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Bedrückend wirkte in der ersten Zeit die von einem seltsamen Duft erschwerte Luft auf mich. Es war mir, als ob ich ein Opiat eingenommen hätte: der Kopf zeigte sich benommen und der Atem beklemmt. Auch die Kinder waren davon beunruhigt: nachts schrien sie voll Schrecken auf und wehrten unter angstvollem Weinen traumhafte Ungeheuer mit den Händen von sich ab; erst wenn sie wieder ganz erwacht waren und sich in unseren Armen sahen, beruhigten sie sich. Nur Leopold blieb davon ganz unberührt. Lange suchten wir nach einer Erklärung dafür, die uns auch endlich wurde.

Ganz nahe beim Hause, durch ein hohes dichtes Gesträuch gedeckt, befand sich der Brunnen. Eines Tages sah ich dort einige Männer in den Zweigen eifrig herumhantieren. Auf meine Frage, was sie da täten, sagten sie mir, sie hätten die »spanischen Fliegen« in der ganzen Gegend gekauft und seien nun gekommen, ihre Ernte einzusammeln. Und jetzt erst bemerkte ich, daß alle Blätter des Gesträuchs mit kleinen glänzend-grünen Käferchen bedeckt waren, die die Männer gewissenhaft abnahmen und in Gläsern verwahrten. Mit den Käfern war auch der süße, aber betäubende Duft verschwunden, der mich und die Kinder krank gemacht hatte.

Mit Liebe, Ehrfurcht und Bewunderung blickte das ganze Haus auf meinen Mann. Wie lieb, wie einfach war er, und wie herzensgut! Den Frauen sagte er angenehme Dinge, die Mädchen behandelte er mit achtungsvoller Zärtlichkeit, prophezeite ihnen eine schöne Zukunft und ließ sie ein geheimnisvolles Glück ahnen, das sie erwarte, und keiner konnte, wie er, so auf den kindlichen Geist eingehen und sich mit wärmerem Interesse an seinen Spielen beteiligen. Oft saß er mitten unter den Kleinen und erzählte ihnen so wunderbare Geschichten, daß sie regungslos, wie in einem Zauber befangen, um ihn standen und mit weit offenen Augen lauschend an seinen Lippen hingen.

So wirkte er anregend und belehrend auf alle, und alle Herzen, die großen wie die kleinen, scharten sich in dankbarer Liebe um ihn.

Einmal plante er ein Kostümfest. Da saß er denn viele Tage mit den Frauen zusammen, um mit ihnen die für ihre Schönheit passendsten Kostüme zu wählen. Sie schleppten ihm dann alle ihre Kleider, Spitzen, Bänder und Schmucksachen herbei, und er besah alles, stellte zusammen und hielt Proben mit ihnen ab. Die Mittel waren nur geringe, aber er war erfinderisch und brachte es fertig, daß an dem bestimmten Tage das ganze Haus, alt und jung, kostümiert einherging.

Am liebsten war ihm aber doch das »Räuberspiel«, denn das gab Gelegenheit zu Grausamkeiten. Der große Garten war wie geschaffen dazu: da waren Berge, dunkle Schluchten, unheimliche Höhlen, tiefe Abgründe, lauter Orte, wo der harmlose Wanderer überfallen, ausgeraubt und verschleppt werden konnte. Dann wurden die Mädchen in meine Pelzjacken – das Symbol der Grausamkeit – gesteckt, schlichen in ihre Schlupfwinkel, und die Angst begann für den einsam dahinwandernden Mann. Kam er an eine abgelegene Stelle, so ertönte ein geheimnisvoller Pfiff, und plötzlich stürzten von allen Seiten die Pelzjacken auf ihn los. Wohl versuchte er sich zu verteidigen, zu fliehen, allein die vielen Pelze überwältigten ihn bald; er wurde an Händen und Füßen mit starken Stricken gefesselt und tief in den Urwald geschleppt, wo der Hauptmann der Bande – das war ich – über ihn Gericht halten sollte. Gern hätte er sich von den Mädchen strafen lassen, allein er wagte ein solches Verlangen nicht zu stellen, wußte auch zu gut, daß sie es nicht übers Herz gebracht hätten, ihrem geliebten »Herrn Doktor« ein Leid zuzufügen. –

In warmen mondhellen Nächten saßen wir zuweilen bis Mitternacht im Garten, während drinnen Franzi, die älteste Tochter von Frau Ries, ein liebes siebzehnjähriges Mädchen, schöne ernste Musik machte. Schweigend saßen wir und lauschten. Hoch kalt und teilnahmslos zog der Mond über uns hin und verschwand dann hinter den Pappeln, die uns bald in ihre Schatten hüllten, bis nur noch die weiter abstehenden Birken in hellem Silberglanz leuchteten.

Feierlich klangen die Töne durch die stille Nacht; die Wirklichkeit sank zurück in graue neblichte Ferne; alte Träume wachten auf, und längst vergessenes Hoffen und Sehnen regte sich wieder.

Aber all dies Erinnern war schlaff und matt, das letzte kraftlose Aufwachen einer Seele, die an keinen Widerstand mehr denkt, bereit ist, den Kopf zu neigen und die Wellen des Lebens über sich zusammenschlagen zu lassen. –

Immer tiefer sank der Mond, das Licht der Birken erlosch, und immer länger streckten sich die Schatten der Bäume, bis sie ganz ineinanderflossen, und alles zu einem unklaren, verworrenen Bild wurde – wie Menschenschicksal.

 

Ich fing wieder an zu schreiben. Ich hatte jetzt keinen Haushalt zu führen, und da ich die Stunden, die Leopold arbeitete, doch bei ihm im Zimmer sitzen mußte, konnte ich ebensogut schreiben und Geld verdienen. Ich verfaßte also jede Woche ein Feuilleton für das »Pester Journal«, das mir 10 fl. dafür bezahlte; auch für ein Berliner und ein Hamburger Blatt schrieb ich von Zeit zu Zeit kleine Geschichten, so daß ich jeden Monat 40 bis 60 fl. verdiente.

Ich tat es gern und würde es noch lieber getan haben, hätte ich schreiben können, wie es mir gefiel; aber das durfte ich nicht. Meine Arbeit sollte meinem Manne zur Freude und zum Vergnügen werden, deshalb mußten es »grausame« Geschichten sein, die ich schrieb. Um mich in die richtige Stimmung zu bringen, war es nötig, daß ich eine Pelzjacke anzog und eine große Hundepeitsche vor mir auf dem Tisch lag.

So saß ich denn bei dreißig Grad Hitze schön warm in meinen Pelz gehüllt und zermarterte mir mein armes Gehirn, das gar nicht in dieser Richtung gehen wollte, um grausame Situationen zu erfinden. Aus solcher Zwangsarbeit konnte nur wertloses Zeug entstehen, und das war es auch. Ich schämte mich damals, als ich es schrieb, und ich schäme mich heute noch mehr als damals: über eine Frau, die solche Geschichten schreibt, hat das Publikum ein Recht, sich eine gewisse Meinung zu bilden – wie Professor Krafft-Ebing das Recht hatte, mich in seinem Buche über »Masochismus« in die Zahl jener Schriftsteller einzureihen, die ihm das Material lieferten zu seiner psychologischen Studie. –

Ende Mai erkrankte Sascha an der Diphtheritis. Ein Entsetzen ging durchs ganze Haus. Es waren ja so viele Kinder da, und Frau Ries hatte erst vor wenigen Monaten einen dreijährigen Knaben an dieser furchtbaren Krankheit verloren.

Ein Studienfreund meines Mannes, Dr. Schönfeld, lebte als praktischer Arzt in Gyangyos; er hatte durch die Zeitungen erfahren, daß Sacher-Masoch in Ecsed wohne, und war vor einigen Tagen gekommen, ihn zu besuchen. Jetzt wurde ein reitender Bote nach ihm gesandt, allein es war wenig Hoffnung, daß er vor dem Abend kommen könne, vielleicht erst den folgenden Tag – und was bis dahin?

Bis dahin geschah folgendes: Frau Ries zog rasch ihr Wollkleid aus und ein Leinenkleid an und empfahl mir, dasselbe zu tun. Unterdes hatte sie auch schon Befehl gegeben, alle Betten der Kinder wegzuschaffen in das am fernsten gelegene Zimmer, die Kinder selbst aber bis zur Schlafenszeit überhaupt nicht ins Haus zu lassen. Bleich und ernst, aber mit dem Mut, der Energie und Sicherheit eines erfahrenen Feldherrn, traf sie ihre Anordnungen zu der bevorstehenden Schlacht mit dem Tode.

Auch Leopold verwies sie aus dem Krankenzimmer, und in wenigen Augenblicken war sein Bett und Schreibtisch verschwunden. Frau Ries hatte eine kleine Hausapotheke von Pest mitgebracht; dieser entnahm sie alles für einen solchen Fall Nötige.

Nun ging es an ein energisches Einpinseln. Das Kind, das in meinem Bette lag, war sehr ängstlich, sehr empfindsam und erschreckt, schon wenn es den Mund öffnen sollte. Nur mit der größten Zärtlichkeit, und nur, weil sein Vater draußen stand und durch die Glastüre mit bittend erhobenen Händen seinen Liebling anflehte, sich behandeln zu lassen, damit er wieder gesund werde, denn sein Papa leide zu schrecklich, ihn so krank zu sehen, überwand er seine Furcht und ließ sich die Einpinselung gefallen. Ich hielt den Kranken in den Armen, und Frau Ries vollzog mit geschickter Hand die Operation. Wenn dann der Kranke hustete, uns mit seinem Auswurf bespritzte, kam mir wohl das Bedenken, ob ich denn die Frau, die Mutter so vieler Kinder war, dem aussetzen durfte; aber die Angst um mein eignes Kind überwand die Bedenken, mein Egoismus nahm das Opfer an, das ich an ihrer Stelle vielleicht nicht zu bringen vermocht hätte. –

Leopold hatte sich draußen seinen Schreibtisch so gestellt, daß er während der Arbeit durch die Glastüre den Kranken sehen konnte. Er sandte ihm von dort her zärtliche Worte und Küsse, der Kleine aber, der nicht fassen konnte, daß sein geliebtes Papachen so weit von ihm blieb, blickte voll Sehnsucht nach ihm und verlangte mit seiner schmerzenden Stimme:

»Der Papa soll herein kommen.«

»Das regt das Kind auf«, sagte Frau Ries, »der Herr Doktor sollte sich lieber so setzen, daß ihn das Kind nicht sehen kann.«

Ich schrieb das auf einen Zettel und hielt diesen an die Glasscheibe. Auf dieselbe Weise antwortete er mir, er könne das nicht, es sei ihm zu schmerzlich, das Kind nicht zu sehen, er ziehe es vor, spazieren zu gehen.

Frau Ries und ich verließen das Zimmer nicht; in angstvollem Schweigen saßen wir viele Stunden den Kranken beobachtend. Trübe Erinnerungen mochten an dem Geist der Frau, die mir eigentlich eine Fremde war und sich jetzt wie die treueste Freundin benahm, vorüberziehen; oft sah ich, wie ihr Mund schmerzhaft zuckte und ihre Augen feucht wurden. Nie hatte sie mir von ihrem verstorbenen Knaben gesprochen, die Wunde blutete noch zu heftig, nur die Mädchen, besonders Franzi, hatten mir gesagt, sie dürften die Mutter nie allein lassen, denn dann denke sie gleich an den Verlorenen, und weine bis sie krank werde.

