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Der Sommer war vergangen und der Herbst kam. Die Nächte waren schon kalt und morgens war alles weiß bereift, als wir endlich genug Geld bekamen, um, was wir hier den Leuten schuldeten, zu bezahlen und nach der Stadt überzusiedeln.

Wir hatten den dritten Stock eines Hauses in der Normalschulgasse gemietet. Die Wohnung bestand aus zwei großen und zwei kleinen Zimmern. Sie wäre für uns groß genug und sogar behaglich gewesen, hätten wir nicht Kapf auf dem Rücken gehabt. Nach der Lage der Zimmer mußte ich ihm eins der großen geben, das zugleich als Speisezimmer dienen mußte.

Wir hatten unsern Salon verkaufen müssen, und mußten jetzt mein Zimmer, das zweitgrößte, zum Empfangszimmer machen. Um in dieses zu gelangen, mußte man durch das Speisezimmer; da Kapf aber dort schlief, war es abends und morgens unpassierbar; wollte ich hinaus, dann mußte ich durch das Zimmer meines Mannes und das der Kinder.

Doch das war nur eine Unbequemlichkeit, die zu ertragen gewesen wäre. Dagegen war ein Schlafgast im Speisezimmer unsauber und unappetitlich. Ich mußte täglich alle meine Geduld zusammennehmen, um das zu ertragen. Und wegen dieses Gastes mußten alle Kinder mit der Magd in einem kleinen luft- und lichtlosen Hinterzimmer schlafen.

 

Es war in den ersten Novembertagen, als mein Mann folgenden Brief erhielt:

»Wie viel vom ›neuen Plato‹ nennst du noch dein? Was vermag dein Herz zu bieten? Liebe um Liebe? Wenn deine Sehnsucht nicht Lüge war, ist, was du suchst, gefunden.

Ich bin weil ich muß
dein
Anatol.«

Der Brief kam aus Ischl, gab aber eine poste restante-Adresse in einem andern Ort an, ich glaube Salzburg.

Leopold kam darüber in einen furchtbaren Zustand von Aufregung und Neugierde. Der Brief spielte auf eine seiner Novellen aus dem »Vermächtnis Kains«, »Die Liebe des Plato«, an. Er wies auf eine vornehme Hand. Wer konnte das sein? Wars ein Mann? eine Frau? Das war daraus nicht ersichtlich. Jedenfalls war es ein interessantes Abenteuer, das man nicht vorübergehen lassen durfte.

Ganz zitternd vor Erregung antwortete Leopold:

 

»Anatol!

Deine Zeilen haben meine Seele aufgeregt, wie der Sturm das Meer, es wirft seine Wellen bis zu den Sternen – ohne Not – denn ein Stern ist ja zu ihm herabgekommen.

Wir haben eine wunderbare Sage in Galizien. So oft ein Stern fällt, wird er, in dem Augenblick, wo er die Erde berührt, zu einem Menschen von fremdartiger, zauberhafter Schönheit, dessen Engelsantlitz goldrotes Haar dämonisch umwallt. – Dieses Wesen, Mann oder Weib, dem kein Sterblicher widerstehen kann, ist ein Dämon, der die Menschen, die ihn lieben, die ihm verfallen sind, mordet, indem er ihnen küssend die Seele aus den Lippen saugt. Du, Anatol, bist so ein Stern, der in eine Menschenseele gefallen ist! Wer hat Dir diese Macht über mich gegeben? Ob Du ein Engel, ob Du ein Dämon bist, ich bin Dein, sobald Du es nur willst.

Du fragst, wieviel vom ›neuen Plato‹ ich noch mein nenne?

Alles, Anatol, alles und noch mehr, als ich in der Geschichte des neuen Plato zu schildern vermochte. Denn es gibt eine Liebe, es gibt Empfindungen, Träume, göttliche Eingebungen der Seele, welche wiederzugeben jede Feder zu arm ist. –

Deine Frage beweist mir, daß Du an mir zweifelst.

Ich werde so oft falsch beurteilt, und nur, weil ich in vielen meiner Dichtungen die Welt, das Leben so niedrig und abstoßend geschildert habe, und es nur wenige gibt, die verstehen, daß es der Schmerz, die Verzweiflung einer idealen Seele über die moralische Häßlichkeit der Menschen ist, welche mir so bittere Worte, so düstere Bilder auf das Papier geworfen hat. Wo ich ideale Naturen schilderte, habe ich fast nur aus mir geschöpft, vor allem im neuen Plato.

Was mein Herz noch zu bieten vermag?

