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Phallus impudicus

Auch Erich steckte mitten in seiner Komödie.

Aber in Ruhe und Ordnung soll es vor sich gehen. Nicht daß am Ende die Leute mir in ihrer furchtsamen Weise vor dem Unverstandenen den Verstand absprechen. – Aber was liegt daran! mögen sie es tun und die Glocken läuten.

Meine Schulden betragen zweitausend Mark; hätte ich ihrer mehr, so wären sie das imaginäre Überbleibsel eines Abendessens oder einer Liebesnacht – der Himmel bezahlt's.

Meine Raritäten und Siebensachen, die mir lieb sind, weil ich sie selbst gefunden und gepflegt habe, mitnehmen kann ich sie nicht – zerstören und zerkrümeln wir's. –

Dann setzte er sich hin, um den Abschiedsbrief zu schreiben. Und da sein Blick dabei auf einen Strauß roter Moschusmalven fiel, den er am Morgen gepflückt hatte, bemüßigte er sich zu der Bemerkung: Oh ihr! Ihr werdet faulen – anrühren wird man euch ja nicht – und den Infusorien ein Heim bieten; das Rad, das öde, rollende Rad! – Jetzt halt ich es auf – begann er zu schreiben – morgen falle ich ihm in die Speichen, oder es geht über mich hin: es ist eins wie das andere. Drüben in der Heide in dem Kiefernbusch, in seiner Talschüssel, bei dem Birkenmädchen und ihren Wacholdergreisen, da soll's geschehn.

Blickt nicht auf mich so ernst, so kummervoll,
Kopfschüttelt nicht: ach, unser Sohn war toll –

Nanu! – lachte er und riß das Blatt heraus. Packen wir es anders an:

Der Himmel blaut und die Sonne lacht, und wenn man Abschied nimmt, muß man hoffnungsvoll und fröhlich sein – –

Auch das ist nichts – murmelte er und zerriß das Blatt. Das Epitaph eines unglücklich Verliebten. Das Grabgebrumm eines durchgefallenen Kandidaten! Wie kann ich denn ihnen meine Gründe so darlegen, daß sie mein Handeln verstehn! Wie können sie meine Gründe auch nur für einen Augenblick von ihren Meinungen über sie trennen! Sie werden immer in ihren Augen zu den ihrigen, und sind dann als solche für sie unzureichend.

Dann warf er seine Petrefakten und Knochenrelikten in den Mühlenbach und ging den alten Weg und geriet mit der Weile in ein dorniges Gestrüpp, in dem krochen ockerfarbige Schleim- und gallertige Zitterpilze auf modernden Hagedornästen, die an anderen Stellen zerfressen wurden von bläulich-weißem Schimmelbelag und dunkelhutigem Hallimasch; mächtige Konsolen des Zunderschwamms entquollen einer sturmgebrochenen Buche und grünblaue und orangegelbe Flechten siedelten und hingen allerorts; über allem aber thronte wüst und beschmutzt ein verlassenes Elsternnest, und unter ihm erfüllte alles eine fliegenumschwärmte Stinkmorchel mit ihrem beißend aasartigen Geruch –.

Wie sie um den triefenden Phallus gieren und schwärmen –! Ihr Leckerbissen, ihr Ideal – impudicus! Impudice! impudice!

Habe ich Recht dazu? Habe ich keine Pflichten gegen andere? – Pflichten gegen andere sind egoistische Forderungen dieser Andern an mich; nur in diesem Sinne haben sie mir »Gutes getan«, und das habe ich nicht verlangt und nur in meiner Schwachheit angenommen, anstatt es zurückzuweisen. Und soll ich für diese Schwachheit jetzt büßen, indem ich in ihr verharre? –

Habe ich Grund dazu? Treibt mich nicht ein Selbstbetrug, eine Täuschung? Die könnte nur in der Art liegen, wie ich meine Welt anschaue. Und daß die Welt meine Vorstellung ist, und daß diese schöpferische Vorstellung ihr Eigenartiges verloren hat, das ist die Wahrheit. Und ebenso wahr ist es, daß ich ohne eine eigenartige, ganze Welt nicht lebenswürdig leben kann. –

Treibt mich auch keine Feigheit? Nicht das Gespenst: ewig mißmutig, nörgelnd und reuegequält, verarmt und hungernd, ein abschreckendes Exempel und leicht zu erreichendes Mitleidsobjekt: ein verbummelter Student? – In einem Jahr könnte mir der Bauchhaarige den Doktor und der Graf die schöne Erbin geben, und wollte ich es anders, so segelte ich noch in dieser Stunde mit ihr und ihrem Geld nach Indien.

Schreckt mich nicht das Bild, in einer verknäuelten und verkrümelten Zwitterwelt leben zu müssen, einer Welt, die nur zum Teil, und auch da nur meine verzerrte Schöpfung ist?

Nun, so etwas wie einen Grund muß ich doch haben, und diese drohende Zwitterwelt fliehen zu wollen, ist eben mein Grund.

