Felix Salten
Bambi
Felix Salten

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Es war Sommer und glühend heiß. In Bambi begann sich die Sehnsucht wieder zu regen, die er schon einmal gefühlt hatte, aber sie war nun viel stärker als früher, sie kochte in seinem Blute und machte ihn ruhelos.

Er streifte weit umher.

Eines Tages traf er Faline. Ganz unerwartet traf er sie, denn seine Gedanken waren gerade sehr verwirrt, seine Sinne so umnebelt von dem ruhelosen Verlangen, von dem er durchwühlt wurde, daß er Faline gar nicht wahrgenommen hatte. Nun stand sie vor ihm. Bambi betrachtete sie eine Weile sprachlos, dann sagte er ergriffen: »Faline . . . wie schön bist du geworden . . .«

Faline entgegnete: »Erkennst du mich denn wieder?«

»Ich sollte dich nicht wiedererkennen!« rief Bambi, »sind wir nicht zusammen aufgewachsen?«

Faline seufzte: »Wir haben uns so lange nicht gesehen . . .« Dann fügte sie hinzu: ». . . man wird einander ja ganz fremd«, aber das war schon wieder ihr leichter, zierlich neckender Ton von einst.

Jetzt blieben sie beisammen.

»Diesen Weg hier«, sagte Bambi nach einiger Zeit, »diesen Weg bin ich als Kind mit meiner Mutter gegangen . . .«

»Er führt zur Wiese«, meinte Faline.

»Auf der Wiese habe ich dich zum erstenmal gesehen«, sagte Bambi ein wenig feierlich, »weißt du das noch?«

»Ja«, erwiderte Faline, »mich und Gobo.« Sie seufzte leichthin: »Der arme Gobo.«

Bambi wiederholte: »Der arme Gobo.«

Nun sprachen sie von damals und fragten einander jeden Augenblick: »Weißt du noch?« Es zeigte sich, daß sie noch alles wußten. Darüber waren sie beide entzückt.

»Draußen, auf der Wiese«, erinnerte Bambi, »haben wir Haschen gespielt . . . weißt du noch?«

»Ich glaube, es war so . . .« sagte Faline und sprang wie der Blitz davon. Bambi blieb zuerst ganz verdutzt zurück, dann sauste er hinterdrein. »Warte! Warte doch!« rief er glücklich.

»Ich warte nicht«, neckte Faline, »ich habe große Eile!« Und in leichten Sätzen zog sie einen Bogen, weithin durch Busch und Gras. Endlich holte Bambi sie ein, versperrte ihr den Weg, und nun standen sie ruhig beisammen. Sie lachten und waren zufrieden.

Plötzlich sprang Faline in die Höhe, als ob sie gestochen wäre, und stob aufs neue davon. Bambi stürzte ihr nach. Faline zog Bogen auf Bogen, warf sich herum und entwischte immer wieder.

»Bleib stehen!« keuchte Bambi. »Bleib doch stehen . . . ich muß dich etwas fragen.«

Faline blieb stehen. »Was mußt du mich fragen?« erkundigte sie sich neugierig.

Bambi schwieg.

»Ach, wenn du nur geschwindelt hast . . .« meinte Faline und wollte sich abwenden.

»Nein!« Bambi sprach schnell: »Bleib doch stehen . . . ich will . . . ich will dich fragen . . . liebst du mich, Faline?«

Sie sah ihn an, noch viel neugieriger als vorhin und ein wenig lauernd: »Ich weiß es nicht.«

»Doch«, drängte Bambi, »du mußt es wissen! Ich weiß es ja auch, ich fühle es ganz deutlich, daß ich dich liebe. Rasend liebe ich dich, Faline. Also sag' mir jetzt, ob du mich liebst.«

»Kann schon sein, daß ich dich lieb hab'«, antwortete sie obenhin.

»Und wirst du bei mir bleiben?« forschte Bambi erregt.

»Wenn du mich schön darum bittest . . .« sagte Faline fröhlich.

»Ich bitte dich, Faline! Geliebte, schöne Faline«, rief Bambi außer sich, »hörst du? Ich bitte dich aus ganzem Herzen!«

»Dann bleibe ich gewiß bei dir«, sprach Faline sanft – und weg war sie.

Entzückt pfeilte Bambi von neuem hinter ihr drein. Faline fegte quer über die Wiese, schlug einen Haken und verschwand im Dickicht. Als aber auch Bambi einen Haken schlug, um ihr zu folgen, da rauschte es stürmisch in den Büschen, und Karus sprang heraus.

»Halt!« rief er.

Bambi begriff nicht. Er war zu sehr mit Faline beschäftigt. »Laß mich vorbei«, sagte er hastig, »ich habe keine Zeit für dich!«

»Fort mit dir!« herrschte Karus ihn böse an. »Augenblicklich fort! Sonst jage ich dich, bis du nicht mehr schnaufen kannst! Ich verbiete dir, Faline nachzulaufen!«

In Bambi erwachte langsam die Erinnerung an die vorige Sommerzeit, da er so oft und so elend davongejagt worden war. Augenblicklich geriet er in Wut. Er sagte kein Wort, sondern warf sich ohne weiteres mit gesenkter Krone auf Karus.

Der Anprall war unwiderstehlich, und Karus lag im Grase, noch ehe er recht wußte, was mit ihm geschah.

Blitzschnell raffte er sich auf, aber kaum stand er wieder auf den Beinen, da traf ihn ein neuer Stoß, daß er taumelte.

»Bambi!« rief er und wollte noch einmal rufen, »Bam . . .« doch ein dritter Stoß, der von seinem Schulterblatt abglitt, erstickte ihn beinahe vor Schmerz.

