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16.

Ein Segelboot glitt durch das Schilf am Seeufer der Villa. Eine hellgekleidete Frauengestalt sprang ins Beiboot.

Als Jan die Veränderung auf der Wasserfläche und am Ufer seines Grundstückes bemerkte, hörte er bereits die Schritte Theas.

Sie hatte noch ihre alte burschikose Art.

»Ungewöhnlich, nicht wahr, mein lieber Herr van Kerken? Vielleicht auch ungesellschaftlich. Aber ich bin immer meine eigenen Wege gegangen, auch da, wo die Wege anders gingen als ich selbst, und nun geben Sie mir schon die Hand!«

Jan van Kerken wußte nicht was er sagen sollte. – Zeit würde vergehen, kostbare Zeit! Er wollte sagen, daß ihn ihr Kommen sehr in Erstaunen setzte. Sie aber nahm das Gespräch lebhaft auf:

»Ich setzte voraus, daß Ihnen eine Segelfahrt mit mir Freude macht?«

Jan würgte an paar Worten. Ihm machte es keine Freude.

»Kommen Sie schon«, sagte Thea unbefangen. »Sie sind uns damals zu schnell aus den Augen gekommen. Ich habe immer eine Schwäche für alte Bekannte gehabt.«

Vielfältiges Wesen ging von ihr aus. In den Papillen flammte es wie versteckte, kampffrohe List. Die Iris der grauen, klugen Augen war gefleckt und kleine rote Aederchen zogen sich aus den Augenwinkeln.

»Starren Sie mich doch nicht so feierlich an«, sagte Thea. »Sie denken sich etwas aus. Meine Augen sind nicht ganz frisch, das kommt vom Schnupfen. Die Seeluft wird im Herbst doch etwas rauh.«

Jan fühlte plötzlich, daß diese Augen Schmerz kannten. Scharf zeichneten sich kleine Falten in den Augenwinkeln ...

Es ist sonderbar, dachte sich Jan, für welche Beobachtungen ich noch Zeit habe. Aber er mußte ihrem Wunsche folgen. Unmöglich war, ihr zu sagen, daß er die politische Polizei fürchte, sein Haus verkauft habe und eben im Begriffe stehe, wieder auf und davon zu gehen.

So folgte er ihr. Das Beiboot stieß vom Ufer ab. Das Boot nahm sie auf und bald darauf strich die schöne Jacht wie ein Falter, mit nur einer einzigen Schwinge schräg gegen den See gelegt, hinunter nach dem Schwielow-See.

Jan führte das Steuer. Thea saß ungezwungen an der Bordkante und lachte ihn an.

»Wie man sich täuschen kann«, begann Jan leichthin, »ich glaubte immer, daß Sie, als ich von Berlin fortging, gegen mich Stimmung machten und nun sitzen Sie mir gegenüber, ich möchte, fast sagen wie ein Kamerad.«

»Wie oft habe ich es Ihnen gesagt, Jan, daß Sie eingebildet sind. Sie haben mich immer sehr leicht genommen, mit mir nie anderes geschwatzt als über Sport und oberflächliche Dinge. Ich verarge es Ihnen nicht. Sie haben mir nur den Hof gemacht, sich aber nie mit mir beschäftigt.«

Der Wind strich durch ihre weiche, goldblonde Haarfülle. Thea kniff die Augen zusammen und versuchte ein komisches Gesicht zu machen.

»Doch reden wir von etwas anderem«, sagte Thea. »Wie geht es Ihrer Frau?«

»Das weiß ich nicht«, sagte Jan einfach und bestimmt. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«

Etwas wie ein Abgrund riß sich plötzlich vor Jan auf.

Die Frage war alltäglich, die Art, in der sie gesteht war, merkwürdig.

»Sie sind ein komischer Mensch«, lachte Thea. »Ich weiß, ich bin taktlos. Aber ein wenig habe ich schon das Recht zu fragen. Ist Ihre Frau nicht mit Ihnen in Berlin?«

»Ich weiß nicht, wo sie sich aufhält. Sie hat es mir nicht verraten«, antwortete Jan sachlich.

Thea sah plötzlich ganz ernst vor sich nieder und schien mit dem Entschluß zu ringen, ob sie dieses Gespräch weiterführen solle.

Da sah sie, daß sie Jan mit irgend etwas wehe getan hatte. Er blieb wortkarg und einsilbig.