Mit welch peinigenden Gedanken mochte sie jetzt an dem Bett meines Kindes sitzen, wieviel Kraft mochte sie aufwenden, um die Tränen zurückzuhalten, die mich erschreckt haben würden. Mit welchem Weh mochte sie das zerquälte Gesichtchen meines Sascha an die Leiden und die furchtbaren letzten Augenblicke ihres Dahingegangenen erinnern! Was war ich dieser Frau, daß sie mir in diesen Stunden lähmender Angst so mutig zur Seite stand? Wie würde ich ihr das je danken können!

Spät am Nachmittag kam Dr. Schönfeld und fast zugleich mit ihm auch mein Mann von seinem Spaziergang zurück.

Mit kurzen Worten erzählte Frau Ries dem Arzt was sie getan und, nachdem dieser das Kind untersucht, erklärte er, daß es wahrscheinlich dank ihrem raschen und energischen Eingreifen schon jetzt außer Gefahr sei. Zu unserer Beruhigung wolle er jedoch die Nacht dableiben.

Leopold hatte in angstvoller Spannung durch die Glasscheiben den Arzt beobachtet und gehört was er gesagt, und Tränen der Freude und Erlösung liefen ihm über das Gesicht. Als Frau Ries jetzt herauskam, um nach einem Bad und Kleiderwechsel wieder zu ihren Kindern zurückzukehren, die sie den ganzen Tag nicht gesehen, trat mein Mann vorsichtig zur Seite, sagte ihr aber, er werde sich von ihrem Manne die Erlaubnis erbitten, sie umarmen und küssen zu dürfen für die Güte und Liebe, die sie seinem Liebling erwiesen.

Ich blieb die Nacht allein mit dem Kinde, das schon viel leichter atmete und ziemlich ruhig schlief.

Schon nach einigen Tagen war das ganze Haus, groß und klein, dabei, dem Genesenen draußen in der Sonne ein weiches Lager aufzuschlagen. Und dann lag er dort in süßer Mattigkeit, ein seliges Lächeln in dem lieblichen, jetzt etwas schmalen Gesichtchen, und blickte voll dankbarer Zärtlichkeit auf die, die sich um ihn in bewundernder Liebe scharten.

Und Frau Ries?

Viele Jahre sind seitdem verflossen; in allen diesen Jahren quälte und quält mich heute noch der Gedanke, daß ich der Frau für das, was sie mir getan, nicht so gedankt habe, wie ich es empfunden. Wenn es so ist, so sind wieder nur meine unseligen Verhältnisse daran schuld, die mich immer mehr und mehr scheu und verschlossen machten und mich drängten, jedes herzliche Näherkommen zu vermeiden.

 

Wir wurden mit einigen Nachbarn bekannt.

Als wir in Hatwan aus dem Zuge stiegen, stellte sich uns dort ein junger Mann, Alexander Groß, als Freund des jungen Gabriel v. Korsan vor. Er hatte unsre Ankunft erwartet und bemerkte, seine Eltern wohnten auf ihrem Gute in der Nähe und würden sich sehr freuen, uns kennen zu lernen. Er war auch mit der Familie Ries bekannt, begrüßte sie und meldete ihr seinen Besuch in Ecsed an.

Er kam ziemlich oft, so oft, daß man sich darüber zu wundern begann. Wir lernten auch seine Eltern kennen und seine Schwester Irma, ein sechzehnjähriges prachtvoll schönes Mädchen. Die ganze Familie war augenscheinlich sehr bemüht, ein distinguiertes Wesen zur Schau zu tragen und alles ängstlich zu vermeiden, was etwa an grobes Landleben hätte mahnen können. Aber ich glaube, sie hätten nichts riskiert, wenn sie diesen Anstrich, der ihnen etwas Geziertes gab, vermieden hätten; sie hatten innere Feinheit genug, um sich ganz so geben zu können, wie sie waren.

Besonders innig schien mir das Verhältnis von Mutter und Sohn zu sein. Frau Groß war eine hochgewachsene, noch schöne Frau, die nur wenig sprach und oft zerstreut und traurig vor sich hinblickte, wie jemand, der geheimen Kummer hat. Wenn dann der Sohn, der noch um einen Kopf über sie hinausragte, auf sie heruntersah, ihre abwesende Miene bemerkte, kam auch in sein hübsches gutmütiges Gesicht ein ernster, sorgenvoller Ausdruck. Er mochte dann wohl wissen, wo die Gedanken seiner Mutter waren, und mit ihr leiden.

 

Wir lebten in Ecsed ganz das jüdische Leben, hielten den Sabbat, aßen Schalet und all die speziell jüdischen Speisen und wurden nach und nach mit allen Gebräuchen der Juden vertraut. Unten im Vorhof waren zwei Zimmer als »Tempel« eingerichtet, in denen jeden Samstag die Juden aus der Nachbarschaft und auch wandernde Händler verkehrten und Gottesdienst hielten. Es herrschte im Kastell eine weite Gastlichkeit und oft saßen fremde Juden mit am Tisch bei den Mahlzeiten, die wir alle gemeinschaftlich nahmen, und die sonst immer sehr gemütlich und heiter waren, nur dann nicht, wenn diese Fremden kamen, die gewiß in uns Nichtjuden vermuteten, was sie befangen und mißtrauisch machte.

Leopold war hier in seinem Element, er tauchte ganz unter in das jüdische Leben; nicht allein, weil es ihn als Schriftsteller interessierte, sondern weil ihn der jüdische Geist, so ursprünglich wie er ihn hier kennen lernte, amüsierte.

Wie die Gastlichkeit, so übte man im Kastell auch Wohltun: Schnorrer gingen fortwährend ein und aus. Frau Ries gab allen, obgleich die meisten dieser Leute mehr wie Tagediebe als Unglückliche aussahen.

Ich wußte nicht, daß jüdische Bettler um das Almosen nicht bitten, sondern es verlangen, und erfuhr es erst, als ich eines Tages einen solchen, weil er mit dem Hut auf dem Kopfe vor der ihn beschenkenden Hausfrau stand, zurechtwies. Ähnliche Verstöße gegen jüdische Sitten begingen wir in der ersten Zeit oft genug; nach und nach aber lebten wir uns hinein und manchmal schien es mir, als seien wir selbst zu – Juden geworden. Unbehaglich und belästigend wurden uns die jüdischen Sitten erst am »langen Tag.« Alle Juden aus der Gegend und alle, die sich um diese Zeit als »Reisende« da herumtrieben, lagerten am Abend vor dem großen Tag im Vorhof und Garten, und das war keine anziehende Gesellschaft. Die seltsamste Erscheinung unter ihnen war eine Art »Heiliger«, der von den andern mit außerordentlicher Ehrfurcht behandelt wurde. Es war ein schmächtiger noch nicht alter Mann mit beinahe schönem schwermütigen Kopf. Haar und Bart bildeten eine dunkle Wildnis, die niemals durch einen Kamm entweiht worden zu sein schien. Er trug zwei Kaftane von schwarzem Atlas, einen über dem andern, und beide so lang, daß er sie hinter sich herschleppte; der Mann und seine Kleidung starrten vor Schmutz; wie zwei Ballons bauschten sich die Säcke in seinen Kaftanen, in welchen große Melonen staken, die ihm beim Gehen um die Beine schlugen. Er schien ganz erschöpft und kroch viel mehr als er ging den Hügel herauf.

Man hatte Frau Ries von dem seltsamen Gast benachrichtigt; eilig kam sie herbei und sprach mit ihm in einer Art zärtlicher Ehrfurcht; sie bat ihn einzutreten, sich zu erfrischen und auszuruhen. Er aber weigerte sich und wies sie zurück; langsam, müde blickte er um sich, schleppte sich in einen Winkel und kauerte sich ins Gras. Von tiefem Mitleid ergriffen stand Frau Ries da, und ich sah, wie weh es ihr tat, daß sie ihn nicht pflegen durfte.

So mag Christus auf seinem Leidenswege unter der Last des Kreuzes zusammengebrochen sein und so mag Veronika mit dem Schweißtuche vor ihm gestanden haben.

Es gab an diesem Tage ein sehr reiches Mahl, sollten sie doch vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung bleiben. Als wir zu Tisch kamen, stand der »Heilige« mit seinem Gebetriemen angetan hinter der Türe und betete. Man hatte ihm Blumen an seinen Platz gestellt und einen bequemen Fauteuil, in dem er sich ausruhen sollte. Aber er aß kaum und trank nur Wasser; mit seinen schmutzigen Fingern, deren Nägel zu langen schwarzen Krallen ausgewachsen waren, zerriß er das Brot und schob es samt den Fliegen, die darauf saßen, in den Mund. Vielleicht war er wirklich ein Heiliger, aber gewiß ist, daß es diesen Abend an unserm Tisch nicht nach Heiligkeit roch, und daß ich mir einbildete, daß jeder Bissen, den ich aß, nach der Ausdünstung dieses Menschen schmeckte.

Anstatt sich für die Nacht in das reine frische Bett zu legen, das ihm Frau Ries hatte bereiten lassen, zog es der fremde Rabbi – denn er war ein solcher – vor, sich wie ein Hund unter den Tisch zu legen.

Meinen Mann freute die Anwesenheit dieses Gastes, und er bedauerte nur, mit ihm nicht reden zu können; dagegen ließ er sich von Herrn Ries genaue Auskunft über alles geben, was diese Art Heiligen betraf, und machte sich darüber eifrig Notizen.

So ängstlich wie man im Kastell alle jüdischen Bräuche beobachtete, ebenso ängstlich war die Familie Groß bemüht, alles abzustreifen, was an ihre jüdische Abstammung hätte erinnern können. Das gelang ihnen so gut, daß sie sowohl in ihrem Äußern, wie in ihrer ganzen Art keine Spuren jüdischen Wesens mehr an sich hatten. So sehr auch alle unsre Hausgenossen sympathisch und aufrichtig bemüht waren, uns das gemeinsame Leben angenehm zu machen, fühlten wir ihre religiösen Vorschriften doch oft wie Fesseln; von diesem Zwang befreiten wir uns gern von Zeit zu Zeit durch einen Besuch bei Herrn Groß.

 

Ich erkenne meinen Dichter nicht mehr, er ist wie umgewandelt; die viele Jugend im Hause hat auch ihn wieder zum Jüngling gemacht. Er, der in der Stadt erklärt hatte, nicht mehr gehen zu können, wenn er mich nicht an seinem Arm fühle, tollt jetzt stundenlang mit den Kindern und Mädchen herum, ohne meiner zu bedürfen. Jeden Abend kommen die Zigeuner mit ihren Fiedeln, stellen sich in dem großen Zimmer um den Ofen und der Ball beginnt. Ich wußte nicht, daß mein Mann Czardas tanzen könne, und wie tanzt er ihn! Wie sicher und flink wirft er die Füße, wie lustig dreht er sich mit seiner Tänzerin! Und wenn die Jugend schon müde ist, dann ist er noch ganz frisch und holt sich eine der Mütter zum Tanze her. Ich selbst hatte wenig Sinn für dieses Vergnügen, und saß nur still in einer Ecke, der Lust der andern zuschauend.

Tanz und Gesang belebten auch tagsüber das Kastell.

Frau Suhr hatte eine Magd, Mortscha, die Leopold außerordentlich interessierte. Sie war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, hoch und schlank gebaut und trug den schönen Körper mit der stolzen freien Anmut einer Römerin. Ihr Gesicht war nicht schön, aber es gefiel durch seinen klugen energischen Ausdruck.

Frau Ries' jüngstes Kind war ein allerliebstes Mädchen von kaum einem Jahr. Wenn Mortscha Zeit hatte, nahm sie das Kind, das bei ihrer Annäherung schon vor Freude aufschrie, stellte es auf ihre flache Hand, reichte ihm den Zeigefinger der anderen, an dem sich die Kleine festhielt, und tanzte dann singend mit ihr die Galerie hinauf und hinunter. Es war für das ganze Haus eine Lust, den beiden zuzusehen.

