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10.

Der schwarze Jan van Kerken kam wieder.

Man plauderte gemütlich. Holland wurde nicht berührt, kaum erwähnt. Doch sprach man holländisch, gab sich in seiner landsmannschaftlichen Art und schuf sich in gegenseitiger Unterstützung mitten in Wien ein Heimatasyl für Stunden.

Ungeheure Spannung zitterte in der Luft der Zimmer, in denen sie abwechselnd herumsaßen. Es ereignete sich nichts.

Der schwarze Jan van Kerken erzählte von Indien und Afrika, wie wenn er dort zu Hause wäre. Man kam auf die Ausgrabungen in Mexiko, streifte die gesellschaftlichen Verhältnisse Kopenhagens mit größter Vorsicht, gab Witze aus der Wiener Gesellschaft und dergleichen mehr zum besten.

Der schwarze Jan van Kerken war äußerst gesprächig, wirbelte mit französischer Lebhaftigkeit Witze, Gedanken, Augen um die Hausfrau, machte ihr den Hof und bat seine Gastgeber, doch nicht immer nach seiner Nase zu sehen. Bei seiner Erschaffung müsse wohl etwas nicht in Ordnung gewesen sein. Er habe sich ja schließlich, wenn auch mit heftigem Widerstreben, mit ihr ausgesöhnt, verliere aber doch immer die Gedanken, wenn sich der Strahl eines Auges auf seiner Nase festsetze.

Man lachte und beteuerte, ihm zu Gefallen zu sein.

Der schwarze Jan van Kerken wurde häufiger Gast im Hause.

Yvonne lachte und meinte, ein angebundener Wolf sei besser als ein losgelassener.

Jan stimmte sorgenvoll zu, war aber durchaus nicht einverstanden.

Das Spiel begann.

Der schwarze Jan van Kerken überhäufte dicht an der Grenze der Schicklichkeit bleibend, Yvonne mit kleinen Aufmerksamkeiten.

Jan bemerkte es und ging zur Abwehr über. Er zeigte sich Yvonne gegenüber ernsthaft freundschaftlich. Als sich der Wettkampf sichtbarer entspann, versuchte er sie zu lieben.

Es war ungeheuerlich, was ihm das Schicksal zumutete, empfand Jan, dessen Eigenwille immer stärker gewesen war als der Reiz irgend einer schönen Larve. Das Schauspiel, das er bot, glich den Bemühungen eines weißen Elefanten um einen buntschillernden kleinen Kolibri.

Yvonne war etwas taub geworden. Sie freute sich des Spiels und entwand sich ihm.

Später geschah es, daß sie ihm die Türe vor der Nase zuschlug.

Dann wiederholte sich die Ohrfeige von Köln. Sie brannte anders. Sie war nicht aufreizend, richtigstellend, festhaltend, sie brannte wie ein kleines Feuer des Hasses.

Jan van Kerken ging seiner täglichen Beschäftigung nach und zog sich zurück.

Jan van Kerken, der andere, saß in seinem Salon und plauderte mit Yvonne.

Es war entnervender Zustand für Jan, den Wanderer, lächelnd gesellschaftlichen Pflichten zu genügen, spazieren zu fahren in der lebensvollen Kultur Wiens, zu genießen, was ihm Freude machte und immer stärker ein unsichtbares Gewicht auf seinen Schultern zu fühlen.

Jan malte sich aus, was nun eintreten könnte. Der andere konnte seine Frau lieben und als Lebensgenossin für sich beanspruchen. An eine so schöne und leichte Lösung vermochte Jan, so sehr er sich das auch einredete, nicht zu glauben. Anderseits konnte Yvonne, des ganzen Spiels müde, ihn und sein Geheimnis dem Manne, der ein Recht auf Klarheit und seinen eigenen Namen hatte, ausliefern. Auch dies war, wenn er an alle Erlebnisse mit Yvonne zurückdachte, wenig wahrscheinlich. Es mußte also irgend etwas Neues, Unvermutetes, ihm Unbekanntes heraufkommen, denn umsonst vertändelte ein Mann wie der dunkelhaarige Jan van Kerken seine Zeit nicht in diesem Uebermaße.

Diese Schlußfolgerung war zwingend. Jan war es aber gewohnt, sich auch an aussichtslose Notwendigkeiten zu klammern und mit ihnen zu schwimmen.

*

»Es ist merkwürdig, daß mir mein Vater nie von unseren Antwerpener Verwandten erzählte«, sagte der dunkle Jan van Kerken zu Jan, dem Wanderer, und sog an seiner Zigarre.

