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Sich stets nur von ihrer augenblicklichen Laune treiben lassend, führte Kathrin ein ganz regelloses Leben. Manchmal sprang sie nachts aus dem Bett, und im Hemd, wie sie war, fing sie an, an ihren Übersetzungen zu arbeiten. Wenn sie dann ihre schönen Sätze einen nach dem andern aufs Papier warf, packte sie die Freude über ihr Talent, so leicht und mühelos zu schreiben, die Arbeit wurde ihr zum Genuß, sie konnte sich nicht losreißen und hörte erst auf, wenn ihr vor Müdigkeit die Feder aus der Hand fiel.

Zu andern Zeiten vergingen Wochen, ja Monate, wo sie nicht ans Arbeiten dachte. Sie aß nicht, wenn sie Hunger hatte, sondern wenn es ihr gerade einfiel; zuweilen blieb sie den ganzen Tag ohne zu essen, oft absichtlich, um dann mehr Genuß daran zu haben. Von ihrer Gesundheit nahm sie keine Notiz, ihren Körper behandelte sie mit einer Rücksichtslosigkeit, die mich oft entsetzte; sie hatte keins von all den kleinen Leiden, die auch gesunden und kräftigen Frauen nicht erspart bleiben. Sie fürchtete nichts und war kühn und mutig wie ein Mann. Sie wollte keine Stunde, keine Minute vom Leben vorübergehen lassen, ohne es zu genießen, sich seiner bewußt zu sein. So war sie immer in Erregung, immer in Spannung, was der nächste Tag, die nächste Stunde bringen wird. Oft stürmte sie morgens mit der Frage in mein Zimmer:

»Wanda, was machen wir heute, um uns zu amüsieren?«

Wenn ich dann sagte, daß ich zum Amüsieren keine Zeit hätte, warf sie wie ein boshaftes Kind die Schultern hin und her.

Eines Tages kam sie wieder so und bat mich, mit ihr einen Ausflug zu Wagen zu machen, nach einem Ort in der Umgebung der Stadt, von dem man ihr erzählt habe, daß er reizend sei, und daß es dort einen Gasthof gäbe, in dem man vorzüglich zu essen bekomme.

Da ich das Haus nicht für den ganzen Tag verlassen wollte, schlug ich es ihr ab. Sie rief Leopold zu ihrem Beistand, und da dieser es immer gern sah, wenn ich mit ihr ging, denn er erwartete, daß ich in ihrer Gesellschaft eines Tages dem Griechen begegnen würde, drang auch er in mich und ich mußte nachgeben.

Wir waren vielleicht schon zwei Stunden gefahren, als wir uns plötzlich einem reißenden Strome gegenüber befanden, der verheerend über Felder und Wiesen daherraste und uns den Weg abschnitt.

Es waren während der Nacht weit im Lande Wolkenbrüche niedergegangen, und was wir vor uns hatten, war der Abfluß der Wassermassen von dort. Auf der andern Seite des Wassers, wo die Straße bergan zu steigen begann, standen Männer, die uns abwinkten und etwas zuschrien, das wir aber wegen der großen Entfernung und dem Rauschen des Wassers nicht verstanden.

Kathrin war aufgesprungen und aufrecht im Wagen stehend, blickte sie mit leuchtenden Augen auf das unheimliche Bild.

»Wir müssen durch!« rief sie.

»Natürlich! Eine so schöne Gelegenheit, zu ertrinken, kann man nicht ungenützt vorübergehen lassen.«

Sie lachte.

Der Kutscher, der stehen geblieben war, und schon umkehren wollte, sah uns erstaunt an.

Es war ein junger »fescher« Kutscher, der trotz der Verantwortung, die er für die Pferde hatte, nicht weniger Mut zeigen wollte, als das junge Mädchen, und so fuhr er denn in das brausende Wasser hinein. Die Männer drüben schrieen und gestikulierten wie besessen; wir aber saßen ruhig in unsern Wagenecken und warteten, was jetzt kommen würde.

Es dauerte nicht lange, da schien der Kutscher seine Kühnheit auch schon zu bereuen. Die Pferde waren in dem wilden Wasser und von den vielen Gegenständen, die es mit sich führte und die ihnen um die Füße schlugen, nervös geworden; die Gewalt des Wassers drohte den Wagen von der Straße, deren Richtung der Kutscher nur vermuten konnte, abzudrängen; es mußte auch auf der Straße bereits ausgewaschene Stellen geben, denn die Pferde sanken alle Augenblicke ein.

Vorwärts wagte sich der Kutscher nicht mehr und an ein Umkehren war nicht zu denken. Wir standen etwa in der Mitte des Stromes; das Wasser ging den Pferden fast an die Brust und drang in den Wagen.

Still wie Bildsäulen standen jetzt die Männer drüben und starrten zu uns herüber.

