch nicht so leichtsinnig und unbedacht. Als ich heute in Ihrem Hause in Begleitung einer Dame« – er unterstrich dieses Wort, um gewissermaßen einen Abstand zu konstruieren – »Geschäfte abwickelte, machten Sie mir eine rätselhafte Bemerkung. Ich konnte zweierlei tun, mir Ihre Belästigung verbitten und Ihre Neugierde oder Anmaßung in Gegenwart Ihres Chefs zur Sprache zu bringen – ein Abenteuer suchen, das mir durch Sie aufgedrängt wurde. Ich will keines von beiden. Wir Holländer gehen allem, das uns in den Weg kommt, nüchtern nach. Deshalb wollte ich mir an dem von Ihnen bezeichneten Platze Ihre Angelegenheit näher ansehen. Vielleicht haben Sie auch die Liebenswürdigkeit, mir Ihren Namen zu nennen. Von dem meinigen nehme ich an, daß er Ihnen aus dem Geschäftsverkehr mit Ihrer Bank bekannt ist. Ich muß gestehen, daß ich Ihre neuartige Praxis bewundere, aus dem Kundenverkehr der Bank den persönlichen auszuwählen.«

Yvonne sah einen Augenblick nachdenklich an ihm vorbei.

»Es ist mir nicht bekannt, Herr van Kerken«, sagte sie hart, »daß Sie jemand adoptiert hat. Vielleicht interessiert es mich zu wissen, ob Sie mit einem fremden Namen Mißbrauch treiben. Vielleicht, da ich doch weiß, daß Sie Jan Traberg sind und vor Prüfungen, als Sie noch Student waren, immer Angst hatten, will ich den wirklichen Jan von Kerken vor dem falschen bewahren. Vielleicht bin ich irgendwie verletzt und finde in der Sache sogar eine kleine Rache oder Genugtuung. Ich bin zu vorsichtig, Ihnen ein bestimmtes Ziel zu geben, denn es freut mich aufrichtig, Sie ein wenig in Verwirrung zu setzen.«

»Es scheint«, erwiderte Jan van Kerken nachdenklich, »daß Sie mit nicht geringem Wissen um die juridischen Dinge dieser Welt hier die mögliche Anklagesubstanz einer Erpressung geschickt umschreiben. Wäre ich nun mit jenem jungen Studenten, den Sie im Gedächtnis zu haben scheinen, wesensgleich, so würde ich jetzt den nächstbesten Wachmann herbeirufen lassen, um mich Ihrer genauen Personalien und vor allem Ihrer eventuellen Vorgeschichte zu versichern; denn man hat eine Vorgeschichte, wenn man in so überlegener Weise Unmögliches möglich zu machen versucht. Ich bin zu alt, um mich mit Kleinmädchenromantik und solchen Dingen zu befassen. Meine Aufgabe ist eine andere.«

»Ich weiß, Herr van Kerken, daß Sie in deutschen Blättern Artikel schreiben. Ich verfolge diese Artikel durch ein Zeitungsausschnittbüro sogar mit großem Interesse, auch nicht ohne innere Anteilnahme, denn Sie tun da ein gutes Werk. Dies aber ist Ihre Sache, die meine persönliche Angelegenheit in keinem Punkte berührt. Meine Sache ist die der Yvonne Snider, der gegenüber sich ein gewisser Jan Traberg in Gent sehr überheblich benahm. Sie irren sich gewiß in der Annahme, daß es hier zunächst um die Austragung eines Liebeshandels geht. Sagen wir einmal genauer: es ist ein intellektueller Kampf zwischen Mann und Frau, wobei sich die Frau nicht zufrieden gibt, es sei denn, sie habe ihren männlichen Partner dahingebracht, wohin sie ihn haben will.«

Jan van Kerken blieb gleichmütig.

»Ihre Ausführungen«, bemerkte er, »sind sicher vom Standpunkte der Philosophie aus sehr interessant. Vielleicht könnten Sie auch Ihre respektable Seelenkunde durch eine Doktorarbeit über das Thema ›Jan Traberg und seine Auswirkungen auf die Weltgeschichte‹ vervollkommnen. Ich kann Ihnen gewiß nicht dabei behilflich sein, denn meine Zeit gestattet mir das nicht.«

Yvonne wich keinen Schritt zurück.

