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5.

Berlin war keine einfache Angelegenheit, sondern ein Wettrennen von fünf Millionen Menschen um Brot, ein Wettrennen von Menschen, die unter dem Druck der Steuerfron für alle Welt doppelt arbeiteten und, wenn sie verzagt wurden, auch doppelt leichtsinnig waren.

Jan van Kerken hatte es nicht schwer. Er machte Besuche, informierte sich, fing an, für englische Blätter zu schreiben; bekam mit der amerikanischen Presse Fühlung und legte auch da und dort in einem deutschen Blatte seine Ansichten nieder. Was er sah, gab er ehrlich. So konnte er gerade gegen Tendenz und Verleumdung mit sicherer Glaubwürdigkeit ankämpfen. Man wurde auf ihn aufmerksam. Die Aemter interessierten sich. Man fand den Aufenthalt solcher Neutraler angenehm und begann ihn mit Fahrtangeboten und Einladungen zu überhäufen. Es war selbstverständlich, daß man seine Arbeiten honorierte und es war ebenso selbstverständlich, daß sich alle Gesellschaftskreise ihm erschlossen. Jan van Kerken hatte viel nachzuholen und betrieb dies mit großer Heimlichkeit, um zu verbergen, daß er kein Mann von Welt gewesen war. Er lernte in Jüterbog Auto fahren, erwarb sich in Magdeburg den Führerschein, pflegte in einem Vorort Berlins die Reitkunst und im Norden Brandenburgs das Waidwerk. Ueberall verwendete er seine Eindrücke zur Aufklärungsarbeit und hatte selbst Freude an diesem Tun und Lassen, das ihn in einen gehobenen Lebenskreis stellte und als ehrenhafte Arbeit auch befriedigte.

Später verführte ihn ein Teufel, Tennisspielen zu lernen. Auch dies betrieb er heimlich. Aber als er es konnte, ergab sich später in einem vornehmen Berliner Hause eine Einladung der Tochter, ihr Partner zu sein.

Es war ein schöner Spielplatz in Grunewald, echter Leistikowhintergrund, davor weltverwöhnte Jugend und solche, die es noch sein wollte oder mußte. Man kam und verschwand im eigenen Auto und kümmerte sich nicht viel um einander, außer wenn man wollte.

Ihre Armbanduhr zeigte die elfte Stunde, als Thea es schön fand, mit Jan zu spielen. Sie dachte sich nicht viel dabei. Er gefiel ihr und war offenbar nicht aus Porzellan. Das genügte für den Tag.

Jan war doch einigermaßen aus Porzellan und spürte, als sie weggefahren war, eine gähnende Leere, die ihn arbeitsunfähig machte. Gerade dies war er nicht gewöhnt. Jan stellte kurz entschlossen mit ihr Fernverbindung her.

Er ging in Gesellschaften, in denen auch sie erscheinen mußte und schnitt sie in einer so peinlich korrekten Weise, daß sie wütend wurde, während er sich Kälte aufzwang. Das Ergebnis dieses einfachen seelischen Experimentes war, daß sie sich aus dem Gegenschlag des Wutgefühls heraus im Unterbewußtsein in die Rolle der Unterlegenen gab und, noch im Haß, ihn auf ihre Art zu lieben begann.

Fast über Nacht wurde er von der Familie zum Anschluß kommandiert. Er konnte sich selbst keine Rechenschaft geben, wie dies zugegangen war. Unabänderlich schien es jedenfalls, denn es war undenkbar, diese Leute mit ihrem Einflußkreise gegen sich zu verstimmen. Man empfand es in den Kreisen der Gesellschaft als eine Art stillschweigender Kameradschaft, wenn beide gemeinsam Veranstaltungen, Museen und Sportplätze besuchten.

Jan reizte es – seine Geschäfte waren außerordentlich einträglich – zu zeigen, daß er nicht arm sei. Hatte er bei der Bank zu tun, so wurde das im Vorübergehen mit Thea erledigt, die gerissen genug war, sich zu sagen, daß dieser Mann nun ernste Absichten hege. Jetzt war sie auch befangen genug, um daraus nicht mehr wie früher ein kleines, zu nichts verpflichtendes Tageserlebnis zu machen. Sie traten in die Kassenhalle einer Großbank, und da sie die Fangtüre nicht genügend beachtet hatten, kamen sie zugleich, einander streifend, in den Kassenraum. Thea nahm Platz und wartete, mit grauen, flinken Blicken den Saal musternd. Jan trat an den Schalter. Die Geschäfte wickelten sich nüchtern und rasch ab.

Der Beamte wurde plötzlich durch irgend eine Frage oder Anordnung einer höheren Stelle vom Schalter fortgerufen.

Jan stand gelangweilt, etwas nervös vor Eile, fertig zu werden.

Thea zeichnete wesenlose kleine Figuren mit der Fußspitze.

Da geschah etwas Unerwartetes. Ein zierliches junges Mädchen mit schwarzem Haar, in sehr guter Kleidung, betrat den Schalterraum, blickte eine Sekunde auf die Schalteröffnung, ging ruhig ohne Aufregung auf Jan van Kerken zu, legte – Thea konnte es nicht sehen – ihre schmale sichere Hand auf die planlos auf der Schalterfläche liegende Hand Jans und sagte nichts weiter als: »Heute Abend neun Uhr bist du an der Siegessäule, wo ich dich erwarte. Zwinge mich nicht zu anderen Mitteln, Jan Traberg!«

Sie nahm irgend ein paar Zettel oder Bogen als hätte sie etwas in dem Raume gesucht, wartete keine Antwort irgendwelcher Art ab und ging ebenso dienstlich zurück, wie sie gekommen war.

