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Nachklänge

Theatergeschichten

Bevor ich die Erinnerungen an meine Wiener Zeit beschließe, muß ich noch ein paar kleine Erlebnisse erwähnen, die mir aus diesen Jahren besonders deutlich im Gedächtnis geblieben sind. So etwa meine Begegnung mit Hofrat Pollini im Praterrestaurant »Eisvogel«. Dieses bekannte Lokal mit seiner echten Wiener »Damenkapell'n«, von der der berühmte Volkssänger Guschelbauer das entzückende Couplet sang: »Dö, dö von der Damenkapell'n, dö, dö mit der großen Tschinell'n, dö, dö pumpert im Herz mir herum, macht mir den Schädel ganz dumm, bumm, bumm!«, lockte im Sommer allabendlich Hunderte von Stammgästen durch fesche Wiener Musik und ausgezeichnete Küche an, und man konnte oft keinen Platz bekommen. Auch Künstler ließen sich dort häufig blicken, und so machte ich mich mit meiner Mutter und Wilhelmine eines Tages ebenfalls auf, um im »Eisvogel« Krebse zu essen, Solokrebse, die eine Spezialität des Hauses und immer ganz hervorragend waren. Dazu die Musik und ein Gläschen Bowle, das war schon mal ein nettes Vergnügen, und da meine Mutter noch dazu Geburtstag hatte, durften wir mit Recht fröhlich sein.

Ich hatte schon vorher einen Tisch bestellt, natürlich in Hörweite der Kapelle, und ihn für Mutti mit einem schönen Blumenstrauß schmücken lassen. Die Klänge der Musik drangen durchs offene Fenster ins Zimmer herein, die Speisen und Getränke waren gut und unsere Stimmung dementsprechend. An einem Tisch in unserer Nähe saßen der Hamburger Theaterdirektor Hofrat Pollini, sein Intimus und Geschäftsfreund Hofrat Jauner, der mich für die Iza im »Fall Clémenceau« entdeckt hatte, und mein Kollege Ferdinand Bonn. Wir hatten bei unserem Eintritt hinübergegrüßt, dann aber nicht mehr auf die Herren geachtet. Um so erstaunter war ich, als Jauner plötzlich an unserem Tisch erschien und mit laut vernehmbarer Stimme rief: »Hofrat Pollini will Sie engagieren, Fräulein Sandrock. Bedenken Sie, mit einer Gage von fünfzigtausend Mark und drei Monaten Urlaub. Das ist noch keiner deutschen Schauspielerin geboten worden, das ist mehr als ein glänzendes Engagement, das ist ein Glück, und so etwas kommt nur einmal im Leben vor!«

Ich war über dieses Angebot aus heiterem Himmel ganz verblüfft, und es überkam mich wie ein Traum, so als ob mir jemand ein schönes Märchen erzählte. »Überlegen Sie es sich nicht lange, Adele«, fuhr Jauner in seinem Ausruferton fort. »Mein Freund Pollini ist ein Mann, der sich von momentanen Eingebungen bestimmen läßt. Was du im Augenblick ausgeschlagen, bringt kein Jahrhundert dir zurück. Greifen Sie zu, die Gelegenheit ist günstig. Packen Sie die Gelegenheit beim Schopf!«

Auch jetzt fand ich noch keine Worte, zumal ich glaubte, es handle sich um einen Scherz. Wilhelmine aber meinte: »Und was geschieht mit Adelens Kontrakt mit dem Deutschen Volkstheater?« Sie war eben praktischer als ich und überblickte die gefährliche Situation sofort. Ich dagegen war von dem Angebot überwältigt, und als ich hörte, daß Hofrat Pollini auch die Lappalie eines Pönales auf sich nehmen wollte, weil es ihm auf ein paar tausend Gulden mehr oder weniger nicht ankam, wurde schnell eine Art von Vorvertrag aufgesetzt, und ich unterschrieb das Dokument, ohne mit der Wimper zu zucken. Hofrat Jauner rieb sich die Hände, die Werbung war geglückt.