»Sie sind sehr schweigsam geworden«, nahm Thea das Gespräch wieder auf. »Ich erkenne nicht an, daß der Mann alles sagen darf und die Frau warten soll, bis er den Ton angibt. Ich wußte wahrhaftig nicht, Jan, daß Sie so altmodisch sind. Aber vielleicht habe ich es falsch gemacht. Ich bin eine schlechte Schauspielerin. Wozu hat man heute Detektive? Also gerade heraus, mein lieber Kamerad von einst: Ihre Frau ist mit einem Manne Ihres Namens in Rom zusammen und ich hatte den Ehrgeiz, Sie in Berlin zu entdecken.«

Jan ließ vor Ueberraschung fast das Steuer fahren. Das Boot wippte aus der Schräglage leicht empor. Thea zuckte nicht zusammen.

»Sie haben mit mir Verstecken gespielt. Alles an Ihnen ist geheimnisvoll. Sie sind voll List und Schläue, lieber Jan und doch sind Sie entsetzlich töricht! Warum haben Sie sich mit mir ins Segelboot gesetzt? Sagte Ihnen Ihr Gefühl nicht, was jetzt kommt?«

Jan sah sie lauernd und zerstreut an. Er selbst war fest. Sein Herz aber war wie ein kleiner Junge und bekam es mit der Angst zu tun. Es war unsagbar lächerlich und so lachte er auch.

»Wie soll man immer voraus wissen, was kommt, liebe Thea?«

Nun war Thea beleidigt und schwieg still. Das Segelboot ging aus dem Wind. Sie verankerten es und ruderten im Beiboot an Land.

Sanft schlingerten die Wellen gegen den Sand des Ufers. Mächtige Eichen mit uralten Stämmen und Kronen, in deren krummen Aesten Sturm und Blitz gehaust hatten, überschatteten hallenartig durchlichteten Wald. Die Sonne stand in goldenen Flecken auf smaragdenem Grün, lautlose Freude der Natur. In der Ferne schimmerten am Ufer ausgehängte Netze und die Dächer einer Fischerei.

Jan fühlte, an diesem Orte gab es kein Ausweichen. Sie schritten beide an einem schmalen hellsandigen Wege ins Waldinnere und jedes suchte nach einem neuen Anfang des Gespräches.

»Wird es Ihnen so schwer, lieber Jan, mit mir einige Worte zu sprechen?«

»Ich bin ein schlechter Gesellschafter«, sagte Jan, »und leicht ungeschicklich!«

»Es gab eine Zeit, wo dies anders war«, sagte Thea langsam.

In ihrer Stimme zitterte plötzlich Schmerz.

Jan schreckte empor. Thea faßte seine Hand und drückte sie herunter.

»Es war nicht leicht damals«, sagte sie einfach. »Man sah uns immer zusammen und sprach von unserer Verbindung. Vater erwartete jeden Tag Ihre Erklärung. Sie selbst ließen durch nichts erkennen, daß diese Annahme falsch war. Sie heirateten eine wildfremde Frau, die niemand kennt. Sie erzählten mir nie von ihr. Ich weiß nicht, daß diese Frau existiert, in Ihrem Leben eine Rolle spielt. Sie aber sind den ganzen Tag um mich und heiraten diese Fremde. Väter sind schwerfällig. Ich hatte keinen Bruder, dem ich mich anvertrauen konnte.«

Jan sah wie Thea sich verwandelte. Lang verhaltener Zorn flammte in ihr auf. Etwas lag in ihren Augen, das ihn zur Wahrheit zwang. Plötzlich sah er, daß sie ihn wirklich geliebt hatte.

»Ich verbiete Ihnen, so zu mir weiter zu sprechen«, sagte er bestimmt und rauh. »Sie sehen immer nur in das Buch Ihres Schicksals, aber nie auf die Seiten des meinigen.«

»Log ich, als ich Ihnen dies vorhielt?« sagte Thea erregt.

»Ich glaube nicht«, sagte Jan. »Aber Sie irren sich. Ich heiratete nicht, sondern ich wurde geheiratet.«

Fassungslos starrte Thea ihn an und rang nach Worten.

»Sie glauben nun, ich sei ein Schwächling gewesen und wenn Sie dies glauben, weiß ich nicht, was ich Ihnen noch sagen soll.«

Thea faßte sich.

»Sie machen sich glatt. Sie ziehen sich in die elegische Reserve zurück. So kommen Sie mir nicht aus. Seit dem Tage, an dem ich zum letzten Male mit Ihnen ahnungslos zusammen war, habe ich auf diese Stunde gewartet. Heute habe ich Sie rücksichtslos geholt. Der Form nach sind wir fremd, durch nichts aneinander gebunden. Sie können gehen, wohin Sie wollen. Ich kann es auch. Aber ich habe eine andere Forderung an Sie, eine ungeschriebene Forderung des Gemütes von Mensch zu Mensch. Wenn Sie schweigen, sind Sie in Wahrheit ein Feigling, ein Mensch ohne Wesen, etwas, an das ich meine Zeit verschwendet habe, etwas, das wert ist, ausgelöscht zu werden, etwas, vor dem jeder geschützt werden muß.«

»Glauben Sie das wirklich alles von mir?«

»Noch nicht«, sagte Thea. »Deshalb bin ich gekommen, Sie zu fragen.«

In Jan van Kerken krümmte sich etwas zusammen. Ist ein Mensch wirklich wert, daß ihm ein anderer von seiner Seele spricht?