»Es tut mir leidet, erwiderte sie, »daß Sie sich durch Ihre Hartnäckigkeit tiefer in eine Katastrophe verwickeln, die ich in dieser Art nicht gewollt habe. Sie dürfen nicht vergessen, daß ich durch Empfehlungen heute die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. In einer Republik ist das ja heute viel einfacher als im alten kaiserlichen Deutschland. In knappen Sätzen: Sie sind Ausländer. Ich bin Deutsche. Ich weiß, daß Sie einen falschen Namen tragen, kenne Ihren Geburtsort und Ihre Verhältnisse, aus denen sich dies nachweisen läßt. Ich habe als Deutsche die Pflicht, über die Sicherheit des Landes zu meinem bescheidenen Teil zu wachen, Ich mißtraue Ihnen, halte Sie für einen Spion und übergebe Sie auf jeden Fall der behördlichen Untersuchung. Ich tue das, weil es mich freut und weil ich niemand Rechenschaft abzulegen habe. Ob Sie dies freut, ist mir gleichgültig. Ich weiß, daß Sie seit längerer Zeit im Hause jenes Mannes verkehren, mit dessen Tochter Sie die Bankräume betreten haben, und ich will nicht, daß Sie jene Dame heiraten.«

Jan gab es nun doch einen ganz bedeutenden Ruck. Was war zu machen? Nachgeben hieße sich vollständig aufgeben, sich nicht nur vom Leben treiben lassen, sondern auch noch von einem raffinierten Mädchen, das einem damit drohte, lästig zu werden.

Yvonne hatte keine Lust, auf Ausreden zu warten. Sie fragte kurz:

»Sind Sie mit Ihren Gemütsbedenken fertig?«

Dieser Satz war so gesagt, wie ein Reiter seinem Rosse, das er fest am Zügel hat, mit der Reitgerte eins überzieht und es schmunzelnd fragt: Du bist doch ruhig?

Jan hob die rechte Hand etwas vor, drehte das Zifferblatt seiner Uhr gegen den Schein der elektrischen Lampe und sagte trocken:

»Wenn Sie in drei Minuten nicht verschwunden sind, bringe ich Sie zur Wache!«

»Dies ist ein Wort!« sagte Yvonne, »und ich will nun wirklich sehen, ob du so mutig bist, wie du dir den Anschein gibst.«

Sie blieben schweigend einander gegenüber stehen.

Yvonne unterbrach die Stille nur, wenn jeweils eine Minute verstrichen war. Sie kündigte sozusagen die Schlußzeiten an.

Als auch die dritte verstrichen war, zwängte sie ihre Augen zu ganz schmalen Schlitzen zusammen und sagte lächelnd: »Nun, was belieben wir?«

Jan stand vollkommen regungslos. Dann drehte er ihr den Rücken und ging fort.

*

Es war lächerlich. Man mußte dem Schicksal nicht wie einem großen Monolithen gegenüberstehen, der, mit rätselhaften Inschriften übersät, wie ein gewaltiges Befehlszeichen dunkel in den Nachthimmel stach. Man mußte es wie eine Zigarette zwischen die Finger nehmen, das Goldmundstück zum Munde führen, es gemütlich in Brand stecken, in blauen Wölkchen rauchen und dann, wenn man genug hatte, einfach die gespreizten Finger öffnen. Es fiel nach dem Gesetz der Schwere zur Erde, qualmte irgendwo und war nicht mehr da –.

Als Jan van Kerken bei Kempinsky allein bei einem Glase Sekt diese Gedanken erwog, lachte er, zahlte mit einem guten Trinkgeld, ließ sich in seine gut ausgestattete Wohnung fahren, zog sich umständlich aus, kroch in seinen Schlafanzug und dachte: die Welt ist ein Narrenhaus, wenn man sich erst dazu bequemt, ein Narr zu sein. Er brummte diese Worte auch vor sich hin, hatte aber nicht bedacht, daß die Welt ein gefährliches Narrenhaus ist.

