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12.

Das Telephon auf dem Nachttischchen Jans schrillte leise und diskret, aber unaufschiebbar – –

»Hier Jan van Kerken. Ah, Swirku, Sie sind es? Schon wieder auf den Beinen. Sie können doch kaum vier Stunden geschlafen haben. Sie lachen? Da bleibt mir nichts übrig als auch munter zu werden. In das Parlamentsgebäude soll ich kommen? Vielleicht erwarten Sie mich am Haupteingang! Das Gebäude ist ziemlich groß.«

Jan hing das Telephon ab. Da hatte er nun wieder einmal etwas gesagt! Selbstverständlich würde er kommen und keinen Haken schlagen, denn schließlich war man ein freier Mensch.

Etwas später ging er ohne Ueberhastung an den mächtigen Donaukais entlang, ließ die prunkvollen Hotels, die Standquartiere der ungarischen Magnaten hinter sich, ließ sich von dem kühlen Vormittagshauch des Donauwindes umfächeln und bummelte nach dem Parlament.

Schon das Gebäude war seltsam, war gotisch. Ein Deutscher hatte es erbaut, der ein Stockungar war. Es ragte mit unbeirrbarer Höhensehnsucht in vielen Spitzen und Fensterbogen in die Höhe und doch war etwas unbestimmtes, Asiatisches in seinem Wesen.

Er hatte keine Zeit, diese Gedanken weiter zu verfolgen, denn schon winkte Swirku. Auch ihn empfand Jan van Kerken ähnlich. Sein Körperbau war germanisch. Der Kopf, der darauf saß, zeigte winzigen Schnurrbart, listige Augen, schwarz und immer zu allem bereit, eine Stirne voll rücksichtsloser Vernunft und Scheitelhaar, das fett und blauschwarz wie die Schwanzfeder einer Krähe nach rechts und links hing ...

Ja, eine ganz verdammte Gotik war das, mit der er sich jetzt befaßte.

»Na«, sagte Swirku, gab ihm breit und bieder die Hand, sah ihm in die Augen und klopfte ihm auf die Schultern. »Da hab ich ja gestern einen schönen Unsinn mit Ihnen zusammengeredet!«

»So ganz ausgesprochener Unsinn war es nicht«, verbesserte Jan. »Ich meine die Sache mit meinem Vetter in Wien. Wir sollten ihm eigentlich eine Karte senden. Sie wissen doch seine Adresse in Wien. Ich habe sie augenblicklich nicht im Kopfe, denn es ist immerhin schon einige Zeit vergangen, seit wir uns gesehen haben.«

Swirku hob den Kopf. Sein kurzes Mongolenkinn wollte eigentlich spitz sein, aber es ging nicht. So blieb er weich und geschmeidig, lachte ein wenig.

»Sehen Sie, warum soll ich nicht aufrichtig sein? Sie sind so gewinnend liebenswürdig, Herr van Kerken, daß mir Aufrichtigkeit geradezu Spaß macht.«

»Zwingen Sie Ihre Gefühle nicht, Herr Baron!« sagte Jan van Kerken. »Vielleicht stürbe eines davon. Dann wären Sie schon um ein ganzes Gefühl ärmer. Welch ein schrecklicher Verlust für Sie, Herr Baron!«

Da lachten sie alle beide herzlich. Jan wartete und ging nicht weiter aus sich heraus.

»Gut«, sagte Swirku, »einer muß anfangen! Ich hatte gestern ein langes Telephongespräch von irgend einem Hotel aus mit Ihrem Vetter in Wien. Er ist uns bekannt und in anderer Weise dienlich. Ihr Vetter betonte, daß Sie mit Geschick für den Westen arbeiteten und daß wir Sie zu diesem Zwecke gut verwenden könnten. Er bestellte Ihnen einen Gruß und trug uns auf, mit Ihnen zu verhandeln.«

»Sagen wir einmal«, begann Jan, »Ihr Auftrag ehrte mich. Aber ich habe immer für die Sache der Mitteleuropäer gearbeitet, wenn man eine offene publizistische Tätigkeit »arbeiten« in Ihrem Sinne nennen darf. Ich war bestimmt kein Schurke.«

Jan war aber doch auch innerlich belustigt. Er besaß jetzt also einen Vetter. Insofern war das öffentliche Verhältnis der beiden van Kerken öffentlich geregelt.

Jan war weiter neugierig zu hören, ob auch das Verhältnis Yvonnes zu ihm schon öffentlich geregelt war und sagte: »Sie überschätzen mich. Ich bin in die persönlichen Verhältnisse und Arbeitsmethoden meines Vetters nicht eingeweiht. Nur scheint mir, daß er auch von einer Frau begleitet wird, die anfängt Politik zu machen.«

Da lachte Swirku gerade heraus.

