Felix Salten
Bambi
Felix Salten

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Eines Tages waren sie im Begriff, die kleine Blöße aufzusuchen, tief drinnen im Walde, auf der Bambi dem Alten zuletzt begegnet war. Bambi erzählte Faline begeistert von ihm.

»Vielleicht treffen wir ihn wieder, ich sehne mich nach ihm.«

»Das wäre nett«, sagte Faline dreist, »ich möchte wirklich einmal mit ihm plaudern.« Aber sie sprach nicht die Wahrheit. Denn sie war wohl neugierig, im Grunde jedoch hatte sie Angst vor dem Alten.

Es dämmerte schon hellgrau, der Sonnenaufgang war nahe.

Sie gingen leise nebeneinander, hier, wo die Stauden und Sträucher vereinzelt standen und man nach allen Seiten hin Ausblick hatte. Nicht weit von ihnen rauschte es. Sie blieben sofort stehen und äugten hinüber. Dort schritt langsam und gewaltig der Hirsch durch die Büsche der Blöße zu. Er glich im Zwielicht, das noch keine Farben malte, einem grauen Riesenschatten.

Faline stieß ohne Hemmung einen Schrei aus. Bambi faßte sich. Er war freilich ebenso erschrocken, und das Schreien saß ihm schon in der Kehle. Aber Falines Stimme klang so hilflos, daß er Mitleid empfand und sich bezwang, um sie zu trösten.

»Was ist dir denn?« flüsterte er ganz besorgt, aber seine Stimme zitterte. »Was ist dir denn? Der tut uns ja nichts!«

Faline schrie einfach drauflos.

»Reg' dich doch nicht so entsetzlich auf, Geliebte«, bat Bambi. »Es ist zu lächerlich, vor diesen Herrschaften immer so zu erschrecken. Schließlich sind sie ja unsere Verwandten.«

Aber Faline wollte nichts hören von solcher Verwandtschaft. Sie stand stocksteif, starrte zu dem Hirsch hinüber, der unbekümmert weiterging, und schrie und schrie.

»Nimm dich zusammen«, flehte Bambi, »was soll er denn von uns denken?«

Faline war nicht zu beruhigen. »Er soll sich denken, was er will«, rief sie und schrie wieder auf: »Ah-oh! Ba-oh! . . . es ist übertrieben, so groß zu sein!«

Sie zeterte weiter: »Ba-oh!« und sie fuhr fort: »Laß mich . . . ich kann nicht anders! Ich muß! Ba-oh! Ba-oh! Ba-oh!«

Der Hirsch stand jetzt auf der kleinen Blöße und suchte bedächtig im Gras nach Leckerbissen.

In Bambi, der bald auf die rasende Faline, bald wieder auf den ruhigen Hirsch sah, lehnte sich etwas auf. Mit dem Zuspruch, den er Faline zuteil werden ließ, hatte er seinen eigenen Schrecken überwunden. Jetzt machte er sich den erbärmlichen Zustand zum Vorwurf, in den er jedesmal beim Anblick des Hirsches geriet; es war immer derselbe Zustand, der aus Grauen, Erregtheit, Bewunderung und Unterwürfigkeit quälend gemischt war.

»Das Ganze ist ein Unsinn«, sagte er mit mühsamer Entschlossenheit, »jetzt gehe ich geradeswegs hin und mache mich mit ihm bekannt.«

»Tu das nicht!« schrie Faline, »tu das nicht! Ba-oh! Es geschieht ein Unglück, ba-oh!«

»Ich tu' es unbedingt«, entgegnete Bambi. Der Hirsch, der dort so gelassen schmauste und sich um die jammernde Faline nicht im geringsten kümmerte, schien ihm gar zu hochmütig. Er fühlte sich verletzt und erniedrigt. »Ich gehe«, sagte er, »sei doch still! Du wirst sehen, daß gar nichts geschieht. Warte hier.«

Er ging wirklich. Aber Faline wartete nicht. Sie hatte keine Lust dazu, nicht im geringsten, und auch keinen Mut. Sie machte kehrt, lief davon und schrie; denn sie hielt es für das beste, was sie tun konnte. Man hörte sie immer weiter und weiter weg: »Ba-oh! Ba-oh!«

Gerne wäre Bambi ihr nun gefolgt. Aber das war jetzt nicht mehr so recht möglich. Er nahm sich zusammen und ging vorwärts.

Durch das Gezweige sah er den Hirsch auf der Blöße stehen, das Haupt zu Boden gesenkt.

Bambi fühlte, wie ihm das Herz klopfte, als er hinaustrat.

Der Hirsch hob sogleich das Haupt hoch empor und sah herüber. Dann blickte er wie zerstreut gerade vor sich hin.

Bambi schien das eine wie das andere überaus hochmütig, die Art, wie der Hirsch ihn angeblickt hatte, und die Art, wie er jetzt vor sich hin sah, als sei niemand sonst zugegen.

Bambi wußte nicht, was er tun sollte. Er war mit der festen Absicht herausgekommen, den Hirsch anzusprechen. Guten Morgen, hatte er sagen wollen, ich heiße Bambi . . . darf ich um Ihren werten Namen bitten?

Jawohl! Er hatte sich das sehr einfach vorgestellt, und nun zeigte es sich, daß die Sache doch nicht so einfach war. Was half da die beste Absicht? Bambi wollte nicht gerne ungezogen sein, und das war er, wenn er hier herauskam, ohne ein Wort zu sagen. Er wollte auch nicht zudringlich sein, und das war er, wenn er zu reden anfing.

Der Hirsch stand empörend majestätisch da. Bambi war hingerissen und fühlte sich gedemütigt. Vergebens suchte er sich aufzurütteln und wiederholte immer wieder nur den einen Gedanken: Warum lasse ich mich denn einschüchtern . . .? Ich bin gerade so viel wie er . . . gerade so viel wie er!

Es half nichts. Bambi blieb eingeschüchtert und spürte es im Grunde seines Wesens, daß er doch nicht gerade so viel sei. Lange nicht. Ihm war jämmerlich zumut, und er brauchte seine ganze Kraft, um einigermaßen Haltung zu bewahren.

Der Hirsch sah ihn an und dachte: Er ist reizend . . . er ist wirklich entzückend . . . so hübsch . . . so zierlich . . . so fein in seinem ganzen Benehmen . . . Aber ich darf ihn nicht so anstarren. Das schickt sich wirklich nicht. Außerdem könnte es ihn auch in Verlegenheit bringen.

Und er schaute wieder über Bambi weg ins Leere.

Dieser hochmütige Blick! stellte Bambi fest. Es ist unerträglich, was so einer sich einbildet!

Der Hirsch dachte: Ich möchte gerne mit ihm sprechen . . . er ist so sympathisch . . . wie dumm, daß man nie miteinander redet! Und er blickte nachdenklich vor sich hin.

Ich bin Luft für ihn, sagte Bambi, diese Sippe tut immer, als sei sie ganz allein auf der Welt!

Aber was soll ich zu ihm sagen . . .? überlegte der Hirsch, . . . ich habe keine Übung . . . ich werde eine Dummheit sagen und mich lächerlich machen . . . denn er ist gewiß sehr klug.

Bambi nahm sich zusammen und sah den Hirsch fest an. Wie prächtig er ist! dachte er verzweifelt.

Nun . . . vielleicht ein andermal . . . entschloß sich schließlich der Hirsch und ging unzufrieden, aber herrlich davon.

Bambi blieb verbittert zurück.

 


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