Gegen die Frühe – die Uhr zeigte drei – hörte er läuten. Nicht mehr am Haustor, sondern an seiner Wohnungstür. Er hörte seinen alten Diener, den er der Repräsentation wegen angestellt hatte, ganz gegen seine Gewohnheit heftig abwehren.

Gähnend erhob er sich, schlug einen buntfarbigen Morgenmantel über sein Pyjama, zog umständlich den Gurt zusammen und trat ins Vorzimmer, dessen sämtliche Flammen zu seinem Erstaunen brannten.

Drei Herren traten auf ihn zu in jenem Zivil, das dem Kenner den mehr dienstlichen als gesellschaftlichen Charakter verrät. Ihr Führer legitimierte sich als Führer der politischen Geheimpolizei.

Jan van Kerken heuchelte Gefaßtheit.

Blitzartig durchzuckten sein Gehirn Bilder der Vergangenheit. Wieder sah er jenen schrecklichen Abend im Kasino von Ostende, hörte die Worte des Croupiers »Faites votre jeu, messieurs«, sah einen dämonischen silbernen Rechen seine Habe fortschieben und straffte sich.

Einschmeichelnd sagte er: »Die Herren sind im Dienst. Da ich Ausländer bin, geziemt es mir, doppelt höflich zu sein, zumal, da ich, wie Ihnen ja bekannt sein wird, Ihr Land schätze. Ich möchte Sie nicht zwingen, mir Geheimnisse anzuvertrauen, die Sie mir nicht sagen dürfen, noch in irgend etwas den Gang eines Verfahrens stören. Wir Holländer sind ruhige Leute und denken, eine richtige Sache wird sich richtig entwickeln. Sie müssen freilich verzeihen, wenn ich vielleicht nicht ganz aufmerksam bin. Aber Ihr Erscheinen zu so ungewöhnlicher Stunde hat meinen Schlaf jäh abgerissen.«

»Es tut uns leid, Herr van Kerken,«, sagte der politische Agent, »daß wir stören mußten. Jemand hat Sie angezeigt, daß Sie einen falschen Namen führen und daß Sie unter diesem Namen trotz Ihrer sonstigen Handlungsweise die Tätigkeit eines Spions verbergen. Sie wissen, daß unser geplagtes Land nicht viel ertragen kann und daß es unsere Pflicht sein muß, in keiner Minute etwas zu versäumen, was seinem Wohle dienlich ist.«

So hatte es sich Jan gedacht. Das Spiel war also nicht zu Ende.

»Wenn ich die Herren recht verstehe«, tastete er, »so wünschen Sie eine Art Sicherung über mich zu verhängen und zugleich meine Papiere auf das Genaueste zu prüfen. Dazu haben Sie jedes Recht und ich bin der Letzte, der es Ihnen erschwert. Es ist wohl das beste, ich nehme jetzt in einem Klubsessel Platz, einer ihrer Beamten setzt sich neben mich, um mich – Sie gestatten, daß ich scherze – in ungefährlichem Zustande zu halten. Dann untersuchen Sie mit Ihren Beamten alle meine Behältnisse. Sie finden im Mittelfach des Schreibtisches meine sämtlichen Papiere, die ich Sie bitte, zur Prüfung an sich zu nehmen und Sie mir, freilich recht bald, wieder zuzustellen. Beginnen Sie, meine Herren! Hier sind die Schlüssel.«

Er reichte ihnen den Bund hin und zündete sich eine Zigarette an.

Die Untersuchung zeitigte glänzende Resultate im Sinne Jan van Kerkens. Seine Papiere waren in Ordnung. Seine Heimat wurde verständigt. Es gab einen Jan van Kerken, in Delft geboren, genau so alt wie er, der schon lange Jahre aus der Heimat fort war. Aber jedenfalls: es gab ihn.