»Ja, das finde ich auch«, sagte Jan. »Aber es gibt von uns nicht viel zu erzählen. Wir leben in ganz bescheidenen Verhältnissen.

»Das wundert mich«, verlegte Jan, der Dunkle, den Weg. »In unserer Verwandtschaft sind alle ziemlich vermögend und Ihre Studentenzeit in Gent muß ja wohl sehr lustig gewesen sein.«

»Ich habe in Brüssel studiert, in Gent nur ganz vorübergehend«, log Jan.

»Ihr Vater mußte also tüchtig sparen, um Ihren Monatswechsel in Ordnung zu halten. Ja, so ist das nun bei uns in Holland. Entweder sparen wir ausgeprägt, oder wir verschleudern unser Geld«, sagte der dunkle Jan.

»Es wird in anderen Ländern dasselbe sein«, floh Jan, der Wanderer.

»Die Menschen sind immer dieselben. Ihr Wissen und Können ist immer das gleiche und auch ihre Absichten. Meist sind sie nicht allzu menschenfreundlich.«

»Humanität ist ein relativer Begriff«, sagte der dunkle Jan. »Die van Kerkens haben sich immer ans Tatsächliche gehalten und in dem durch die Vernunft und die Verhältnisse gegebenen Grenzen ihre Geschäfte und ihr Leben entwickelt. Ich bin neugierig zu erfahren, ob auch Sie in diesen Dingen ein echter van Kerken sind.«

Jan vermochte die Spannung kaum noch zu ertragen. War es nicht einfacher, den anderen um den Preis zu fragen, den er forderte, nicht natürlicher, diese nervenzerstörende Komödie zu beenden. Er fand jedoch keinen Entschluß und lauerte weiter.

Der dunkle Jan schaute etwas gelangweilt nach der Parkseite durchs Fenster und nahm das Gespräch wieder auf.

»Sehen Sie, lieber Namensvetter, es gibt oft sonderbare Menschen. Ich kann das Komplizierte nicht verstehen und halte mich lieber an das Einfache, Verständliche. Schon als junger Mensch dachte ich so. Mir ist etwas im Gedächtnis haften geblieben, das mich damals sehr nachdenklich stimmte. Ich könnte es heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, ob ich es selbst erlebt oder ob man es mir erzählte.

Ein junger Mensch aus guter Familie – ich glaube es war ein Traberg – verspielte in Ostende an einem Abend sein ganzes Erbe. Er war dann völlig verschwunden. Man hat nie wieder etwas von ihm gehört und muß wohl annehmen, daß er sich ein Leid angetan hat. Soweit ich mich daran erinnere, muß es ein sehr begabter junger Mann gewesen sein. Es ist komisch, wie die Natur sich auswirkt. Diesem Menschen fehlte nur eine Kleinigkeit in seinem Wesen, er mußte nicht mit Unterbrechungen und ohne logische Verbindungsbrücken denken und handeln. Er war wohl von Jugendirresein befallen, einem Zustand, von dem ich mancherlei gelesen habe. Es ist noch gar nicht lange her, da fiel einem Manne, der in Schweden zehn Jahre gelebt hatte und angesehen war, etwas ein, irgend etwas lockerte sich in seinem Gedächtnis und festigte sich hernach. Plötzlich wußte er, daß er Amerikaner sei. Er fuhr über den Ozean, fand dort seine Familie und bringt nun unter einem ganz anderen Namen sein Leben zu einem vernünftigen Abschluß. Das kommt davon, wenn die Menschen vergeßlich sind.«

Jan stand auf.

»Ihre Einleitung, Herr van Kerken, war geschickt, ihre Fortsetzung interessant, das Wichtigste aber, die Schlußfolgerung, ist nicht zwingend. Wenn dieser junge Traberg von Ostende wirklich ein Verschwender war und heute noch irgendwo lebt, so hat er sicher vom Leben gelernt. Ich entsinne mich nicht, einem Menschen dieses Namens auf meinen vielen Reisen begegnet zu sein. Ich hörte nie im Zusammenhang mit Spielkasinos seinen Namen nennen. Kurz, es scheint ausgeschlossen, daß dieser Traberg sich irgendwie nachweisen läßt.«

Lähmendes Schweigen herrschte.

