Albrecht Schaeffer
Das Prisma
Albrecht Schaeffer

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Die Rosse der Hedschra

Die Nacht schob den zackigen Rand ihres Schattens über die östliche Halbkugel hin; Mekka und die Wüste um Mekka verschwanden darin so rasch, wie wenn eine Hand schwarzes Papier vor ein bemaltes Glas hinschöbe. Aber die Nacht über der Stadt flammte von mitgezogenen Myriaden der Sterne.

Sobald dies vollzogen war, traten aus der hinteren Tür eines nahe der Stadtmauer gelegenen Hauses nacheinander fünf Männer, deren jeder ein gesatteltes und gezäumtes Pferd am Kopfe führte, in den Garten. Nur der letzte ging zwischen zwei Rossen, einem hellen und einem dunklen, Ali, der das eigene und das Pferd des Propheten führte. Sie fanden die vorbereitete Bresche in der zerfallenden Mauer; als die Pferde über den Schutt geklettert waren und Ali sich umsah, war auch Mohammed hinter ihm, einen Säbel in der einen Hand, in der andern einen kleinen Teppich tragend. Er winkte den Seinen zu warten, ging zehn Schritt über die sinkende Gras-Halde abwärts, und die still bei den Pferden Stehenden sahen ihn im Sternlicht der mondlosen Nacht den Teppich niederbreiten und knien und bald in Pausen seinen betenden Leib gegen die Sterne empor, bald 508 vorneüber geworfen. Ihre Ungeduld meisternd, versenkten sie die Blicke in das kühle Feuer des Firmaments, schweigsam mit dem schweigenden Vorbeter die gnädige Achtsamkeit Allahs auf ihre Flucht erflehend.

Mohammed erhob sich und winkte. Einzeln, wie sie herankamen, empfing jeder den Ermutigungs-Blick der Treue aus seinem dringlich genäherten Auge und stieg zu Pferd. Von dem Teppich, auf dem er stand, hob er selber den Fuß zum Bügel und ließ ihn, wo er lag; ein Zeichen, daß er es verschmähte, von dem Boden der gottesfeindlichen Stadt den Fuß zuletzt zu erheben. Doch schien es den Jüngern, als ließe er etwas Heiliges zurück: die Berührungen seines Leibes und seiner Lippen auf dem verewigten Gewebe.

Da Alle in Sätteln saßen, bewegte Mohammed die dunkelbraune Fuchs-Stute, die er ritt, an die Spitze der Fünf. Sie trabte weich an; fast lautlos in dem Grasboden folgten die Übrigen. Die Sterne loderten unruhig; dunkel standen die Palmen-Wäldchen, dunkel ruhte das Ufer bebauten Landes, jenseits dessen das bleiche Meer der Sand-Wüste schimmerte, ein weißer Streif unter der schwarzen Wölbung voll Lichter.

Abu Bekr, der kundig war, ihren Weg in den Gestirnen zu lesen, bezeichnete mit zwei leisen Rufen dem vor ihm reitenden Propheten einen stark und bläulich blitzenden Stern gerade vor ihnen als den, unter welchem das Ziel ihrer Flucht, Medina, sich berge. Mohammed erwiderte nichts; die Spitzen seiner Bügelschuhe rührten leicht an die 509 Flanken der Stute, und sie jagte. Die Begleiter folgten mit gleicher Schnelle; unsichtbar, wie in der Unendlichkeit ihres Glaubens das Paradies, sahen sie Medina in der Unendlichkeit des Dunkels, sicher der einen wie des andern. Der junge Ben Hassan, als Letzter reitend, atmete tief auf, setzte sich fester und ergab sich mit einem Jauchzen seines Leibes dem Gefühl des lebendigen Rumpfes zwischen seinen Schenkeln und der jugendlichen Wonne des Hinfliegens durch eiskalten Wind. Die erlesenen Rosse heißen und reinen Blutes stürmten mit so glatter Bewegung über die Ebene hin, daß jeder der Reiter einen gefüllten Becher auf der Hand hätte tragen können, ohne einen Tropfen zu verschütten. Der rasende Lauf war den Tieren Natur; ebenmäßig schlugen die Herzen, ebenmäßig strömten die Lungen. Mit gestreckten Schenkeln, die sich vom Bügel bis in das Hüftgelenk spannten, saßen die Reiter zwischen den Sattel-Lehnen, unbewegt, als ob sie in Schiffen führen, eingefügt in die Leiber der Tiere, die Häupter frei in der Flut des Barmherzigen. Hügel des Sandes tauchten auf, wurden umritten oder leicht überjagt. Sie hielten kurze Rast in halbstündigen Pausen, horchend auf das lautere Rosse-Keuchen, das Klappern der Gebisse, und glaubten das Licht in den Sternen rieseln zu hören wie Wasser.

