Felix Salten
Bambi
Felix Salten

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Bambi merkte, daß die Welt verändert war. Es wurde ihm schwer, sich in diese verwandelte Welt zu schicken. Sie hatten alle wie die reichen Leute gelebt, und nun fingen sie an in Armut zu geraten. Aber Bambi kannte nur den Reichtum. Er hielt es für selbstverständlich, überall vom größten Überfluß und vom feinsten Luxus umgeben zu sein, keine Nahrungssorgen zu haben, in der schönen grünverhängten Kammer zu schlafen, in die niemand hineinsehen konnte, und in einem prächtig glatten, schimmernd roten Rock einherzugehen.

Jetzt war alles anders geworden, ohne daß er es eigentlich so recht gemerkt hatte. Der Wandel, der sich vollzogen, war ihm nur eine Reihe von kurzweiligen neuen Erscheinungen gewesen. Es unterhielt ihn, wenn milchweiße Nebelschleier des Morgens der Wiese entdampften oder sich plötzlich vom dämmerigen Frühhimmel herabsenkten. Sie zergingen dann so schön in der Sonne. Ihm gefiel auch der Reif, der den Boden und die Wiese so überraschend weiß bestreute. Eine Zeitlang ergötzte er sich, seine großen Verwandten, die Hirsche, schreien zu hören. Der ganze Wald dröhnte von den Stimmen der Könige. Bambi lauschte und fürchtete sich sehr, aber sein Herz bebte vor Bewunderung, wenn er diese Donnerrufe vernahm. Er dachte daran, daß die Könige Kronen tragen, die so groß waren und so verzweigt wie starke Baumäste, und er dachte, ihre Stimme sei ebenso gewaltig wie ihre Krone. Vernahm er den machtvollen Ausbruch einer solchen Stimme, dann stand er still und rührte sich nicht. Gebieterisches Verlangen rollte dahin in tiefen Klängen, ungeheures Aufstöhnen eines edlen, rasend gewordenen Blutes, das von Urkraft schäumte in Sehnsucht, Zorn und Stolz. Bambi kämpfte vergebens gegen seine Angst. Es überwältigte ihn, wenn er diese Stimmen hörte, aber er war stolz, solch vornehme Verwandte zu haben. Zugleich spürte er eine eigentümliche Regung von Gereiztheit darüber, weil sie so unnahbar waren. Das verletzte, das demütigte ihn, ohne daß er genau wußte, warum und wie, ja, ohne daß er sich dessen überhaupt näher bewußt wurde.

Erst als die Liebeszeit der Könige vorbei war und der Donner ihrer Rufe verstummte, gewann Bambi wieder Aufmerksamkeit für andere Dinge. Wenn er nachts durch den Wald ging oder untertags in seiner Kammer lag, hörte er den Blätterfall durch die Bäume flüstern. Unaufhörlich rieselte und knisterte es in der Luft, in allen Wipfeln, in allen Zweigen. Ein zarter Silberton rann beständig zur Erde nieder. Es war wundervoll, mit ihm zu erwachen, und es war köstlich, bei diesem geheimnisvoll schwermütigen Geflüster einzuschlafen. Dann lag das Laub hoch und lose am Boden, und wenn man ging, rauschte es laut auf und raschelte leise. Es war lustig, wie man es mit jedem Schritt beiseiteschieben mußte, so hoch geschichtet lag es da. Das machte Schsch-Schsch, ganz fein, ganz hell und silbern. Außerdem war es sehr nützlich, denn an diesen Tagen brauchte man sich mit Lauschen und Wittern keine besondere Mühe zu geben. Man hörte ja alles schon von weitem. Das Laub raschelte bei der kleinsten Bewegung; es schrie Schsch! Wer konnte sich da heranschleichen? Niemand.