Bei einer solchen Gelegenheit sagte Leopold einmal: »Ha, wie würde ich tanzen, wenn sie mir nur aufspielen wollte!«

Man mußte ihr das wiedergesagt haben, denn von der Zeit an lächelte sie hochmütig und spöttisch auf ihn herab, wenn sie ihn ansah. Das war gerade die Art, die ihn reizte ... und immer folgten ihr seine verlangenden Augen. Dann geschah etwas, das dieses Verlangen zu heftigem Begehren anfachte.

Wir saßen beim Abendessen, als ein Schuß krachte, Glasscheiben klirrten und Geschrei von der Küche her hörbar wurde. Was gab's? Auf Mortscha hatte durch das Küchenfenster ein abgedankter Liebhaber einen Schuß abgefeuert. Die Kugel hatte ihr Ziel verfehlt. Mortscha stand hoch aufgerichtet in der erleuchteten Küche, dem draußen ein Spottlied in die Nacht hinaussingend. Dann nahm sie einen ihrer Unterröcke, hängte ihn vor das zerschlagene Fenster, und damit war für sie die Sache abgetan.

»Sie hat die Seele einer Katharina«, sagte Leopold begeistert. »Wie schade, daß sie eine Magd ist!«

Aber das war es nicht, was er dachte. Was er bedauerte, war nicht ihr Magdtum, sondern daß er sich mit ihr nicht verständigen konnte. Denn hätte er ungarisch oder sie deutsch verstanden, dann wäre es zwischen ihnen wohl zu etwas gekommen, und das würde bei dem Charakter des Mädchens und ihrer mordlustigen Freunde leicht mit einem Drama haben enden können.

Ja, es wehte eine liebesheiße Luft in Ecsed. Wenn die von den Ausdünstungen spanischer Fliegen schwer gewordene Atmosphäre nachts meine Kinder aufschreien machte, wie sollten Erwachsene davon unberührt bleiben? Überall begegnete man heißen Augen und nach Küssen schmachtenden Lippen.

An Sonntagen gingen wir manchmal hinunter ins Dorf nach der Cârda, um dem Tanze zuzusehen. Um eine Riesenlinde war der Boden festgestampft und das war der Ballsaal. Die Tänzerinnen, hatten ihren schönsten Staat angelegt, aber die Stiefel ausgezogen und die Hemden zu Hause gelassen. Die reich mit Bändern durchflochtenen Zöpfe der Mädchen peitschten im Tanze die Gesichter der Burschen, als wollten sie sie zu kühneren Taten antreiben.

Wild raste der Tanz; die Röcke flogen hoch auf und ließen die nackten, braunen, festen, wie aus Eichenholz geschnitzten Leiber der Dirnen bis an den Gürtel hinauf sehen; und die, die seitwärts standen, vom Tanze ausruhend, zeigten sich die Nacktheit mit beinahe unschuldigem Lachen. Es waren auch junge Frauen da, die ihre Zöpfe unter hübsche Hauben versteckt hatten und zwischen zwei Tänzen hingingen, um einem Säugling die schwellende Brust zu reichen, die zu bedecken sie nicht nötig fanden.

Wenn dann der Abend kam, die Geigen schwiegen, eine geheimnisvolle graue Dämmerung alles in unbestimmte Ferne rückte, dann zogen die Tänzer paarweise stille einsame Wege, da wo der Weizen am höchsten stand oder Haselnußsträucher ein dunkles Plätzchen boten, um sich die vom Tanz und Wein erhitzten Herzen zu erleichtern.

So ist die Liebe in Ecsed: jung, stark, gesund und nackt – wie die Leiber der Tänzerinnen und die Brüste der jungen Mütter; sie hat kein Flitterchen von Moral oder Anstand und geht wie die Dirnen ohne Hemd zum Tanz.

Auch im Kastell fühlte ich heißes Liebeswehen um mich.

 

Wir waren alle in den Zwetschenwald gegangen. Daß es einen Wald, einen wirklichen ganzen Wald voll der herrlichsten Zwetschenbäume geben kann, das hätte ich nur in Märchen für möglich gehalten. Aber es gab einen, und wir waren dort, von jauchzender Kinderlust umgeben; wir lagen im Grase und sahen hinauf in die Bäume, wo flinke Bauernjungen nach den reifsten Stücken suchten und sie uns in den Schoß warfen. Und jeder Baum trug eine andre Sorte und jede neue Sorte war die beste und wurde mit Freudenrufen begrüßt.

Gewiß hat es nie glücklichere Kinder gegeben, als die unsrigen damals waren. Wenn ihre blonden oder dunklen Köpfe mit den zarten Gesichtern und den leuchtenden Augen über dem feinen hohen Grase sichtbar wurden, sahen sie aus wie wandelnde Blumen. Frau Ries hatte ein Mädchen im gleichen Alter mit meinem Knaben; es war ein entzückend schönes Kind, fein und zierlich, mit herrlichen dunklen Augen, ernst und sinnig und einem Lächeln von rührendem Reiz. Mit ihr spielte Sascha am liebsten; und wenn jetzt unser blonder Abgott mit seinem glückstrahlenden Gesichtchen neben seiner schwarzäugigen Freundin stand und ihr die von ihm bereits angebissene Frucht reichte, weil sie so süß und saftig war, da boten die beiden kleinen Menschenkinder in ihrer ernsten Naschhaftigkeit einen Anblick voll Liebreiz. Es kann kein Glück auf Erden geben, das dem gleich käme, das ich in solchen Stunden, umgeben von meinen schönen, gesunden und glücklichen Kindern, empfand. Was mir das Leben auch sonst Schweres und Düsteres aufgebürdet, hier war ich so reich dafür entschädigt, daß alle Opfer, alle Schmerzen und alle Pein dahinflossen, als wären sie nie gewesen.

Ich kann es nicht oft genug wiederholen, was mir meine Kinder waren, denn nur, wenn man diese, mein ganzes Leben, all mein Denken und Fühlen beherrschende Macht solcher Liebe begreift, wird man das, was ich für sie getan, richtig beurteilen können. –

In solchen Stunden war auch Leopold reizend; da schwiegen seine begehrlichen Phantasien, er war einfach, harmlos, heiter, ein Kind mit Kindern.

Die Damen Suhr und Ries hatten uns nicht allein in den Zwetschenwald geschickt, um uns voll zu essen, sondern auch um gleichsam Ernte zu halten. Zu diesem Zweck hatten sie uns allen, je nach unsrer Größe und Kraft angemessene Körbe und Körbchen mitgegeben, die wir ehrlich gefüllt mit heimbringen sollten. Nun hieß es mit Ernst an die Arbeit gehen und die Körbe beladen. Mit welchem Eifer waren wir alle dabei! Jeder wollte die schönsten Pflaumen in seinem Korbe haben und da mußte man flink zusehen, um sie zu erhaschen, wenn sie von den Bäumen fielen.

Wir hatten zwei Dienstmädchen mitgenommen, die, nachdem sie sich nach Herzenslust an den Früchten satt gegessen, jetzt auch gewissenhaft und brav große Körbe voll damit beluden.

Unterdes war die Sonne untergegangen und bald trieb uns die einbrechende Dunkelheit aus dem Walde.

Wir ordneten uns zu einem langen Zuge auf dem schmalen Fußpfad, der längs der Anhöhe nach Ecsed führte; die Mägde gingen an der Spitze, dann die größeren Mädchen, die kleinsten von den Kindern schlossen mit uns den Zug. Franzi fing an, ungarische Lieder zu singen, und bald stimmten alle mit ein.

Satte Ruhe lag auf dem Lande und ein hoher sternbesäter Himmel wölbte sich über uns.

Plötzlich hielten wir alle mit einem Schrei auf den Lippen an: ein großer Meteor zog, eine lange Feuerzunge hinter sich, quer durch den stillen Raum über uns.

»Jeder soll sich was wünschen!« rief Franzi. Aber die Erscheinung war verschwunden, noch ehe die Wünsche entstehen konnten.

»O, wir haben alle das Glück verpaßt«, sagte Franzi ärgerlich.

»Papa, was ist das: ›das Glück?‹« frug Sascha.

»Eine schöne Frau in rotem Hermelinpelz.«

»Die Mama?«

»Ja, die Mama; sie ist unser Glück.«

»Aber die brennende Kugel, die vorübergeflogen?«

»Das ist der Feuerwagen, in dem Gott durch den Weltenraum spazieren fährt.«

»Ist denn Gott so klein, daß er darin Platz hat?«

»Durch die große Entfernung sieht er nur so klein aus. In der Nähe ist der Wagen gewiß so groß wie ganz Ecsed.«

»Aber verbrennt denn Gott nicht in dem feurigen Wagen?«

»Gott selbst ist ja das Licht ... und das Feuer kommt von ihm.«

»Gott ist das Licht ...« wiederholte das Kind leise und sah nachdenklich hinauf zu den hellen Spuren, die das Gestirn auf dem dunklen Himmel zurückgelassen.

Der Gesang war verstummt; still und sinnend setzten die kleinen Menschen ihren Weg fort.

Zu Hause erzählten die Kinder den staunend aufhorchenden Eltern, sie hätten Gott gesehen, der in einem feurigen Wagen an ihnen vorübergefahren.

Als ich an diesem Abend an das Bett der Kinder kam, um mit ihnen, wie gewöhnlich vor dem Einschlafen, ein Vaterunser zu beten, erkannte ich aus dem Ton ihrer Stimmen, daß sie es diesmal mit mehr Innigkeit taten als sonst; Gott war jetzt kein Fremder mehr für sie, sie hatten ihn gesehen, er war ihnen noch eben nahe gewesen.

 

Wie vielgestaltig war das Leben in Ecsed.

Wir waren in das Zigeunerdorf gegangen, das oben auf dem Hügel lag, abseits vom eigentlichen Dorf. Hoch mußten wir die Röcke aufnehmen, um uns vor Schmutz und Ungeziefer zu schützen, und tief mußten wir uns bücken, um in die halb in die Erde hineingegrabenen Hütten zu blicken, die nur einen Raum hatten, der Stall, Küche, Schlaf- und Wohnzimmer zugleich war. Da Herr Suhr viele der Zigeuner in seiner Landwirtschaft beschäftigte, wurden wir freundlich empfangen, was sonst vielleicht nicht der Fall gewesen wäre, meinte Frau Ries. Nackte Kinder krabbelten überall herum, während häßliche, braune Weiber böse Blicke nach uns schossen.

Vergebens blickte ich mich um nach der Poesie des Zigeunerlebens, allein ich sah sie nicht – sie war den Tag gewiß auswärts auf Besuch, denn hier war sie sicher nicht. Die grausamste Enttäuschung erlebte ich aber mit dem »Zigeunerkönig«. Eigentlich war ich nur wegen dieser schwarzen Majestät hergekommen, und nun fand ich einen krummbeinigen blonden Tischlergesellen aus Budapest, der das Königsein unter den Zigeunern angenehmer fand, als die Arbeit in der Werkstatt. Aber ein guter Regent war er und seine Regierung ging wie auf dem Schnürchen. Er vermietete seine »Untertanen« den benachbarten Gutsbesitzern zur Arbeit und das brachte Geld in die Staatskasse; sonst plagte er die Leute nicht, kümmerte sich nicht um ihre inneren Angelegenheiten, so lange sie nur unter sich Frieden hielten und in Eintracht lebten, wie die Schweine im herrschaftlichen Stall. Aus finanziellem Interesse hatte er das Recht auf Diebstahl weder aufgehoben noch eingeschränkt, obgleich er selbst an dieser Rasseneigentümlichkeit nicht litt. Dennoch wurden Diebe aus »Staatsrücksichten« bestraft – wenn sie sich hatten erwischen lassen. Dieser kluge König war auch draußen auf der Tanja bei der Dreschmaschine Herrscher. Wir waren eines Tages hinausgegangen, um die Maschine arbeiten zu sehen, und fanden dort ein ganzes Lager. Hütten waren aufgeschlagen, in welchen Weiber kochten, Kinder wälzten sich schreiend im Stroh, große Getreidehaufen lagen hoch aufgetürmt, Knechte waren eben vom Gute her mit Brot und Wein, den sie in großen Gießkannen trugen, angekommen. In einem Nebel von Rauch, Dampf, Staub und Hitze hantierten halbnackte braune Männer, denen der Schweiß in langen Rinnen vom Leibe lief, dazu summte die Maschine ihr immergleiches eintöniges Lied.

