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Ein Beispiel für viele.

Am Schluß seines Buches schreibt Herr Schlichtegroll:

»Nur große und edle Gedanken bewegten ihn noch in den Jahren seiner Lindheimer Idylle ...

Die Venus im Pelz war überwunden; er lenkte immer mehr und mehr in die Bahnen des Tolstoischen Kommunismus.«

In Wirklichkeit war Lindheim für alle jene, die sich dem Masochismus ergeben wollten, eine Art Mekka geworden, wohin sie pilgerten, um sich da schulen und belehren zu lassen.

Ich aber wurde den wißbegierigen Schülern als das Modell der peitschenden Geliebten, das Urbild der Venus im Pelz gezeigt.

An dieser Quelle schöpfte auch Herr Schlichtegroll die gründlichen Kenntnisse meiner geheimsten, innersten Regungen.

Es war in Paris, nur wenige Tage nach Sacher-Masochs Tode und früh am Morgen, als uns ein heftiges Schellen an unserer Glocke aus dem Schlaf weckte. Mein Sohn stand auf und öffnete. Es war ein Postbote mit einem Expreßbrief aus Prag.

Ein Expreßbrief aus Prag? Von wem konnte der sein?

Während ich in meinen Gedanken noch den Absender suchte, hatte mein Sohn draußen den Brief geöffnet – was er durfte, da ich keine Geheimnisse vor ihm hatte.

Ganz verstört kam er nach wenigen Augenblicken in mein Zimmer.

»Mama, was ist das?«

Er reichte mir zwei vollgeschriebene Bogen dickes Kanzleipapier.

Was dieser Brief an Gemeinheit und Schamlosigkeit enthielt – mir zumutete – ist nicht wiederzugeben.

Ich las und glaubte mich um zwanzig Jahre zurückversetzt.

Wie ich sie alle kannte, diese Worte und Wendungen! All diese schmutzigen Gedanken, die mich während der langen Jahre meiner Ehe begleiteten, sich wie blutsaugendes Ungeziefer an meine Seele hingen, mir Herz und Geist zerfraßen! Wieder öffnete sich vor mir der grauenhafte Abgrund meines Ehelebens; all das Entsetzliche, das ich einst gelebt, stand wieder vor mir, und überwältigt vor Scham und Ekel brach ich in Tränen aus.

»Mutter! Mutter!«

Ich hatte den Sohn vergessen, der bleich und erregt noch immer am Fußende meines Bettes stand.

 

Die zwei nächstfolgenden Tage brachten mir wieder jeden Morgen einen Expreßbrief. Es waren Wiederholungen des ersten.

Ich wollte Ruhe haben und schrieb einen sehr scharfen und drohenden Brief nach Prag.

 

Darauf kam folgende Antwort:

»Hochverehrteste gnädige Frau!

Ich bitte Sie inständigst um Verzeihung, daß ich es gewagt habe, an Sie zu schreiben, und dies auch noch unter falschem Namen!

Ja, ich bin krank, ich bin wie Professor Krafft-Ebing in seiner Psycholopathie sex.[!] schreibt, ein Masochist, das heißt, ich huldige im stillen, im geheimen den Ideen Sacher-Masochs.

Mir ist dieser Trieb angeboren.

Doch ich bin nicht frei, sondern durch Verhältnisse und Umstände privater und gesellschaftlicher Natur gebunden, so daß ich mein Ideal nicht suchen kann, nicht darf.

Um so eifriger und leidenschaftlicher suche ich dann nach derartiger Lektüre.

Da ich durch die seinerzeitige Korrespondenz und flüchtige Bekanntschaft mit S.-M. nicht die erhoffte Anregung, respektive Befriedigung meiner sehnsüchtigen Wißbegierde fand, faßte ich den wahnsinnigen Entschluß, mich direkt an Sie, hochverehrte gnädige Frau, zu wenden und vielleicht durch Ihre Gnade einige Mitteilungen über ein echtes, unverfälschtes Zusammenleben von Herrin und »Sklave« zu erhalten.

Es war von mir ein wahnsinniges Beginnen, ich sehe es ein und bitte inständigst um Verzeihung!

Aber ein geistig nicht Normaler wie ich, hat manchmal Augenblicke, in denen er beinahe unzurechnungsfähig ist und unverantwortliche Handlungen begeht.

