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11.

Diese Fangmethode war ganz unkompliziert und brachte Jan zu Entschlüssen. Er ging nach Hause, machte sich, von Yvonne nicht belästigt, scheinbar für eine Abendgesellschaft zurecht, raffte alle Barmittel, deren er habhaft werden konnte, zusammen und saß ein wenig später allein im bequemen Abteil 1. Klasse des Schnellzuges nach Budapest.

*

In den ersten Morgenstunden schlief er schon ruhig und gänzlich unbehelligt von den Gespenstern, die ihn in den letzten Wochen in Wien gequält hatten, in einem schönen Budapester Hotel. Am hohen Vormittag wachte er auf, trat ans Fenster, sah die mächtigen Donaudampfer mit Rauchfahnen über den Schloten auf und niederziehen. In der Ferne lockte die Margareteninsel, die mit grünen Baumwipfeln wie ein Schiff aus den Fluten jenseits der Brückenbogen emportauchte, vor ihm strebte der Königshügel empor. Die Fischerbastei war vertraut. Das königliche Schloß, in dessen rückwärtigen Sälen Horthy wohnte, lockte zu neuen Unternehmungen.

Die helle, sonnige Vormittagsstimmung belebte ihn von Grund aus. Seine Papiere waren in Ordnung. Zahlreiche Empfehlungen legitimierten ihn und erhoben ihn, wenn er seine Lage überdachte, hier noch mehr, denn kein Land war so zerrissen wie Ungarn.

Im Stillen lachte er, denn der Plan war gut geglückt. Jan gönnte Yvonne die Ueberraschung redlich. Mochte sie mit ihm selbst verhandeln! Er trieb wie ein Stück Holz, wo Strömung war. Aber seine Haut ließ er nicht verhandeln. Es freute ihn, als er erfrischt aus dem Bade stieg, sich die Situation in Wien zu vergegenwärtigen. Er war irgend wohin abgereist. Das hatte er öfter getan. Daß er einen Teil seiner Mittel bei sich trug und schon in den nächsten Stunden alles Geld nach Budapest flüssig machte, war kein Belastungsgrund. Er hatte weder mit seinem Doppelgänger noch mit Yvonne Streit gehabt und so eine ganz unverfängliche Situation hinterlassen, aus der zunächst keine besonderen Folgerungen für Außenstehende gezogen werden konnten.

Jan war jetzt auf ungarischem Boden und hoffte schon in der nächsten Stunde gute Freunde zu treffen, die er von Wien aus kannte. Im übrigen hatte er Eile, mit Wien in Verbindung zu kommen. Rasch entschlossen begab er sich zum Frühstück in ein anderes Hotel, rief seine Bank an, nannte einen Mittelsmann, an den ein sehr großer Betrag zu zahlen war, und ging an seine Arbeit.

Jetzt, so dachte er vergnügt, saß Yvonne allein in Wien, konnte sich von Jan, dem Dunklen, etwas erzählen lassen, konnte sich sogar küssen lassen, wenn sie Lust dazu hatte, ohne mit seiner augenblicklichen Arbeitsmethode vertraut zu sein, ohne den anderen zu kennen, konnte ihre großen Schneiderrechnungen bezahlen lassen, von wem sie Lust hatte, denn er war hier frei ...

Jan hatte sich bald zurecht gefunden, wurde von ein paar jüngeren, eleganten Herren mit vorbehaltloser Herzlichkeit begrüßt, und tafelte mittags schon in angenehmster Gesellschaft bei scharfen Leckereien und trocken-heißem Ungarwein mit fröhlichen Genossen.

Er konnte jetzt ruhig ganzen Straßenzügen mit den Blicken folgen, ohne Furcht zu empfinden, und sprach mit Menschen wie einer, der frei war.

In den Abendstunden traf er sich mit seinen Freunden wieder. Man saß im Hotel Pannonia. Die Glaskuppel, die den Saal überwölbte, war zurückgeschlagen. Auf das Tafelsilber, das geschliffene Glas, auf die Blumen und die grünen Palmen blinzelten nach dem Erlöschen der Abendröte in die gleißende Lichtflut verdunkelt und unwesentlich die Sterne herunter. Man saß noch immer, trank, sprach viel von Deutschland, ließ es leben als einen guten Freund der kommenden Tage und dankte vor allem ihm, dem Holländer, daß er sich der Sache des Rechts zur Verfügung gestellt hatte.

Das Gelage dauerte Jan van Kerken etwas zu lange. Er horchte zuweilen auf die Großstadtgeräusche, die über den Häuserblock hinwegflatterten und als ein sonderbares Klanggeriesel zwischen die heißen Melodien und traumhaften Geigenstriche der Zigeunerkapelle in den Schacht des Festsaales heruntersanken. Es fing an, etwas sonderbar zu werden. Man mußte doch noch irgend etwas vorhaben. Ganz zufällig ergab es sich, daß einer der Herren nach dem anderen unter irgend welchen Vorwänden verschwand.

Schließlich leistete ihm nur mehr Herr von Swirku Gesellschaft.

Jan lauerte.

»Sie sind etwas plötzlich nach Budapest gekommen, lieber Herr van Kerken«, sagte der Baron. »Sie können offen mit mir sprechen. Ihr Vetter in Wien hat mich bereits durch Chiffretelegramm verständigt.«

Jan hielt an sich.

Diese Sachlage war ihm neu. Deshalb sagte er unverfänglich: »Sie meinen Herrn van Kerken in Wien, nicht Herrn van Kerken in Budapest«. Dazu lachte er.

