Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

Jan van Kerken saß einem deutschen Politiker gegenüber. Jan trug einen neuen Anzug mit Anstand, seine Nägel waren gut manikürt. Ein gutes Od verbreitete sich um ihn, ein leiser Anstrich von selbstverständlicher Wohlhabenheit hing von dem gescheitelten Haare über den Endpunkt der langen Krawatte zu den tadellosen Bügelfalten wie ein Schleier über den alten Jan Traberg herunter.

Er hatte die Beine lässig übereinandergelegt, ließ modische Strümpfe über eleganten Lackhalbschuhen sehen, lehnte sich zurück und ließ den deutschen Politiker sprechen, der ein wenig mißtrauisch, ein wenig erfreut, mit korrekt vorgesetztem Kneifer und dem nichtssagenden europäischen Parlamentariergesicht vor ihm dozierte:

»Der Artikel in unserem Blatte, in dem ein Holländer das Weltgewissen aufrüttelt, ist also wirklich von Ihnen geschrieben?«

»Gewiß, es ist nichts einfacher, als seinem Gefühl Ausdruck zu geben.«

»Sie würden also bereit sein, in Ihrer Eigenschaft als Holländer Ihrer Meinung Ausdruck zu geben? Sie würden gewissermaßen unser Kamerad sein?«

Jan van Kerken bestätigte dies mit einem stummen Nicken. Es war lässig und von oben herunter.

Diese Haltung imponierte dem anderen.

»Dürfen wir Ihnen also vertrauen?« fragte er.

Der Holländer bejahte einfach und streckte ihm die Hand hin.

Die Hand, die er gab, war leer, denn er hatte kaum mehr einige Mark in der Tasche. Die Hand, die er zurückzog, war mit Gold beschwert.

Vabanque! – Auf der einen Seite er und sein guter Anzug, auf der anderen Seite ein anständiges Leben ... Das Schicksal rief: »Messieurs, faites votre jeu!« Das Blut brauste in ihm so dumpf und triebhaft wie damals im Kasino in Ostende, als er an einem einzigen Abend das väterliche Erbteil bis auf den letzten Cent verspielt hatte.

»Wovon leben Sie?« klang es zu ihm wie durch einen Schleier.

Jan log ein Leben, das er nie gelebt hatte. Sein Gegenüber war zufrieden.

»Wir wollen keine erheuchelten Gefühle. Wir wollen niemand bestechen, denn was hilft uns eine bestochene Meinung. Gerade weil wir nicht an ihre Wirkung glauben und weil wir daran glauben, daß einmal Lug und Trug zerreißen muß, wollen wir das nicht. Immerhin, wir freuen uns, Sie bei uns zu sehen. Wir wünschen, daß Sie unser Land kennen lernen, Herr van Kerken, und wir begrüßen es, wenn Sie über unser Land berichten, der Sie unser Freund sind. Ich gestatte mir, Ihnen einen Scheck zu überreichen mit der nachdrücklichen Bitte, dies nicht als eine Bestechung anzusehen. Köpfe wie der Ihre sind nicht alltäglich. Sie müssen reisen und sehen. Es ist gewissermaßen ein Stipendium, das wir einem unbefangenen Holländer geben, der offene Augen hat ...«

Van Kerken hörte nur halb hin. Vor ihm war das entsetzliche Bild von Ostende und tanzte, jener höllische Augenblick, als der Croupier mit seinem silbernen Rechen alle Geldscheine von ihm wegnahm und einem glattrasierten, gelbhäutigen Menschen zuschob. Diesmal aber kratzte der Rechen an ihn heran. Van Kerken verstand den Augenblick und sagte einfach:

»Dies war nicht nötig. Immerhin – ich will Sie nicht kränken.«

Beide verabschiedeten sich. Es wurden weder Vereinbarungen getroffen, noch sonst irgendwelche Worte gewechselt.