Von allem, was ich hier sah, empfing ich den Eindruck des Reichtums und Gesättigtseins. Hier war die Arbeit ohne Not und ohne Hunger; in keinem Gesicht bemerkte ich die nagende Sorge um das tägliche Brot, die schleichende Furcht vor dem kommenden Tag.

Von den Zigeunern zurückgekehrt, fanden wir vor dem Kastell zwei hübsche frische Burschen in Leinwandhosen und Hemden, das schwarze runde Hütchen kühn aufs Ohr gesetzt, die Frau Ries erwarteten.

Sie sprach ungarisch mit ihnen und ich verstand nicht, was es war, aber ich blieb doch dabei und hörte zu. Keine Sprache klingt so schön, so voll und stolz und kühn, wie die ungarische; ich liebte diese Sprache und lauschte auf sie, wo immer ich sie zu hören bekam.

Jetzt hielt mich noch etwas anderes fest: ich hatte beim Anblick der Burschen etwas wie Schrecken in dem lieben freundlichen Gesicht der Frau Ries bemerkt. Sie hatte sich aber bald wieder gefaßt und lud die beiden mit ihrem warmen schönen Lächeln ein, in die Galerie zu kommen. Dort ließ sie ihnen einen Tisch und Stühle bringen und ein reichliches Mahl mit Wein auftragen.

Es waren »arme Burschen«. So nannten sich die Räuber dort, wenn sie, vom Hunger getrieben, aus den Bergen der Tatra kommen, um die Gutsbesitzer zu brandschatzen. Sie stellen ihre Forderungen je nach dem Reichtum des Besitzers, den sie genau kennen; und wehe dem, der sie abweist! Der kann sicher sein, noch in derselben Nacht den »roten Hahn« auf dem Dache zu haben oder aus einem sichern Versteck eine Kugel pfeifen zu hören, die ihr Ziel gewiß nicht verfehlt.

Von Frau Ries forderten sie nicht viel, einige Gulden, Brot, Schnaps und etwas Leinwand!

Jetzt verstand ich besser, warum der Kuhhirt jede Nacht in seinem Schafpelz, das Gewehr im Arm quer über unsrer Schwelle lag; und wenn wir bei Groß zu Besuch waren und der Sohn uns nachts heimfuhr, ihm sein Vater stets das scharf geladene Gewehr auf den Kutschbock hinaufreichte und ihn erst dann, wenn er dieses handgerecht zwischen den Knien hielt, abfahren ließ.

 

Die Hitze war unerträglich geworden. An diesem Tage war es heißer als je. Alle im Hause hatten sich hingelegt, um die heißesten Stunden des Nachmittags zu verschlafen. Ich wollte dasselbe tun, aber eine seltsame angstvolle Unruhe trieb mich wieder auf.

Ich lugte durch die Ritzen der geschlossenen Balken: auch das Dorf schien eingeschlafen, nichts regte, nichts bewegte sich; die Bäume, standen starr und steif, als wären sie in die Luft hineingemalt; eine gleichmäßige milchige Fläche verbarg den Himmel und die Sonne schien ohne Glanz, schwer und dumpf drückte sie auf die Erde.

Ich fühlte mich so beklommen, so angstvoll, als ob ein Unglück über mich hereinbrechen sollte, und unwillkürlich blickte ich um mich, wie Hilfe suchend. Nein, besser war's noch hinauszugehen, mitten in die brütende Hitze hinein, als hier zwischen den schweratmenden Schläfern still zu sitzen und auf die immer unruhiger werdenden Schläge des eigenen Herzens zu horchen.

Ich schlich mich weg. Statt der heißen Luftwelle, die ich erwartete, empfing mich ein scharfer Windhauch. Rasch trat ich in den Schatten der Bäume und da staunte ich, wie sich die Situation in den letzten Minuten geändert hatte. Der Himmel hatte eine dunklere Farbe angenommen und war gegen die Berge zu fast schwarz.

Endlich ein Gewitter!

Wieder ward die Atmosphäre still und schwer. Ich stand und wartete auf einen zweiten Luftzug. Da, ohne daß ich vorher das Aufleuchten eines Blitzes wahrgenommen hatte, krachte es plötzlich mit so furchtbarer Gewalt über mir, als berste der Himmel; es war nicht das dumpfe Rollen des Donners, sondern ein unheimliches Krachen und Knattern ganz dicht über meinem Kopf, ja es schien, als ob dieser selbst davon getroffen wäre. Betäubt stand ich da, bis ein heftiger Windstoß mich wieder zum Bewußtsein brachte.

Die Schläfer waren aufgewacht. Mein Mann rief nach mir. Ich fand ihn eilig und aufgeregt die Balken fester schließend und die Vorhänge dicht zuziehend, damit das Licht der zuckenden Blitze nicht hereinfallen konnte. Dann legte er sich wieder ins Bett, zog die Decke über den Kopf und sagte:

»Verlaß mich nicht ... Du weißt, wie mich Gewitter nervös machen.«

Ich blieb in dem ganz verdunkelten Zimmer. Aber kein zweiter Donnerschlag folgte dem ersten, nur ein heftiger Wind jagte um das Haus. Mich zog es hinaus, den Sturm zu sehen, und wieder schlich ich mich weg.

Noch immer schliefen die Kinder; in kleinen weißen Perlen rollte der Schweiß von ihren Gesichtern; ich öffnete vorsichtig die Fenster, die nicht nach der Windseite lagen, damit die erstickend heiße Luft sich etwas abkühle. Dann trat ich wieder hinaus.

Schwer wälzten sich schwarze Wolken unter dem bleigrauen Himmel; in der Luft wirbelten Staub, Blätter und kleine Äste, die der Wind den Bäumen entrissen; die Pappeln rauschten und neigten ihre Wipfel tief herab, wie ergeben in das Unvermeidliche. Der Wind wurde zum Sturm, und dieser immer heftiger; in unheimlichem Wirrwarr türmten sich die Wolken aufeinander, lösten sich wieder und schienen, von anderen verfolgt, zu fliehen. In den Bäumen fing es an zu krachen, und immer zahlreicher und immer größer waren die Äste, die der wild dahinrasende Wind ihnen entführte.

Im Hause war's wieder still geworden; alle hatten sich in ihre Zimmer eingeschlossen, voll Angst das Kommende erwartend. Nur ich und Mortscha standen draußen in der Galerie und sahen stumm dem wilden Toben zu.

Seit der Sturm mit solcher Macht losgebrochen, war es in mir wieder ruhig und still geworden.

Und noch immer fiel kein Tropfen Regen. Daß solch Sturm noch zunehmen kann, schien mir unglaublich. Es kamen Windstöße von solcher Gewalt, daß man meinte, sie müßten alles vom Erdboden wegfegen. Ich sah, wie am anderen Ende der Galerie sich Mortscha an die Küchentüre klammerte, und ich selbst drückte mich in eine Mauerecke, um nicht weggeblasen zu werden.

Da plötzlich öffnete sich der Himmel, und mit klatschendem, ohrenbetäubendem Lärm stürzte der Regen nieder.

Die durch die lange Dürre vertrocknete Erde saugte das Naß gierig auf. Aber es kamen immer stärkere Wassermassen, daß es ihr bald zu viel wurde, und sie zurückgab, was sie nicht mehr aufnehmen konnte. Doch das war nur der Anfang; mit einem Schlage, ohne Übergang, wurde der Regen zum Wolkenbruch. Bald wälzte sich ein ungeheurer schmutziger Strom den Berg herunter, an uns vorbei, hinab in den Vorhof, staute sich dort an der Einfassungsmauer und zwängte sich durch das offene Tor in das Dorf; nur die stärksten Bäume konnten widerstehen, alles andere trug er mit sich weg. Schon schien es mir, als ob das Haus zu schwanken begänne.

Ein seltsames dumpfes Rollen und Kollern erscholl hinter dem Hause. Was war es? Das war nicht der Lärm des Wassers allein – dort mußte etwas geschehen sein.

Mortscha war nicht mehr an ihrem Platz. Mich an Fenster und Türen klammernd, kämpfte ich mich durch den sich in die Galerie werfenden Sturm durch, bis zur Küche, denn in dieser befand sich das einzige Fenster an der Rückseite des Hauses. Und dort stand Mortscha, entsetzt, die beiden Hände zu Fäusten geballt auf den Mund gedrückt, mit stierenden Augen auf das Bild draußen blickend.

Und was war das für ein Bild!

Hinter der Küche lag zuerst der Gemüsegarten; diesen trennte eine niedere Mauer von der Straße; jenseits dieser war die von einem freien Platz umgebene Kirche, und hinter ihr stieg der Kirchhof die Anhöhe hinauf.

Die Wucht der von den Höhen niederstürzenden Wassermengen hatte Kreuze und Grabhügel weggefegt und die Gräber ausgeschwemmt. Die Erde war zu Schlamm geworden, und dieser trug Trümmer morscher Särge, zerbrochene Kreuze, einzelne menschliche Knochen und halbverweste und frische Leichen. Das alles rollte und kollerte in einem entsetzlichen Gewirr den Hügel herab, schlug sich an den Zäunen und türmte sich an der Kirchenmauer zu einem grauenhaften Haufen.

Ich sah Mortscha an und sie mich. Sie weinte. Mit bebenden Lippen sagte sie etwas und wies mit der ausgestreckten Hand auf ein Kreuz, das im Strauchwerk hängen geblieben war; ich glaubte zu verstehen, daß sie in diesem das Kreuz vom Grabe ihrer Mutter erkannt haben wollte.

Ich zog sie vom Fenster weg und schloß den Balken desselben.

Der Regen hatte nachgelassen. Im Kastell wurde es wieder lebendig; langsam kamen die Furchtsamen aus ihren Betten und Zimmern gekrochen und starrten mit noch erschreckten und neugierigen Augen auf die Verwüstungen des vorbeigerasten Sturmes.

 

Ich habe mit Leopold eine ernste Unterredung gehabt über die Art, wie ich die Kinder erzogen sehen möchte. Ein ganz unbedeutender Vorfall gab Anlaß dazu.

Es kam öfter – zu oft für ihn – eine Speise auf den Tisch, die er nicht liebte; darüber hatte er sich bei mir in Gegenwart der Kinder beklagt. Eines Tages wurde diese Speise wieder aufgetragen; da er sich nicht beeilte, sich davon zu nehmen, frug ihn Frau Ries, ob er sie etwa nicht liebe, worauf er in der lebhaftesten Weise versicherte, daß er sie sehr gern habe, und sich von ihr ein schönes Teil geben ließ.

Ich bemerkte, wie in diesem Augenblick Sascha seinen Papa überrascht und nachdenklich ansah. – Papa hat eine Lüge gesagt! las ich in seinen Augen. Sein geliebter, angebeteter Papa, der so hoch über allen anderen stand, hat eine Lüge gesagt ... wie kann das sein?