Karus sprang zur Seite, um dem nochmals anstürmenden Bambi zu entwischen. Er fühlte sich plötzlich merkwürdig schwach. Zugleich erkannte er mit Entsetzen, daß es nun auf Tod und Leben ging. Kalte Angst faßte ihn. Er wandte sich zur Flucht, und aus dem Schweigen Bambis, der ganz nahe hinter ihm dreinsauste, erkannte Karus, daß Bambi von Sinnen, zornig und unerbittlich entschlossen war, ihn zu töten. Das nahm ihm vollends die Fassung. Er wich vom Wege ab, brach mit der letzten Kraft mitten in die Büsche, wollte nichts mehr, dachte nichts mehr, sondern ersehnte nur noch Erbarmen oder Rettung.

Da ließ Bambi mit einem Male von ihm ab und blieb stehen. Karus merkte es gar nicht in seiner Angst und rannte quer durch die Büsche weiter, was er konnte.

Aber Bambi war stehengeblieben, weil er den feinen Ruf Falines gehört hatte. Er horchte, da rief sie wieder, ängstlich, bedrängt. Augenblicklich machte er kehrt und stürmte zurück.

Als er auf die Wiese kam, sah er eben noch, wie Faline, von Ronno verfolgt, ins Dickicht flüchtete.

»Ronno!« rief Bambi. Er wußte nicht, daß er gerufen hatte.

Ronno, der nicht so schnell laufen konnte, weil er durch sein Hinken gehindert war, blieb stehen.

»Sieh da«, sagte er vornehm, »der kleine Bambi! Wünschest du etwas von mir?«

»Ich wünsche«, sprach Bambi ruhig, aber mit einer Stimme, die von verhaltener Kraft und von beherrschtem Zorn ganz verändert war, »ich wünsche, daß du Faline in Ruhe läßt und augenblicklich fortgehst.«

»Weiter nichts?« höhnte Ronno. »Was für ein frecher Bursche du doch geworden bist . . . das hätte ich nie erwartet.«

»Ronno«, sagte Bambi noch leiser, »ich wünsche es für dich. Denn wenn du jetzt nicht sofort gehst, wirst du nachher auf deinen Beinen gerne laufen wollen, aber du wirst nicht mehr laufen können . . .«

»Oho!« rief Ronno erbost, »redest du so mit mir? Weil ich hinke? Man merkt es übrigens gar nicht. Oder glaubst du vielleicht, auch ich fürchte mich vor dir, weil Karus so erbärmlich feige war? Ich rate dir in gutem . . .«

»Nein, Ronno«, unterbrach ihn Bambi, »ich bin es, der dir einen Rat gibt. Geh fort!« Seine Stimme zitterte. »Du bist mir immer lieb gewesen, Ronno. Ich habe dich für sehr klug gehalten, und ich hatte Achtung vor dir, weil du viel älter bist als ich. Ich sage dir nun zum letztenmal, geh fort . . . ich habe jetzt keine Geduld mehr . . .!«

»Schlimm«, sagte Ronno verächtlich, »daß du so wenig Geduld hast. Sehr schlimm für dich, mein Kleiner. Aber beruhige dich, mit dir werde ich rasch fertig sein. Da wirst du nicht lange zu warten brauchen. Oder hast du vielleicht vergessen, wie oft ich dich vor mir hergetrieben habe?«

Nach dieser Erinnerung gab es für Bambi keine Worte und kein Halten mehr. Wie ein Rasender stürzte er auf Ronno, der ihn mit vorgeducktem Haupt empfing. Krachend prallten sie zusammen. Ronno stand fest und wunderte sich, daß Bambi nicht zurückwich. Auch hatte ihn der plötzliche Überfall verblüfft, denn er hätte nie erwartet, daß Bambi ihn zuerst angreifen würde. Mit Unbehagen fühlte er Bambis Riesenkraft und sah ein, daß er sich zusammennehmen müsse. Er wollte eine List anwenden, wie sie Stirn an Stirn gepreßt dastanden. Jählings gab er nach, damit Bambi das Gleichgewicht verlieren und vornübertaumeln solle.

Doch Bambi hob sich in die Hinterbeine und warf sich sofort mit verdoppelter Wucht auf Ronno, noch ehe dieser Zeit gewonnen hatte, wieder feste Stellung zu nehmen. Es gab einen hellen, knacksenden Klang, denn ein Zinken von Ronnos Krone war abgesplittert. Ronno glaubte, die Stirne sei ihm zerschmettert. Funken stoben ihm aus den Augen, und es sauste in seinen Ohren. Im nächsten Augenblick zerriß ihm ein gewaltiger Stoß die Schulter. Der Atem verging ihm, er lag am Boden, und Bambi stand wütend über ihm.

»Laß mich los«, ächzte Ronno.

Bambi schlug blindlings auf ihn ein. Seine Blicke sprühten. Er schien nicht daran zu denken, Schonung zu üben.

»Ich bitte dich . . . hör' doch auf«, flehte Ronno kläglich, »du weißt doch, daß ich hinke . . . ich hab' ja nur einen Scherz gemacht . . . schone mich . . . verstehst du denn keinen Spaß . . .?«

Bambi gab ihn frei, ohne ein Wort. Mühsam stand Ronno auf. Er blutete und schwankte auf seinen Beinen. Ohne ein Wort schlich er davon.

Bambi wollte ins Dickicht, um Faline zu suchen. Da trat sie heraus. Sie hatte dicht am Waldessaum gestanden und alles mitangesehen. »Das war großartig«, sagte sie lachend. Aber ernst und leise fügte sie hinzu: »Ich liebe dich.«

Sie gingen miteinander fort und waren sehr glücklich.

 


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