Ich hatte auf das Wasser geschaut, wie die Wellen so eilig dahinliefen, und war eben im Begriff, mich ihnen anzuschließen, als mich Kathrin heftig zurückriß und rief:

»Um Gottes willen, Wanda, schau nicht aufs Wasser, du wirst schwindlig. Schau in die Luft oder mach die Augen zu.« Und sie nahm mich in ihre Arme und zog mich an sich.

Es war ein angenehmes Gefühl, nachdem ich mich noch eben erst in der Schwebe befunden, so fest und sicher von diesen starken Armen gehalten zu sein.

Unterdes hatten die Männer drüben unsere gefahrvolle Lage erkannt und sich entschlossen, uns zu Hilfe zu kommen. Es waren junge Müllerburschen in großen Wasserstiefeln.

Langsam wateten sie heran, mit großen Stangen vorsichtig den Boden vor jedem Schritt sondierend. Als sie uns schon nahe waren, schrien sie den Kutscher an und sagten, er müsse seine Pferde wohl gestohlen haben, daß er sie da hinein führe, wo sie sich jeden Augenblick die Beine brechen könnten. Neugierig und auch ein wenig zornig blickten sie auf uns: hatte sie doch unser Leichtsinn gezwungen, uns Hilfe zu leisten.

Kathrin lächelte ihnen zu und fing in ihrem mangelhaften Deutsch freundlich und lieb mit ihnen zu plaudern an. Im Augenblick hatte sie sie gewonnen; ihr Ärger schwand, und sie schauten bewundernd auf dieses fremde junge Mädchen, das da mitten in der Gefahr so heiter und furchtlos war.

Einer der Burschen führte die Pferde, zwei stellten sich auf den Wagentritt, um den Wagen gegen die Strömung zu halten. So kamen wir langsam jenseits des Wassers an.

Kathrin gab den Burschen ein reiches Trinkgeld, dankte ihnen und schüttelte ihnen herzlich die Hände. Ich glaube, sie hätten sich alle drei am liebsten gleich wieder für sie ins Wasser geworfen, so glücklich sahen sie aus. Noch lange standen sie da und sahen unserm Wagen nach, aus dem ihnen Kathrin noch zuwinkte. Sie selbst jauchzte förmlich vor Vergnügen: das war was für sie, jeder Tag hätte ihr derlei bringen sollen, denn das war Leben, und leben wollte sie ... leben ... leben ...

»Du allein«, sagte sie, »hast mir einen Augenblick Furcht gemacht, denn wenn du hinausgefallen wärst, wärst du in dem reißenden Wasser verloren gewesen!«

Es freute sie, daß sie die Gefahr so gut bestanden, denn das war eine Probe für ihren Mut, ihre Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit – und ihre Verachtung des Lebens.

»Wenn ich mich selbst küssen könnte, würde ich es tun«, sagte sie, »so zufrieden bin ich mit mir.«

In einem reizend gelegenen Gasthof auf der Höhe aßen wir prächtig zu Mittag. Man hatte uns den Tisch auf einer Terrasse gedeckt, die über einer tiefen Schlucht hing und der gegenüber eine dunkle bewaldete Bergwand sich bis in den Himmel zu erheben schien. Kathrin war lustig und ausgelassen wie ein kleiner Junge. Nach Stunden der reinsten harmlosesten Heiterkeit machten wir uns wieder auf den Heimweg.

Indessen hatte sich das Wasser verlaufen, und jetzt sahen wir erst so recht, in welcher Gefahr wir geschwebt, und wie viel wir der guten Führung der Müllerburschen zu danken hatten. Die Straße war voller Löcher, als hätte es Bomben darauf geregnet. Wir mußten aussteigen und ein großes Stück durch all die Verwüstung zu Fuße gehen.

 

Es mußte Wunder nehmen, daß Kathrin und Leopold sich nicht näherkamen. Dennoch war ich fest überzeugt, daß sie mit dem ganz bestimmten Plan, mit ihm ein Verhältnis zu haben, nach Graz gekommen war, und daß dieser Plan nur durch die Umstände modifiziert worden war.

Zu diesen Umständen gehörte ihr wärmeres Gefühl für mich nicht – dieses hätte sie nie abgehalten, mir meinen Mann zu nehmen, wenn sie Lust dazu gehabt hätte oder es für ihr Interesse dringend nötig gewesen wäre.

Sie gefielen sich nicht.

Frauen, die Leopold interessieren konnten, mußten seine Phantasie anregen; er mußte alles in sie hineinlegen können, was er bei ihnen zu finden wünschte. Was hätte er mit einem Mädchen anfangen sollen, das in der Liebe nur das Vergnügen sah und mit höhnischer Verachtung alles abwies, was wie ein »Gefühl« aussah.