Ist das Feigheit? Wo mir ein Zustand winkt, den Tausende mit dem Gefühl, in ihm das Glück zu packen, empfangen würden?

Aber das sind alles nur Gegenargumente für euch. Ich bin das Einzig Eine, das was fest steht, in dem Alles lebt und ist; alle Welt, der Friedlos hier und die Abendwolke dort, der Sternennebel im Haupthaar der Berenike – ich bin Raum und Zeit, in mir ist alles verbunden durch Ursache und Wirkung, ich bin der große Namen- und Sprachenschmied, in mir ist Chaos und Dissonanz, Ordnung und Harmonie, ich bin das große Doppelgesetz, ich stelle die Rätsel und Geheimnisse und löse sie auf – ich bin das X, bin Gott, All, ich bin die Welt!

Und dann? – Dann ist die Welt tot. –

Wer sagt denn, daß zu meinem Ich nur dies Denken nach den drei Formen und vier Prinzipien gehört? Der Körper ist schon gedacht, existiert nur im Denken, jede Zelle ist nur ein ins Sichtbare, »Stoffliche« umgesetzter Gedanke, Wille – woher weiß ich, ob nicht das denkende Ich sich auch einen ätherischen, ich meine immateriellen, Körper geschaffen hat? Oder umgekehrt, ob nicht gerade dieses immaterielle Wesen das Ursprüngliche ist? Das sich ein Organ in meinem Denken geschaffen hat? So, daß mein jetziges Ich und seine Denkweisen seine Sinnesorgane bilden? Deren Mitteilungen es durch höhere, feinere und mehrere »Denkformen« verarbeitet? Wer sagt mir, daß das nicht so ist?

O, dann bin ich erst recht, erst dreifach recht die Welt.

Und wenn dieses höhere, reinere Ich seiner Organe überdrüssig geworden ist – denn es ist nicht durch sie bedingt, es hat sie geschaffen – und frei wird – und dann beginnt zu fliegen, – frei – zu – fliegen – – –

Sieh, es dämmert, und ich finde mich wieder hoch auf dem Moorrücken bei meinen Porsten und Goldweiden, und es wetterleuchtet – o blitzt nur blau, gedankenschnell und fern: wer weiß, ob ich nicht morgen schon blitze wie ihr, schneller als ihr, schneller, höher – höher als der Gedanke –!

Da nach einer Weile das Wetterleuchten unter den Horizont sank, nahm er Abschied von dem moosüberwölbten See und ging heim.

Einen Abschiedsbrief schreibe ich nicht; sie mögen die peinliche Affaire, zumal wir beide den gleichen Weg gehen, einer unglücklichen Liebe aufs Kerbholz schneiden. Und wo und wie sie meinen Leib finden –: fragt die junge Imago nach ihrem Gewand, wenn sie es abstreift und in die Lüfte sich schwingt? In die Lüfte sich schwingt –!


Nach dem Abendessen wanderte er im Garten durch den schweren Duft der weißblühenden Tabakpflanzen und betrachtete lange den massigen Backsteinbau der Dorfkirche.

So ernst und fest wie für Jahrtausende – und alles Trug, ein süßer, verrückter, boshafter Trug, und heute ein Geschäft.

Aber deinen goldenen Clever Schwan will ich treffen! Das Wappentier über dem Kreuz – so gehört's. –

Und er holte die Pistole und zielte in dem matten Licht der Sterne. Hart und laut hallte der Schuß, und in den Fenstern nebenan wurde es hell – –:

Der traf das Schieferdach, von dem an Wintermittagen der Schnee in den kleinen Lawinen niederrollt. –

Und der ging durch das Kreuz, von dem im Frühjahr die Stare ihre Lieder singen. –

Und nochmals! Die Fenster öffneten sich und die Schlafmützen rissen die Augen auf – –:

Und der traf den goldenen Schwan, wie er durch die braune Nacht hinschwimmt. Und die Schlafmützen knurrten und schimpften –. Dann nahm er einen Gartenstuhl und setzte sich dicht neben die weißen Solanazeen, deren betäubenden Duft er stundenlang in sich sog – über ihm, über den dunklen Dächern und dem schwarzen Turm kreisten lautlos tausend Sterne. –

Das Auge ist noch so gut – murmelte er, als er die Waffe gereinigt und sich schlafen gelegt hatte – und die Hand so fest, daß auch ein ferneres Ziel sich lohnt als diese breite Brust. –

Aber kurz vor dem Einschlummern, wenn die Traumbilder beginnen, die müden Tagsgedanken zu überwältigen, und ihnen das Metermaß und Stundenglas aus der Hand reißen, tauchte noch der letzte müde auf: O, sie wird sterben – sie will es ja. Warum soll sie nicht sterben? –

Dann waren die Tagsgedanken tot, und es kam der Traum durch die Mauer, durch das Zimmer, nahm ihn auf seine Arme und wiegte ihn – fort mit ihm! über die Dächer, die Linden, um den Kirchturm herum – siehst du den Punkt im Schwan? Den Kirchturm hinunter! Tiefer – tiefer – – –.


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