Die Behörden fingen an sich zu entschuldigen, weil man nur Arbeit für Deutschland bei ihm gefunden hatte. Ein Kommissar bestand jedoch auf der Stichprobe. Er hatte sich überlegt, daß eine junge Dame, die die Wahl zwischen vielen Verehrern haben könnte, einen Mann, unter Umständen eine Persönlichkeit, nicht ohne weiteres der Polizei zur Beobachtung zuschiebt. Bestenfalls konnte sie sich getäuscht haben. Er erstattete dienstlichen Bericht und vertrat seine Auffassung. Der Vorgesetzte war nicht sentimental. Fräulein Yvonne Snider erhielt die Aufforderung, sich zur Gegenüberstellung mit den Beamten in der Wohnung des Herrn van Kerken einzufinden.

*

Der Diener Herrn van Kerkens war die vollendete Würde selbst. Herr van Kerken hatte sich sorgfältig gekleidet und war sichtlich nervös. Beide stiegen, wie schwarze Raben im Hochwalde um eine Fichte, in gemessenen Abständen durch die Zimmer und warteten.

Zwei Autos fuhren vor.

Der Diener meldete.

Der Kommissar, der die Gegenüberstellung veranlaßt hatte, erschien persönlich.

Yvonne trat in einem hellgrauen Kostüm mit kaltem, klarem Blick Jan van Kerken gegenüber und überließ es dem Kommissar, die Verhandlungen einzuleiten. Nochmals wurden die Personalien festgestellt, die Anzeige verlesen.

In Jan war jeder Nerv gespannt.

Der Polizeikommissar verwandte kein Auge von ihm. Es gab keine Möglichkeit, auch nur mit irgendeiner Miene letzte Unterhandlungen mit dem Feind zu führen.

Wieder saß Jan ganz allein, wieder trat seine Seele beobachtend, gleichgültig, gewissermaßen aus ihm heraus und wartete ab, was kommen würde. Manchmal versuchte er es in Bruchteilen von Sekunden, Yvonne in die Augen zu sehen. Aber sie wandte gelangweilt immer den Kopf ab. So entfiel die letzte Möglichkeit. In kurzen Zeitbruchteilen bewegten sich die Gedanken vieler Jahre.

Jetzt fühlte Jan, daß Yvonne ihn ansah.

Der Kommissar sah einen Augenblick auf das Protokoll. Ohne irgend eine Bewegung im Gesichte senkte Jan van Kerken ganz langsam den Kopf, daß das Kinn einen Augenblick sogar die Ecken des tadellosen Kragens deckte und mit der Krawatte angebunden erschien.

»Ich habe eine ernste Frage an Sie zu richten, Fräulein Yvonne Snider«, sagte der Kommissar nicht ohne Feierlichkeit. »Erkennen Sie in Herrn van Kerken, der hier vor Ihnen steht, die Persönlichkeit des Holländers Jan Traberg? Uebereilen Sie nichts. Denken Sie genau nach.«

Yvonne war sich klar darüber, daß sie diesen Mann nicht mit dem Standesbeamten zu verwechseln habe. Sie machte ein sehr zaghaftes, angestrengtes Gesicht und sagte dann mit etwas feindlich auf Jan gekniffenen Augen: »Ich bedaure, den Herren so große Ungelegenheiten gemacht zu haben. Nach reiflicher Ueberlegung vermag ich meine Aussage nicht mit Sicherheit aufrecht zu erhalten.«

Der Polizeikommissar war ein wenig unbefriedigt, entschuldigte sich bei Herrn van Kerken, gleichzeitig im Namen seiner Behörde, und empfahl sich mit den Beamten.

Yvonne Snider blieb noch einen Augenblick zurück und lispelte durch die Portiere: »Sei vernünftig, du Schafskopf! Es hilft dir nichts und außerdem habe ich dich lieb!«

Jan van Kerken empfing diese Erklärung in gerader Linie auf einige Entfernung sozusagen mitten ins Gesicht.

Er akzeptierte den Blankowechsel ohne eine Erklärung seinerseits, hob warnend – denn die Polizei mußte sehen, daß auch Yvonne Snider niedergeschlagen das Haus verließ – die Hand.

Da lachte Yvonne noch ein ganz klein wenig, schloß sachte die Türe und ging beschwingten Schrittes, wie ein Schmetterling, der eben aus dem Kokon brach, über die Treppen, um dann gleichmütig ihren Heimweg anzutreten. Man wird kaum annehmen, daß eine rührsame Heirat eine rührsame Geschichte beschließen wird.


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