Ich merkte, wie das Kind davon beunruhigt war, und nahm mir vor, mit Leopold darüber zu reden, damit es nicht wieder vorkäme. Kinder können zwischen konventionellen Lügen und anderen keinen Unterschied machen; für sie ist Lüge Lüge. Die Lüge aus dem Mund der Eltern, derselben Eltern, die ihnen, den Kindern, das Lügen aufs strengste untersagen und es als eine niedrige, die Seele beschmutzende Sache darstellen ... wie soll sich der kindliche Geist darin zurechtfinden?

Leopold log. Ich meine nicht in dem, was unser gegenseitiges Verhältnis betraf – die Frau belügen alle Männer – er log überhaupt. Doch ist für Menschen, wie er, die immer unter dem Einfluß ihrer Phantasie stehen, das Wort Lüge eigentlich zu grob. Sie sehen die Dinge so – wie sie nicht sind; kann man mit solchen Menschen streng ins Gericht gehen?

Nur den Kindern gegenüber sollte er sich in acht nehmen. Er begriff das sehr rasch und teilte ganz meine Ansicht. Ja, er erschrak sogar, denn er fürchtete, Sascha könne vielleicht bereits etwas gemerkt haben, und um keinen Preis wollte er in den Augen seines angebeteten Kindes etwas von dem Glanze einbüßen, in dem er seinem Sascha erschien.

Einmal auf so gutem Wege wollte ich nicht stehen bleiben – ich hatte noch mehr auf dem Herzen.

Überzeugt von dem erziehenden Einfluß des Beispiels, das Kinder vor Augen haben, wünschte ich, daß in Gegenwart der unseren nichts gesprochen oder getan würde, das ihr Denken und Empfinden ungünstig beeinflussen konnte. Das sagte ich meinem Manne. Er sah mich verwundert an und erwiderte:

»Bei uns kommt doch derartiges nicht vor.«

»Doch, es kommt vor. Wenn in dem Augenblick, wo du dich neulich mit der Magd gebalgt hast, nicht zufällig ich, sondern Sascha dazu gekommen wäre – es ist ein Wunder, daß es nicht so war –, welchen Eindruck würde das Kind von der Szene empfangen haben? Sein Papa, der ihm der Inbegriff alles Edlen und Hohen ist und sein soll, kugelt sich mit einer gemeinen Magd auf dem Bett und wird von ihr geprügelt. Er hört rohe, häßliche Worte, und sein Vater lacht dazu und gefällt sich dabei ...«

Er blickte stumm vor sich hin.

Wiederholt hatte er von mir verlangt, ich sollte ihn in Gegenwart Saschas schlagen, und nur im Scherz ließ ich mich verleiten, ihm einmal einen leichten Schlag auf die Schulter zu geben. Das Kind erbleichte, schlang mit lautem Schrei, seine Arme schützend um den Vater und sah mich mit entsetzten Augen an. Leopold lachte, geschmeichelt und glücklich, so geliebt zu werden. Es war ein Scherz – und ein grausames Spiel mit dem Herzen des Kindes. Aus Eitelkeit wünschte er, dieses Spiel zu wiederholen. –

Darum fuhr ich fort:

»Du sollst auch nie mehr verlangen, daß ich dich im Beisein der Kinder schlage, ebenso wie du mich nicht immer vor ihnen herzlos und grausam nennen sollst. Wenn sie das immer und immer wieder hören, von ihrem Vater hören, der es ja wissen muß, wie sollen sie es nicht endlich glauben? Laß diese pikanten Spielereien abseits von den Kindern, die kein Verständnis dafür haben und dich schließlich um ihre Achtung und mich um ihre Liebe bringen werden. – Meinst du, daß es mir nicht weh tut, zu sehen, wie sich die Kinder von mir abwenden – und doch könnte sie eine Mutter mehr lieben und mehr für sie zu tun bereit sein, als ich?«

Das war eine so schmerzliche Wahrheit, daß mir unwillkürlich die Augen feucht wurden und meine Stimme zitterte, während ich es sagte.

An seinem Erstaunen und seiner Bewegung erkannte ich, daß er daran nie gedacht hatte. Ich sprach von allen Kindern, obgleich es sich nur um Sascha handelte. Leopold war eifersüchtig auf die Liebe seines Kindes und hätte sie wohl am liebsten allein besessen. – So viel Grund ich auch hatte, mich über die Liebe beider zu freuen, so verursachte mir das Abwenden des Kindes von mir doch bitteres Leid. Allein ich hätte auch das ruhig ertragen, wäre es mir nicht wie eine Ahnung gewesen, daß die Erkaltung des Kindes gegen die Mutter seinem eigenen Wohl gefährlich werden konnte. –

»Du zeigst mir die Dinge in einer Beleuchtung, die mich erschrecken könnte, wenn ich annehmen müßte, daß sie wahr ist; aber ich glaube, daß du zu schwarz siehst. Bis jetzt wenigstens habe ich nicht bemerkt, daß sich die Kinder von dir zurückziehen. Daß Katzi mich mehr liebt als dich, ist möglich, und die ganz natürliche Folge davon, daß ich mich unaufhörlich mit ihm beschäftige. Aber er liebt dich doch zärtlich. Übrigens will ich von Grausamkeit und derlei nicht mehr vor den Kindern sprechen – denn darin könntest du doch recht haben, daß es ihnen falsche Begriffe von mir und dir beibringt.«

Ich wußte nie, wie mein Mann es eigentlich mit der Religion hielt. Augenscheinlich war er Freigeist, und er betonte diese Richtung gern; wenn ich aber dann wieder sah, wie er sich mit Priestern oder sonst frommen Personen, an deren Meinung ihm gelegen war, benahm, kamen mir Bedenken; nicht daß er sich gerade als gläubiger Katholik aufspielte, allein, er war doch bemüht, seine sonst so freien, sich stets auf die Naturwissenschaft stützenden Ideen zu verhüllen. Auch sein Aberglaube ließ Glauben voraussetzen. Nie, um keinen Preis würde er zum Beispiel am Karfreitag oder Weihnachtsabend Fleisch gegessen haben; auch hatte ich ihn im Verdacht, daß er oft heimlich das Kreuz mache, wenn ihm vor etwas bange war.

Ich aber wollte keinen Formenkram, nichts Zerfahrenes, Unklares in das religiöse Empfinden meiner Kinder bringen. Damit sollten ihnen spätere Bedenken und quälende Zweifel erspart bleiben. Sie sollten an Gott, den Gott aller Menschen glauben und an den Himmel mit allen seinen Engeln. Dieser Gottesbegriff würde sich, wenn Vernunft und eigenes Denken kommen, leicht und harmonisch in den Begriff einer über uns stehenden geheimnisvollen Macht – in die Religion der Humanität und Menschenliebe verwandeln. Mit dem Glauben an Gott und den Himmel, an eine schönere und bessere Welt glaubte ich bei den Kindern auch die Poesie zu wecken und sie vor einer allzu nüchternen Auffassung des Lebens zu bewahren.

Ich hatte mit meinem Manne bisher darüber nicht gesprochen, weil ich dieselbe Auffassung bei ihm voraussetzte, auch nichts vorgefallen war, was dem widersprochen hätte. Erst wenige Tage vor dieser Auseinandersetzung unterhielt er sich mit einem Besucher über Atheismus. Er hielt dabei Sascha auf den Knien, der still zuhorchte. Wenn nun das Kind von dem Gespräch auch nichts verstand, so viel begriff es doch, daß über die Frage, ob es einen Gott gäbe oder nicht, verhandelt wurde. Der Besucher war Atheist und sprach seine Überzeugung sehr scharf aus. Das mußte das Kind verletzen und verwirren. Ich lockte es weg und nahm mir vor, die Kinder bei solcher Gelegenheit zu entfernen. Als ich es Leopold jetzt sagte, war er auch darin mit mir einig und zugleich erstaunt, daß er selbst nicht darauf gekommen.

Edlen Regungen war er sehr leicht zugänglich, nur vergaß er sie ebenso leicht. Obgleich ich nicht hoffen durfte, daß es diesmal anders sei, daß seine augenblickliche Einsicht sich zu einem bestimmten Vorsatz, einer Lebensregel festigen werde, so war ich doch froh, daß wir uns darüber ausgesprochen und geeinigt hatten. Jetzt konnte ich ohne lange Erklärungen, wenn er sich vergaß, mit einem Wort, einem Wink ihn an unser Übereinkommen erinnern, und dann würde er auch seiner besseren Überzeugung gehorchen.

Es hatte noch einen anderen Vorteil. Nur schwer gelang es mir, jetzt manchmal die Langeweile und Ermüdung zu verbergen, die mir seine, sich immer gleichbleibenden Gespräche über die »Venus im Pelz« verursachten. Er selbst fand in seiner reichen Phantasie nichts Neues mehr darüber zu sagen, und so drehten wir uns immer in demselben Kreis herum. – Unsere Abmachung, den Kindern gegenüber vorsichtig zu sein, würde ihm einen gewissen Zwang auferlegen – und mir die Möglichkeit bieten, zuweilen von dieser geistigen Tortur ausruhen zu können. –

 

Trotz guter nachbarlicher Beziehungen bestand zwischen den Familien Ries und Groß kein eigentlicher Verkehr. Diesen Sommer hatten Herr und Frau Groß im Kastell einen Besuch gemacht, und das war ein Ereignis. Oft luden diese uns ein, und zwei-, dreimal in der Woche kam ihr Sohn Alexander ins Kastell und blieb dann den Abend da, was früher nie der Fall war.

»Diese Besuche gelten dem Dichter«, sagte Frau Ries, und »diese Besuche gelten dir«, sagte mein Mann.

Diesmal schien er wirklich recht zu haben. Es war beim »Räuberspielen«, an dem sich Alexander sehr lebhaft beteiligte, daß ich es zu bemerken glaubte. Ich fand ihn immer in meiner Nähe. Auch war mein Mann stets darauf bedacht, ihm die Möglichkeit dazu zu geben ... Das benützte er, um mich einen Blick in sein Herz tun zu lassen. Ich bin nicht sicher, ob er wahrnahm, daß ihm mein Mann den Weg zu mir ebnete ... ihm das Tor ins Paradies selbst öffnete ... vielleicht war es der Fall, dann aber war er gewiß himmelweit von der Wahrheit entfernt, und sah darin nur die harmlose, allbekannte Herzensgüte des Dichters. Dafür war er ihm innig dankbar, liebte und verehrte ihn nur noch mehr. Nebenbei mochte es der Eitelkeit des jungen Mannes nicht wenig schmeicheln, dem berühmten Schriftsteller die Frau abzuringen, um über ihn zu triumphieren.

Alexander Groß war ein guter, netter Mensch, aber geistig so unreif, daß ich mit ihm nichts anzufangen wußte; daß er sich dennoch an mich wagte, schien mir spaßhaft, nichts weiter.

Da er jedoch standhaft dabei blieb, mir seine Gefühle in zwar diskreter und bescheidener, aber auch wieder ganz bestimmter Form erkennen zu geben, reifte nach und nach in mir ein Plan, zu dessen Ausführung ich ihn gerade so, wie er war, sehr gut gebrauchen konnte – und ich fing an, mir seine Huldigungen gefallen zu lassen. –

Schon seit einiger Zeit war in meinem Manne der Verdacht aufgestiegen, daß, wenn ich noch keinen Liebhaber gefunden, es nicht an den Umständen, sondern an mir gelegen, ja daß ich ihn nicht finden wollte. Er zählte mir alle Männer auf, die ich schon hätte haben können, die zweifellos in mich verliebt gewesen und mit denen es doch zu nichts gekommen war durch meine Schuld. Und er sagte:

»Wenn du dir noch weiter in den Kopf setzt, mir meine Phantasie nicht zu erfüllen, werde ich nicht weiter in dich dringen, allein ich werde bei nächster Gelegenheit es von einer anderen Frau verlangen, und du kannst sicher sein, daß ich keine Schwierigkeiten finden werde. – Nur gebe ich dir zu bedenken, daß möglicherweise daraus Folgen entstehen können, die dir wahrscheinlich nicht lieb sein werden.«

Das war sehr schlau und verfehlte seine Wirkung nicht.