Alles, dessen ein Menschenherz fähig ist und ein Dichterherz.

Freundschaft um Freundschaft, Liebe um Liebe!

Soll ich noch überlegen, wenn Du mir sagst, daß ich gefunden habe, was meine heilige Sehnsucht an sonnigen Tagen und in dem geisterhaften Dunkel der Nacht, wenn mir Anatol im Traum erschien, um mir die Ruhe, den Schlaf zu rauben?

Bist Du Anatol, dann bin ich Dein, nimm mich hin! Von ganzer Seele

Dein
Leopold.«

Mein Mann verbrachte die Tage, bis Antwort kam, in unbeschreiblicher Spannung. Endlich kam sie und lautete:

»Leopold!

Hast Du nie geweint nach innen?

Da sitze ich trockenen Auges und fühle Träne um Träne im Herzen. Ein Schauer durchschüttelt mich, und meine Seele ringt, als wollte sie sich gewaltsam befreien aus der Hast des Körpers.

Mein ganzes Wesen füllst Du!

Man gab mir eben Deinen Brief, und seit ich ihn las, weiß ich nichts mehr, als daß ich Dich grenzenlos liebe, wie – wie nur Du geliebt werden kannst, wie nur Anatol lieben kann.

Alles, was Gutes, Edles, Ideales in mir ist, alles soll Dein sein, den Funken Göttlichkeit, der in jedem Menschen liegt, will ich in mir zur Flamme anfachen, Dir geweiht – und wenn diese reine, geistige, heilige Liebe mich nicht zu Deinem Anatol macht, dann bin ich es nicht.

Und nun weinen auch die Augen – Tränen der Liebe, des Entzückens. Ich muß es doch wohl sein, meinst Du nicht, Leopold? Ist der Himmel zur Erde gesunken? Seine Wonnen durchzittern mich.

Ich soll Dein Glück sein? Könnte ich Dir all das wiedergeben, was Du mir geschenkt hast! –

Sieh, in den wenigen Zeilen, die ich Dir gesandt, liegt ein ganzes Buch, das mein Herz dazu geschrieben, und Du hast es gelesen!

Muß ich nicht Dein sein?

Ich sollte Dir mißtrauen, da Du Dich edelsinnig in aller Herrlichkeit Deines Herzens zeigst? – Allein ich will nichts anderes für Dich sein, als Anatol, kein anderer Gedanke soll mich Dir verkörpern. Auch kein anderer Name. Jetzt weiß ich, was die Liebe ist, und jubelnd tönt es in mir – Du hast recht:

›Die Liebe ist die geistige Hingabe an eine andere Persönlichkeit. Man gibt seine Seele hin für eine Seele.‹

Gib mir Deine Seele! – Ich bin kein Dämon, Leopold – ich selbst gehorche einer anderen unbekannten Gewalt, über die ich nichts vermag. Und wenn es auch wahr ist, daß noch jeder mich lieben mußte, von dem ich es wollte: jene Hingebung, die ich von Dir fordere, kann mir niemand sonst gewähren – ich will sie auch von keinem andern, so wie ich sie nur Dir erwidern kann.

Ich bin ja Anatol, Dein Anatol! Welch Kind ich war, daran zu zweifeln, zu sündigen an dem geheimnisvollen Wunder, das sich an uns erfüllt. Jetzt ist es mir erschreckend klar, daß wir einander verfallen sind für die Ewigkeit. Leopold, mich durchschauerts! Es ist das Erhabenste, was ich je gedacht. Dein für alle Ewigkeit, ohne Aufhören – ohne Ende! – Oder glaubst Du, daß solche Liebe mit uns sterben könne! – Das also ist meines Lebens Zweck, deshalb mußte ich zur Erde! Dein Sehnen zu erfüllen, Dich, Du stolzer, reiner Geist an mich zu fesseln – unauflöslich! Das ist groß, das ist göttlich!

Meinst Du, ich wußte nicht, was Du mir schreibst, daß Du alles Ideale in Deinen Schöpfungen aus Dir selber hast! – So viele, die Dich bewundern, mehr, die Dich tadeln, und keiner, der Dich versteht. Wozu auch? Was brauchst Du die Anderen, hast Du nicht mich, bin ich nicht Dein Alles? Und ich hätte an Dir gezweifelt? Wenn ich zauderte, meinen Brief an Dich zu senden, wenn ich fragte, was noch Dein sei von Glaube, Liebe und Jugendmut, so war es nur, weil ich nicht wissen konnte, ob Du nicht ermüdet seiest im Kampf mit dem Gewöhnlichen, ob Du nicht eine neue Enttäuschung fürchtend – Antwort versagen würdest. Aber Du hast geschrieben, und nun möchte ich Dir immer aufs Neue sagen: All mein Wesen füllst Du! Das muß Dich ermüden, und ich kann nichts andres denken.