Verzeihen Sie einem armen Kranken dessen Verirrung.

Ich bereue aufrichtig meinen unbedachten Schritt, der nur dem sehnenden Verlangen entsprang, einmal von einer wirklichen »Herrin« eine Äußerung über die Behandlung eines ihr in Liebe ergebenen »Sklaven« zu hören.

Es wäre jederzeit mein tiefstes Geheimnis geblieben.

Ich bin ehrenwerter, hochachtbarer Eltern Kind, welche keine Ahnung von meiner Krankheit haben, ebenso meine andern Familienangehörigen nicht.

Niemand aus meiner Umgebung ahnt meine Leidenschaft, von der ich erst durch die zufällige Lektüre des Dr. Krafft-Ebingschen Werkes erfuhr, daß sie eigentlich krankhaft ist.

Ich bitte Sie, hochverehrte gnädige Frau, vernichten Sie meine unseligen Briefe, mit denen ich Sie belästigt habe, und verzeihen Sie mir, daß ich mich so vergessen habe und Sie in so unverschämter Weise um Mitteilungen aus Ihrem Leben anbettelte.

Ich bin untröstlich über meinen Fehltritt!

Ich sehe ein, daß ich niemals wagen durfte, Sie in dieser Art zu belästigen, und bereue meine Handlungsweise aufrichtig.

Mein Bekenntnis meiner Schuld liegt nun offen vor Ihnen und mein Name auch. Ich bitte, ich beschwöre Sie, ich flehe Sie an, haben Sie Mitleid mit mir und verzeihen Sie mir!

Schonen Sie meinen Namen, meine Eltern, meine Angehörigen.

Ich schwöre Ihnen, niemals wieder mich Ihnen in aufdringlicher Weise nahen zu wollen.

Um Gotteswillen, gnädige Frau, verzeihen Sie mir!

In tiefster Ehrfurcht und Hochachtung
ergebenster und unglücklicher ****«

Wieder kam jeden Tag ein Brief aus Prag:

»Hochverehrte gnädige Frau!

Hochverehrte Madame!

Obwohl ich Ihnen schon gestern offen und ehrlich schrieb und Ihnen meinen Namen einbekannte, drängt es mich heute abermals, Ihnen meine herzliche inständige Bitte um Verzeihung und Nachsicht zu unterbreiten!

Ihre Zuschrift ist in so drohendem Tone gehalten, daß ich mit Entsetzen und Schrecken zu fürchten beginne, Sie, hochverehrte gnädige Frau, durch irgend etwas mir ganz Unbewußtes gekränkt oder gar verletzt zu haben!

Aber bei Gott, ich schwöre es Ihnen als guter Katholik bei allem, was mir heilig ist – ich habe keine Ahnung, was Sie in meinem allerdings absurden Beginnen hätte beleidigen können!

Als ich jene unseligen Briefe schrieb, da hatte ich Sie, hochgeschätzte Madame, als Schriftstellerin vor Augen, mein geistiges Auge sah in Ihnen die Verfasserin der Novellen »Damen im Pelz«, ich sah in Ihnen die einstmalige Gefährtin des dahingeschiedenen Dichters und Schriftstellers Dr. L. v. S.-M., dessen Werke meine geheimen Neigungen und Gelüsten in so üppig wuchernde Entfaltung brachten.

Und weil mir durch familiäre und soziale Verhältnisse die Möglichkeit benommen ist, als freier, selbständiger Mann zu handeln und nach einem Ideale à la S.-M. zu suchen, so verdichten sich diese Ideen, es verdichtet sich das Sehnen und der Drang und es erfolgte daraus eine Eruption, eine Explosion, die entweder einen geheim bewahrten schriftlichen Erguß meiner Phantasien oder einen so tollen Einfall reifen läßt wie den jüngsten.

Daß ich dazu ein Pseudonym wählte, erklärt sich aus meiner Furcht, meiner Umgebung von meiner geheimen Neigung nichts zu verraten!

Ich würde doch nur Unglauben und Unverständnis begegnen!

Jene unglückseligen Briefe schrieb ich mit den Gefühlen der größten und wärmstens empfundenen Hochachtung und Verehrung für Sie, Madame, für die Dichterin und Schriftstellerin der »Damen im Pelz«.