Was die Folgen sein würden, wenn er sich in die Hände einer Frau mit dem Charakter, wie er ihn suchte, gäbe, darüber konnte ich keine Zweifel haben. – Ebenso sicher konnte ich sein, daß er seine Drohung ausführen würde, wenn ich mich weiter meiner Pflicht entziehen wollte.

Denn das war das Merkwürdige, daß das, was er anfangs kaum anzudeuten gewagt, um das er später bat und als ein Opfer meinerseits ansah, sich im Laufe der Jahre immer mehr in etwas verwandelte, das zu tun ich einfach schuldig war ... vielleicht noch immer ein Opfer, aber ein Opfer, das zugleich eine Pflicht ist, das eine gewissenhafte Gattin und Mutter bringen muß, wenn ihr an dem Glück ihres Mannes, der Erhaltung des Familienlebens gelegen ist. –

Das hatte ich so oft gehört, daß ich nach und nach begann, die Sache selbst in diesem Licht zu sehen. Immer mehr machte ich mich mit dem Gedanken vertraut, daß es keinen Ausweg für mich gäbe – oder nur den einen, mit dem er mir jetzt drohte und der wahrscheinlich unser aller Unglück herbeiführen würde.

Ich war also entschlossen, es zu tun. Alexander Groß sollte mein Partner bei dem Spiele sein.

Der harmlose junge Mensch war mir dazu lieber, als ein Freund wie Staudenheim, oder ein alter Wüstling wie Sefer Pascha. Groß stand mir fern und würde mir auch nachher fern bleiben – ebenso würde sich die Sache mit ihm rasch und leicht wieder lösen, für ihn aber – wie Kathrin in einem ähnlichen Fall gesagt – immer eine schöne Erinnerung sein. –

Um ganz sicher zu gehen, machte ich Leopold darauf aufmerksam, daß Groß nichts an sich habe, das dem Griechen in der »Venus im Pelz« glich, und daß er von ihm diese Rolle nicht erwarten dürfe. Darauf versicherte er mich, daß er das wohl wisse und schon lange darauf verzichtet habe; jetzt wolle er sich damit begnügen, daß ich ihm untreu werde.

»Und dann? Wenn ich es getan habe? Wirst du befriedigt sein und es nicht wieder von mir verlangen?«

»Ich habe dir immer gesagt, daß ich es einmal erleben möchte ... derlei kann gar nicht wiederholt werden ... das mußt du doch begreifen ...«

Trotz dieser Räsonnements hatte ich das ganz bestimmte Gefühl, daß mein Opfer nichts nützen würde, daß die dämonische Macht in dem Manne nicht mir, sondern wir alle ihr unterliegen werden. –

 

Es war an einem nicht zu heißen Tage, da die Groß' uns ihren Wagen sandten mit der Bitte, samt den Kindern für den Nachmittag zu ihnen zu kommen. In diesem Augenblick kam Franzi eilig zu mir und bat mich leise, meinen Mann mit den Kindern allein fahren zu lassen; ich und sie wollten uns als Bäuerinnen anziehen und zu Fuß nachkommen.

Ich hatte Franzi sehr lieb; sie war ein reizendes, fein gebildetes Mädchen; in Vertretung ihrer Mutter eine herzige kleine Mama für ihre jüngeren Geschwister und eine allerliebste kleine Hausfrau für uns. Sie war so einfachen, reinen Herzens, daß es mir oft schien, als würde ich in ihrer Nähe selbst wieder zum Mädchen.

Mit Freuden ging ich auf ihren Plan ein. Mortscha und die Frau des Kuhhirten lieferten uns ihren Sonntagsstaat aus, und bald trabten zwei flinke Bauernmädchen, von neugierigen Augen verfolgt, aber unerkannt, durch das Dorf.

Wir fanden die Gesellschaft im Garten. Man sah uns schon, als wir den langen Weg zwischen den Erdbeerbeeten herunterkamen. Frau Groß wurde ärgerlich, daß man sie, wenn sie Besuch habe, im Garten belästige, und sandte uns ihren Sohn entgegen, mit der Weisung, wir sollen im Gutshof auf sie warten.

Alexander Groß erkannte uns erst, als er nur noch wenige Schritte von uns entfernt war. Es waren die Füße, die ihm zuerst verdächtig wurden – wir hatten dieses Detail vernachlässigt. Entzückt über unsere Maskerade wollte er jetzt seine Mutter noch mehr zum Narren halten, und anstatt zu ihr zurückzukehren, promenierte er mit uns im Garten. Das war nun Frau Groß doch zu arg. Sie machte sich jetzt selbst auf, um uns Schicklichkeit zu lehren. Wir führten sie eine Weile in die Irre, und erst als sie purpurrot vor Zorn rief, wir sollten stehen bleiben, kehrten wir uns nach ihr um. Sie brachte uns nun zurück, und es gab Erstaunen, Überraschung und Lust und Lachen bei groß und klein.

Leopold schlug – immer in der bekannten Absicht – ein Wettlaufen vor. Alexander sollte am Ziel bleiben und durch Händeklatschen anzeigen, wann der Laufende eingetroffen.

Frau Groß war gegangen, um Näschereien als Preise für die Kinder zu holen.

Zuerst liefen die Kleinen, dann die Erwachsenen: Leopold, Irma, Franzi, zuletzt ich.

Als ich ans Ziel kam, fing Groß mich in seinen Armen auf, trug mich wie ein Kind hinter eine dichte Weinhecke und küßte mich.

Das Bauernkostüm hatte ihn kühn gemacht.

Als wir wieder zu den anderen kamen, las ich ein »Nun?« in den Augen meines Mannes. Auf diese Frage gab Alexander in seinem stolzen Glücksbewußtsein Antwort. – Jetzt war er beinahe zärtlich mit meinem Mann, und dieser spielte den ahnungslosen Gatten mit einer Natürlichkeit, die auch einen Erfahrenen getäuscht hätte.

 

Alexander Groß war vierundzwanzig Jahre alt, aber er war jünger als sein Alter. Die Freude an seiner Eroberung wäre ihm verkürzt worden, wenn die Welt nichts davon gewußt hätte. Er trug jetzt ein ganz anderes Betragen zur Schau, ein stolzes, freies, und auf mich blickte er wie auf sein Eigentum. Ich meine, er würde am liebsten wie ein Hahn auf die äußerste Dachspitze geflogen sein, um sein Glück in die Welt hinauszukrähen. Dabei blieb er von so naiver Kühnheit und verblüffender Unbeholfenheit, daß es zum Erbarmen war.

Es wurde wieder getanzt. Ich hatte Kopfschmerzen und saß still in einer Sofaecke. Mein Verehrer forderte mich hartnäckig zum Tanz auf – Kopfschmerzen waren für ihn ein unbekanntes Land. Dieses Drängen, die Musik, die lärmende Lustigkeit, das immerwährende Drehen der Paare steigerte meine Leiden noch mehr; um Ruhe zu haben, ging ich in unser Schlafzimmer, in dem kein Licht brannte. Alexander folgte mir auf dem Fuße – ich konnte das doch nur absichtlich getan haben, um ihm Gelegenheit zu geben, mir in seiner wortlosen Art seine Liebe zu bezeugen. Erst als ich die Türe groß aufriß und ihn beinahe grob hinauswies, merkte er, daß ich »schlechter Laune« war.

Derartiges konnte im Hause nicht unbemerkt bleiben. Bald fühlte ich mich wieder von jener Atmosphäre des Mißtrauens umgeben, die mir von früher so wohl bekannt war. Die erste, die sich von mir zurückzog war Franzi. Vielleicht folgte sie dabei nicht so sehr ihrem eigenen Herzen, als dem Wunsche ihrer Mutter. Ich mußte es ertragen; aber mit der Freude am Aufenthalt in Ecsed war's vorbei. Ich fing an mich wegzusehnen von all den neugierig forschenden Augen, die nach mir schauten und den kalten, verschlossenen Gesichtern, die mich umgaben. – Das Erntefest und die Weinlese gingen vorüber. Ich wurde immer reizbarer.

»Was hast du denn?« sagte mein Mann zu mir. »Warum bist du denn so übler Laune? Macht es dir denn keine Freude, dich so geliebt zu sehen? Groß ist wahrhaft leidenschaftlich in dich verliebt; und ich habe dich nie so geliebt als jetzt, wo ich weiß, daß dich bald ein anderer besitzen wird.«

Um Ruhe zu haben schlich ich mich oft nachmittags, wenn er schlief, aus dem Kastell und ging auf der Straße oder am Waldsaum hin; oft saß ich auch stundenlang irgendwo unter einem Baum, fast gedankenlos die Stille und Einsamkeit genießend.

Ich mußte mir immer meinen Plan vor Augen halten, um der Last so vieler Liebe nicht zu erliegen.

»Wann?« flüsterte mir Groß zu, so oft er in meine Nähe kam, und »Ich halte es nicht mehr aus ... ich kann es nicht erwarten, dich in seinen Armen zu sehen«, sagte mir mein Mann unaufhörlich.

Dennoch gab er zu, daß es auf dem Lande unmöglich war; und voll Ungeduld drängte er nach Budapest.

Aber keinem lag mehr daran endlich ans Ziel zu gelangen, als mir selbst – das Ziel sollte ja das Ende sein.

Wie aber sollten wir nach der Stadt? Wir hatten dort keine Wohnung – und kein Geld, um in ein Hotel zu ziehen.

Um den letzten Monat die Pension an Frau Ries zu zahlen, mußten wir alle meine Schmucksachen durch die Vermittlung Dr. Schönfelds in Gyangyos verpfänden.

Leopold verdiente fast nichts mehr – alle seine Gedanken waren bei dem großen Ereignis, das er erwartete: zum Arbeiten fehlte ihm jede Stimmung. Am 2.Oktober 1880 schreibt er an Karl: »... beiliegend sende ich dir den Wechsel und bitte dich, die fünfzehn Gulden vorläufig für mich zu bezahlen. Ich übersiedle übermorgen nach Budapest und habe nicht genug Geld, um dir heute die fünfzehn Gulden senden zu können.«

Gegen Ende September waren die beiden Groß, Vater und Sohn nach Budapest gefahren; letzterer sollte dort im Winter wieder seine juristischen Studien aufnehmen. Wir hatten sie gebeten, uns zwei bis drei möblierte Zimmer zu mieten, die wir gleich bei unserer Ankunft beziehen könnten. Sie hätten das bestens besorgt, versicherten sie uns nach ihrer Rückkehr und gaben uns die Adresse.

Am 4. Oktober reisten wir, wie wir gekommen zusammen mit der Familie Ries ab, und wie unser Einzug gestaltete sich auch unser Abgang. Es waren dieselben Schindmähren an dieselben prähistorischen Wagen gespannt; vielleicht waren's nicht mehr dieselben Stricke, die das Sattelzeug ersetzten, aber sie hätten's sein können ihrem verknoteten Aussehen nach. Ich und Frau Ries, die ihr kleinstes Mädchen auf den Knien hatte, saßen im »Staatswagen«, Leopold und die Jugend hatten in drei oder vier andern Wagen Platz genommen und die Fahrt konnte losgehen. Die Tore standen weit offen, die »Dienerschaft« machte »Spalier«, die Dorfleute hatten sich angesammelt, um das Schauspiel mit anzusehen; unser Kutscher, der den Zug eröffnete, knallte mit der Peitsche und riß an den Stricken. Aber hatte er nicht richtig gerissen, oder die Pferde nicht richtig verstanden, – jedenfalls dachten die Tiere anders als er, denn im Vorhof bogen sie vom graden Wege ab und sie setzten sich's in den Kopf, statt durch das Tor, durch die Mauer in den Kuhstall hineinzufahren.