»Es ist mir ungewohnt. Es gibt eine unwägbare Schuld, die die Seele wie in einen tötenden Reif hüllt, sie von Grund auf verbrennt.«

»Muß ich glauben, daß Sie ein Lügner sind, an dem kein Korn wahr und echt ist?«

Jan fühlte seinen Widerstand schwächer werden, sah sein Schicksal auf einer Klippe auflaufen, an der jeder Wille zerschellte.

Er konnte mit Theas Liebe, die durch Zorn und Haß, Erregung und sanfte Worte ihn umzitterte wie ein Licht in dichtem Nebel, nichts beginnen. Was erwartete sie, einmal an sein Schicksal gebunden?

Jan kam nicht mehr zur Verstärkung dieser Gegenwehr, denn Thea legte beide Hände auf seine Schultern und hielt ihn mit den Augen unablässig fest.

Jan fühlte, hier gab es keine Möglichkeit des Ausweichens. Trotz flammte in ihm auf und Schmerz, weil er sah was möglich gewesen, durch vollzogene Gestaltung seines Schicksals jetzt unmöglich und für immer ein verlorenes Land der Träume war.

Er machte sich frei, trat einen Schritt zurück, hielt Theas Blick fest und sagte trocken:

»Ich bin nicht Jan van Kerken, ich bin Jan Traberg, irgendeiner, den das Leben wegen Unfähigkeit stranden ließ. Mein Paß ist falsch. Genügt das?«

»Es genügt mir nicht«, sagte Thea und versuchte ein leichtes Zittern zu verbergen.

»Als ich im Elend war«, fuhr Jan fort, »schämte ich mich meiner selbst. Da trug ich meinen Namen in die Vergessenheit. Menschen, die ich nicht kannte, gaben mir einen falschen Paß. Mit diesem falschen Paß in einem falschen Leben warb ich um dich. Genügt dir das?«

»Es genügt mir nicht«, sagte Thea tonlos. Blässe fuhr ihr ins Gesicht bis unter das Haar. Aber sie hielt sich.

»Ein Mädchen kannte mein Geheimnis«, sprach Jan unbeirrt weiter, »und verfolgte mich wie nie ein Mensch verfolgt wurde. Ich liebte sie nicht. Doch erlag ich ihren Drohungen. Das war feig. Genügt es?«

»Es genügt mir nicht«, sagte Thea.

»Es gab keine Möglichkeit dich zu erreichen, auch wenn ich gewollt hätte. Es gab keine Möglichkeit für mich, den letzten Schritt zu tun, weil ich in diesem Leben nicht stehen konnte, in das ich mich heraufgewagt hatte.«

Thea schüttelte den Kopf.

»Hättest du mich aus dem Gefängnis abgeholt, wenn ich den Weg ins Freie suchte? Nie habe ich Güte erfahren, nie ein reines Gefühl erlebt, nie Menschen selbstlos gefunden. Draußen stand ich immer vor den Türen, wo es kalt war und sah durch die Fenster der menschlichen Gesellschaft, hinter denen es warm war. Keinen anderen Weg und Schlüssel hatte ich zu ihr als die Lüge über mich selbst. Nun bin ich verheiratet und ohne Heim und gehöre einem Menschen ohne Seele. Jetzt gehört mir die Welt und bin doch ohne einen ruhigen Ort.

Nur ein einziges Mal holte mich ein barmherziger Mensch. Es war ein Schmuggler. Er ließ mich ins Leben zurücklaufen auf einem guten Boote mit einem falschen Paß. Ich kenne seinen Namen nicht. So bin ich ein Paßfälscher, ein Hochstapler.«

Thea sah ihm mit versagender Kraft in die Augen und schüttelte den Kopf.

»Keine falsche Sentimentalität«, sagte Jan. »Die Gesellschaft ist stärker als das Herz und vielleicht muß es so sein. Vielleicht sichert die Natur so den Fortbestand des Starken, Geraden und Wirklichen gegen das Schwache, Unbeständige und Halbe.«

Tränen drangen wie kleine spitze Pfeile aus den Augen Theas. Verloren in Schmerz und Erkenntnis ließ sie sich langsam auf eine kleine Bodenwellung sinken, preßte die Hände ineinander und sagte traumverloren:

»Dieses Leben ist entzwei! Es gibt keinen Ausweg!«

Wie ein Richterspruch trafen Jan diese Worte. Alle Härte fiel von ihm ab. Endlich konnte das Leid in seiner Brust, das lang Verhärtete, Lastende in seinem Wesen aufbrechen. Er sah den Schmerz Theas, sank nieder und barg seine gehetzten Gedanken und seinen Kopf in ihren mütterlich bergenden Händen.