Van Kerken stieg bedachtsam die läuferbelegten Marmortreppen des Hauses hinunter. Da der Lift ruhte, trat er etwas beiseite, zog den Scheck aus der Tasche und fand auf ihm einen sofort zahlbaren Betrag von 30.000 Mark bei einer großen Bank.

Er starrte auf den Scheck wie auf eine schlechte Erscheinung, steckte ihn ein, zog ihn wieder heraus, besah ihn durchs Licht, untersuchte ihn auf Merkwürdigkeiten. Es war und blieb ein reinlicher Scheck.

Es konnte nicht möglich sein, daß man nach Beschaffung eines guten Aeußeren mit 3 Mark in der Tasche in ein Haus hinaufstieg und mit einem Scheck auf 30.000 Mark nach einer Unterredung, in der man gar nichts verlangt hatte, wieder die Treppe herunter kam. Irgend jemand kam durch die Drehtüre. Ein Luftzug streifte ihn. Draußen klingelte die Straßenbahn vorbei. Ganz banal hörte er neutrale Angelegenheiten in Wortfetzen hereinflattern, wesenlose, nüchterne Dinge, die an ihm vorbeifluteten.

Jetzt reizte das Abenteuer.

Er barg den Scheck in seiner Brieftasche, wollte nach der Uhr sehen, erinnerte sich, daß er sie verpfändet hatte und ging dann mit raschen Schritten und mehrfachen Fragen an Vorübergehende zu der bezeichneten Bank. Sie stellte sich als ein schönes Gebäude mit einem freundlichen Türhüter und einem lichten Kassenraum dar, der das Geldbringen und -holen möglichst mühelos erscheinen lassen sollte.

Van Kerken setzte sich erst nachdenklich einen Augenblick in einen der Klubsessel, holte langsam und nachlässig seinen Scheck heraus, steckte die Brieftasche wieder zu sich, und präsentierte ihn am Schalter.

Van Kerken zählte mit seinem Pulsschlag: Jetzt nimmt er ihn ... Jetzt hat er ihn ... Er wird ihn zurückweisen. Der freundliche Türhüter wird nicht mehr freundlich sein, sondern durch Alarmglocken die Türen schließen. Sein Gewährsmann wird nicht echt sein. Er wird sich herauslügen müssen mit dem großen Unbekannten. Immerhin, er mußte jetzt stehen bleiben und legte seine heiße Hand auf die kühle Zahlplatte ...

Es geschah nichts. Der Beamte machte das denkbar möglichste Durchschnittsgesicht. Dann marschierten die Scheine korrekt wie Soldaten: Eins, zwei, drei, vier ... Eins, zwei, drei, vier ... Siebenmal vier. Jetzt war es schon eine Kompagnie. Nochmal zwei. Wie Sanitäter schlossen sie den Zug.

Man verlangte seine Unterschrift. In seinen Fingern zuckte es »Traberg«. Aber nach »Jan« setzte seine Hand elegant aus und ruhig geriet der Namenszug »Van Kerken« schon mit einem eleganten Schwung des Besitzes am Ende des Buchstabens.

Der Holländer barg alles sorgfältig in seiner Brieftasche. Der Beamte wünschte Guten Tag und empfahl die Bank. Der freundliche Türhüter spürte das Od des Besitzenden, machte die Tür weit auf. Ein kleiner Bankboy öffnete den Schlag zu einem der Autos, die draußen standen. Jan van Kerken stieg mit Gelassenheit in das Auto, das sehr elegant aussah und seine öffentliche Nummer diskret trug.

Im Schwunge glitt der neue Mensch über Asphalt, ließ sich in ein erstes Hotel fahren, verzog keine Miene, als man nach seinem Gepäck forschte, sagte, er sei nur auf der Durchreise, schloß sich in sein elegantes Zimmer ein, empfand Doppeltüren als wohltuend und lachte aus vollem Halse, lachte, daß die Tischfläche bebte, daß der Stuhl hinter ihm seufzte, daß sich der Schall in seinem Zimmer begegnete, lachte nicht aus Uebermut oder schurkischem Vorhaben, sondern weil die Not ein Ende hatte und er – arbeiten durfte.