Eine Absicht, Sie zu provozieren, zu kränken, lag mir unerreichbar fern, geschweige denn Sie bewußt zu verletzen oder gar zu beleidigen!

Oh Gott bewahre!

Ich hege ja doch für Sie nur die denkbar größte Hochachtung, Wertschätzung und Verehrung und meine Briefe schrieb ich mit dem Gefühl der größten Ehrfurcht für Sie!

Ich weiß also wirklich nicht, wodurch ich Sie erzürnt, erbost haben könnte!

Oh verzeihen Sie mir, vergeben Sie mir, ich bin arglos vorgegangen, ohne die leiseste, unlautere Absicht!

Gott ist mein Zeuge! Es war ein toller Einfall!

Ich dachte von der Verfasserin der »Damen im Pelz« authentische Mitteilungen erhalten zu können wie weit die Sacher-Masochschen Romane der Wirklichkeit nahe kommen, was ich von dem verehrten begeisterten[!] Schriftsteller nicht erfahren konnte.

Ich wollte meine Ahnungen entweder bestätigt oder widerlegt sehen.

Der Weg, den ich einschlug, war vielleicht nicht der richtige, die Form vielleicht eine verfehlte – aber ist denn die Absicht an und für sich ein Verbrechen, ein Vergehen?

Das ahne ich nicht!

Ich dachte, wenn ich offen und ehrlich mich selbst einbekenne als ein Mensch, der so fühlt und denkt wie ein »Severin« und meiner Phantasie die Zügel schießen lasse, daß das für Sie, hochverehrteste Gnädige, doch in keiner Weise verletzend sein kann.

Ich bin trostlos!

Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, ehren Sie mein Vertrauen!

Ich glaube, daß ich als Ehrenmann hoffen darf, daß Sie als Dame von Adel mein Vertrauen nicht mißbrauchen werden und mich nicht verderben wollen, es wäre dies ein trauriger Triumph für Sie!

Ich bin ein bedauernswerter Mensch, ich passe mit meinen Phantasien und meiner krankhaften Phantasterei nicht in den engen Rahmen kleinbürgerlicher Alltagsexistenz.

Bitte, bitte, haben Sie Nachsicht mit mir, ich will Sie nie wieder belästigen und anbetteln verzeihen Sie mir das eine Mal diesen unbewußten Fehltritt, der nur durch meine krankhafte Veranlagung hervorgerufen wurde!

Ich bereue aufrichtig.

Vergebung und Verzeihung, Nachsicht und Gnade!

In tiefster Ehrfurcht, Hochachtung und Verehrung

der unglückliche
Phantast ****«

Obgleich meine Erfahrungen mich gelehrt haben, daß, sich Leidenschaften entgegenstellen, sie bekämpfen wollen, ein ebenso unnützes Unternehmen ist, als wolle man einen daherrasenden Eisenbahnzug mit den Armen aufhalten – man wird zerschmettert, der Zug rast weiter, – schrieb ich doch in einer Aufwallung von Mitleid und noch mehr, weil ich es fast wie eine Pflicht empfand zu warnen, nach Prag, dem Unglücklichen in einer kurzen Schilderung an meinem und Sacher-Masochs eigenem Leben zeigend, wohin solche Verirrungen führen.

Wieder kam ein Brief:

»Hochverehrte gnädige Frau!

Tieferschüttert und unter dem unauslöschlichen Eindrucke Ihres hochgeschätzten Briefes stehend, bitte ich Sie, hochverehrte gnädige Frau, meinen tiefgefühlten heißen Dank für Ihre große Güte, Ihre edle Wohlmeinung entgegenzunehmen.

Ja, es ist ein großes Unglück für mich, diese unselige krankhafte Veranlagung!

Oh, was habe ich schon gebetet, inbrünstig gebetet um Befreiung von dieser lasterhaften Leidenschaft!

Vergebens! Wie ein entsetzliches Gespenst bleibt dieser Wahn eingekrallt in meinem Gehirn und von Zeit zu Zeit schlägt er gierig seine fletschenden Zähne in mein armes Mark!

Dann begehe ich Tollheiten, Verrücktheiten, deren ich mich dann bodenlos schäme, die mich in meinen eigenen Augen verächtlich machen!

Oh Gott, es ist ein Unglück!

