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Musikalisches Intermezzo

Ich will hier noch von einem Vorhaben berichten, das mir, wenn es gelungen wäre, unsagbare Freude bereitet hätte. Ich hatte nämlich eine große Liebe zur Musik, sie war mein Leben. Ich spielte fleißig und gut Klavier, und wenn ich nur irgend Zeit hatte, studierte ich Gesang, denn ich wollte meine Stimme ausbilden lassen, ohne daß jemand etwas davon erfuhr. Ich wollte alle damit überraschen. Zuerst ahnte auch meine geliebte Mutter nichts, doch als ich meine Übungen zu Hause am Klavier singen mußte, hörte sie es und wurde aufmerksam. Nur vor Wilhelmine und meinem Bruder gelang es mir, meine Absicht zu verheimlichen. Mein Lehrer machte mir große Hoffnungen und sagte: »Sie werden noch sehr schön singen, nur Geduld.«

Als ich ein Jahr studiert hatte, fand ein Probesingen statt, bei dem auch ein Theateragent anwesend war, der, als er mich hörte, völlig aus dem Häuschen geriet und erklärte: »Das halten Sie so geheim? Das geht doch nicht! Sie müssen öffentlich singen. Bedenken Sie doch diese Sensation, wenn es heißt, Adele wird als Sängerin auftreten. Sie singt das Gretchen und die Carmen.« – »Aber ich bin doch noch nicht so weit. Ich studiere doch erst ein Jahr und will erst dann auftreten, wenn es an der Zeit ist.« Der Agent hörte jedoch nicht auf mich und sagte: »Im Sommer müssen Sie in Ischl singen. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Sie singen ja jetzt schon herrlich.« Auch der Lehrer hielt nicht mit Lobeshymnen zurück und meinte, er könnte es verantworten. Gesang war mein Leben und meine schwache Seite. Ich ließ mich also herumkriegen und bereitete mich in aller Stille für die beiden Rollen vor.

Die schönsten Kostüme wurden angefertigt, und erst als alles so weit war, kam ich mit der Sprache heraus und erzählte Wilhelmine, daß ich im Sommer nach Ischl ginge und dort als Margarete in »Faust« debütieren würde. Sie wollte es gar nicht glauben. »Wenn der Begleiter kommt, singe ich dir etwas vor«, sagte ich ihr und konnte ihr ansehen, wie erstaunt sie darüber war, daß ich ein solches Experiment wagen wollte. Als ich ihr aber dann das Gretchen vorgesungen hatte, sagte sie: »Mein Gott, wann hast du denn das gelernt?« Meine Stimme hatte auch wirklich einen schönen Klang, und an Fleiß hatte ich es ja nicht fehlen lassen.

So fuhr ich denn im Sommer nach Ischl. Mein Gastspiel war für den 11. August 1904 angesetzt, den Faust sollte Karl Pfann singen. Ich war zur Vorsicht zuerst nach Gmunden gefahren, wo mein Bruder Christel vier Jahre zuvor in der evangelischen Kirche getraut worden war. Er und meine Schwägerin waren schon zum Sommeraufenthalt dort eingetroffen. Ich erzählte ihnen von meinem Vorhaben, aber sie wußten es schon; sie hatten es durch die Zeitung erfahren. Ich lud sie beide ein, der Vorstellung beizuwohnen, und fuhr mit meiner geliebten Mutter nach Ischl, um die Proben aufzunehmen. Der Kapellmeister und die Sänger waren alle erstaunt und konnten es kaum fassen, daß ich mir bei meinen vielen großen Rollen eine solche Stimme bewahrt hatte. Fast jeder fragte mich, warum ich das täte, es wäre doch gar kein Grund vorhanden, plötzlich Sängerin zu werden. Am Abend der Vorstellung war das kleine Sommertheater total ausverkauft. Ich hörte, der Kaiser sei gekommen, dazu viele Prinzen und Prinzessinnen und alles, was zum Hof gehörte. Während sich der Saal füllte, trällerte ich in der Garderobe meine Skalen und war merkwürdigerweise gar nicht aufgeregt, denn singen war ja mein ein und alles.