Erdödy stimmte in das Lachen ein. Doch klang es ein wenig gezwungen als er sagte: »Ich weiß nicht, ob Sie mich recht verstehen. Ich nehme doch an, daß Sie mit Ihrem Vetter harmonieren.«

»Es ist schwer«, wich Jan aus, »dies immer genau zu wissen. Machen wir es kurz! Haben Sie Aufträge für mich?«

»Sie sind doch Holländer«, fragte Swirku, »ein richtiger Holländer, der die Dinge dieser Welt kühl betrachtet?«

Jan nickte.

»Dann kann es Ihnen gleich sein, wenn Sie Ihren Karren auch einmal verkehrt fahren dürfen.«

Jan war wach und abwehrbereit.

»Soll das heißen, daß Sie mich auf meine Freunde loslassen wollen?«

Swirko lachte. »Sie werden doch nicht im Ernst von mir verlangen, daß ich auf eine so ungeschickte Frage, die Ihnen gar nicht ähnlich sieht, ebenso ungeschickt antworte!«

Jan van Kerken übersah nun die Lage.

Man verlangte nichts weniger von ihm, als daß er in ein anderes Lager überlaufen sollte und zum Spitzel an denen würde, die ihm das Leben angenehm machten. Mit Worten konnte man dies alles nicht ausdrücken, denn hier gab es keine Brücke von Mensch zu Mensch. Hier stand im Dunkel der Anonymität Bestie gegen Bestie. Deshalb wich er noch mehr aus und sagte mit unpathetischem Vorbehalt:

»Derartige Dinge kann man von der Nacht zum Morgen nicht einmal ganz überdenken, geschweige denn in die Tat umsetzen. Ich werde für die nächste Zeit nichts unternehmen und mich ein wenig erholen.«

Mit herzlichem Händedruck trennten sie sich.

Er hatte das seltsame Gefühl, daß sich Feindliches in Freundliches verwandeln könne. In ihm war etwas seltsam Beschwingtes wie Musik. Sie war nicht bloß in ihm. Aus einer fernen Gasse kam sie just in dem Augenblick, leise und unaufdringlich. Er hatte keine Lust, den Tönen nachzugehen, die in einer sonderbaren Folge und Akkordsetzung durcheinander schwangen.

Einmal hatte er schon Aehnliches gehört. Es war in Antwerpen gewesen. Ein chinesisches Schiff hatte den Hafen angelaufen. Seltsame Seeleute und seltene Gäste gingen von Bord. Die Neugier hatte ihn getrieben, sie zu beobachten. Als die Dämmerung sank, waren die chinesischen Matrosen an Bord. Ein feiner, leiser Meerwind hob sich und strich mit hallendem Hauch an den Ohren vorbei. Chinesen hatten sich unter den Mast gesetzt und hielten einige Instrumente an den Mund. Das war sonderbar gewesen. Die Musik ging mit dem Winde, vermischte sich mit ihm, schwoll an und ebbte ab. Es war ein sonderbares Klagen, fernweltliches Beben, zerbrochenes Lachen und ziel- und uferloses Dahinschreiten, ein Treibenlassen in Unendlichkeiten wie nach zwanzig Verwandlungen. Er sah ein Bild vor sich, damals schon, eine ungeheure Steppe, über die Nomaden jagten, millionenfach gelöst von allem Verwurzelten, getrieben von Dämonen und Göttern, immer leicht, behutsam und toll wie der Wind, der sich schmiegte und schrie. Heute erfaßte er diese Stimmung. Sein Lebenslied hatte er damals gehört, ein sonderbares Lied ohne eigene Melodie, ohne das Recht hierzu, vielleicht weil seine Seele überhaupt keiner Grundschwingung fähig war. In sich verloren stand er da, aufgesogen von der Einsamkeit der Straße. Es war ihm, als nähme er ein laues, lindes Bad, als plätschere er in ungeahnten Möglichkeiten.

Die Morgenstunde war früh. Tausende von Fenstern blindeten schwarz, dämonisch verschlossen die Erzsebeth-ut hinunter. In Stockwerke verschachtelt, hasteten Hunderttausende dem Morgen entgegen, zum Kampf gegeneinander, jeder gegen jeden. Darunter lief die breite glatte, gefällig spiegelnde Straße, zuweilen uneben mit kleinen Buchten, in denen köstlich provinzielle Pfützchen mit Lichtfünkchen standen. Daneben stellten, üppig aus der steinernen Fläche herausstrebend, dicht belaubte schattende Bäume. Nun kams von unten herauf aus der dunklen Ferne durch die sonderbare Oede dieser Straße lustig klipp klapp. Ganz richtig, da fuhr ja eine verbannte österreichische Seele »klipp klapp, klipp klapp«, wahrhaftig ein richtiger Droschkengaul mit einem schwarzen Wägelchen dahinter.

Ein richtiger Wiener Fiaker trabte vor. Eingemummelt saß droben der Kutscher auf dem Bock, guckte vergnügt unter seinem Zylinder. Ihm waren auch die Bogenlampen als Sterne recht. Er verschwand mit einem Nachtgast, der mit sich ausgesöhnt und kampfbereit war, ins Dunkel.

Jan van Kerken saß in dem sonderbaren Dunst der roßduftenden Polster, vielfachen Parfüms und kaltem Zigarettenrauch und fühlte sich in seinem klapperigen Staatswagen heimisch.


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