Da stand nun Jan, als er gerade wieder einmal durch eine Pforte des Aufstieges hindurchgehen wollte. Es war fraglich, ob Thea, wenn sie schon nichts gemerkt hatte, nicht gefühlsmäßig irgend etwas von dem Vorgang aufgefangen hatte. Das Blitzartige des ganzen Vorganges hatte ihn innerlich vollständig verwirrt.

Er überlegte rasch, ob es nicht Zweck habe, seine Spur aufs Neue zu verwischen. Im gleichen Augenblicke sah er indes ein, daß dies jetzt nicht mehr möglich war. Er war zu bekannt. Er hatte leider wieder einen Namen und keine Möglichkeit, ihn ein zweites Mal zu vertauschen.

Forschend sah ihn Thea von der Seite an, als sie wieder auf der Straße standen, und fragte nebenbei, ob er einen finanziellen Mißerfolg erlitten habe. Jan van Kerken mußte lachen, ganz natürlich und einfach lachen, was auch Thea wiederum heiter stimmte. Wenn es bloß finanzielle Mißerfolge gewesen wären! So aber ging es um den Raum, in dem sich sein Leben abspielen sollte, um die Raumgewinnung für ein Leben seiner Art, das auf seine Weise gelebt werden mußte.

Thea entschwand im eigenen Auto, das sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt bestellt hatte.

Jan van Kerken machte sich für diesen Nachmittag vollständig frei.

*

In einer verkehrsarmen Gegend aß er ein ganz bescheidenes Mittagessen, so einfach wie er es als Student genommen hatte; einen Löffel Suppe, ein Stückchen ausgekochtes Rindfleisch und ein kleines Etwas, das Gemüsebeilage Vorstellen sollte. Dafür zahlte er mit einer Münze, die er in einer Ecke seiner Tasche fand, ohne nach der Börse greifen zu müssen.

Nach der Mahlzeit fühlte Jan, daß er noch bescheiden sein und darben konnte, wenn es die Umstände von ihm verlangten. Dessen war er froh, denn was kommen sollte, war keine Kleinigkeit. Es war eine sonderbare, ernsthafte und unerbittliche Abrechnung mit den Erlebnissen seiner Jugend, die ihn belastet hatten. Er ließ sich von einem Bummelzüglein nach dem Schlachtensee hinausfahren und sah, auf der Terrasse eines kleinen Cafés selbstverloren sitzend, in den grünlichen Wasserspiegel nachdenklich eine Lichtstunde um die andere versinken.

Schließlich dämmerte es.

War er ins Meer gelaufen und zurückgefahren, ins Elend gesunken und vom Schicksal heraufgehoben, um vor einem Mädchen schon von vornherein die Waffen strecken zu müssen, das nur die Hartnäckigkeit besaß, ihn beherrschen zu wollen und diesem Ziele gegenüber keinen Widerstand kannte. Es ist immer wieder die alte Eselei. Irgendwo sind zwei Menschen jung. Der eine ist bedeutend älter, aber noch sehr jung, fast ein Kind. Der andere aber, ein komischer Gegensatz, fast noch ein Kind, aber innerlich weiß Gott wie erfahren und angeflogen von dem Raffinement dieser Welt, so durchtrieben, daß er nichts mehr zu erlernen brauchte.

Das alte Kind ist Jan, und die raffinierte Jugend, Yvonne.

Der Schauplatz ist Gent. Die Geschichte ist nicht besonders bemerkenswert, wenn auch ein wenig romantisch.

Da ist der alte Kanal von Gent. Unberührt von Jahrhunderten schauen die Wunderwerke gotischer, flämischer Baukunst in das Wasser, blühende Bäume duften und der Frühjahrsgeruch des Wassers, nicht häßlich wie sonst in Großstädten, sondern altheimelig, legt sich dazwischen. In unendlichem Zauber fließen Natur und Mensch zusammen. So geht es den jungen Leuten. Am Tage zuvor haben sie sich noch kaum gekannt, am Abend hernach strömen ihre Seelen zusammen, das heißt nicht ganz so, denn Jan scheut die Mädchen. Sie sind ihm unter Umständen zu nah, zu wesentlich.

Nach einigen gemeinsamen Mondscheingängen entgleitet Jan. Scheinbar spurlos. Aber Yvonne fandet diese Spur und seltsamerweise sind auch schon die Eltern dabei, wie man sich unvermutet trifft. Ihre, nicht die seinen. Ihr Vater ist Holländer, ihre Mutter Französin.

Man findet Gefallen an dem jungen Mann.

Aber der junge Mann entgleitet. Nun beginnt der Kampf. Ueberall und nirgends spielt er. Yvonne sagt es ihm ins Gesicht, daß sie ihn haben muß, daß sie ihn erzwingt, lacht ihn wegen seines Widerstandes aus, weil er ja viel zu schwach dazu sei.

Wieder ein Mondscheingang.

Jan küßt sie und entgleitet, jagt seinem Leben nach, hört und sieht nichts mehr von ihr, prallt in Köln auf sie. Soll er nun in Berlin – wie kam sie hierher? – scheitern, weil sich ein verrücktes Frauenzimmer, das nicht einmal zwingende Rechte an ihm hat, sich in den Kopf setzt, ihn an ihren holländischen Schleppkahn zu seilen? –

Der Oberkellner kratzt mit den Absätzen durch den Kies. Eine Sommerwanze denkt er. – Der Mann ißt und trinkt nichts, Wo soll unsereiner sein Trinkgeld herbekommen? – Er schlurft nachdenklicher.

Jan fährt aus seinem Nachdenken hoch und sieht, daß überall Dämmerung liegt. Er verschmäht einen Nachtimbiß.

Schlag neun Uhr – es wird unvermeidlich sein!


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