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Wilhelmine und ich

Wenn ich filmte, war es meine Gewohnheit, meiner Schwester abends einen Zettel zu schreiben, auf dem ich ihr in ein paar Zeilen mitteilte, wie es mir tagsüber ergangen war, und wann sie mich in der Früh wecken sollte. Sie antwortete mir mit ähnlichen Briefchen, die ich fand, wenn ich nach der Vorstellung nach Hause kam:

»Liebes Willichen! Alles ging fein im Theater. Hoffentlich geht es Dir gut. Es war ausverkauft, großer Erfolg. Du mußt morgen hineingehen, das wird Dich zerstreuen. Habe morgen keinen Film und keine Probe, wecke mich um zehn Uhr. Gute Nacht. Deine Dilly.«

»Liebe Dilly! Hoffentlich ging im Theater alles gut. Ich wünsche Dir eine gute Nacht. Mir geht es auch gut. Schlaf wohl. Deine Dich liebende Wilhelmine.«

»Liebes Kind! Ich bin sehr müde. Bitte um acht Uhr wecken. Im Theater war es himmlisch. Einen Kuß und gute Nacht. Deine Dilly.«

»Liebe Dilly! Ich danke Dir noch, bevor ich schlafen gehe, für all das Gute, was Du mir getan hast. Schlafe gut. Wann wecken? Deine Willy.«

»Guten Morgen, liebes, teures Geburtstagskind! Es lebe hoch, hoch, hoch! Im Theater war es heute wieder prachtvoll. Bitte um zehn Uhr wecken, damit ich lange mit Dir zusammen sein kann. Ich lade Dich zum Schmaus bei Kempinski ein, und abends kannst Du ins Theater gehen. Gute Nacht, edles, treues Schwesterherz. Kuß. Deine Dilly.«

»Geliebte Dilly! Wer sich böse und bedrückt zur Ruhe legt, weilt geistig im Schlaf durch Stunden in der Sphäre des Übels und häuft Trübsal für den kommenden Tag. Laß nicht die Sonne untergehen ob Deinem Zorn. Gute Nacht, mein Engel. Schlaf gut. Deine Dich liebende Willy.«

»Geliebte Willy! Du hast recht wie immer. Es steht wirklich nicht dafür. Dem Heiland hat man die Dornenkrone aufs Haupt gedrückt und seine Hände und Füße mit Nägeln durchbohrt, und er hat alles geduldig ertragen. Auch ich will alle Kränkungen, die man mir zufügt, geduldig ertragen. Bitte, wecke mich morgen erst um zwölf Uhr, ich muß heute nacht noch lernen, denn das Stück soll Mitte März gehen. Da heißt es schon, die mürben Knochen zusammenklauben und feste lernen. Schlaf gut in Deinem neuen Zimmerchen und laß Dir noch Deine Möbel überziehen, Du gutes, liebes Kind. Ich kann Dir keinen Wunsch versagen, weil Du so gut bist und so für mich sorgst. Es wäre meinerseits ein Unrecht, wenn ich Dir etwas abschlagen würde. Im Theater war es sehr schön. Morgen können wir vielleicht Schellfisch mit Senfsoße essen. Nun gute Nacht, Du mein gutes Kind. Kuß. Deine Dilly.«

»Liebes, treues Schwesterherz Willy! Dein Brief war rührend. Auch ich danke Dir für die Liebe und Treue, mit der Du mich umgibst. Gebe Gott, daß es Dir nie an etwas fehlen muß, das ist mein einziger Wunsch. Die Glocken läuten, das neue Jahr beginnt. Adieu, du altes, liebes Jahr. Möge das nächste auch so gut sein! Das neue Jahr beginnt, was wird es bringen? Ob Freud', ob Leid? Wir bleiben die alten, gelt, Willichen? Du liebst mich und ich Dich, und so bleiben wir bis zum Tode. Das liebe Schweinchen, welches Du mir hingestellt hast, ist süß. Ich labe mich an seinem Anblick. Du goldiges, liebes Schweinchen, nun Prosit Neujahr! Alles, was ich auf dieser Welt besitze, bist Du. Behalte mich lieb, schone und pflege Dich. Wecke mich morgen um zehn Uhr, bitte. Es umarmt und küßt Dich Deine treue Schwester Dilly.«