Und werden Sie es glauben, daß ich seit mehreren Jahren einen keuschen reinen Engel als Gattin an meiner Seite habe? Ein Wesen voll erhabener Seelenschönheit, das mich abgöttisch liebt, verehrt? Und ein liebes, süßes, wohlerzogenes, kluges, reizendes Mädchen mein Kind nennen darf? Und in Kürze wieder Familie erwarte?

Und Eltern habe, die stolz auf mich sind und mich lieben, und zwei Geschwister ebenso?

Und daß ich bei all meinen Freunden geachtet, geliebt und geehrt bin und als ein durchaus moralischer, tadelloser Charakter gelte?

Ich sehe Sie, verehrungswürdige Frau im Geiste, wie Sie entsetzt die Hände vor das edle Antlitz schlagen – ja es ist das Werk des Teufels!

Ich bin sonst ein ganz braver Mensch, nicht dumm, habe ein tiefes Gemüt und ein gutes Herz, liebe mein Weib und mein Kind innig, wahr und aufrichtig, verehre und liebe alle die Meinen, Teueren, Guten – und dennoch – doch dieses Entsetzliche!

Oh wenn Sie wüßten, welche Selbstvorwürfe ich mir oft schon gemacht, welche Gewissensbisse ich litt, wie namenlos elend ich mir vorkam!

Ich muß, will und werde mich in die Behandlung eines Psychiaters begeben!

Gott gebe seinen Segen dazu, damit ich wirklich genese!

Ihnen, verehrungswürdige Gnädige, bleibe ich bis an mein Lebensende in tiefer Ehrfurcht und größter Hochachtung dankbar, so unaussprechlich dankbar und erkenntlich für Ihre wahrhaft edle Handlungsweise.

Tausendfachen Dank für Ihr Vertrauen, das in der Brust eines – wenn auch unglücklichen – so doch Ehrenmannes – in würdiger Weise verschlossen bleibt.

Nochmals Verzeihung, daß ich Ihren Lebensweg gekreuzt und schmerzliche Erinnerungen wachgerufen.

Verzeihung, daß ich mich Ihnen von meiner erbärmlichsten Seite gezeigt habe und Ihre Entrüstung wachgerufen.

Dank, Dank und abermals Dank für Ihre großmütige Güte und edelherzige Gnade.

Sie sollen Ihr Vertrauen und Ihre Herzensgüte an keinen Unwürdigen verschwendet haben.

Es scheint ein Fluch auf mir zu lasten!

Ich weiß, daß ich untilgbare Sünden auf mich gehäuft, und daß ich wie ein Tannhäuser niemals Vergebung erhoffen darf!

Ich habe mich schon redlich und ehrlich gewehrt gegen dieses Phantom der Hölle!

Ich wollte mich schon wie oft immer und immer wieder bessern, mich läutern, mich reinigen.

Bisher vergeblich!

Doch Ihr Brief, Gnädigste, hat mir die Augen weit aufgerissen und mit Kraft und Gewalt will ich sie so offen behalten!

Ich glaubte mich an einen Dämon der Hölle gewendet zu haben – und ein Engel des Himmels tritt mir mit mildem Ernst entgegen – ist das eine Fügung Gottes?

Ich will es also deuten und noch einmal den Versuch unternehmen, dieses fürchterliche Übel aus mir zu reißen und mein besseres Ich von diesem teuflischen Genossen befreien.

Ich hoffe, Sie haben mich gerettet, hochverehrte Gnädige!

Und somit denn leben Sie wohl.

Behalten Sie mich Unglücklichen in nicht zu schlechtem Andenken.

Ich küsse Ihre Hände in Ehrfurcht und Hochachtung.

Ihr ewig dankbarer ergebener ****«

Ich glaube wohl, daß der Brief ehrlich gemeint war, »allein der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach«.

Einer jener Zufälle, die so oft in meinem Leben eine dominierende Rolle gespielt, brachte mir eines Tages die Gewißheit, daß jener Briefschreiber in Lindheim gefunden, was er vergebens bei mir in Paris gesucht hatte.

Etwa ein Jahr später sandte ich alle Prager Briefe an den Professor v. Krafft-Ebing nach Wien.