Dann sagte der dunkle Jan langsam: »Wie lange wollen Sie noch Verstecken spielen?«

Jan sagte nichts darauf, ergänzte aber dieses Schweigen später mit dem Satze: »Dies Gespräch ist mir nachgerade unverständlich.«

»Der Nachweis wäre erst zu erbringen«, erwiderte Jan, der Wanderer, gefaßt. »Bemühen Sie doch die Behörden! Oder vielmehr ich werde dies tun.«

Hier waren beide auf der schroffen Spitze ihres Schicksalsberges angelangt. Es geschah nichts. Beide zögerten, nahmen eine neue Zigarre und setzten das Schweigen fort.

Geraume Zeit war verstrichen, als der dunkle Jan wieder begann:

»Ich spiele nicht gerne Schicksal. Man kommt sich nach dem Ereignis immer menschlich minderwertig vor. Vielleicht könnte es mir unter ganz gewissen Voraussetzungen sehr angenehm sein, einen Doppelgänger zu haben, der mir in nichts gleicht.«

Jan atmete auf. Jetzt kam das Neue.

»Sie haben es ja angenehm«, begann der andere wieder, »und besitzen sicher ein nettes Einkommen. Indes kann ich Ihnen viel glänzendere Bedingungen bieten. Ich möchte Sie in meine Dienste nehmen. Die Richtung, in der Sie Ihre Geschäfte abwickeln, gefällt mir nicht. Ich will immer menschlich handeln, bin jedoch im Dienste der Sache zu allem Notwendigen bereit.«

»Ich muß Sie bitten, deutlicher zu werden«, half Jan nach.

»Ich stehe in Diensten von Freunden der Entente«, sagte Jan der Dunkle langsam. »Ihre Arbeit für die Gegenseite gefällt mir nicht und ich mache ihr jetzt ein Ende.«

»So habe ich den Ausweg, Sie der Behörde zu übergeben.«

Der dunkle Jan lächelte.

»Gesinnungen sind straffrei. Es wird heute schwer sein, jemand wegen seiner Gesinnung allein in die Maschen der Gesetze zu verwickeln. Dieser Versuch ist eigentlich nicht tauglich. Von einem Kampf mit mir rate ich Ihnen ab. Seit meiner Jugend betreibe ich den politischen Dienst als Beruf. Im übrigen, das allgemeine Strafgesetz ist gegen Sie ... An Ihnen ist also die Reihe ... Wer spielt aus?«

Jan schwieg und sagte obenhin: »Man kann sich in solchen Dingen nicht von heute auf morgen entscheiden.«

Der andere ging mit der Miene eines Mannes, der seiner Sache sicher ist. Jan gab sich nicht verloren. Immer noch suchte er nach Auswegen.

Er hörte Yvonne ins Zimmer kommen, fühlte, daß sie ihn prüfend ansah. Als er keine Antwort gab, setzte sie sich auf einen Stuhl ihm gegenüber, sah ihn wissend und eingeweiht an und fragte: »Du hast doch seine Vorschläge angenommen. Was Jan ausgedacht hat, ist gut und schlauer, als du es fertig bekommst.«

Jan erfror.

Ueberall war der Feind.

Er überzeugte sich, daß er zu feig war, den Knoten an der richtigen Stelle gewaltsam zu durchhauen.

»Ich habe seine Vorschläge nicht abgelehnt«, sagte er zweideutig zu Yvonne.

Sie trällerte ein holländisches Volksliedchen und ging in einer aufdringlichen Duftwelle von Modeparfüm wie ein Komet aus dem Zimmer, dessen Schweif die Türe abklemmte und dadurch das Od einer nicht mehr sympathischen Persönlichkeit erbarmungslos um Jans wache Erkenntnis hüllte.

Jan konnte nicht aus der Schlinge. Ohne seinen holländischen Namen, der jetzt bekannt war, wurde seine Tätigkeit so gut wie wertlos und uneinbringlich. Immerhin, es mußte etwas geschehen! Er wollte seine Ueberzeugung nicht dem gemeinen Handwerk eines Spions opfern. Er wollte auch nicht heraus aus dem Wohlleben, in das ihn das Schicksal verkauft hatte. Der Name van Kerken war sein Besitz. Er hatte ihm Geist und Gehalt gegeben. So täuschte er niemandem etwas vor. Aber dies half jetzt nicht.

Jan, der Wanderer, scheuerte sich an dem kalten Wortlaut der europäischen Gesetze wund. Er hatte sich in den entlegenen Teil des Praters fahren lassen und sah wie geistesabwesend den Fischern zu. Sie senkten an langen Stangen Reußen in den Fluß und haspelten sie wieder empor. Sie haspelten mit unerschütterlicher Geduld ihr Netz so oft hinein und heraus, bis doch ein Fisch darinnen war.


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