Die Ouvertüre nahm ihren Anfang, der Vorhang ging auf. Zuerst hatte Faust seinen Akt zu singen, dann kam mein Auftritt: »Bin weder Fräulein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.« Diese Stelle ging prachtvoll und brachte mir großen Applaus. Ich muß noch erwähnen, daß mein Gesanglehrer einen Ecksitz im Parkett eingenommen hatte und ständig mit seinem Bleistift Bewegungen machte, als ob er die Töne aus mir herausziehen wollte. Er war das von den Unterrichtsstunden her so gewöhnt, bedachte aber nicht, wie sehr er mich damit verwirrte, da ich dauernd zu ihm hinuntersehen mußte. Neben meiner Schwester saß meine Schwägerin, beide starr wie Salzsäulen. Meinem Bruder standen sichtlich die Haare zu Berge, und ich hatte den Eindruck, daß er gar nicht mit mir zufrieden war.

Nun kam der große Akt: »Er liebt mich ...« Musikalisch ging alles wie am Schnürchen, nicht einen Fehler machte ich, aber die Stimme war zu schwach. Schauspielerisch war ich natürlich auf der Höhe, nur mit dem Ton haperte es. Er drang nicht kräftig genug durch, infolgedessen trat im Zuschauerraum eine unheimliche Stille ein, und die Kirchen- und Kerkerszene sowie die Szene am Markt wurden von mir gespielt, aber nicht gesungen. Ich ließ mich jedoch dadurch nicht stören. Ich wollte mein Gretchen singen, und das hatte ich erreicht; allerdings zu meinem Privatvergnügen, denn dem Publikum schien es weniger Vergnügen zu bereiten, obgleich sich der Kaiser nach der Vorstellung sehr huldvoll äußerte. Es sei sehr schön gewesen, nur habe er wenig zu hören bekommen.

Das Ergebnis dieses Abends war also folgendes: Ein verfrühtes Experiment, Stimme vorhanden, jedoch noch zu schwach. Das letztere konnte aber durch Studium noch verbessert werden, und wenn die Lieben dachten, mich durch ihre Mißbilligung zu entmutigen, so hatten sie sich gründlich verrechnet. Nun erst recht. Ich gab mein Gesangsstudium niemals auf, weil es meine Freude war. Später habe ich noch einmal in einem Konzert gesungen, und der Erfolg war ein Beweis dafür, daß ich Stimme hatte.

Als ich mich am Morgen nach der Premiere auf der Ischler Promenade sehen ließ, fielen die Bekannten über mich her, als ob ich silberne Löffel gestohlen hätte. »Ja, wie konnten Sie nur so etwas machen? Wer hat Sie denn dazu verleitet, Adele? Unerhört, ein Verbrechen, sich eine derartige Blöße zu geben!« »Na, wenn schon«, erwiderte ich. »Das ist kein echter und wahrer Künstler, der nicht ein oder zwei Stunden der Entrüstung über sich ergehen lassen kann«, und lachte sie aus.

siehe Bildunterschrift

Friedrich Mitterwurzer                Helene Wilbrandt-Baudius
Joseph Giampietro                Katharina Schratt

Auch zu Wilhelmine kamen sie und erkundigten sich, ob ich denn wahnsinnig geworden sei, und wie sie etwas Derartiges habe zugeben können. – »Erstens hat Adele ihren eigenen Willen. Sie läßt sich weder etwas ein- noch ausreden. Und zweitens, wem hat sie damit einen Schaden zugefügt? Doch nur sich selbst, und den Schaden wird sie schon wiedergutmachen, darauf könnt ihr euch verlassen«, so sprach Wilhelmine, die Gute. Ich konnte keinen Schritt mehr tun, ohne zur Rede gestellt zu werden und hören zu müssen, daß man an meinem Verstande zweifelte, und so blieb mir nichts anderes übrig, als die Flucht nach Gmunden vorzubereiten, um endlich Ruhe zu bekommen. Mein Experiment war auch bald vergessen. Nur einer war wirklich böse: mein Bruder Christel. Er hatte ebenfalls Gesang studiert und bei einer Vorstellung des »Trompeters von Säckingen« in Frankfurt am Main etwas Ähnliches erlebt. Er verlor den Kontakt mit dem Kapellmeister, blieb scheußlich hängen und konnte nun wirklich singen: »Behüt dich Gott, es wär' so schön gewesen, behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein.« Infolgedessen wütete und tobte er gegen die Gesanglehrer und riet mir, lieber mein Geld zu sparen, statt es auf diese Weise zu vergeuden. Ich machte nun den Vorschlag, über die ganze Angelegenheit nicht mehr zu sprechen, und damit war dann auch die alte Eintracht wiederhergestellt. Etwas später erschienen noch verschiedene Telegramme in den Zeitungen, die alle so oder ähnlich lauteten: »Adele, kehre zu deiner Schauspielkunst zurück, es ist alles vergessen.«

siehe Bildunterschrift
siehe Bildunterschrift

Im Spiegel der Zeit


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