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8.

Nervös drehte Jan van Kerken zwischen den Fingern eine Karte, gab sich den Anschein vollkommener Gleichgültigkeit, während der Diener, der sie brachte, etwas bestürzt war.

»Wie sieht der Mann aus, der mich zu sprechen wünscht?« fragte er scheinbar ruhig.

»Es ist ein kleiner Herr«, berichtete der Diener, »mit englischem Schnurrbärtchen. Doch sieht er eher wie ein Franzose aus und kann die Hände nicht ruhig lassen, wenn er spricht ...«

»Schildern Sie ihn genauer«, sagte Jan van Kerken. »Es interessiert mich, aber ich habe nicht die Absicht, den Herrn zu empfangen.«

»Er sah mich sehr scharf an«, berichtete der Diener, »hat schwarzes Haar, ein wenig grau, ein wenig unordentlich wie ein Mensch, der viel mit Büchern und sonderbaren Sachen umgeht. Nicht wie Sie«, ergänzte er verlegen. »Die Nase springt ziemlich weit vor. Es ist eine Nase für Tabaksdosen, eine Nase, die das Format von sechs Nasen hat, eine Nase, Herr van Kerken –«, der Diener vergaß seine Schulung und lächelte, »wahrhaftig, ein Stück für ein Museum. Dabei spricht er fortwährend die alltäglichsten Dinge, um mich zum Schwatzen zu bringen.«

»Wie ist er gekleidet?« forschte van Kerken.

»Er hat einen sehr guten Schneider, eben aus unseren Kreisen.« Dieses »unseren« sagte er mit Stolz, denn er fühlte sich zugehörig.

Jan van Kerken wurde unruhig, denn für ihn hatte diese Bemerkung einen anderen Klang. Es roch nach Abenteuer, geistiger Hochstapelei.

»Es ist gut!« fertigte er den Diener ab. »Sagten Sie, wir seien nicht zu Hause und empfingen selten Besuche. Vielleicht möchte er in einigen Tagen wieder vorsprechen.«

Der Diener ging.

Von draußen hörte man lebhaftes Sprechen.

Man unterschied die farblose Stimme des Dieners und eine energische, vollklingende Männerstimme, die sich erst allmählich dämpfte, aufhörte und scheinbar im Fortgehen mitgenommen wurde wie eine Aktentasche mit verdächtigem Inhalt.

Jan van Kerken blieb eine Weile unbeweglich sitzen. Dann schleuderte er die Finger der rechten Hand mit einem kurzen Ruck in die Luft, nahm das Schreibtischtelephon, rief einige Nummern an und ging nachlässig auf und ab.

Yvonne kam herein und strahlte im Glanze der neuesten Mode, war wie ein kostbar eingebundenes einfaches lyrisches Gedicht.

Sie sagte gar nicht einmal erst Guten Tag. Etwas gefiel ihr nicht. Ihre Augen fragten. Ihr Mund wölbte sich unmutig. Sie wartete auf irgend etwas. Jan van Kerken ging, ohne sich um sie zu kümmern, auf dem weichen Perser auf und ab, als liefe er den bizarren Mustern nach, die sich vielfarbig in immer neuen Verschlingungen vor seine Füße legten.

»Gibt es Neues?« fragte Yvonne.

Jan sah auf. Er empfand den Augenblick komisch. Diese Frau hatte wirklich trotz ihrer Raffiniertheit kein Gefühl. Sie konnte in diesem Augenblick mit der rehäugigen Blindheit eines Kindes fragen: »Gibt es etwas Neues?«

Dieser Witz machte ihm Freude. Er beschloß, sie auszukosten. Neugierig war er ja, wie sie sich mit ihrem ganzen Modekram abfinden würde, sehr neugierig sogar.

Yvonne war längst bei etwas anderem, plauderte von Besuchen, neuen Verbindungen, die gesellschaftlich möglich waren, fand plötzlich, daß sie ihn langweile und hatte es eilig wieder fortzukommen.

Er sah sie weggehen wie eine gleichgültige Figur im Film. Irgend etwas schimmert auf der Leinwand davon. Dann kommt eine neue bombastische Ueberschrift. Etwas ganz anderes.