Aber dann kam der Regen. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend strömte er herunter, klatschte und plätscherte vom späten Abend die ganze Nacht bis wieder zum anderen Morgen, setzte eine Weile aus und begann mit frischer Kraft von neuem. Die Luft schien erfüllt von kaltem Wasser, die ganze Welt schien erfüllt davon. Man bekam den Mund voll Wasser, wenn man nur ein paar Grashalme zusammenraffen wollte, und zupfte man ein klein wenig an einem Strauch, dann stürzten einem ganze Güsse in die Augen und auf die Nase. Das Laub aber rauschte nicht mehr. Es lag weich und schwer am Boden, zerpreßt vom Regen, und gab überhaupt keinen Ton von sich. Bambi erlebte zum erstenmal, wie arg es war, tage- und nächtelang vom niederfallenden Wasser gestriemt und bis auf die Haut gewaschen zu werden. Er fror noch nicht, aber er sehnte sich nach Wärme, und er hielt es für eine jämmerliche Sache, so durchnäßt herumlaufen zu müssen.

Als aber dann noch der Nordsturm kam, lernte Bambi das Frieren kennen. Es half nicht viel, sich eng an die Mutter zu schmiegen. Ja natürlich, im Anfang fand er es großartig, so dazuliegen und es wenigstens auf der einen Seite hübsch warm zu haben. Allein der Sturmwind wütete nächtelang, tagelang im Walde umher. Es schien, als sei er von einem unbegreiflichen, eiskalten Zorn getrieben, bis zur Tollheit, und als wolle er den Wald aus allen Wurzeln reißen und davontragen oder sonstwie vernichten. Die Bäume brausten von einem mächtigen Widerstand, sie kämpften gewaltig gegen den gewaltigen Angriff. Man hörte ihr langgezogenes Ächzen, ihr seufzendes Knarren, hörte den lauten Knall, mit dem die starken Äste splitterten, das zornige Krachen, mit dem da und dort der Stamm eines Baumes zerbrach und der Überwältigte aus allen Wunden seines zerspaltenen sterbenden Leibes aufschrie. Dann aber hörte man gar nichts mehr, denn der Sturm fiel nur noch grimmiger über den Wald her, und sein Brüllen verschlang alle anderen Stimmen.

Jetzt begriff Bambi, daß die Not gekommen war und die Armut. Er sah, wie sehr der Regen und der Sturm die Welt verändert hatten. Kein Blatt gab es mehr an Baum und Strauch. Wie ausgeraubt standen sie alle da, nackt am ganzen Leibe, der nun sichtbar war, und streckten ihre nackten, braunen Arme erbärmlich zum Himmel. Das Gras der Wiese war welk und schwärzlichbraun und so kurz, als wäre es dicht am Boden abgesengt worden. Auch in der Kammer sah es jetzt erbärmlich und kahl aus. Seit die grünen Wände verschwunden waren, konnte man nicht einmal hier mehr so ganz für sich sein wie früher, und zudem zog es von allen Seiten.

Eines Tages flog eine junge Elster über die Wiese. Etwas Weißes, Kühles fiel ihr ins Auge, nochmals, nochmals, und legte ihr einen leichten Schleier vor die Blicke. Kleine, weiche, blendend weiße Flöckchen tanzten um sie her. Die Elster hielt flatternd in ihrem Fluge inne, richtete sich steil auf und stieg höher in die Luft. Vergeblich. Die weichen, kühlen Flöckchen waren wieder da und fielen ihr wieder in die Augen. Noch einmal richtete sie sich gerade auf und stieg nochmals höher.

»Geben Sie sich keine Mühe, meine Beste«, rief eine Krähe, die über ihr in der gleichen Richtung hinzog, zu ihr herab, »geben Sie sich keine Mühe. So hoch können Sie nicht fliegen, daß Sie aus diesen Flocken hinauskommen. Das ist der Schnee.«

»Der Schnee?« staunte die Elster und kämpfte gegen das Gestöber.

»Nun ja«, sagte die Krähe, »wir haben eben Winter. Und das ist der Schnee.«

»Verzeihen Sie«, entgegnete die Elster, »ich bin erst im Mai aus dem Nest gekommen. Ich kenne den Winter nicht.«

»Das geht manchem so«, bemerkte die Krähe, »Sie werden ihn schon kennenlernen.«

»Nun, wenn das der Schnee ist«, meinte die Elster, »dann will ich mich ein wenig setzen.« Sie ließ sich auf einem Erlenzweig nieder und schüttelte sich.

Die Krähe flog schleppend weiter.