Es ist mir nicht mehr erinnerlich, welche äußere Veranlassung mich dazu drängte es zu tun, aber gewiß war mein geheimer Wunsch mit dabei im Spiel, der Gelehrte würde vielleicht daraus die Vermutung schöpfen, daß er mir unrecht getan, wenn er mich in seinem Werk »Psychopathia Sexualis« unter die masochistischen Schriftsteller Unter welchem Zwang ich während meiner Ehe solche Erzählungen schreiben mußte, habe ich in meiner »Lebensbeichte« gesagt. einreiht und bei Gelegenheit einer neuen Auflage mich aus dieser Reihe streichen werde.

Ob er es getan, weiß ich nicht.

Die Rücksendung der Briefe begleitete folgendes Schreiben:

»Wien, 1. Mai 1896.

Gnädige Frau!

Empfangen Sie meinen verbindlichsten Dank für die mir zur Einsicht übersandten Briefe, die ich postwendend retourniere.

Sie gewährten mir einen wertvollen Einblick in die krankhafte Gefühlsweise eines Entarteten und bestätigten mir die Richtigkeit meiner Anschauungen über ein merkwürdiges Gebiet der menschlichen Seelenkunde.

Sie haben edel gehandelt an dem unglücklichen Schreiber der Briefe.

Es wäre allerdings besser, wenn Ihr seliger Mann viele seiner Romane ungeschrieben gelassen hätte, aber wer sie las und dabei Schaden erfuhr, war dazu prädestiniert vermöge einer krankhaften Organisation.

Am meisten hat S.-M. sich damit geschädigt, denn er war eine dichterisch reich veranlagte Persönlichkeit und hätte Bedeutendes geschaffen, wenn er nicht sexuell unglücklich veranlagt gewesen wäre.

Dafür konnte er nichts!

In Hochachtung und Ergebenheit
Ihr Dr. Krafft-Ebing.«

Viele solche Briefe, wie die aus Prag, habe ich im Laufe der Jahre erhalten! Alle bewegen sich in demselben Gedankenkreis – denselben Bildern dumm und gemein – wie die ganze masochistische Literatur, deren Verfasser, wie sie auch heißen mögen, sich gegenseitig abschreiben.

 

Es gehörte zu Sacher-Masochs Eigenheiten, sich stets mit dem ärgsten schriftstellernden Gesindel zu umgeben: Er brauchte Lobhudelei, die gaben sie ihm, dagegen beuteten sie ihn literarisch aus.

Noch mehr als zu seinen Lebzeiten ist dieser literarische Auswurf nach seinem Tode für ihn »tätig«, hängt sich an seinen Namen, um unter dem Schilde »Literarische Studie«, »Ehrenrettung« und derlei pornographische Bücher zu schreiben, verstümmelt seine Werke, indem er alles »Pikante« aus denselben auslöst und mit schamloser Reklame auf den Markt verrufener Literatur wirft.

Daß diese Leute aus Schmutz- und Geldgier es sich nicht entgehen ließen, auch das Eheleben Sacher-Masochs auszubeuten, ist natürlich, ebenso, daß ich für die Glorifikation Sacher-Masochs die Rechnung bezahlen muß.

Denn daß sie mich nicht kennen, mich nie gesehen haben, nichts aus persönlicher Anschauung und Beobachtung von mir wissen, das geniert solche Bücherfabrikanten nicht – ihre Verleger und Leser auch nicht.

Geheime Verstärkung und Unterstützung finden sie bei allen jenen, deren soziale Stellung ihnen verbietet, sich offen zum Masochismus zu bekennen, die aber ihren Herrn und Meister, den Verherrlicher ihrer Laster, durch die Wahrheit nicht »verunglimpft« sehen wollen, daher mit ganzer Seele dabei sind, Steine aus dem Kote aufzulesen, um sie nach einer unglücklichen, vom Leben zermalmten alten Frau zu werfen.

 

Ich weiß nicht, ob Herrn Schlichtegrolls Buch über mich einen literarischen oder buchhändlerischen Erfolg hatte – aber einen Erfolg hatte es, und zwar einen, den der Verfasser gewiß nicht in Rechnung gebracht hat: Es hat mir eine ganze Bande von Masochisten auf den Hals gehetzt.