»Keine Winkelzüge, alter Junge, der Sie sind! Ihrer Frau geht es gut. Ihr Vetter hat keinerlei Neigungen, die Sie stören könnten. Er macht Politik und bezahlt Yvonne die Rechnungen, das heißt, er hat bereits mit dieser edlen Tätigkeit begonnen.«

Jan van Kerken machte in diesem Augenblick ein ganz einfältiges Gesicht und versuchte, sich auf die Zunge zu beißen, aber das war wahrhaftig die Mode kleiner Kinder. Deshalb lachte er gerade heraus und sagte: »Ich danke Ihnen für die Uebermittlung dieser freundlichen Familiennachrichten, die mir einen sehr dringlichen Brief, den ich schreiben wollte, ersparen.«

Jan empfand es wirklich komisch, daß es so etwas gab –

Die Stimme Swirkus weckte ihn auf.

»Wollen wir nicht ein wenig hinaufgehen, mein lieber Herr van Kerken?«

»Wenn es Ihnen Freude macht, gewiß!«

Sie schritten durch die weiten Gänge über die Marmortreppen hinauf.

Baron Swirku legte es darauf an, ihm das Parlamentsgebäude zu zeigen.

Sie kamen an den Gemälden vorüber, heißblütig hingemalten Bildern, romantisch, kühn empfunden, die die ungarischen Komitate darstellten. Swirku bemerkte, sicher nicht ohne Absicht, bei jedem Bilde, wenn das Komitat nunmehr in der Gewalt einer Siegermacht sich befand, daß dies heiliger ungarischer Boden sei.

Mächtig und steil hinauflaufend wölbte sich der Kuppelsaal plötzlich empor, eine phantastische Lichtflut ergoß sich aus der Höhe auf die prunkvollen Marmorornamente des Bodens. Swirku machte ein beinahe frommes Gesicht, soweit er dazu fähig war.

»Diese Halle, Herr van Kerken, ist das Symbol des Königszeltes Attilas, unter dem alle Völker gewohnt haben und wieder wohnen werden. Das ist Ungarns Sendung. Ich schwärme dafür, obwohl ich Ukrainer bin.«

Jan war nicht im mindesten pathetisch.

»Um zur Sache zu kommen, mein lieber Baron. Was haben Sie für mich?«

Swirku blieb stehen und blinzelte, um seine Gedanken zu verbergen, in das gleißende Licht der Kuppel hinauf. Ohne Jan van Kerken anzusehen, sagte er:

»Es ist bei uns nicht so wie in Deutschland, wo man sympathische Lager kennt. Wir brauchen alle und jeden, aber wir kennen nur einen Freund – den Ungar.

Aber wir sind Ihnen tief verpflichtet, wenn Sie in der Ukraine etwas für uns tun wollen oder besser gesagt, wenn Sie den Ukrainern selbst ein wenig helfen wollen. Schauen Sie, ich habe das Pech, das Sie in Wien betroffen hat, ganz richtig kommen sehen. Man hat so seine Verbindungen und weiß immer mehr als man sagen darf. Und ich weiß nicht – gehns zu – i wollt halt was für Sie tun.«

Ganz treuherzig stand Swirku vor van Kerken, legte ihm die Hand auf die Schulter, sah ihn mit seinen schwarzen Aeuglein feucht an und streichelte seine Schulter.

Jetzt stand es für Jan fest, daß er mit Kaltblütigkeit eingeseift war, ehe er überhaupt gesprochen hatte.

»In welchem Zimmer haben Sie die Herren von der Ukraine«, fragte er gerade heraus.

»Bitte sehr! Wir haben nur einige ganz kleine Schritte nach dem nächsten Häuserquadrat! Ich wußte nicht, ob ich die Sache mit Ihnen machen kann. Aber ich bin sehr erfreut!«

Damit schritten Sie aus dem Parlamentsgebäude nach einer stillen Straße und verließen damit den Boden, auf dem sich das Leben nach Gesetzen abspielt. Vor einem einfachen Hause hielten sie. Es war eine glänzend weiße Tür, vollkommen neutral, mit einer sauber geputzten Messingklinke. Hatte man sie hinter sich, so stand man in der Welt des unbegrenzten Abenteuers.

*

Die Sonne stand hoch am Himmel, als Jan van Kerken in seinem Hotel erwachte. Signale vorbeifahrender Donaudampfer weckten ihn. Im Kopf ging es ihm schwer herum und bedrückte ihn, obwohl er gestern keinen Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte.