Bambi freute sich anfangs über den Schnee. Die Luft war still und mild, während die weißen Sterne niederschwebten, und dann sah die Welt so völlig neu aus. Es war heller geworden, sogar heiterer, wie Bambi meinte, und wenn die Sonne für eine kurze Weile hervorkam, dann leuchtete alles, dann funkelte und strahlte die weiße Decke so kräftig, daß man ganz geblendet wurde.

Aber bald hörte Bambi auf, sich über den Schnee zu freuen. Denn es wurde schwerer und schwerer, Nahrung zu finden. Man mußte den Schnee wegkratzen, und das kostete viele Mühe, bis so ein Fleckchen welkes Gras bloßgelegt war. Auch schnitt der Schnee in die Beine, und man mußte fürchten, wunde Füße zu bekommen. Gobo hatte sie schon. Freilich, mit Gobo stand es so, daß er überhaupt nicht viel ertragen konnte und seiner Mutter Sorgen machte.

Sie waren jetzt fast immer beisammen und hatten auch sonst mehr Geselligkeit als früher. Frau Ena kam beständig mit ihren Kindern. Neuerdings verkehrte auch Marena in ihrem Kreise, ein fast erwachsenes junges Mädchen. Zur Unterhaltung trug aber die alte Frau Nettla wohl am meisten bei. Sie stand ganz allein und hatte über alles ihre eigenen Gedanken. »Nein«, sagte sie, »mit Kindern befasse ich mich nicht mehr. Von diesem Spaß habe ich wirklich genug.«

Dann pflegte Faline zu fragen: »Warum? Wenn es ein Spaß ist?« Und Frau Nettla tat, als ob sie erzürnt sei, und sagte: »Es ist aber ein schlechter Spaß, und ich habe genug davon.« Alle unterhielten sich vortrefflich. Man saß beieinander und plauderte. Noch nie hatten die Kinder so viel zu hören bekommen.

Sogar von den Prinzen gesellte sich der eine oder der andere nun zu ihnen. Anfangs ging es dann ein wenig steif zu, besonders, weil die Kinder zuerst noch etwas scheu waren. Allein das gab sich bald, und es wurde gemütlich. Bambi bewunderte den Prinzen Ronno, der ein stattlicher Herr war, und den jungen, schönen Karus liebte er stürmisch. Sie hatten ihre Kronen abgeworfen, und Bambi betrachtete oft die beiden schiefergrauen, runden Platten, die sich auf dem Haupte der Prinzen abzeichneten, glatt, schimmernd, mit vielen zarten Punkten. Es sah sehr vornehm aus.

Ungeheuer spannend war es, wenn einer der Prinzen von Ihm erzählte. Ronno hatte am linken Vorderlauf einen dicken, pelzbewachsenen Knollen. Er lahmte auch auf diesem Bein, und er pflegte manchmal zu sagen: »Merkt man eigentlich, daß ich hinke?« Alle beeilten sich zu beteuern, davon merke man nicht das geringste. Das war es, was Ronno hören wollte. Man merkte es übrigens auch wirklich nur wenig. »Ja«, fuhr er dann fort, »da habe ich mich aus einer bösen Sache gerettet.« Und dann erzählte Ronno, wie Er ihn überrascht und ihm das Feuer zugeschleudert hatte. Aber er war nur hier am Bein getroffen worden. Geschmerzt habe es zum Rasendwerden. Kein Wunder. Der Knochen zerschmettert. Aber Ronno verlor die Fassung nicht. Auf und davon, mit drei Beinen. Immer weiter, trotz der Ermattung, denn er merkte wohl, daß er verfolgt wurde. Er lief und lief, bis die Nacht kam. Dann gönnte er sich Ruhe. Aber am anderen Morgen zog er wieder weit fort, bis er sich in Sicherheit fühlte. Dann pflegte er sich, blieb allein und verborgen und wartete, daß die Wunde sich schließen solle. Endlich trat er wieder hervor und war ein Held. Er hinkte, aber das merkte man kaum.