Als nach zwei Stunden des Rittes Abu Bekr vorsprengend den Zug zur Linken hinüber schwenkte, als bald darauf die Wedel zweier Palmen sichtbar wurden und sie halt machten bei der Zisterne: um diese Zeit brach der Säbel-Schwarm der Koreïschiten mordgierig in das verlassene Haus an 510 der Stadt-Mauer und fand es leer. Alsbald fuhr ein zweiter größerer Reiter-Haufe dem ersten nach und die Nacht durch, ohne ihn je zu erreichen.

Über das Mauer-Rund des Brunnens gebeugt, sah der stille Prophet unten die Sterne glitzern, bis der hinabgleitende Eimer aus ihren Lichtern einen Wirbel von Funken zog. Der Eimer kam triefend herauf; Ali, der Schöpfer, bot ihn dem Propheten, der aber, den Becher im Gürtel zurückhaltend, stumm und ernst auf die Pferde wies. Die Männer standen durstig, während Eins nach dem Andern getränkt wurde aus dem Eimer auf Alis Knie; und Alle hörten wie einem Gebet dem langen einsilbigen Schlürfen zu. Jedes legte, wie wenn es dankte, sattgetrunken das Kinn auf die Schulter des Tränkenden. Die Herzen der Menschen brannten, als sie es sahen. Ali hielt die Sprache nicht in der Brust und sagte fast schluchzend:

Allah Dank für diese heiligen Freunde, die Alles zu wissen scheinen. Sie sorgen für uns, und wir brauchen nicht sorgen.

Nun senkten Einer nach dem Andern auch die Männer ihre Becher in den Eimer, doch sie tranken nicht, bis der Letzte, Mohammed, den seinen gefüllt hatte. Der sagte, das Gefäß voller Sterne mit den Händen umfassend, tief und langsam:

Im Namen des allbarmherzigen Gottes. Ihm sei Dank für die Gabe des erquickenden Wassers. Wie dieser Brunnen sich füllt aus dem Überflusse des Himmels, so füllt sich die irdische Seele mit Gott. Sein Name sei gelobt. 511

Als sie getrunken hatten, sprach Abu Bekr:

Die Seele Dessen, der sich aus den ewigen Quellen füllte, giebt jedem Dürstenden unerschöpflicher als dieser Brunnen.

Die Stimmen der Fünf beschlossen murmelnd im Chor:

Es ist kein Gott außer der Gott, und Mohammed ist sein Prophet.

Mohammed blickte stumm nach oben. Heilige Nacht! betete sein Herz, kehre immer so friedlich wieder, wenn ich die Ruhstatt gefunden habe, so friedlich, wie heute mein Herz ist; so friedlich wie der Sinn dieser Tiere.

Eine Minute später saßen sie wieder in den Sätteln, und die Flucht ging vorwärts.

Aber die Stunden vergingen, und die Nacht schien endlos zu werden. Die Rasten, die häufiger wurden, vergingen ängstlicher im Lauschen auf das Rosse-Atmen, das sich verkürzte und stöhnend ward. Eins der Pferde, Hassans, begann zu husten. Alle hatten von Geifer-Schaum weiße Büge; alle waren naß, als ob sie geschwommen wären. Sie standen mit schlagenden Flanken. Mohammed befühlte die Sehnen an den Innenseiten der Vorderfüße und fand sie heiß wie glühende Drähte. Wieder aufgesessen, versuchten sie zu traben, aber die Aufgeregten weigerten sich anders als im Galopp zu gehn. Sie schienen so unbekümmert um ihr Leben, als ob sie es verlieren könnten und doch laufen würden; laufen, weil es verlangt wurde, tot oder lebendig.