So blieben sie lange. Es fiel kein Wort. Stille stand zwischen den Eichen. Nur die Wurzeln sprachen unter der fliehenden Wärme der Abendsonne mit leisem Knistern.

Beiden wurde das trunkene Lied der Liebe offenbar. Purpurglühend leuchtete es vor ihnen und sang, schwang in seligen Melodien. Scheu preßten sich ihre Lippen aufeinander, aber Gefahr, Vernichtung, vergeblicher Kampf stand zwischen ihnen. Sie durften dieses purpurne Lied hören, ungelebtes Leben nur ahnen, wie man im Halbschlaf in einer Sekunde viele Jahre durcheilen kann.

In der Ferne schlug ein Hund an.

Stolpernde Schritte kamen näher.

Immer war dieses unerbittliche, weitertreibende Leben da, das nicht gestattete, seine Geleise und seine Gesetze zu verlassen, das das Atmende und das Leblose in das eigenste Wesen verstrickte und sie festhielt bis an ein Ende, das errechnet war.

Jan fühlte dunkel, auch dieses Ende war von seinem Schicksal errechnet und er hatte nichts dabei zu tun als in seiner Bahn weiterzutreiben.

Stumm schritten sie nebeneinander durch den gelichteten Eichenwald zum sandigen Ufer. Jan machte das Beiboot klar. Zart faßte er Theas schmale, blasse Hand und fühlte ihre leichte Last, als sie für den Bruchteil einer Sekunde auf dem Bootsrande stand.

Irgendein blinder Glaube wühlte in ihm, ließ ihn sich wehren gegen das hoffnungslose Eingeständnis seines endgültigen Versagens. Thea stand schon im Boote und sah ihn mit prüfenden Augen an. Da straffte er sich und sagte: »Vielleicht doch! ...«

In Theas Augen leuchtete ein schwaches Fünklein Hoffnung.

»Vielleicht doch –«, sagte sie träumerisch. In der kühlen Abendbrise zog das Segelboot wie ein weißer Falter mit nur einer Schwinge.

Im leisen Schlag des Kielwassers saß Jan van Kerken Thea im Boote gegenüber und sagte seine Lebensbeichte.

Sie unterbrach ihn nicht und machte es ihm nicht schwer. Er ging wie aus einem schwankenden Moore voller Fährlichkeit mit immer festeren Schritten auf das verheißungsvolle Land der Wahrheit los und wurde in ihm heimisch.

Alle Furcht war vor ihm abgefallen weil er sich einem Menschen gegenüberfand, den er mit Hoffnung erfüllt hatte.

Zwei Ziele waren es, die gewonnen werden mußten: Sein alter Name, den er so leichtsinnig aus einem jungenhaften Schamgefühl heraus weggeworfen hatte und vor allem seine Freiheit.

Dies sagte er Thea mit einfachen Worten.

Fröhlichkeit huschte über ihr Gesicht und glänzte auf ihren rotgeküßten Lippen. Mit befreiendem Aufatmen strich sie sich die blonden Haare, in denen schon der feuchte Nebel des Abends hing, aus der Stirne.

An einem Waldsaum, nahe seinem Landhäuschen, ging ihr Segelboot aus dem Wind. Sie ließ es leicht ankern. Dann brachte sie Jan van Kerken in dem Beiboot an Land.

Aufrecht stand sie im Boote. Fast gespenstisch schimmerte ihr Kleid in der Abenddämmerung und ihr heller Mantel bewegte sich leicht im Wind.

Jan van Kerken war es, als müsse er zurück in die Jolle, als dürfe er nicht loskommen von diesem festen Grunde, den er eben gewonnen.

»Gute Fahrt und Nachricht!« rief Thea noch einmal. Dann trieb sie die Jolle zurück zum Segelboote und mit vollem Winde stieß es in die Dämmerung. Wässerig blinkte vom Himmel die Deichsel des Wagens aus den Wolken. Das Fahrzeug des Himmels blieb versunken. Träge schleckten die Wellen an den Strand. Aus dem Schilfe quarrten schlaftrunken Wildenten.

Jan van Kerken starrte in die Nacht hinaus, bis nichts mehr zu sehen war, ging nach seinem Hause und machte sich fertig.


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