Jetzt, da alle so oft und so lange beisammen blieben und viele Geschichten erzählt wurden, hörte Bambi mehr von Ihm als vorher. Sie sprachen davon, wie schrecklich Er anzusehen sei. Niemand könne es ertragen, in dieses blasse Antlitz zu schauen. Bambi wußte das schon aus eigener Erfahrung. Auch von der Witterung sprachen sie, die Er verbreitete, und auch hier hätte Bambi mitreden können, wenn er nicht zu wohlerzogen gewesen wäre, um sich in das Gespräch der Erwachsenen zu mengen. Sie sagten, diese Witterung sei auf eine rätselhafte Art tausendfach wechselnd und doch sofort erkennbar, denn sie sei immer merkwürdig erregend, unergründlich, geheimnisvoll und an sich schon ein Entsetzen. Sie sprachen davon, daß Er nur zwei Beine zum Gehen brauche, und sprachen von der wunderbaren Gewalt seiner beiden Hände. Einige wußten nicht genau, was das eigentlich sei: Hände. Als es aber erklärt wurde, meinte Frau Nettla: »Ich finde da nichts zu bewundern. Das Eichhörnchen macht alles das, was ihr da schildert, genau so, und jede kleine Maus kann dasselbe Kunststück.« Sie wandte geringschätzig den Kopf weg. »Oho!« riefen die anderen und gaben ihr zu verstehen, das sei noch lange nicht dasselbe. Aber Frau Nettla war nicht einzuschüchtern: »Und der Falke?« rief sie, »und der Bussard? Und die Eule? Die haben doch überhaupt nur zwei Beine, und wenn sie etwas anfassen wollen, wie ihr das nennt, so stehen sie bloß auf einem einzigen Bein und fassen mit dem anderen zu. Das ist viel schwerer, und das kann Er gewiß nicht.« Frau Nettla war durchaus nicht geneigt, an Ihm etwas zu bewundern. Sie haßte Ihn aus ganzem Herzen. »Er ist ekelhaft«, sagte sie, und dabei blieb sie. Es widersprach ihr auch niemand, denn keiner fand, daß Er liebenswert sei. Doch die Sache verwickelte sich, als davon gesprochen wurde, daß Er eine dritte Hand habe, nicht bloß zwei Hände, sondern eine dritte. »Das ist ein altes Geschwätz«, entschied Frau Nettla kurzweg, »ich glaub's nicht.« – »So?« mengte sich hier Ronno ein, »und womit hat Er mir dann das Bein zertrümmert? Wollen Sie mir das nicht sagen?« – Frau Nettla erwiderte sorglos: »Das ist Ihre Sache, mein Lieber, mir hat Er nichts zertrümmert.« – Tante Ena sagte: »Ich habe viel gesehen in meinem Leben, und ich denke, es ist schon etwas dran, wenn behauptet wird, Er habe eine dritte Hand.« – Der junge Karus bemerkte höflich: »Da kann ich Ihnen nur beistimmen. Ich bin mit einer Krähe befreundet . . .« Er hielt einen Augenblick verlegen inne und sah alle der Reihe nach an, als fürchte er, ausgelacht zu werden. Als er aber sah, daß man ihn aufmerksam anhörte, fuhr er fort: »Die Krähe ist ungemein gebildet. Das muß ich sagen. Erstaunlich gebildet ist sie . . . Und sie erzählte, Er habe wirklich drei Hände, aber nicht immer. Die dritte Hand, sagt die Krähe, ist die böse. Sie ist nicht angewachsen wie die beiden anderen, sondern Er trägt sie über die Schulter gehängt. Die Krähe erzählt, sie wisse ganz genau, ob Er oder sonst einer Seiner Sippe gefährlich sei oder nicht. Wenn Er ohne die dritte Hand daherkomme, dann sei Er nicht gefährlich.« – Frau Nettla lachte: »Deine Krähe ist ein dummes Ding, mein lieber Karus, bestelle ihr das von mir. Wenn sie so klug wäre, wie sie glaubt, würde sie wissen, daß Er immer gefährlich ist, immer.« – Aber die anderen machten Einwendungen. Bambis Mutter meinte: »Es gibt doch welche unter ihnen, die gar nicht gefährlich sind. Das merkt man gleich.« – »So?« fragte Frau Nettla, »dann bleibst du wohl stehen, bis sie herankommen, und sagst ihnen guten Tag?« Bambis Mutter erwiderte sanft: »Freilich bleibe ich nicht stehen, ich laufe davon.« Und Faline platzte heraus: »Man muß immer laufen!« Alle lachten. Als sie aber von der dritten Hand weitersprachen, wurden sie ernst, und allmählich trat das Grauen in ihre Mitte. Denn was es auch immer sein mochte, eine dritte Hand oder etwas anderes, es war furchtbar, und sie begriffen es nicht. Die meisten wußten es nur aus den Erzählungen anderer, einige von ihnen aber hatten es selbst gesehen: Er stand da, weit entfernt, und rührte sich nicht; man konnte es nicht erklären, was Er tat, noch wie es geschah, doch auf einmal gab es einen Donnerschlag, Feuer sprühte auf, und weit weg von Ihm brach man mit zerrissener Brust zusammen, um zu sterben. Sie duckten sich alle, während sie davon redeten, als fühlten sie die dunkle Gewalt, die unerforschlich über ihnen herrschte. Begierig lauschten sie den vielen Erzählungen, die immer voll von Schrecknissen waren, voll Blut und Jammer. Unermüdlich nahmen sie alles auf, was davon gesprochen wurde. Geschichten, die sicherlich erfunden waren, alle Märchen und Sagen, die von den Großvätern und Urgroßvätern stammten, und in allem forschten sie, unbewußt, in Angst, wie diese dunkle Gewalt zu versöhnen wäre, oder wie man ihr entrinnen könne.