Nach einer Stunde, die länger war als eine Stunde – denn Jan van Kerken mußte sie Minute für Minute absitzen – kamen, getrennt von einander, einige Herren. Zunächst ein freundlicher, wohlgenährter Mann, der vorgab, seine Geschäftsfreunde verständigt zu haben. Sie gingen gemütlich durch die behaglichen Räume, schätzten ab, was die einzelnen Dinge wert waren und ließen im gegenseitigen Einverständnis einigen Spielraum, damit das Geschäft Freude mache.

Als die übrigen Herren sich einfanden, war man bereits einig. Auch Jan war guter Dinge, daß sich alles so rasch abwickelte.

Nach einer Weile, als sie gegangen waren, rief er seinen Diener.

»Ich war mit Ihnen sehr zufrieden«, erklärte er dem Verdutzten. »Es gefiele mir in Berlin eigentlich recht gut. Nun habe ich aber allerhand Aufträge und Geschäfte zu erledigen, die die Verlegung meines Wohnsitzes gegeben erscheinen lassen. Ich habe Ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt und Ihren Lohn für ein ganzes Jahr bereitgestellt. Gefällt Ihnen das so oder haben Sie noch Wünsche? Sprechen Sie sie ruhig aus, denn ich habe Sie sehr geschätzt.«

Der Diener verneinte und sagte: »Sie sind sehr großzügig und sind es immer gewesen, Herr van Kerken! Ich wünsche Ihnen einen guten Fortgang Ihrer Geschäfte und danke Ihnen für Ihr Vertrauen.«

Nachdem dies geschehen war, klingelte das Telephon.

Nach einer kleinen halben Stunde kam der freundliche Herr, mit dem er die Wohnung prüfend durchschritten hatte, wieder und händigte ihm eine befriedigende Summe aus. Jan zählte das Geld sorgfältig mit der Geste der Belanglosigkeit und verabschiedete den Gast. Dann griff er zum Apparat.

»Bist du selbst am Apparat, Yvonne?«

Ja, sie war es wohl selbst, denn sie maulte, weil sie gestört worden war.

»Es ist notwendig, Yvonne, daß wir Besuche machen. In einer Viertelstunde hole ich dich mit dem Auto.«

Das Telephon gab Geräusche.

Jan lachte.

»Ja, warum denn«, hatte sie gefragt. Jan lachte schallend und sagte dieses »kenntnisreiche« Wort mehrmals vor sich hin: Ja, warum denn ..., ja, warum denn –?

*

Am Abend dieses ereignisvollen Tages saßen sie im Schnellzug nach Wien.

»Ich weiß nicht, warum du mich nicht ins Vertrauen ziehst«, grollte Yvonne. »Ich bin wegen meiner hübschen Wohnung in Sorge.«

»Du hast keine Wohnung mehr«; sagte Jan phlegmatisch.

Sie gab sich einen Ruck und starrte ihn an: »Was habe ich nicht mehr?«

»Deine Wohnung ist eine Handvoll Geldscheine, die ich in der Tasche habe.«

Mit einem Male zeigte sie ein allerliebstes Gesicht und sagte: »Habe ich dich jetzt bekehrt? Darf ich jetzt zu dir ziehen? Jan, ich bin begeistert!«

»Ich habe keine Wohnung mehr«, sagte Jan noch phlegmatischer.

Da zuckte sie abermals zusammen. Aber nun war sie wirklich erschreckt.

»Es ist nicht schlimm«, sagte Jan. »Ich habe das Geld dafür in der Tasche.«

»Nun sage mir doch endlich was los ist!« zischte Yvonne auf.

»Oh«, sagte Jan, »nicht viel –. Das da!« Er zog seine Brieftasche, griff in ein Fach und reichte ihr eine Visitkarte.

Sie nahm sie gespannt und aufgeregt, um ihn sogleich verständnislos anzusehen.

»Ja, was soll ich denn mit deiner Visitkarte, Jan?«

»Oh«, sagte Jan, »es ist nicht die meine. Es ist die des Herrn Jan van Kerken aus Delft. Nicht wahr, meine Liebe, wir ziehen das Fenster ein wenig auf. Es ist wohl ein wenig schwül in unserem Abteil!«

Yvonne brach zusammen und legte ihren blauschwarzen Lockenkopf auf das Reisebrett, das sie aufgeklappt hatte, um zu lesen.

Jan war gerührt und gerächt zugleich. Deshalb legte sich seine wohlberingte, manikürte Hand auf ihren Lockenschopf.

»Oh«, sagte er, »es ist ja nicht schlimm. Die Welt ist eben ein Narrenhaus und verlangt nach Narren.«


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