Frau Ries schrie entsetzt auf: sie hatte den Sommer über so viele Almosen gegeben, kein Bettler war unbeschenkt von ihrer Türe gegangen, und nun sah es ganz so aus, als wollte der undankbare Gott ihr und ihren Kindern doch noch Unheil senden.

Das energische Einschreiten des Kuhhirten hatte die Pferde bald wieder zur Vernunft – und die Rechnung mit dem Himmel in Ordnung gebracht.

Da wir auf unserer Fahrt an dem Großschen Gute vorbei mußten, hatte uns Frau Groß eingeladen, bei ihr Halt zu machen und eine Jause einzunehmen.

Die Ankunft unserer Karawane versetzte die Hunde dort in furchtbare Aufregung. Mit wütendem Gebell gaben sie weithin das Signal, daß etwas Außergewöhnliches, Gefahrvolles im Anzug sei. Die Dienstleute kamen in Aufruhr. Weiber riefen eiligst ihre Kinder und stießen sie in ihre Hütten, die Türen mit viel Geräusch schließend, während aus den Ställen, Schuppen und Vorratskammern Männer mit Schaufeln, Dreschflegeln und Mistgabeln bewaffnet auftauchten. Aber es kam auch die Familie Groß aus dem Hause und das war ein Glück, denn die Situation sah drohend genug aus. Die Knechte legten zwar ihre Mordwerkzeuge ab, schlichen aber, nachdem wir die Wagen verlassen hatten, an diese heran, und machten sich gegenseitig auf die Eigentümlichkeiten derselben, wie auf die Gebresten der Pferde aufmerksam.

Wir nahmen die Jause im Garten. Das Wetter war herrlich; die frische klare Luft von der hellen Sonne angenehm durchwärmt, und in der ganzen Natur jene glückliche, tiefe Ruhe, wie sie schönen Herbsttagen eigen ist. Bei solchem Wetter kann man nicht anders als heiter sein, und wir waren es alle ohne Ausnahme.

An den Garten stieß ein kleiner Birkenhain und in dem war alles Gold.

Der Boden war ein Teppich von rauschendem Golde; auf den Bäumen zitterte goldenes Laub; die Luft war goldiger Duft und goldene Vögel flatterten in ihr, ein Märchenland aus Gold und Glanz und Sonne mit dem blauesten Himmel als Decke darüber. Plötzlich erhob sich ein Windstoß und die ganze goldne Pracht kam in Bewegung, flatterte in Flocken auf uns nieder, wirbelte in springenden Funken um uns und senkte sich, müde geworden, als zierlicher goldener Schmuck auf unsere Kleider, in unser Haar.

Das war der letzte Tag, die letzten Stunden, in welchen ich, umgeben von meinen Kindern, ein reines holdes Glück genossen. Wie zu einer Schutzwehr hatte ich all die Zeit die Kinder um mich gesammelt, und so es durchgesetzt, daß nichts in meine Nähe kam, das mir mein glückliches Heute hätte verleiden können durch den Gedanken an das Morgen, das mir drohte. –

Als wir zur Abfahrt wieder in den Wirtschaftshof kamen, stand die elegante Equipage mit den schönen Pferden des Hauses für uns bereit.

»Sandor wird Sie fahren«, sagte uns Herr Groß mit freundlichem Stolz, denn er hielt viel auf sein schönes Fahrzeug – und die Kutschierkunst seines Sohnes.

Frau Groß küßte mich zum Abschied. Sie tat es so zärtlich und sah mir dabei so tief in die Augen, als wollte sie sagen: »Ich weiß es – und bin dir dankbar.«

Ich glaube, Leopold bedauerte heimlich, daß er die Fahrt nach Hatwan in dem schönen Wagen und nicht mehr in dem elenden Karren fortsetzen mußte. In Zigeunerart über Land zu fahren belustigte ihn, und einen Unfall fürchtete er nicht, denn seine Träume hatten ihm nichts derartiges angekündigt. –

 

Was sich wohl die beiden Groß gedacht haben mochten, als sie uns die Wohnung in der Stadt mieteten? Es war gar keine Wohnung, es waren Bodenräume, die zur Aufbewahrung von Akten gedient hatten, als das Haus, der ehemalige Südbahnhof, noch seinem Zweck diente. Auch jetzt waren im ersten und zweiten Stock Bureaus, unten aber im Parterre ein großes Restaurant. Und wie die Wohnung so waren die Möbel; Stühle und Tische wie sie in den Biergärten stehen; keine Vorhänge an den Fenstern, keine Spur eines Teppichs am Boden! Und die Fenster klein und hoch oben in der Mauer, wahre Gefängnisfenster; wollte man dahin gelangen, mußte man erst einen Stuhl auf einen Tisch stellen, und selbst dann sah man nur die Dächer der Häuser gegenüber.

Wir waren bei sonnigstem Wetter von Hatwan weggefahren und kamen in strömendem Regen in Budapest an. Kein Mensch erwartete uns, niemand leuchtete uns die dunkle Treppe hinauf. Nur als wir dann oben waren und Licht bekamen, und ich diese kahlen, öden, mehr leeren als möblierten Räume sah, da schnürte sich mir das Herz zusammen und ich hatte Mühe nicht zu weinen. Es war ein Glück, daß Leopold dafür keinen Sinn hatte; den Mangel an Vorhängen und Teppichen bemerkte er nicht einmal und ob ein Tisch aus weichem ungestrichenem Holz gezimmert oder in alter Eiche von Boule geschnitzt, das war ihm ganz gleichgültig, wenn's nur ein Tisch war. Zuerst hatte ich das als »edle Einfachheit« angesehen und war darüber gerührt; später aber, als er sich in der Ehe gehen ließ – und wie ließ er sich gehen! –, da fing ich an, seine Einfachheit viel mehr »kosakisch« als »edel« zu finden, und kam auf die Vermutung, er mochte unter seinen Ahnen einen seiner geliebten donischen Kosakenhäuptlinge gehabt haben.

Unser neues » home« bestand aus einem großen Vorraum, von dem aus man zuerst in ein kleines Zimmer gelangte, in dem ein abgelebtes Sofa, ein Tisch und einige Stühle standen, womit es zum »Salon« gekennzeichnet war; am Ende des Vorraums in einer dunklen Tiefe, führte ein schmaler Gang in ein großes Zimmer, das unser aller Schlafzimmer wurde.

Mein Mann ging in glückseliger Stimmung umher: alle Augenblicke verließ er seinen Schreibtisch, um nach mir zu sehen, ob ich noch » en forme« war für die große Tat. Fand er mich dann trübe und verstimmt, sagte er:

»Laß doch um Gotteswillen all diese Sorgen beiseite; sei heiter und glücklich, denn dann siehst du am schönsten, jugendlichsten aus.«

Dann kam der Tag, der ihm der »glücklichste seines Lebens« werden sollte.

Alexander Groß war einige Tage nach uns in Budapest eingetroffen. Jetzt saß er in dem kleinen Zimmer und wartete.

Leopold hatte die Magd mit den Kindern ins Volkstheater geschickt, wo es eine Matinee gab. Er selbst half mir bei meiner Toilette – ich sollte ja schön sein, so schön als möglich.

Ich hatte auf seinen Wunsch ein weißes Atlaskleid angezogen, dasselbe, in dem ich vor Jahren den Ball in Leoben besuchte, und er legte mir denselben weißen, mit schwarzem Fuchs besetzten Dolman um die nackten Schultern, den ich damals schon getragen. Dann zog er mir weiße Atlasschuhe an – er wollte sich heute ganz als mein Sklave fühlen – und nachdem das getan war, blieb er am Boden liegen und bat mich, ihm einen Fußtritt zu geben, denn er sei so wahnsinnig in mich verliebt, daß er sich sonst nicht zurückhalten könnte, mich zu küssen; und das paßte nicht in seine heutige Situation – heute wolle er sich nur wie ein Wurm zu meinen Füßen winden, mir nur auf den Knieen nahen. Er küßte mir die Füße, den Saum des Kleides, die Hände und sagte:

»Wie entzückend schön bist du! ... So zart und keusch wie eine Braut ... und so angstvoll. Wie ich ihn beneide!«

Dann öffnete er die Tür und ich ging hinüber in die kleine Stube, wo mich der andere erwartete ...

 

Seltsame Gedanken suchten mich diese Nacht heim.

Ich schaute auf mein Leben und fand alles verschoben, nicht mehr in der Lage, in der ich es zu sehen gewohnt war. Ein alle geistige Kraft ermattendes Gefühl von Ödigkeit und Elend verhinderte mich lange, mich in dem dunklen Gewirr von Gedanken und Empfindungen zurechtzufinden. Nur ein Gefühl war schon jetzt ganz klar: die mahnende Reue, daß ich es getan. –

Dann kamen andre, gleich Gespenstern in finstrer Nacht mich erschreckend: der physische Abscheu vor dem Manne, dem ich so viele Jahre angehört und noch weiter angehören mußte, der Abscheu, an den ich nie glauben wollte, den ich stets standhaft unterdrückte, rächte sich jetzt, indem er riesengroß anschwoll. Nicht Mitleid fühlte ich mehr mit ihm, sondern Haß; wo ich früher an Güte und Liebe geglaubt, sah ich jetzt nur den grausamsten Egoismus, und was ich bisher als die ausschweifende Phantasie eines Dichters zu verstehen und zu verzeihen bemüht gewesen, erkannte ich nun als die roheste, niedrigste Sinnenlust, die in herzloser Selbstsucht sich ohne Zaudern auch an dem Heiligsten, der Mutter, vergreift. –

Ich dachte an die Kinder, aber auch in der Liebe zu ihnen fand ich in dieser Stunde weder Trost noch Mut.

Und jetzt beschlich mich zum erstenmal der grauenhafte Wunsch, eine Krankheit möchte mir die Kinder nehmen, damit ich ihnen im Tode folgen könne.

 

Es sollte die Schlußverhandlung im Froben'schen Prozeß [richtig: Frobeen] in Wien stattfinden. Mein Mann fand es nötig, daß ich als Zeuge vernommen werde, ich sollte also hinfahren. Er selbst, die Aufregung einer solchen Verhandlung fürchtend, zog es vor, nicht dabei zu erscheinen.

Dr. Schneeberger, damals Kanzleichef bei Dr. Eirich, führte die Verteidigung Sacher-Masochs.

Mein Mann wurde zu acht Tagen Arrest verurteilt.

Über den Ausgang des Prozesses schreibt er an seinen Bruder Karl:

»Dieses Verdikt ist die glänzendste Genugtuung für meine durch Froben so hart angegriffene Ehre, und für ihn, wie Dr. Schneeberger meint, geradezu vernichtend. Meine Frau hat eine glänzende Rolle im Gerichtssaal gespielt, auf den Gerichtshof und die Geschworenen den günstigsten Eindruck gemacht und mir, wie Dr. Schneeberger schreibt, wesentlich genützt. Auch die Journale sprachen sich sehr liebenswürdig über sie aus. Der Präsident nahm freundlich für Wanda gegen den Vertreter Frobens, Dr. Rasch, Partei.«

Die Wahrheit ist, daß ich im Gerichtssaal keine »glänzende«, sondern eine sehr bemitleidenswerte Rolle gespielt habe.

Vor meiner Abreise hatte mir Leopold alles was ich bereits über die Sache wußte, nochmals wiederholt, ich hatte alles ganz richtig verstanden und war, sein gutes Recht erkennend, ruhig ins Gericht gegangen.