Jan van Kerken war ein Tölpel. Die Not begann erst.

*

Der Holländer stand auf der großen Rheinbrücke. Mit einem Fuß im besetzten, mit einem Fuß im freien Deutschland. Praktisches lag ihm nicht. Der ideelle Kampf war zu führen. Man konnte, wenn es solche Möglichkeiten gab, seine ganze Kraft einer großen Sache weihen und es ehrlich mit ihr meinen.

Als er gegen die hohen Uferpfeiler der Hohenzollernbrücke sah und gar noch gegen die riesige Silhouette des Kölner Doms, begriff er, daß auch dieses Deutschland auf einer rings umdrohten Plattform kämpfte, die wie ein Schiff aussah, aber mit dem Grund verbunden war und begriff, daß dieser riesige Volkskörper alle Leiden erduldete, die ihm auf seinem Gang ins Meer durchschüttelt hatten. Er sah die Lichter auf dem Rhein spielen, die Dampfer mit grünen und roten Bordlaternen hinauf und hinunterschwimmen und ihre Rauchfahnen gleich einer düsteren Trauerschleppe nachziehen.

Da gelobte er sich, diesem Volke ehrlich zu dienen. Ganz versunken in die Zukunft, die sich ihm so auftat, blieb er lange auf der Brücke stehen. Sorglos schlenderte er später durch die dichtbelebten Hauptstraßen. Er achtete nicht auf die eilfertigen Menschen, die von der Arbeit zurückfluteten oder in die Theater und Kinos drängten. Er achtete nicht auf das Vielerlei der Dinge der Großstadt, die auf Menschen warten, die sie bezahlen können, und ließ sich treiben. Richtig gemächlich holländisch wie ein kleiner Kahn, der mit einer kaum sichtbaren Strömung geht und einmal da, einmal dort ein wenig am Ufer weilt, um ebenso gemütlich wieder abzustoßen und weiterzufahren.

»Guten Tag, Traberg!«

Was war das?

Van Kerken sah nicht hin. Er hätte ein Flugzeug sein mögen. Aber er mußte ganz langsam weiterpendeln. Er hatte in der Verwirrung wirklich nicht gesehen, wer ihn so rief.

Scharf überlegte er, daß es die Altstimme eines Mädchens gewesen sein müsse.

Es gab nicht viele Ankerplätze auf seiner Lebensfahrt, doch hatte er keine bestimmte Vorstellung und schritt nun etwas rascher aus, um die Gefahr hinter sich zu bekommen.

»Aber Traberg, du bist es doch wirklich!« scholl es wieder hinter ihm. Es war ein Ton darin, der besagte: Ekelhafter Mensch, ich lasse nicht locker. Ich muß es schon bestimmt wissen.

Van Kerken strebte weiter. Ein Haustor war offen. Gott segne dieses Tor! sagte er sich und trat ein. Es war dunkel. Er schritt tiefer hinein in dieses schöne, wohltätige Dunkel und suchte nach der Treppe. – Leichtes Schreiten hinter ihm –. Jemand knipste Licht an und sagte:

»Traberg, ich verbitte mir dieses Benehmen!«

Tja, nun war man wohl allein und ohne Zeugen, aber man konnte nicht weg. Es blieb Jan nichts übrig, wollte er nicht im fünften Stock dieses Hauses vor der Speichertüre an einem gänzlich unzuverlässigen Ort die gleiche Szene heraufbeschwören, als sich umzudrehen und gleichgültig zu fragen:

»Was wünschen Sie von mir?«

Das Mädchen war eine zierliche Figur, hatte auffallend blauschwarzes Haar, das unter dem Hut hervordrängte, scharf geschnittene, ebenmäßige Züge und etwas im Blicke, das auf Herrschaft drängte.