»Liebe Dilly, gutes Kind! Herr Nerking hat angerufen und gesagt, daß aus dem Film wohl nichts werden wird, weil der Herr, der das Geld hergeben soll, sich plötzlich zurückgezogen hat. Da ist nun keine Sicherheit vorhanden, und ohne Sicherheit kann er Dir keinen Filmvertrag schicken. Du wirst wohl nicht böse sein, gelt, Mausi? Denn arbeiten ohne Geld kommt doch gar nicht in Frage. Ich wollte Dir das noch schnell mitteilen, damit Du über diese Angelegenheit unterrichtet bist. Kannst Dich mal ausruhen, das ist auch mal schön. Gute Nacht, liebes Dillichen, schlaf gut. Ein Küßchen. Deine Wilhelmine.«

»Liebe Willy! Bitte um zehn Uhr wecken. Das Theater war übervoll. Es regnete, und ich nahm mir ausnahmsweise ein Auto. Nachricht von Nerking hat mich nicht überrascht, aber es ist gut so. Arbeiten ohne Geld? Dazu ist die Arbeit zu schwer. Du hast recht: kommt gar nicht in Frage! Gute Nacht, schlaf süß, mein Engel. Küßchen. Deine Dilly.«

Solcherart tauschten wir noch spät nachts unsere Gedanken aus und teilten einander die Ereignisse mit, die sich während des Tages zugetragen hatten. Wir waren eben so sehr miteinander verbunden, daß wir uns alles sagen mußten, noch bevor wir schlafen gingen. Daß es natürlich auch manchmal Meinungsverschiedenheiten zwischen uns gab, ist ja nur begreiflich. Das kommt in den besten Familien vor. Aber Wilhelmine zeigte sich immer sehr ruhig und geduldig, und so arteten unsere kleinen Zwistigkeiten nie ins Unermeßliche aus. Ich sagte stets: »Willy, du verstehst mich nicht.« Worauf sie antwortete: »Dazu bin ich auch zu dumm.« Dann gaben wir uns einen Kuß, und es war alles wieder in schönster Ordnung.

Selbstverständlich gab es auch Ohrenbläser und Hetzer, die unseren Frieden stören wollten, fremde Menschen, die sich ungefragt in etwas einmischten, was sie nichts anging, aber die kamen bei mir oder Wilhelmine sehr schlecht an. Sie wurden so nach Noten abgekanzelt, daß sie es nicht wagten, ihre Intrigen ein zweites Mal zu wiederholen.

Wir lebten sehr zurückgezogen und kümmerten uns nur um unsere Arbeit und die Armen. Bei mir ging nie einer von der Tür, der nicht etwas bekommen hätte. Selbst in den schwierigsten Situationen hatte Wilhelmine immer ein Körbchen mit Lebensmitteln für Mensch und Tier bereitstehen. Nur für Tagediebe, die nicht arbeiten wollten und dem lieben Gott bloß den Tag stahlen, hatte ich nie etwas übrig, und von solcher Seite kamen dann auch die unerhörtesten und beleidigendsten Zuschriften, in denen mir alles gewünscht wurde, nur nichts Gutes. Ich kümmerte mich aber nie darum und sagte mir stets: »Leg's zu den übrigen.« Ein Künstler ist eben nicht immer auf Rosen gebettet. Viel Ehr', jawohl, aber auch viel Neid bei denen, die es im Leben zu nichts bringen konnten, weil sie entweder zu faul oder zu dumm waren.

So kam das Jahr 1935 heran. Es war für mich in jeder Beziehung ein glückliches Jahr. Ich errang sehr schöne Theater- und Filmerfolge. Allein fünfmal war ich in Wien, um zu filmen, und bei dieser Gelegenheit besuchten Wilhelmine und ich am 15. Juni Katharina Schratt, die mit meiner Schwester sehr befreundet war. Ich fand sie ungemein frisch und rüstig aussehend, und lieb und freundlich, wie sie stets war, lud sie auch mich gleich zum Essen ein. Ich habe diesen Tag in meinem Kalender rot angestrichen, denn er war für mich ein Freudentag, wie es wenige gibt.

Aber nicht allein in Wien, auch in München und Berlin gab es für mich viel Arbeit, von der unter anderem die Filme »Der Herr ohne Wohnung«, »Der Teufelskerl«, »Der Kampf mit dem Drachen« und »Die große und die kleine Welt« Zeugnis ablegen. Damals pendelte ich ständig zwischen diesen Städten hin und her und dazwischen blieben mir auch immer ein paar Wochen zur Erholung, die ich meistens in Mergentheim und Garmisch-Partenkirchen verbrachte. Rief die Arbeit dann von neuem, hatte ich niemals den Mut, mich taub zu stellen, weil ich während des Krieges am eigenen Leibe verspürt hatte, wie einem zumute ist, wenn man für seine Angehörigen sorgen muß und die Möglichkeit dazu fehlt. Meine Ärzte schimpften zwar stets mit mir und behaupteten, es habe für mich gar keinen Zweck, Kur zu machen, aber ich war nun mal so, und daran ließ sich nichts ändern.