»Wie geht das nur zu«, sagte der junge Karus ganz versunken, »daß Er so weit weg ist und einen dennoch umwirft?«

»Hat dir das deine kluge Krähe nicht erklärt?« spottete Frau Nettla.

»Nein«, lächelte Karus, »sie sagt, sie habe es oft gesehen, aber erklären könne es niemand.«

»Nun, Er schleudert ja auch die Krähe vom Baum, wenn Er will«, bemerkte Ronno.

»Und Er holt den Fasan aus der Luft«, setzte Tante Ena hinzu.

Bambis Mutter sagte: »Er wirft Seine Hand. Meine Großmutter hat es mir erzählt.«

»So«, fragte Frau Nettla, »und was ist es denn, das so entsetzlich donnert?«

»Wenn Er Seine Hand von sich losreißt«, erklärte Bambis Mutter, »dann blitzt das Feuer auf, und es kracht wie Donner. Er ist inwendig ganz aus Feuer.«

»Verzeihen Sie«, sprach Ronno, »daß Er inwendig ganz aus Feuer ist, hat seine Richtigkeit. Aber das mit der Hand ist ein Irrtum. Eine Hand könnte nicht solche Wunden schlagen. Sie werden das selbst einsehen. Es ist vielmehr ein Zahn, den Er nach uns schleudert. Sehen Sie, ein Zahn, das erklärt vieles. Und man stirbt eben von Seinem Biß.«

Der junge Karus seufzte tief. »Wird Er niemals aufhören, uns zu verfolgen?«

Da sprach Marena, das Mädchen, das fast schon erwachsen war: »Es heißt, eines Tages wird Er unter uns treten und sanft sein wie wir. Er wird mit uns spielen, der ganze Wald wird glücklich sein, und wir werden uns versöhnen.«

Frau Nettla schrie lachend auf: »Er soll bleiben, wo Er ist, und uns in Ruhe lassen!«

Tante Ena meinte verweisend: »Aber so was darf man doch nicht sagen.«

»Warum denn nicht?« entgegnete Frau Nettla hitzig. »Das seh' ich wirklich nicht ein. Versöhnen! Seit wir denken können, mordet Er uns, uns alle, unsere Schwestern, unsere Mütter, unsere Brüder! Seit wir auf der Welt sind, läßt Er uns keinen Frieden, tötet Er uns, wo wir uns zeigen . . . und dann sollen wir uns mit Ihm versöhnen? Was für eine Dummheit!«

Marena sah alle mit großen Augen an, die ruhig glänzten. »Versöhnung ist keine Dummheit«, sprach sie. »Versöhnung muß kommen.«

Frau Nettla wandte sich ab. »Ich such' mir was zu essen«, sagte sie und lief davon.

 


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