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Osmunda regalis

Im feuchten Gebüsch, auf den Hängen des Landwehrgrabens, breitet der Königsfarn seine gewaltigen Laubwedel aus. Dort hatten ihn Erich und Loo überrascht, wie er aus seiner hohen Rispe die Sporen zur Erde streute. Da hatten sie ein Stück des Lehmbodens, der von den keimenden, ihren chlorophyllreichen Inhalt entleerenden, Sporen wie mit feinem grünen Sammet bedeckt war, ausgeschnitten, um ihre weitere Entwicklung unter einer Glasglocke zu verfolgen. –

Komm mit! – Und sie führte ihn in das Turmzimmer, betrachtete flüchtig ihr Präparat unter dem Mikroskop und bat ihn dann, hineinzusehen:

Er ist reif geworden! –

Die Antheridien des bandförmigen Vorkeims hatten sich unter dem Druck des Deckglases gelöst, und die Spermatozoiden schwärmten aus – drängend, hastend, in einem taumelnden unruhvollen Suchen, bis zwei, drei in den offenen flaschenförmigen Hals eines nahegebrachten Archegoniums eindrangen, um sich mit der tiefgelegenen Eizelle zu vereinigen. –

Hm! –

Hm! Ist das alles, was du hier zu sagen weißt? Sagt es dir nichts? garnichts? –

Nun, das Präparat ist sehr hübsch – alle Anerkennung, liebe Loo. –

Sonst nichts? –

Nun ja, viel und wenig – im Grunde garnichts. –

Wieso? –

Wenn du es wissen willst –: dieser kleine ungestüme Spermatozoid und das offene Archegonium ist das, was wir Liebe nennen. Und dann – wie sage ich es am besten? – kehre den Satz um: die Liebe ist jenes Spermatozoid und Ovum – und die sind Plasmagebilde mit der Funktion der Fortpflanzung. – Es ist ein Schauspiel, ein schönes, gewiß. –

Das ist die Liebe? Das? –

Das ist meine Liebe und deine, ist die Liebe. Frage lieber nicht, was wir aus ihr gemacht haben. –

Nein, nein! Du lügst! Weißt du, du lügst! –

Es ist die Wahrheit. –

Aber ich mag solche Wahrheit nicht. Das ist auch garnicht wahr – du lügst, weißt du – du lügst! Soll ich dir einmal sagen, weshalb ich dich so lieb habe? Weil du mein Leben bist, weil – weil ich dich liebe! Das ist etwas anderes, das ist mehr als das – das da – das ist – – pfui! –

Sie riß die Glasplatte aus den Klammern, warf sie auf den Boden und zertrat die Trümmer mit dem Fuß. Und als er sie beschwichtigen wollte, stieß sie ihn zurück, trat ans Fenster und sah starren Blicks hinaus. – –

Dann lachte sie hell auf, raffte die Röcke und tanzte auf ihn zu:

Heißa! mein Schatz! Gewiß hast du recht. Das ist die Liebe! Wie die Spatzen und Katzen – aber gewiß, das ist die Liebe! Was kann ich dafür, daß ich Mensch bin? Tanze, mein Freund – eins, zwei, drei – tanze! O weh! Was kann ich dafür, daß ich Weib bin? Tanze, tanze – eins, zwei, drei – tanze! Wie die Tagelöhner und Hunde – haha! Oh pfui! pfui! pfui! –

Da fing er sie auf und führte sie aus dem Zimmer, geleitete sie über die Treppe und den Hof, setzte sie in den Nachen und ruderte sie in das hohe Schilf.

Und hier kauerte sie sich zu seinen Füßen, schmiegte den Kopf in seinen Schoß und blickte traurig zu ihm hoch.

Ich sterbe nun bald. Was soll das alles? Das ist ja alles eine große Lüge. Mein Leben ist verpfuscht. – Das Leben ist so schön, o so schön – –

Was redest du, Loo? –

Doch, es ist so. – Weißt du, weswegen ich dir den Farn zeigte? Ach, du weißt es schon. Wenn alles liebt, – nein! ich darf nicht daran denken. – Das Leben ist so schön, mein süßer Freund – so schön wie die Liebe. – Aber das ist bei uns beiden anders, das ist ja alles so über mich gekommen – –. Und darum – sterbe ich. – Oh, das Sterben ist schön. Du wirst mir dein Märchen erzählen – mich noch küssen – –

Dann bat sie ihn in einer ängstlichen Hast, sie an das Ufer zu rudern; und als sie an Land gestiegen waren und er gehen wollte, trat sie an die Efeumauer, hob sich auf die Zehenspitzen hoch und pflückte ein Blatt; das drückte sie ihm in die Hand.

Jetzt gerade! sagten ihre Augen.

Als Nacht war und der Vollmond schien, und die Sperlinge nur noch leise in ihren kleinen Träumen schilpten, schlich mit wachsbleichem Gesicht der Gärtnerjunge an die Efeuwand und begann mit ungelenken Fingern auf einer Geige zu zirpen.

Sollte das der blaue Enzian sein? – murmelte Erich, wie er in den Armen der Geliebten lag.

Du lügst – sprach da Loo im Traum, dann erwachte sie und warf sich über ihn.


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