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Amerikanisches Gastspiel

siehe Bildunterschrift

Maria Stuart          Privatbild 1895

Trotzdem ich der auserkorene Liebling des Wiener Publikums geworden war und die Direktion viel Geld mit mir verdiente, hatte ich viel Kummer und Sorgen, nicht zuletzt darum, weil die Toiletten, die ich selbst stellen mußte, fast meine gesamte Gage verschlangen. Es traf sich nun, daß ein Impresario aus New York mich in verschiedenen Rollen sah. Er war begeistert und bot mir einen glänzenden Vertrag, durch den ich sofort aller Sorgen enthoben gewesen wäre. Zwei Monate lang tausend Dollar pro Abend und die Reise für drei Personen, erster Kajüte hin und zurück. Dieses Angebot war so verlockend, daß ich nicht umhin konnte, mich damit näher zu befassen und Tag und Nacht daran dachte, wie ich es anstellen könnte, das Gastspiel trotz aller Schwierigkeiten durchzuführen. Ich ging zum Direktor, setzte ihm die ganze Angelegenheit auseinander und sagte ihm, daß ich, wenn er mir diesen Urlaub gewährte, aus allen Sorgen heraus sei, denn ich könnte unmöglich dauernd arbeiten und dabei meiner Bühnentoiletten wegen in noch größere Schulden geraten. Als das nichts half und alles Bitten vergebens war, bereitete ich in aller Stille das Gastspiel vor und fuhr eines Abends mit meiner geliebten Mutter und meinem Bruder zuerst nach Berlin und von dort aus nach Hamburg, wo mein Schiff, die »Normannia«, schon bereitlag.

siehe Bildunterschrift

Das erste Auftreten im Burgtheater

Auch diese Reise sollte nicht ohne Zwischenfall vorübergehen. Wilhelmine begleitete uns zur Bahn und meinte: »Gott soll geben, daß alles gut abgeht.« Ich stieg sofort mit Mutter und Bruder in mein Abteil erster Klasse, verhängte die Fenster und konnte es kaum erwarten, daß sich der Zug in Bewegung setzte. »Einsteigen, meine Herrschaften!« hörte ich rufen und dachte: Gott sei Dank, jetzt geht es los. Nun mag kommen, was will. Da ich das Bedürfnis verspürte, meine Aufregung mit einer Zigarette zu besänftigen, und im Coupé nicht rauchen wollte, ging ich in den Gang hinaus. Sofort prallte ich vor Entsetzen zurück. Vor dem nächsten Abteil stand ein sehr berühmter Journalist, den ich vorhin beim Einsteigen nicht gesehen hatte, der ebenfalls nach Berlin fuhr und, wie er mir harmlos erzählte, mit dem Direktor des Deutschen Volkstheaters dort verabredet war, um Helene Odilon zu engagieren. Schau, schau, dachte ich, das trifft sich ja herrlich. Ich bat den Journalisten himmelhoch, niemandem zu sagen, daß er mich im Zug gesehen habe, denn ich sei heimlich aus Wien abgereist, und zwar in einer dringenden Angelegenheit, die keinen Aufschub dulde. Darauf nahm ich ihm zur Bekräftigung auch noch das Ehrenwort ab, und ich muß sagen, er hat es gehalten, er hat mich nicht verraten.

In Berlin angekommen, fuhren wir gleich zum Lehrter Bahnhof, von dort nach Hamburg und dann auf mein Schiff. Ich hatte nicht weniger als zweiundzwanzig Gepäckstücke mit, für die meine geliebte Mutter und mein Bruder sorgten.

Bis dahin hatte alles geklappt, aber ich war erst ruhig, als sich mein Schiff in Bewegung setzte. Von Southampton aus sandte ich ein Telegramm nach Wien und teilte der Direktion mit, daß ich mein Gastspiel nach Amerika angetreten hätte. Natürlich gab es in Wien große Aufregung, aber der Direktor hatte mich schmählich hintergangen und mir kein Wort davon gesagt, daß er im Begriff stand, eine andere Schauspielerin zu engagieren, die ja nicht notwendig war, da ich meine Pflicht bis zum Äußersten erfüllt und das Gastspiel nur darum angetreten hatte, weil ich keinen anderen Ausweg aus meiner Notlage sah. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, das ist immer mein Wahlspruch gewesen. Und so war es auch. Gott half.

Das Gastspiel begann wenig angenehm, denn die Überfahrt wurde sehr stürmisch, und meine geliebte Mutter, die sehr ängstlich war, sagte immer wieder zu der Stewardeß: »Bringen Sie mir ein Leintuch, damit wir uns zusammenbinden können, meine Kinder und ich, wenn wir untergehen.« Das einzige, was uns Courage einflößen konnte, war ab und zu ein stärkendes Schlückchen, zumal ich mir Gewissensbisse machte, daß ich meine Mutter einer solchen Gefahr ausgesetzt hatte, aber eine Reise ohne Mutter wäre ja gar nicht denkbar gewesen.

Windstärke zehn war schon ein ganz hübscher Sturm. Das große, mächtige Schiff krachte in allen Fugen, und bei jedem Krach meinte Mutti: »Jetzt gehen wir unter.« Zwei Tage dauerte die Reise durch den Sturm länger, und in dieser Zeit kam eine Getränkerechnung von beiläufig siebenhundert Mark zusammen. Zum Glück brauchte ich sie nicht zu zahlen, denn ich hatte ja alles frei.