Man nahm mir den Eid ab, und ich erzählte die Dinge, wie ich sie aus den Mitteilungen meines Mannes kannte.

Es war ganz still im Saal, während ich sprach. Ich stand dicht vor dem Präsidenten und dieser blickte mich unverwandt, aber freundlich und wohlwollend an. Darüber vergaß ich den Saal, ich sah nur noch ihn und es war mir, als spräche ich zu einem vertrauten Freunde.

Nachdem ich geendet, suchte er in den vor ihm liegenden Papieren, dann hielt er mir ein Blatt hin, bat mich, es genau anzusehen und ihm zu sagen, ob ich darauf die Schrift meines Mannes erkenne. Gewiß war es die Hand meines Mannes. Darüber war kein Zweifel möglich.

Nun las er den Inhalt des Briefes vor. Es war das strikte Gegenteil von all dem, was ich ausgesagt hatte.

Ganz heiß vor Scham und Schrecken stand ich vor den Richtern.

»Sie haben, gnädige Frau, Ihre Aussage wohl nur nach den Angaben Ihres Mannes gemacht ... das erklärt den Widerspruch«, sagte der Präsident.

Ich ging an meinen Platz zurück. Erst nach einer Weile wagte ich die Augen aufzuschlagen; aber ich sah kein spöttisches oder schadenfrohes Gesicht; alle blickten mich gut und teilnahmsvoll an.

 

Jeden Tag zur selben Stunde kam Groß zu uns, und jeden Tag um diese Stunde ging mein Mann aus.

Er hätte ebensogut zu Hause bleiben können. Das Herz voll Gram und Bitterkeit, fehlte mir das Verständnis für die Gefühle, die Groß bewegten. Seine stumme Gegenwart, seine hilflose-knabenhafte Verliebtheit reizte und erbitterte mich nur noch mehr und ich fühlte solches Mitleid mit mir selbst, daß ich hätte weinen können.

Ein schmerzliches Ereignis befreite mich von seinen lästigen Besuchen. Sascha erkrankte an Scharlach.

Schon seit Wochen konnten die Kinder nicht mehr ausgehen, weil sie keine Schuhe hatten. So blieben sie eingeschlossen in der Wohnung, in der stets, man mochte lüften so viel man wollte, eine merkwürdig übelriechende Luft herrschte. Sascha, das zarteste von den drei Kindern, war das erste Opfer dieser ungesunden Wohnung.

Die Leiden des Kindes, der Schrecken vor der Möglichkeit, es zu verlieren, die Furcht vor Ansteckung und die Sorge um das für die Krankheit nötige Geld gaben den Gedanken meines Mannes eine andre Richtung und er schrieb selbst an Groß, er möge seine Besuche einstellen.

Es wäre vielleicht angezeigt gewesen, die beiden anderen Kinder zu entfernen und aus dem Hause zu bringen, allein das wäre wiederum mit für uns unerschwinglichen Kosten verbunden gewesen; wir hatten kaum Geld genug für die nötigsten Bedürfnisse des Tages.

Der Tod wäre ein Erlöser für uns alle gewesen.

Mein Mann und die beiden gesunden Kinder zogen hinüber in das kleine Zimmer und ich blieb mit dem Kranken allein. Der Arzt hatte mir gesagt, ich müßte sehr darauf achten, daß das Kind sich nicht abkühle, immer in derselben Temperatur liege. Bei Tage war keine Gefahr, da ich nicht von ihm wich, und nachts schlief ich mit ihm in demselben Bett, hielt ihn in meinen Armen und wärmte ihn mit meinem Körper.

Angstvolle Wochen gingen hin. Manchmal kam mein Mann an die geschlossene Türe und sprach durch diese mit seinem kranken Liebling; auch Lina und Mitschi kamen und riefen der Mama Grüße zu; mein kleiner Schwarzer mit Tränen in der Stimme, weil er seine geliebte Mama eine so lange Ewigkeit schon nicht gesehen.

Dann kam die Zeit, wo der Genesende jeden Tag ein Bad nehmen sollte. Ich ließ aus der heißen Quelle im Stadtwald Wasser bringen; die Wirtin vom Restaurant, das im Hause war, lieh mir ein in der Hälfte durchsägtes Faß, und in dieser primitiven Badewanne nahm der Kleine genußreiche Bäder. Es war überhaupt eine köstliche Zeit für ihn; jeden Tag briet ich ihm auf dem eisernen Ofen im Zimmer ein Hähnchen, das er allein ganz verzehrte. Sah ich, mit welcher Gier er sich darüber hermachte und mir dabei voll dankbarer Freude zulächelte, da schwoll mir mein Herz und in einem unendlichen Glücksgefühl segnete ich den »Erlöser Tod«, daß er mir das teure Kind nicht genommen.

 

Da mein Mann fest entschlossen war, die Gefängnisstrafe von acht Tagen nicht abzumachen, ließ er von seinem Anwalt Dr. Eirich ein Gnadengesuch einreichen, und ich sollte nach Wien gehen, um beim Kaiser den Strafnachlaß persönlich zu erbitten.

Ich hatte das zur Audienz vorgeschriebene schwarze Seidenkleid nicht. Frau Laslo, die Tochter von Frau v. Korsan, lieh mir gern das ihrige und ich reiste ab.

Der Vater meines Mannes war mit dem Chef des Privatkabinetts des Kaisers, Baron Braun, befreundet gewesen. Mit solchen Empfehlungen fand ich den Weg zum Kaiser leicht.

Als ich zur Audienz kam, hatte diese bereits begonnen. Eine lange Kette von Personen bildete einen Halbkreis in einem kleinen Saal; alle waren sichtlich bemüht ruhig auszusehen, was den wenigsten gelang. An den Fenstern standen Leibgardisten, prachtvolle Männer in weißen, von Gold starrenden Uniformen. Ich dankte Gott, daß mein Dichter sie nicht sah ... Das Herz wäre ihm gebrochen, unter diesen »Griechen« sich keinen herausholen dürfen! –

Es traf sich, daß der diensttuende Adjutant Graf Mondel war, auch einer aus dem »Adelsnest« in der Jahngasse in Graz, wo seine Mutter lange Jahre gewohnt. Seltsam kam mir der »Dienst« vor, den er, ich glaube, er war bereits Major, zu versehen hatte; er bestand darin, den Eintretenden die Türe zu öffnen, und, mit der Hand auf dem Türgriff, zu horchen, daß drinnen auch alles in Ordnung verlief.

Als die Reihe an mich kam, blickte er mich an und es schien mir, als ob ein diskreter Gruß in seinen Augen und ein freundliches Lächeln auf seinen Lippen wäre.

Aber da stand ich schon vor dem Kaiser.

Ich hatte mir schon seit Tagen zurechtgelegt, was ich sagen wollte, während des Wartens aber in all den ernsten gespannten Gesichtern, die mich umgaben, zu sehr nach ihrem Leben und Leiden, nach den Ursachen, die sie hergeführt, geforscht, auch die erregten, oft verzweifelten Mienen der Herauskommenden mit tiefer Bewegung beobachtet, so daß ich, als ich vor dem Monarchen stand, ganz aus dem Text gekommen war. Und auch jetzt noch vagabundierte mein Geist, und anstatt meine Angelegenheit vorzutragen, schaute ich auf den Menschen, der vor mir stand, und suchte in seinem Gesicht nach den Spuren der Bestätigung dessen, was ich von ihm wußte, wie ich ihn mir dachte.

Es war nur ein Augenblick, aber viel kann ein Augenblick einschließen.

Ich weiß nicht, wie ich meine Sache vorbrachte, gewiß nicht »programmäßig«, allein da ich damit alles erreichte, was zu erreichen war, konnte ich zufrieden sein.

In seiner leutseligen Art sagte mir der Kaiser, er würde am liebsten meinem Manne die ganze Strafe schenken, allein er könne doch nicht »seine Richter« so ganz desavouieren; doch wolle er gleichwohl sehen, was sich machen ließe, ich sollte nur getrost heimkehren, meinen Mann beruhigen und ihm sagen, er solle die Sache nicht so ernst nehmen, ein paar Tage Arrest, daran müßten Schriftsteller und Journalisten sich gewöhnen; Entehrendes sei ja auch nichts dabei.

Ich wollte mich eben vor dem Kaiser verbeugen, als die Türe hinter mir geöffnet wurde und Graf Mondel mir in seiner stummen Höflichkeit zu verstehen gab, daß ich mich lange genug der allerhöchsten Gegenwart erfreut habe.

Draußen im Vorzimmer, um einen Tisch herum, auf dem ganze Haufen von Silber- und Kupfermünzen lagen, standen mehrere Lakaien in schönen bunten Kleidern, die so imposant aussahen, daß sie ebensogut Minister oder noch besser Leibgardisten hätten sein können. Einer dieser Herren hatte die Güte, mir meinen Mantel und Schirm zu reichen.

Schüchtern legte ich ihm einen Gulden hin. Das war gewiß nicht viel für einen so prächtigen Menschen; allein in Anbetracht meiner mageren Börse schien es doch ein ungeheurer Leichtsinn von mir. Glücklicherweise nahm er weder von meiner Gabe noch meiner Verlegenheit Notiz. Mit dem nächsten Zuge reiste ich wieder heim.

Ich weiß nicht mehr, was die Veranlassung war, daß Leopold wünschte, ich solle Kapf in Wien aufsuchen.

Nachdem Margarethe Halm nach langem Zögern erkannt hatte, daß sich unser früherer Sekretär zum Reformator des Menschengeschlechts nicht eigne, hatte sie ihn in eine Coterie schriftstellernder Frauen lanciert. Eine derselben, Fräulein Blumenreich, die unter dem Namen Essenther als Schriftstellerin schon bekannt war, hatte ihn zum Manne erwählt. Das hatte seine Übersiedlung nach Wien veranlaßt.

Kapf als Ehemann zu sehen, hatte etwas Verlockendes für mich, und ich beeilte mich, meinen Auftrag auszuführen. Er nannte sich jetzt Kapf-Essenther, wohnte irgendwo in Hernals, war aber nicht leicht zu finden.

Müde von dem erfolglosen Suchen, wollte ich schon unverrichteter Sache nach Wien zurückkehren, als zwei Bäckerjungen auf mich zukamen. Es fuhr mir durch den Sinn, sie könnten vielleicht Brot zu dem jungen Ehepaar bringen, und ich hielt sie an. Mit dem Namen hatte ich kein Glück, sie kannten ihn nicht; da versuchte ich es mit einer Beschreibung von Kapfs äußerem Menschen, und gleich stießen sich die Buben lachend an und sagten:

»Das is ja das ›Perücken-Gigerl‹«, und führten mich bis an das Haus.

Es war Frau Kapf-Essenther selbst, die mir die Türe öffnete. Ich gab mich ihr zu erkennen, und sie war sehr liebenswürdig, was ich ihr um so höher anrechnete, als sie mich ja nur aus den Schilderungen ihres Mannes kennen konnte.

Ich fand Kapf noch bedeutender als früher – er fühlte sich als der Mann seiner Frau, sonst aber trug er sein Glück mit Würde und dem Gleichmut eines Philosophen. Er überragte ganz entschieden seine Frau; diese mochte das auch fühlen, denn sie sprach so sanft, so liebevoll, beinahe unterwürfig zu ihm, und er antwortete ihr in seiner abgehackten, überlegenen Weise, die ich so gut kannte, und sie nahm es hin, wie etwas, das gar nicht anders sein könnte.

Gern würde ich länger bei dem interessanten Paar geblieben sein, allein ein Etwas in der Luft erinnerte mich zu peinlich an unser Speisezimmer in Graz; und sobald ich mich meines Auftrags entledigt, ging ich wieder.

* * *


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