Unwandelbar wie die Gestirne dehnte sich die Unermeßlichkeit der Wüsten; aber die Bewegung der Pferde hatte 512 lange ihr Gleichmaß verloren, und keines lief mehr erhobenen mutigen Hauptes, sondern sie hingen die Hälse, die Augäpfel quollen, die fleischlosen Gesichter riesiger Nüstern zeigten einen Ausdruck von Tollheit und Gram; sie strauchelten, sie ächzten. Und die Männer saßen nicht mehr stumm in ihrem Stolz; sie mußten gegen die Ungebärdigen und Stolpernden die Peitschen, mußten Zurufe, Segens-Worte und Schmeichel-Namen verschwenderisch brauchen. Allein die Stute, die Mohammed trug, die kleinste im Zug und unscheinbarer Farbe, aber die zäheste, warf mit noch ungeminderter Kraft die eisernen Gelenke, hurtig rennend, als käme sie aus der Ewigkeit her wie ein Pfeil. Ihr brauner Leib war bis zur wagrecht nachfliegenden Fahne weiß getupft. An dieser Fahne hafteten die irr hinstierenden Augen der Männer, aufleuchtend, wenn sie mitunter schlank und schön über die Schenkel peitschte. Das war die Fahne, und zehn Leben konnten im Sande liegen, wenn die Fahne wehte.

Dann brach Hassans Hengst zweimal nacheinander in die vorderen Knie, und sie mußten halten. Hastig abspringend versammelten sie sich um das müde Tier, das den Kopf schwankend und unruhig dahin und dorthin wandte, am ganzen Leib zuckte und rasselnd keuchte. Die Hinterhand eingesunken, stand es wie fallend auf weit gespreizten Hufen, und vor ihm gebärdete sich der junge Ben Hassan, den Kopf in den Händen, bis Mohammed ihn zu sich zog und er hell aufweinte:

Sie wollen, sie wollen ja, aber es übersteigt ihre Kraft. 513

Mohammed ging nun von Pferd zu Pferd, liebkoste jedes, sprach ihm zu, und es war, als ob er sie heilte. Sie setzten die angezogenen ruhlosen Füße auf, nickten, hoben die Häupter und stießen den glühenden Atem in weißen Dampf-Strahlen empor. Unermüdlich ging er vom ersten zum letzten und wieder die Reihe durch. Dann ließ er sie sacht auf und nieder führen und sprach tröstlich zu den Reitern von der Gewißheit Gottes. Am Ende stieg er, da sie eben unter einer felsigen Hügel-Kette hielten, die Stufen einer Anhöhe empor, wandte sich gegen Mekka zurück und sprach:

Mein Engel, wo bist du? Du Bote Allahs, mir fehlt deine Stimme, da ich im Zweifel bin. Denn du siehst, o Herr, daß die Kraft dieser Tiere versiegen will, denen du mich anvertraut hast. Nun aber weiß ich nicht, ob die Feinde meine Flucht entdeckt haben oder nicht. Wenn sie mir nicht folgen, so könnten wir ja langsamen Schrittes den nächsten Brunnen erreichen, allda den Tag verbringen und mit neuer Nacht das Ende des Weges vollenden. Wenn sie mir aber folgen, wie lange darf ich noch ruhn, o Herr? Gebietest du mir, die Leiber deiner Erschaffung wie Holz im Feuer zu verbrauchen? Sende, Herr, deinen Vermittler! Stärke mich in dem Zweifel! Und willst du es nicht um meinetwillen, so gedenke doch deiner Tiere.