Das Behagen, die Liebe, in der Herr Schlichtegroll sich ergeht, alle mir angedichteten schmachvollen Eigenschaften zu schildern, mich in meiner ganzen Niedertracht zu zeigen, verraten ihn als Anhänger des Masochismus, der sich in seinen Schilderungen selbst berauscht, sich damit sein Ideal erschafft, es eifrig mit allem ausstattet, das ihn daran entzückt.

Da es aber nun nur ein masochistisches »Ideal« gibt, hat er damit dem Ideal aller Masochisten Gestalt gegeben – und nun strömen sie mir zu, diese traurigen Ritter, wollen die Frau, »die sie im Leben vergebens gesucht« und – o Glück! – endlich! in Herrn Schlichtegrolls Buche gefunden, in Fleisch und Bein kennen lernen, ihr ihre Huldigungen zu Füßen legen, ihre Anbetung darbieten.

Einer Sechzigjährigen!

Welch erdrückender Triumph!

 

Und was für Leute sind das, die unter vollem Namen an mich schreiben, mich persönlich aufsuchen!

Nur Personen in hoher Stellung oder glänzenden Vermögensverhältnissen – arme Teufel dürfen sich den Luxus, Masochisten zu sein, nicht erlauben.

Die erste Annäherung geschah selbstverständlich stets unter einwandsfreier Form: sie hatten alle »Meine Lebensbeichte« mit »größtem Interesse« gelesen, waren davon »erschüttert und tiefgerührt«, fühlten die »aufrichtigste Teilnahme und innigste Freundschaft« für mich, die »so viel gelitten« usw.

Nur einer von allen war ehrlich genug, ganz unverhohlen zu gestehen, daß ihn nicht mein Buch – von dem er nicht ein Wort glaube –, aber das Schlichtegrolls bis zur Raserei entzückt, zugleich aber auch in Wut versetzt habe, weil er seiner Vermutung, ich müsse die Frau seiner Träume sein, nicht längst gefolgt und sich mir genähert habe.

Erst ging ich in der naivsten Weise in die Falle.

Da ich aber, kaum daß sich eine Korrespondenz entwickelt hatte, jedesmal sah, wie sich »Teilnahme und Freundschaft« in Liebe – die Herren nennen das so – verwandelte, wurde ich vorsichtig.

Schneller wurde mir Klarheit, wenn der eine oder andere – diese hatten es eben sehr dringend – mich persönlich aufsuchte; und sie mußten weite Reisen machen, die manchmal wahre Irrfahrten wurden, um mich zu finden.

Was waren das für peinliche, schamvolle Unterredungen! Was für düstere Geständnisse mußte ich anhören! Wie grausam sie enttäuschen!

Keiner dieser Männer war des Interesses auch nur eines Augenblickes wert.

Blind gemacht durch ihre Leidenschaft, haben sie gleich Unzurechnungsfähigen ihre Ehre, fast möchte ich sagen, ihr Schicksal, in meine Hände gelegt – und sie mögen Gott danken, daß ich nicht ihr Ideal bin und von dem, was ich gleichsam mit ihnen erlebt, was sie mir vertraut, nichts mehr weiß.

Ein einziger beschäftigt noch manchmal meine Gedanken. Er stand jener »Tafelrunde« nahe, die M. Harden mit seinen Artikeln in der »Zukunft« so geräuschvoll zersprengte und gilt in seinen Kreisen als Sadist.

Schon war er im besten Zuge sich wie die anderen mir auszuliefern, als die Enthüllungen Hardens dazwischen kamen und ihn kopfscheu machten.

Was konnte der Sadist von dem Schlichtegrollschen Ideal erwarten?

Die Antwort wäre interessant – allein man müßte sie aus dem Sumpf masochistischen Geistes heraufholen.

Mag sie lieber dort bleiben.

Mein letztes Wort.

Als ich meine Memoiren schrieb, bemühte ich mich mir stets vor Augen zu halten, daß es mein Leben und nicht das Sacher-Masochs war, das ich beschreiben wollte. Ich glaube, ich bin diesem Vorsatz treu geblieben: Ich spreche von ihm, wo er in mein Leben tritt, und schweige über ihn wo er aus demselben scheidet.

(Übrigens hat mir die Kritik aus dieser Zurückhaltung einen Vorwurf gemacht: Ich hätte hell hineinleuchten sollen in die dunkelsten Tiefen von Sacher-Masochs Natur.) Dr. A. Elster, Jena, »Leipziger Tageblatt«.