Gab es das überhaupt? War es möglich, daß man mit so primitiven Voraussetzungen und einem ungeschriebenen Kontrakt einen Menschen mit derartigen Mitteln zu freier Verfügung ins Ungewisse sandte. Was war er? Was konnte er? Schreiben und sehen! Gewiß war dies nicht leicht, aber war es so viel, daß es diese Summen ins Gleichgewicht brachte? Er erhob sieh rasch, ging an seinen Schreibtisch, sperrte auf.

Es war kein Trug. Gebündelte russische Währung! Jan kannte dieses Geld nicht. Er mißtraute. Swirku war gerieben, aber bestimmt kein Komiker. Nichts war einfacher, als die Probe auf das Exempel zu machen. Jan zog sich rasch an, nachdem er ein ganz kaltes Bad genommen hatte, denn heute brauchte er unbeirrten Verstand, und klingelte. Er sagte dem diensteifrig erscheinenden Hausgeist, daß er wohl noch einige Zeit bleiben werde, aber inzwischen einmal abrechnen wolle. Nach kurzer Zeit hatte er die Rechnung beglichen. Der Kassier nahm sie anstandlos, nachdem er sie auf ihre Echtheit geprüft hatte.

Jan schritt ins Freie. Die Sache war also in Ordnung, das Geld gut. Er machte ziellose Spaziergänge um den Häuserblock, ließ sich von der Untergrundbahn nach dem Stadtpark werfen, schlenderte gedankenlos um das Hunyadi-Schlößchen, frühstückte irgend ein gepfeffertes Etwas, verklärte es durch einen jener vielen verdächtigen Gesundheitssprudel, deren Wirkung nur der Ungar genau kennt und fuhr wie ein Maulwurf durch die Untergrundröhre ziellos nach seinem Hotel zurück.

Sein Gefühl hatte ihn richtig geleitet. Die Ukrainer erwarteten ihn in seinem Hotel bereits, mittelgroße Gestalten, korrekt und beinahe weibisch in der Mode, aber im Grunde richtige Bauernnaturen mit Herrenlaunen.

Es war nicht ganz behaglich, mit ihnen zusammen zu sein, stellte Jan fest. Man hatte den Eindruck, daß ein geringer Anlaß genügte, sie undurchsichtig zu machen und mit lebensgefährlicher Tücke zu erfüllen. Aus dem Grunde unterschieden sie sich nur durch starkes Parfüm und den Strich der Augenbrauen, die sich über der Nasenwurzel etwas näher kamen als man das sonst sah, von den Ungarn. Der kleinste unter ihnen, Herr Gregorieff, den er schon vom Vortag her kannte, begrüßte ihn freundlich, fragte ihn mit steigender Stimme, ob er gut geschlafen habe und wie es ihm gehe. Jan van Kerken war der Situation, die mit seinem Wohlbefinden nicht das geringste zu tun hatte, gewachsen.

»Ich muß nochmals sagen, meine Herren, daß ich niemals in Rußland und noch viel weniger in der Ukraine war.

»Das ist prächtig für uns«, sagte Herr Grigorieff, »dann kennt man Sie nicht.«

»Ich betone weiter«, blieb van Kerken hartnäckig, »daß ich mit russischen Behörden nie etwas zu tun hatte und daß ich vollständig ohne Beziehungen bin, die doch in diesem Falle nötig sind.«

»Auch das trifft sich gut, dann kennt man Sie in Moskau nicht und wenn man Sie in Moskau nicht kennt, sind Sie für ganz Rußland und noch mehr für die Ukraine unbelastet. Sie sprechen nicht russisch?«

»Ich habe es Student gelernt, wie man eben als junger Mensch alles treibt, was einem gerade in den Weg kommt.«

»Hatten Sie damals Verkehr mit Russen?«

»Nein«, lachte van Kerken gerade heraus, »wie sollte ich ausgerechnet in Antwerpen Gelegenheit dazu gehabt haben. Es waren mir russische Kirchenlieder in die Hände gekommen, deren seltsames Wesen mich fesselte. Ich suchte den sprachlichen Weg dazu und fand ihn.«

»Sie sprechen Französisch?«

»Gewiß, auch Englisch wenn Sie wollen. Mit dem Schwedischen habe ich mich nur sehr wenig befaßt. Ich habe trotzdem Zweifel, ob ich Ihnen dienlich sein kann.«

»Das tut nichts zur Sache«, lächelte Grigorieff. »Ihre Zweifel interessieren uns nicht. Die Hauptsache ist, daß Sie wollen und unsere Anweisungen beachten. Die große Welt, die hinter uns Ukrainern steht, knausert nicht. Sie haben doch das Geld, das Sie erhielten, nicht etwa zur Bank getragen?«

Jan lachte: »Gewiß nicht. Es ist Ihnen wohl nicht ganz leicht gefallen, so viele Rubelscheine auf einen Haufen zu bringen.«

»Es war nicht ganz leicht. Es war ein ganz klein bißchen schwer«, lachte Grigorieff und die Ukrainer, die um ihn saßen und standen, fielen lebhaft ein.