Er blieb nach diesen Worten still mit geschlossenen Augen, das Antlitz emporgewandt. Endlich öffnete er sie wieder und überschaute die Ebene, die im starken Gestirne-Licht weithin glänzte. Dunkle Punkte wurden in der Ferne erkennbar; sie bewegten sich; die Verfolger. 514

Mohammed stieg ohne zu hasten die Anhöhe hinab und schwang sich in den Sattel. Die Seinen folgten wie stets. Sie ritten den Hügel entlang bis zu einer Stelle, die sich ersteigen ließ. Oben schrie Mohammed mit lauter Stimme dreimal:

Herr, hilf uns, du bist der Gott! und ließ seiner Stute die Zügel.

Im nächsten Augenblick war ein solcher Sturm der Schnelligkeit in die Rosse gefahren, daß die Reiter glaubten, den steilen Hang wie Steine hinunter zu fallen. Es schlug ihnen die Augen zu, die Herzen standen, und lange Zeit war in ihren Sinnen Nichts als ein ungeheures Sausen, als ob sie in Bodenloses hinabflögen. Kein Hufe-Gepolter war mehr zu hören, nur das Brausen des Sturms, der um die vereisten Gesichter schnob. Als sie langsam des Schwindels mächtig, als sie inne wurden, daß sie nicht fielen, sondern eben schwebten, als sie mühsam die Lider aufbrachten, da sahen sie unter sich die Ebene wie einen Strom von Silber dahinschießen. Aber dann erkannte mit Entsetzen ein Jeder, daß unter ihm statt eines Pferdes der riesige Rücken eines Mannes war. Der hatte die Hände über seinem Nacken gefaltet; zur Linken und Rechten aber bewegten sich zwei ungeheure weißsilberne Fächer, die hin und her, auf und nieder brausten. Es waren Fittiche. Und so flogen sie nun im Rauschen der himmlischen Federn statt auf Rossen auf Engeln dahin.

In ihren Herzen stand Seligkeit. Jeder sah die anderen Fünf in geweiteten Räumen auf den rudernden Engeln sitzen, voran der Prophet, und die Ebene glitt unter ihnen 515 wie aus Nichts. Sie wußten das Heilige nicht zu ertragen, Einer nach dem Andern legte das Gesicht in die Hände und überließ sich in Tränen Gott. Mohammed aber hob sich mit Haupt und Armen zu den Feuern Allahs empor und sang in die Höhen: Es ist kein Gott, außer dir, Gott! sang es und sang, bis zwischen den Welten hervor väterlich flüsternd die Antwort schwebte: Und du bist mein Prophet.

Der Knabe Hassan träumte im Paradiese zu sein, wie es ihm der Heilige beschrieb. Er stand in einer Pforte von Silber und blickte in einen Rosen-Garten wie in das Innere einer Rose hinein. Die Stille in den Blumen wurde zu den Augen einer Unsterblichen, die ihn weiblich ansahn und lächelten. Er blickte ohne Ende hinein, bis der Traum-Boden, auf dem er stand, schütterte, rollte und zu donnern begann und endlich in helle Fanfaren zerbrach. Er erkannte erwachend das schmetternde Wiehern seines Hengstes und sah, die Augen erhebend, über einem feuerbegossenen Flor der Wüsten-Blumen, blendend hell in der Sonne des Morgens, Medina, die Stadt, ein weiß und goldenes Märchen. Auf frischen Pferden in spielenden Kräften – ihre Leiber dufteten noch von den himmlischen, die entschwanden – stürmten sie mit feurigen Seelen durch das Feuer des heiligen Tags. Die Flucht war gesegnet. Mohammed hörte die Stimmen seiner Jünger wie einen Sturm in den Himmel fahren:

Gelobt, der wieder in die Schöpfung fuhr,
Weil wir hofften auf die Kreatur! 516

 

Epilog

Das Prisma teilt den einen Strahl
In schöne Farben sieben Mal,
So tuts der Dichter im Gedicht.
Nun seht sie an die Welt verteilt
Und weilend, wie ein Traum verweilt
Das stolze Gelb, das stille Grün,
Das heilige Blau, den Purpur kühn,
Und Ultra, das kein Auge sieht,
Geheimnisvolle Ader zieht.
Jahrhundert stieg, Jahrhundert sank,
Jahrtausend ward ein Übergang,
Es glänzt mit wandelndem Gesicht
Unwandelbar das eine Licht.

 


 


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