Sie blickte sich um und da sie niemand sah, holte sie aus, gab dem entsetzt dreinsehenden Herrn van Kerken, der die Blasiertheit gehabt hatte, ihr seine Karte mit Angabe der geschäftlichen Besuchszeit zu überreichen, eine Ohrfeige von sehr guten Eltern, zog die gerötete kleine Hand zurück und sagte ganz kalt:

»Nun kannst du mich bei der Polizei anzeigen. Komme nur mit zur Wache. Dann werden wir ja sehen, ob du Traberg bist.«

Der Holländer blieb auf eine eigenartige Weise Herr der Situation.

»Meine Erziehung verbietet es mir, eine Dame zu schlagen und mein männlicher Stolz läßt es nicht zu, dies vor einer Polizeiwache zum Gegenstand einer Anzeige zu machen. Sie sind ein sehr unerzogenes kleines Fräulein.«

Damit glitt er, indem er sie fest ins Auge faßte und ganz von oben ansah, an ihr vorbei, strebte in das Gewühl der Straße, streckte wie ein Signal den Arm vom Bordstein hinaus gegen die Fahrbahn und entglitt in der nächsten Minute in einem sanft gepolsterten Auto nach seinem eleganten Hotel, packte dort seine inzwischen vermehrten Habseligkeiten in echte Lederkoffer und saß eine Stunde später im Nachtschnellzuge nach Berlin.

*

Fort! Fort! ... sangen die Zugstöße. Aber damit war es nicht getan. Wer war van Kerken? Vor allem, gab es einen wirklichen Jan van Kerken, der in Delft wohnte, ebensoviele Jahre alt war, ihm aus dem Gesicht geschnitten war? Gab es diesen Menschen oder war er eine Fiktion. Jan begriff, daß nun zweierlei Gefahren herauftauchten, wie Sturmwölkchen, ganz klein und geballt vom Meereshorizont winzig herauftorkelnd, als wären sie garnichts, um dann das chaotische Konzert zu entfesseln.

Es war ihm unmöglich, sich an das Gesicht der Dame zu erinnern, die ihn mit jener zarten Aufmerksamkeit in Köln bedacht hatte. Sie hatte also Fühlung mit seinen Bekanntenkreisen und konnte nach Holland schreiben, daß Traberg in guten Umständen lebe.

Da er das Land vollständig abgerissen verlassen hatte, konnte man sich ihm auf die Fährte setzen. Kein Mensch würde an die Umstände glauben, unter denen er seine falschen Papiere erlangt hatte, kein Mensch dem Spieler von Ostende die seelische Verwandlung zutrauen. Seine Scheckunterschrift trug den Namen van Kerken. Sonderbare Dinge häuften sich zusammen. Irgendwo im Unsichtbaren war immer ein Feind. Gab es nun einen Jan van Kerken, der am Leben war und eines Tages seine Spuren kreuzte, so war die Verwicklung nicht mehr zu übersehen.

Diese Sorgen bedrückten den Holländer wie bleierne Gewichte. Das weiche Polster des Abteils I. Klasse war kein Aequivalent. Als Jan im Boote auf dem Ozean trieb, hatte er sich in all seinem Elend besser gefühlt, denn jetzt hatte er etwas zu verlieren und zu verteidigen, seinen materiellen Besitz und seine ideelle Aufgabe.

Jan van Kerken raffte sich auf. Schließlich kann man doch nicht alle Konflikte, die einem während des ganzen Lebens begegnen, überschauen und berechnen. Schließlich gibt es immer und überall nicht nur Ecken und Kanten, sondern auch Auswege.

Vorwärts! Vorwärts! ... sangen die Zugstöße und Jan van Kerken hielt dies auch für das Richtige, steckte seine ägyptische Zigarette an, betrachtete seinen kleinen Diamanten am Ringe, der auch im Dunkeln die feinsten Strahlen auffing und schlief ein.


 << zurück weiter >>