Jede Empfindung, jeder Atemzug gehört Dir. Für alles Übrige bin ich fühllos. Wenn dieser Zustand so unendlich ist, wie die Leidenschaft, die ihn hervorrief, dann erliege ich!

Leben oder sterben – was liegt daran?

Im Traum ist doch stets bei Dir

Dein
Anatol.«

Das war exzentrisch, aber es war doch gut; es brachte »Stimmung« in das Dichterheim. So etwas brauchte Leopold. Und wenn ein schönes Kunstwerk aus Überspanntheit oder Unwahrheit heraus entsteht, ist es deshalb weniger schön?

Darum war ich fest entschlossen, »mitzutun«, so weit ich überhaupt dabei in Frage kam. –

Interessant war es mir dabei, Leopold zu beobachten. Als er diese Briefe schrieb, hielt er sich auch ganz bestimmt für den idealen Menschen, für den er sich gab, und er konnte dabei ganz gerührt werden über sich selbst. Waren sie aber einmal abgegangen, dann legte er den Idealismus ein wenig beiseite und fing an, die Geschichte auch von der praktischen Seite zu betrachten. Denn wenn die Schwärmerei eines anderen ganz den Eindruck der Wahrheit machte, so wußte er, mein Mann, doch ganz gut, daß die seine nicht echt war und er sich nur hineinkünstelte, wenn er sich das auch nicht selbst eingestand. Und dann war »Die Liebe des Plato« durchaus nicht sein Fall, und der, der als Anatol schrieb, mußte sehr wenig von Sacher-Masoch wissen, um das anzunehmen. –

Leopold glaubte und hoffte ganz entschieden, daß es eine Frau war, da er aber fürchtete, daß es dann Konflikte mit mir gäbe, gab er sich den Anschein, als glaubte und hoffte er das Gegenteil. In beiden Fällen aber war das, um was es sich dabei handelte, ein rein geistiges Verhältnis, eine Lüge seinerseits. Eine jener Lügen, an die er sich eisenfest klammerte und die er nie als solche erkannt haben würde, mochten sie noch so klar von dem Licht der Wahrheit durchleuchtet sein, denn auf ihnen ruhte sein Glaube an sich selbst, an seinen moralischen Wert: und ohne diesen Glauben hätte er nicht leben können. –

Mir tat es schon jetzt leid um den Schwärmer Anatol, der blind, wie ein Kind oder wie ein verliebtes junges Weib seine Seele auslieferte, wenn für ihn der Augenblick der Enttäuschung kommen würde. Denn von dem Menschen Sacher-Masoch schien er gar nichts zu wissen, keine Ahnung zu haben von den Verhältnissen, unter welchen dieser lebte; nicht ein Wort davon, daß er verheiratet war. Ein verheirateter Plato! Das hatte Anatol gewiß nicht geträumt.

Die Korrespondenz ging weiter. Da die Briefe nie von demselben Ort kamen und ebenso an verschiedene gingen, nahm sie viel Zeit in Anspruch. Es kamen solche von Salzburg, Wien, Brüssel, Paris und London. Es war augenscheinlich, daß Anatol seine Person ängstlich verbarg.

Leopold aber drang auf persönlichen Verkehr, ohne jedoch ein Erkennen zu verlangen. Er schrieb:

»›Er glaubte, eine Seele lebe
Mit ihm geheim in Sympathie,
Die sehnsuchtsschmerzlich nach ihm strebe,
Doch sie kennt ihn nicht, noch er sie!‹

Anatol! In diesen schönen Versen Puschkins kannst Du mein ganzes Schicksal lesen, wie es bisher war. Ach! ich war so einsam, und in dieser Einsamkeit doch nie allein, es wehte mich zu Zeiten an wie holde Himmelsluft, wie der sanfte Flügelschlag einer mir seit Ewigkeit befreundeten Seele, ich ahnte, ich fühlte, ich ersehnte sie, aber sie blieb mir doch ewig fern. Nun habe ich sie gefunden, Du bist mein geliebter Anatol! Ich fühle es, um noch einmal Puschkin für mich sprechen zu lassen – ›für Dich allein bin ich geboren‹, fühlst du anders, daß Du Dich noch weiter in Geheimnis hüllst? Daß Du sogar daran denkst, mir körperlich fern zu bleiben? Wie soll ich das fassen?

* * *


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