So war das Jahr 1935 in dieser Beziehung ein besonders glückliches Jahr. Ich konnte für meine geliebte Schwester viel sparen, ein Ziel, das ich nie aus den Augen verlor, da sie mir, ich kann es ruhig sagen, ihr ganzes Leben gewidmet hat. Treu und gewissenhaft erfüllte sie das Versprechen, das sie der sterbenden Mutter gab: mich niemals zu verlassen, und deshalb sollte sie auch für den Fall, daß mir etwas zustieß, versorgt sein, und es nicht nötig haben, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. War sie doch nicht nur mein Schutzengel, sondern der Schutzengel der ganzen Familie.

Sie war wohl vom lieben Gott dazu ausersehen, uns alle zu betreuen und denen unter uns, die uns viel zu früh verlassen mußten, über die letzten und schwersten Stunden hinwegzuhelfen. Ich hätte dazu weder die Kraft noch den Mut aufgebracht, weil es mir stets unmöglich war, das Grab eines meiner Angehörigen zu besuchen, geschweige denn einem von ihnen selbst die Augen zuzudrücken. Hätte ich es tun müssen, wäre ich tot zusammengebrochen. Aber alles das hat mir Wilhelmine stets abgenommen, um alles kümmerte sie sich, und so bin ich ihr zu allergrößtem Dank verpflichtet und sorge für sie, damit mein liebes, gutes Willichen, die ihr ganzes Leben lang mir stets zur Seite stand und meine Stütze war, einen gesicherten, ruhigen Lebensabend hat.

Am meisten hatten wir voneinander, wenn wir, wie immer, zusammen verreisten. Im Reisebüro wußte man für solche Zwecke schon Bescheid: zwei Fensterplätze 2. Klasse, Nichtraucher. Auch die Paketfahrt war auf mein zahlreiches Gepäck eingestellt. Ich mußte ja auch immer vielerlei mitnehmen, weil beim Packen jede Art von Wetter Berücksichtigung fand. Wilhelmine war auf alles bedacht, nie fehlte etwas. War es heiß, gab es duftige Kleider und weiße Blusen, bei kaltem Wetter Wolle und Winterpelz, bei Regenwetter Lodenkleidung und Steirerhütchen. So war für jede Witterung vorgesorgt.

Auch unseren Eßkorb mußten wir wegen der Diät stets mit uns führen. Da wurde gewöhnlich ein Hühnchen gebraten, ein paar Eier wurden gekocht, Grahambrot und Obst mitgenommen. Aus dem Speisewagen ließ ich Bouillon servieren, dazu wurde das Hühnchen verspeist. Willy deckte schön auf; im Korb war ja alles vorhanden: Teller, Gläser, Bestecke und Servietten. Als Getränk gab es Tee mit Zitrone und Sacharin. Meistens fingen wir schon kurz nach der Abfahrt des Zuges mit dem Essen an, und immer war es eine feine Angelegenheit, die auch durch Wiederholungen nichts von ihrer Erfreulichkeit verlor.

Mußte ich lernen, überhörte Willy meine Rolle. Danach wurde ein Schläfchen eingeschoben, so daß ich stets frisch und munter am Ziel ankam und je nach der Zeit sofort einen Spaziergang unternehmen konnte. Fuhren wir über München, hielten wir uns dort gewöhnlich ein paar Tage auf, um Grünwald im schönen Isartal zu besuchen und einen Ausflug nach Starnberg und Schloß Berg zu machen. Waren wir in Starnberg, ging es selten ohne eine Dampferfahrt über den See ab, die vier Stunden dauerte und uns erlaubte, die Landschaft zu genießen, ohne uns dabei anzustrengen. Nach Schloß Berg zog mich meine Verehrung für König Ludwig. Ich unterließ es nie, durch den herrlichen Park zur Sühnekapelle zu spazieren. Von dort aus kehrte ich langsam zum Hotel Schloß Berg zurück, speiste zu Mittag, nahm den Tee ein, genoß den Sonnenuntergang und fuhr mit Wilhelmine hochbeglückt über das Erlebte wieder nach München.


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