Bevor ich mit meinen Lieben in New York an Land ging, gab es auf dem Schiff noch einen Presseempfang. Ich mußte erzählen, wie ich zum Theater gekommen und daß meine geliebte Mutter eine große Künstlerin gewesen war, daß unser Vater, ein ehemaliger preußischer Offizier, uns schon als Kinder hatte militärisch schlafen lassen und immer nachgesehen hatte, ob wir auch gerade und ausgestreckt im Bett lagen, daß mein Bruder, der mich begleitete, sehr schöne Bilder malte und meine Schwester Wilhelmine am Hofburgtheater in Wien eine bedeutende Stellung einnahm. Ich selbst sei aus Wien durchgegangen, nur um die Amerikaner zu besuchen und bei dieser Gelegenheit auch meine Kunst zu zeigen. Mit einem Wort, die Zeitungen waren voll von Nachrichten, über die ich selbst staunte.

Als der erste Anprall vorüber war, fanden wir endlich Zeit, uns die Einfahrt in den Hafen von New York anzusehen, die uns förmlich überwältigte. Die Freiheitsstatue, die vielen großen und kleinen Schiffe, der kolossale Betrieb, ein Verkehr, der sich nicht beschreiben läßt – es war auch wirklich ein Anblick, den man nicht alle Tage hat.

Der Abschied vom Kapitän und den Stewards war rührend. Nachdem die Zollbeamten mein Gepäck auf das genaueste untersucht und freigegeben hatten, konnten wir ausgebootet werden und an Land gehen. Im Vestibül des Hotels mußte ich noch einen zweiten Empfang über mich ergehen lassen. Die Herren der Presse bestürmten mich erneut mit tausend Fragen, die ich gar nicht so rasch beantworten konnte, wie sie gestellt wurden. Es ging alles sehr schnell und hastig, und ich muß sagen, daß ich mich vom ersten Augenblick an unbehaglich fühlte.

Am gleichen Abend sollte noch ein großes Bankett stattfinden. Ich war durchaus nicht erfreut darüber, aber ich mußte zu allem ja sagen, sonst wäre man beleidigt gewesen. Als ich nun mit meiner Mutter und meinem Bruder, dessen Arm ich genommen hatte, im Saal erschien, wurde ich zu meiner Überraschung mit einem Tusch und donnerndem Applaus empfangen. Ich sah aber auch in meinem mit Silber bestickten Atlaskleid sehr gut aus. Es wirkte großartig. Da mein Bruder perfekt englisch sprach, und auch ich mich sehr gut in dieser Sprache verständigen konnte, verlief der Empfangsabend programmgemäß.

Mein Gastspiel in der Musikakademie war ein ausgesprochener Erfolg. Für amerikanische Verhältnisse konnte man es einen Sieg auf der ganzen Linie nennen, denn die Amerikaner lieben ja nur Musik und Opern. Das Publikum nahm mich außergewöhnlich freundlich auf, es fehlte an nichts – und trotzdem war ich unglücklich und hatte Heimweh, großes, starkes Heimweh. Und als ich nun erfuhr, daß das Schiff, mit dem ich die Überfahrt gemacht hatte, bei der Rückfahrt untergegangen war, da war es ganz aus. Ich weinte Tag und Nacht. Meine Mutter war verzweifelt, mein Bruder, ein sehr lieber und heiterer Mensch, tat alles, was er nur konnte, um mich zu zerstreuen und aufzurütteln. Vergebens. Ich wurde von einer schweren Melancholie gepackt, die mich nur im Theater, in der Garderobe und auf der Bühne verließ. Kehrte ich aus dem Theater aber in mein Hotel zurück, war die entsetzliche Stimmung wieder da, und ich mußte weinen. Und sehnte die Stunde der Heimkehr herbei, um so mehr, als ich eines Tages von meiner Direktion aus Wien ein Telegramm erhielt mit der Nachricht: »Adele, kehre so bald als möglich zurück, alles verziehen. Die Direktion des Deutschen Volkstheaters.«

Mein Gastspiel ging nun zu Ende, meine Mutter hatte schon alles reisefertig gemacht und nur die Sachen herausbehalten, die ich noch für die letzte Vorstellung, »Eva« von Voß, benötigte. Nur die Abrechnung stand noch aus, und dazu hatte sich mein Bruder, der ein schneidiger Junge war, für alle Fälle mit einem Revolver ausgerüstet, da es sich immerhin um eine große Summe handelte. Als die Herren sahen, daß ihnen ein Mann gegenüberstand, ging auch diese Sache glatt vonstatten.

Wir hatten Wilhelmine telegraphisch den Zeitpunkt unserer Ankunft mitgeteilt, und wer beschreibt unsere Freude, als wir das Lotsenboot sahen und neben dem Lotsen eine kleine, zarte Person: meine Schwester, die sich hatte Urlaub geben lassen, um uns zu überraschen. Geschwind wie ein Affe kletterte sie hinter dem Lotsen die kleine Treppe hinauf und fiel in unsere Arme. Sie wußte gar nicht, wen sie zuerst umarmen sollte, ob Mutti, mich oder unseren Bruder Christel. Die Umstehenden waren ganz gerührt. Ich brach wie ein Backfisch in Tränen aus und hätte eigentlich nicht sagen können, warum. Die ungeheure Anspannung der letzten Wochen und die Freude des Wiedersehens waren wohl schuld daran.


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