In Jan warnte eine Stimme.

Aber hat man nicht oft etwas versäumt, weil man zu oft auf Warnungen hörte? Geld war da, ein Auftrag war da. Man konnte nicht in den Tag hineinleben, war keinem Staate verpflichtet, war freier Mensch, schadete seiner Heimat nicht. Was zum Teufel hinderte ihn denn, die Hand hinzustrecken und endgültig Ja zu sagen! So bog er seinen rechten Arm auf, steckte ihn durch den Nebel seiner moralischen Widerstände wagrecht hindurch und schlug nochmals ein. Es gab keinen Vertrag, den er zu unterzeichnen hatte.

Eine Kleinigkeit gab es freilich. Grigorieff hatte eine Bestätigung der großen Summe, die Jan van Kerken erhalten hatte. Dies war in der heutigen Welt im Grunde so töricht wie irgend ein Schuldschein, der doch nur ein Vertrauensbeweis ist, den der ernsthafte Richter belächelt. Kam ihm das Geld abhanden, so war dieser Schein immerhin eine Belastung. Was konnte drüben alles geschehen. Angenommen, er wurde verfolgt ...

»Es gibt noch ein Bedenken«, sagte Jan zu Grigorieff, »wir haben uns gestern in die kleinen Maschen eines Rechtsgeschäftes verirrt, auf einem Boden, auf dem es keine Rechtsgeschäfte mehr gibt. Ich muß deshalb jene Bestätigung des Erhalts der Summe, die ich Ihnen gestern gab, zurück erbitten.«

Sofort veränderte sich Grigorieffs Gesicht.

»Halten Sie nie jemand für dümmer, als er ist. Im übrigen ist das doch nur reine Formsache.«

Jan blieb kalt.

»Gesetzt den Fall, ich habe meine Mission für Sie erledigt. Ich bin im Begriffe zurückzukehren. Irgend etwas geht schief oder aber, Sie können mich, der ich für Sie dann wertlos und deshalb lästig bin, zugunsten einer anderen Sache ausnützen. Was machen Sie dann? Sie geben durch dritte oder vierte Hände, weil Sie ja selbst das Land nicht betreten – andernfalls würden Sie mir die Goldrubel nicht anvertrauen oder sie mir wenigstens vorzählen – diese kleine Bestätigung, auf der nicht einmal Ihr Name steht, einem Sowjetspitzel ... Ich kann dann mein Bett im Lehm der Ukraine einen Meter unter dem Boden machen, und Sie haben wieder einen Mann, der den Russen mindestens ein Jahr lang vertrauenswürdig erscheint!«

Jan sah auf.

Grigorieffs Gesicht war verkniffen.

Leichtes fahles Grinsen hing über den Gesichtern der Ukrainer. Rußland war nicht mehr Europa. Jan sah es deutlich. Asien bleckte ihm entgegen.

Jan zuckte die Achseln, verzog keine Miene, schloß ohne Zögern seinen Schreibtisch auf und legte auf den Konferenztisch seines Zimmers ein Bündel Goldrubel nach dem anderen. Als er das letzte Bündel aufgebaut hatte, sagte er: »Hier fehlt eine Kleinigkeit. Ich benötigte sie, um mich von der Echtheit der Scheine zu überzeugen. Ich lege sie in ungarischer Währung wieder dazu.«

Die Ukrainer hatten ohne eine Miene zu verziehen oder ein Wort zu verlieren auf seine Bewegungen geachtet.

»Wissen Sie, Herr van Kerken, was es heißt, Ukrainer zu Feinden zu haben?«

»Ersparen wir uns Phrasen!« sagte Jan trocken. »Sie gehören nicht zum Geschäft. Ukrainer sind Menschen wie alle. Es steht bei Ihnen, ob sie wollen oder nicht. Meine Bedingungen sind unverändert. Diese Geschichte meine Herren ist ein Spiel um Kopf und Kragen. Die Bewerber um solche Missionen sind nicht zahlreich und dann meist nicht ganz geeignet. Nur Abenteurer oder Menschen, die sich treiben lassen, sind von Ihrer Partie. Entweder oder, meine Herren!«

Grigorieff stand auf und glitt unruhig durch das Zimmer. Er überlegte, blieb vor Jan stehen, überprüfte ihn ein letztes Mal, kam zu keinem Ergebnis, ging wieder auf und ab.

