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Der dunkelblaue Enzian zum ersten Mal

Am nächsten Tage erhielt Erich einen Brief von Loo, aus dem ihm neben einer gleichgültigen Entschuldigung ein Efeublatt entgegenfiel.

Nun werde ich in der Nacht hinauswandern, denn die Lage des efeuumrankten Fensters ist mir wohl bekannt. Bald Gott und Weltenschöpfer, bald Trunkenbold und Fenstersteiger! – Aber meinen Enzian habe ich gefunden, unter der Jägereiche; träumerisch und dunkelblau, die Glocke schlank und halb geschlossen, wie jedes Jahr. Früh ist er gekommen; es ist in diesem Jahr alles so früh, die Sonnenuntergänge leuchten wie im Herbst, und wir schreiben den 20. Junius. – Ich habe mich neben ihn ins Gras gesetzt und ihn lange angeschaut: wer bist du? was willst du, was bedeutest du mir? Ich habe dir einen Namen gegeben und dich dadurch geschaffen und für mein Eigentum erklärt: was siehst du mich so fremd und seltsam an? Bewegst dich und mich und schwankst hin und her und läutest in mir?

– Weißt du noch, wie du tastetest von Buch zu Buch, wie du schwanktest von Meinung zu Meinung, weißt du noch, eitler Junge, wie du deinen Intellekt trenntest vom Willen, wie du mißmutig warst, gedrückt und gequält, wie du eine Sehnsucht huckepack trügest, wie du littest an dir?

Gib Acht! Man hatte dir eingeredet, du hättest es schwer, dein Leben sei verpfuscht, das Leben sei eine Schuld, sei schlecht, ohne Sinn, ohne Wert; man wollte dich ducken, dich in die große Armee der Leidenden schmuggeln, du solltest bemitleidenswert werden und bemitleiden: und du glaubtest ihnen – wie ungern! – und wieder nicht – wie gern! Denn du bist stark, aber warst krank – wo? wie? was weiß ich. Und deine Sehnsucht war, herauszukommen aus allen diesen müden Verneinungen, diesen törichten Formeln, die im Nein ihr Ja haben, diesen tönenden Wissenschaften, diesen Worten –. Deswegen sprangst du von Buch zu Buch, spieltest mit ihren Formeln und ließest sie wieder fallen, die Neins und Wenns, um selber eine zu finden, aber ein Ja! sollte sie klingen – denn du wolltest leben! Aber nicht wie der Pöbel lebt – einen Grund, ein Ziel, eine Lebensformel suchtest du. Nun, hier ist sie:

Weißt du: das Himmelsweinglas, das du ausschlürfen wolltest – – nun niete dir die Formel: Die Welt schaffst du.

Du vergeistigst das Chaos zur Welt; das Andere, das Noch-nicht-Du, das alte Ding an sich, ist nur das, was von dir noch nicht geschaffen, vermenschlicht, noch nicht dein Eigentum geworden ist. – Du schaffst die Welt: nun lebe, lebe! –

Die kleine blaue Blume läutete so froh und stark – warum soll ich ihr nicht glauben?

Und dann bin ich baden gegangen – – – und habe stundenlang im Grase gelegen; und während die weißen Wolken durch den Himmel segelten und der Fluß geruhig durch Schilfduft und Ried und schwatzendes Vogelvolk hinströmte, habe ich das Ding an sich, den Intellekt und den Willen verlacht und mir ein Ich-weiß-nicht-was? gewünscht.

Gegen Abend entstiegen Schwärme von Eintagsfliegen dem Fluß, an den Gräsern, Halmen und Pfosten kletterten sie hoch und warfen aus der Hülle sich in die Luft zum kurzen Hochzeitsleben. Die Luft war weiß über den Wassern von den auf und nieder tanzenden Massen – und die sinkende Sonne in dem Höhenrauch, den der Nordwind gebracht hatte, rot wie ein Rubin: das hätte mich fast bezwungen, daß ich schon begann, die stundenkurze Existenz der Imago zu beklagen und daran sentimentale Folgerungen zu knüpfen – aber da hörte ich den Enzian läuten und ich lachte: Das Tier freut sich jahrelang seines Räuberlebens, und dieser Liebesflug ist sein taumelnder Höhepunkt. Es lebe das Leben und seine ewige Brücke: Venus genetrix!

Vor acht Tagen hätte ich ihr geflucht und geklagt: Was ist das Leben? So ist das Leben: es fließt dahin wie Wellenschaum, kommt und geht, quält sich und stirbt – wozu? –

Die ganze Luft ist erfüllt von Höhenrauch, sogar ins Zimmer dringt er herein mit seinem brenzlichen Geruch, und die Luft ist mürrisch und kalt. Das wird heute Nacht ein Weg durchs Bruch! Nebelgeschwader werden dort lagern. Moormannen hocken und frieren an Irrlichtfeuern, und ich sehe mein Schattenbild riesengroß und gekrönt vom Zirkel Ulloas auf den Zeltwänden geistern – und ü rump – ü plump pump geht die Reveille – in solcher Nacht plaudert's sich süß in den Armen Loos.


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