Aber doch nicht ganz, denn wir hatten die Rechnung ohne meinen Bruder Christel gemacht. Er kam, man beglückwünschte ihn, und als er erfuhr, was geschehen war, gab es ein ziemlich lärmendes Nachspiel. Er behauptete, ich sei überrumpelt worden, forderte sehr energisch das mit meiner Unterschrift versehene Schriftstück zurück, und als man es ihm nach einigem Zögern widerwillig aushändigte, riß er es in tausend Stücke. »Das wäre ja ein Kontraktbruch gewesen«, sagte er.

Die Herren Pollini und Jauner empfahlen sich schleunigst, wir Sandrocks aber blieben noch bei den Klängen der Kapelle beisammen und besprachen noch einmal die Angelegenheit. »Gott sei Dank, daß ich gerade zur rechten Zeit kam«, beschloß mein Bruder die Unterhaltung. »Da hättest du was Schönes angestellt.« Wir tranken noch ein Gläschen auf Muttis Wohl und sangen dann im Sandrockschen Chor: »Dö, dö von der Damenkapell'n, dö, dö mit der großen Tschinell'n, dö, dö pumpert im Herz mir herum und macht mir den Schädel ganz dumm. Bumm, bumm!«

*

Und noch an eine andere »Theater«-Geschichte erinnere ich mich. In Wien war nämlich ein Komitee von Leuten zusammengetreten, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, ein Sandrock-Theater zu gründen. Ich stellte mich, als man mich dazu aufforderte, an ihre Spitze und war bereit, den Kampf aufzunehmen. Denn daß es keine leichte Aufgabe sein würde, wußte ich schon im voraus. Ein Sandrock-Theater, etwas ganz Neues ... Die Botschaft hört' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.

Das erste Ziel war, ein geeignetes Grundstück zu erwerben, und schon damit begannen die Schwierigkeiten. Es sollte möglichst in der Stadt sein, nicht zu abgelegen und bequem zu erreichen. Als ich die Unterhandlungen aufnahm, wurde ich mit Hallo empfangen: »Aber, Gnädigste, was wollen's sich eine solche Last aufbürden. Wir haben eh' Theater genug. Sein's nur froh, wenn dö alle voll san. Außerdem ist es ja eh' ausverkauft, wenn Sie spiel'n. Wozu ein neues Theater? Im Deutschen Volkstheater haben's doch alles, was Sie brauchen.«

Ich sah, daß ich auf diese Weise nicht weiterkam, ging zu einem Bekannten und bat ihn, mir seine Ansicht zu sagen. »Ja«, meinte der, »schaun's, das ist eine G'wissensfrag'. Wenn's gut geht, ist's recht. Wenn's aber schlecht ausgeht, hab' i die Schuld, und des mag i net. Schlagen's sich die Sach' aus dem Kopf, Adele.« – »In meinem Kopf ist die Idee ja gar nicht entstanden«, erwiderte ich. »Dafür ist das Konsortium verantwortlich.« – »Dann lassen's sich von dem Konsortium das Theater fix und fertig bau'n, und wenn's soweit ist, dann spielen's drin.«

Das stimmte mich nachdenklich, und deshalb konsultierte ich noch eine dritte Persönlichkeit. »Was wollen's?« war die entsetzte Antwort. »Ein Theater gründen? Ja, um's Himmels willen, wie sind Sie denn auf eine solche Idee verfallen? Ein Kaffeehaus, wenn's sein muß, aber doch kein Theater! Wissen's denn, was das heißt, ein Theater gründen? Den Kummer, die Sorgen und vor allem die Aufregungen?! Und dann, wann's mich fragen, wir haben ja eh' schon Theater genug, wir brauchen kan neu's. Sie können ja tun, was Sie wollen, i mein' ja nur so, aber wann's schief geht, geben's mir, bitt' schön, keine Schuld.«

Darauf ging ich kurz entschlossen zu dem Komitee und sagte: »Meine Herren, wenn Sie ein Sandrock-Theater bauen wollen, habe ich nichts dagegen, aber auf mich können Sie dabei nicht mehr rechnen. Meine weitere Mitwirkung muß ich Ihnen versagen.« Und so schlummerte dieser Plan sanft ein. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.


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