»Meine Herren, nehmen Sie meine Zeit nicht unnötig in Anspruch!« klang Jans Stimme in das Schweigen.

»Wenn ...«, sagte Grigorieff.

»Wenn!« höhnte jetzt Jan gerade heraus. »Wenn Sie Mut haben, meine Herren (es war das erstemal, daß Jan Mut für sich in Anspruch nahm), betreiben Sie doch selbst die Angelegenheiten Ihres Volkes. Reisen Sie doch nicht in den Bädern Europas herum und klagen Sie nicht der Welt Ihr Leid. Gehen Sie doch hinein zu Ihrem Volke! Seien Sie seine Führer! Treten Sie an die Spitze der Freiheitsbewegung! – – – Sie schweigen? Wie steht die Partie?«

Grigorieff atmete hart auf, entnahm seiner Brieftasche die Bestätigung der Summe, die Jan erhalten hatte und überreichte sie ihm. Jan zog den Kerzenständer heran, an dem er seine Zigarren anzuzünden pflegte, strich ein Streichholz an, ließ die Flamme groß werden und hielt das Papier darüber, bis er nur ein kleines, am Rande angekohltes Dreieck, das vollkommen weiß war, in der Hand hielt. Dann sagte er langsam:

»Nun, meine Herren, ist unsere Sache eine gemeinsame. Sie sehen, nachdem wir dieses sichtbare Vertrauen zu einander gefaßt haben, bedarf es keiner der Phrasen mehr, an denen die Welt, sowohl die asiatische wie die europäische so reich ist.«

»Wann reisen Sie?« fragte Grigorieff.

»Ich bin nicht gewohnt Zeit zu vertrödeln«, sagte Jan. »Alles übrige ist ja besprochen. Oder bedarf es eines feierlichen Abschiedsdiners unter Mitwirkung aller Interessenten?«

»Nein«, lachte Grigorieff gemütlich, »das ist wahrhaftig nicht nötig. Mein lieber Herr van Kerken, Sie sind wirklich für russische Verhältnisse gar nicht so ungeeignet, wie Sie uns glauben machen wollen ... Fahren Sie mit Glück und enttäuschen Sie uns nicht!«

Hierauf schüttelten ihm die Ukrainer einer nach dem anderen kräftig die Hand und verließen ihn.

Das aufdringliche Parfüm blieb im Zimmer stehen. Dazwischen roch es nach verbranntem Papier. Nur Jans Nase konnte feststellen, daß diese Unterredung wirklich stattgefunden hatte.

Baron Swirku meldete sich. Offenbar hatten ihn die Ukrainer noch im Hause verständigt. Er steckte seinen Mongolenschädel erst sichernd durch die Türe herein, äugte links und rechts und kam über den Teppich auf Jan zugelaufen mit dem Bemerken, er habe ein Stündchen Zeit, sie könnten in den Stadtpark essen gehen. Das war ein Vorschlag, der sich hören ließ. Jan war im Besitz einer sehr bedeutenden Summe, hatte nichts Dringenderes mehr vor sich.

Die Karten lagen sozusagen auf dem Tisch. Swirku mußte mischen und ausgeben.

In der Tat! Swirku gab. Zwei Tage später hatte er den Paß mit allen Visa.

Da geschah etwas Unerwartetes, das er nie aufklären konnte. Swirku wurde verhaftet. Am nächsten Tage warnte ihn ein ungarischer Freund. Man wußte garnicht einmal, wen man in dem Verhafteten vor sich hatte. Der Name stimmte. Sonst aber war alles ungewiß. Man bedeutete Jan van Kerken, daß er seinen Aufenthalt in Budapest beenden möge. Ueberall zuckte man die Achseln und jeder Tag stellte die Schlingen noch enger. Jan wurde so verwirrt, daß er nicht einmal mehr wußte, ob er bolschewistischen Manövern in die Hände gefallen war, oder Männern des Freiheitskampfes. Je länger er darüber nachdachte, desto verworrener erschien alles.

Nach Westen zurück lockte nichts mehr. Im Osten zeigten die Wegpfeile ins Ungewisse. Als er von einem zwecklosen Ausgang spät abends zurückkehrte, teilte man ihm mit, daß ein älterer Herr ihn zu sprechen wünschte. An der Beschreibung erkannte er einen Kriminalkommissar der ungarischen Hauptstadt.


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