Wenn ich heute etwas weitergehe, so ist es im Interesse der Wahrheit, die seine Anhänger, die Masochisten, gefälscht haben und weil ich glaube, damit eine gute Handlung zu vollbringen.

Denn wenn ein Mensch, wie es Sacher-Masoch getan, seine Zeit so mächtig und in so ungünstigem Sinne beeinflußt, mit seinen krankhaften Phantasien gleichsam Schule gemacht hat, ist das de mortuis nil nisi bene nicht am Platz.

Und ich gehe noch weiter: Warum sollen die Lebenden die Last nicht abschütteln, die ihnen der Tote aufgebürdet, warum sollen sie in Bedrückung weiter leben, da er doch keinen Schaden mehr davon haben kann.

 

Vielleicht gibt es Leute die der Meinung sind, ich hätte aus Rücksicht für Sacher-Masochs Talent schweigen sollen; ich werde ihnen antworten, daß er diese Rücksicht zuerst hätte haben sollen.

Ja, wäre er ein wahrhaft großer Künstler gewesen, dann würde der Vorwurf vielleicht gerecht sein.

Vielleicht!

Denn so hoch man auch die Kunst stellen mag, das Leben mit seinen Wahrheiten – das Menschenschicksal steht höher.

In dem Wahn der Kunst zu dienen, opferte ich mich dem Künstler – bis ich das Widernatürliche, Unsinnige und vor allem das Nutzlose meines Opfers zu spät erkannte.

Die Kunst, die zur Bestie wird und Menschenleben verschlingt, um sich zu nähren, ist wahrlich ein zu teuer erkauftes Vergnügen; sie ist es um so mehr, als es auch eine Kunst gibt, die reich genug in sich selbst ist, um solche Gewaltmittel entbehren zu können.

Und wer predigt das?

Solche, die wahrscheinlich nicht ein Atom ihres eigenen Lebens den Künsten opfern würden.

Aber Sacher-Masoch war kein großer Künstler. Nur die ersten Schritte machte er hinauf zu den Höhen der Kunst, dann bog er ab und fand den rechten Weg nie wieder.

Und eine Kunst, die, anstatt die Menschen zu erfreuen und zu erheben, sie auf Abwege bringt, die Jugend vergiftet, verdient nicht, daß sie besteht, und noch weniger, daß man ihr Opfer bringt. Sie ist im moralischen Sinne, eine ansteckende Krankheit, und zu zeigen, welche ihre Folgen sind, eine Wohltat für jene, die dafür inklinieren.

Man sehe sie doch an, diese unglücklichen Masochisten! Welcher Aufwand von Verlogenheit, welches krampfhafte Herbeiziehen schöner erheuchelter Gefühle um andere, und am meisten sich selbst, zu täuschen! Dann das Verbrechen, das Bessere zum Werkzeug niederster Lüste zu machen.

Welche Gefahr sind solche Verfehlte für die Menschheit, für ihre Angehörigen; anstatt sie zu lesen und zu bewundern, sollte man sie in Anstalten bringen, um sie zu heilen oder wenigstens unschädlich zu machen. Kein Masochist sollte sich verheiraten dürfen. Ist das aber bereits geschehen, müßte der »Masochismus« als Scheidungsgrund erkannt und die Kinder dem Vater entzogen werden.

Es gibt kein Gesetz, das die Frau vor dem demoralisierenden Einfluß des Mannes schützt, keins, das diesen, »wegen Mißbrauch der Amtsgewalt« könnte man sagen, zur Verantwortung zieht; dagegen aber gibt es eins, das die Unterlegene straft.

Aber, ihr weisen und erhabenen Richter! sie hat nur getan, wozu sie der Mann unter furchtbaren seelischen Kämpfen zwang.

»Gilt nicht«, sagen die Richter, und »wir wissen nichts davon«, sagen die Gesetze.

Das »Er soll dein Herr sein«, bleibt bestehen und in unserer modernen, auf ihre Kultur so stolzen Zeit ist, die Frau fast ebenso Eigentum des Mannes wie bei den Zulukaffern.

 

Und jetzt mögen alle Schlichtegrolls der Welt kommen und noch ganze Karren voll Bücher über mich schreiben, ich werde keinen Tropfen Tinte mehr für sie übrig haben.


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