»Die Liebe nach deiner Auffassung«, sagte er einmal zu ihr, »ist mir ein Greuel. Ich möchte lieber ganz darauf verzichten, als sie ohne alle Poesie genießen. Ich begreife gar nicht, wie ein so junges Mädchen so nüchtern sein kann.«

»Mein Lieber«, erwiderte Kathrin mit köstlichem Spott, »daß du die Liebe, so wie sie die Natur uns gegeben hat, nicht genießen willst, beweist, daß du einen perversen Geschmack hast. Was du Poesie nennst, das ist die Lüge und das Falsche, das nie hätte hineinkommen sollen, weil es die, die daran glauben, nur unglücklich macht. Daß ich mit der Liebe da anfange, wo andere Frauen erst nach den schmerzlichsten Erfahrungen, und wenn die Jugend vorbei ist, hingelangen, das macht mich glücklich und stolz: weder die Liebe noch die Untreue eines Mannes wird je meinen Frieden stören.«

»Du erinnerst mich an die Baronin R..., die mir in Salzburg sagte: kluge Leute laden sich gegenseitig zur Liebe ein, wie zu einem guten Diner, das nichts hinter sich läßt als eine angenehme Erinnerung.«

»Das ist auch meine Meinung. Es scheint mir schrecklich dumm, etwas so Einfaches, Natürliches wie die Liebe, zu einer wichtigen Sache zu machen und ihr einen so großen Platz im Leben einzuräumen.«

Leopold war entrüstet. Er sagte mir später, Kathrin lasse ihn ganz kalt, denn sie sei ihm viel zu wenig Weib.

Ich mußte innerlich über seine Entrüstung lachen. Ich wußte damals schon, daß auch er eine solche Einladung der Baronin R... in Salzburg erhalten und angenommen hatte, daß er viele Monate mit ihr »dinierte«, und daß ein großer Teil des Geldes, das jeden Monat an Karl ging, dazu diente, die nachträglich eingegangenen Rechnungen für diese Diners zu bezahlen.

 

Welch ein angstvolles Glück sind Kinder. Es ist gewiß keine Übertreibung, wenn ich sage, daß ich, seit ich Mutter wurde, keine ruhige Stunde mehr gehabt habe. Immer war ich bemüht, unser Leben so einzurichten, daß ich die Kinder so viel als möglich um mich hatte. Zu oft aber konnte das nicht sein, und das waren dann Augenblicke, Stunden oder Tage voll peinigender Unruhe für mich. Wenn mich mein Mann ausschickte, um mir einen Liebhaber zu suchen, sei es auf die Promenade, in die Theater oder gar auf Reisen, dann war wohl mein Leib abwesend, aber mit all meinen Gedanken war ich daheim bei den Kindern und auch bei dem Manne, der mich nicht mehr entbehren konnte, dem ich allein über seine Anfälle hinweghalf, der schon unruhig wurde, wenn ich nur aus dem Zimmer ging.

Mein ganzes Leben lag in meinen Kindern. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein Geschöpf für mich, meine Persönlichkeit war ganz untergegangen in der Liebe und Sorge für sie; ich wünschte und hoffte, fürchtete und zitterte nur noch für sie.

Wünsche und Furcht waren gleich groß und hatten ihren Grund in den seltsamen Verhältnissen, unter welchen meine Kinder aufwuchsen, und denen gegenüber ich so gut wie machtlos war.

Leopold war dabei geblieben, nur ein Kind zu haben: Sascha, sein Kind. Ein Kind wie dieses – das war seine feste Überzeugung, war noch nie geboren worden. –

Oft, wenn die Kinder um ihn waren, er das »seinige« zärtlich in den Armen hielt, die andern etwas abseits standen, hörte ich, wie er zu seinem Liebling sagte, indem er auf Mitschi zeigte:

»Siehst du, wie schwarz der ist? Weißt du warum? Das kommt, weil ihn ein schwarzer Storch gebracht hat, und nachts, wenn es ganz finster war; und er hat ihn aus einem Teich herausgezogen, in dem das Wasser so schwarz war wie Tinte; seine Augen sind auch zwei Tintenklekse, die nicht mehr weggehen, die Mama kann sie waschen so viel sie will. – Dich aber hat ein weißer Storch gebracht, am hellen Tage, wenn die Sonne schien, die dein Haar vergoldete, daß es so schön glänzt; und er hat dich aus einem See herausgezogen, dessen Wasser so blau war wie der Himmel, und dabei sind zwei Tropfen von dem Wasser in deine Augen gefallen und sind dort geblieben, und darum sind sie so tief wie der See und so blau wie der Himmel.«

Wenn ich sah, wie sich der empfangene Eindruck des Gehörten in den kleinen erstaunten Gesichtern widerspiegelte, zog sich mein Herz zusammen in ahnungsvoller Trauer.

Linas große, dunkle Augen gingen forschend von Sascha zu Mitschi, und ein stilles, schmerzliches Lächeln spielte um ihren Mund. Ihr liebes Gesicht hatte dann etwas Nachdenkliches, Sinnendes. – Wo war sie hergekommen? Welcher Storch hatte wohl sie gebracht? Wie kam es, daß von ihrer Ankunft nie die Rede war?

Anders bei Mitschi.

Sein schmales, braunes Gesicht wurde noch ernster, noch düsterer als sonst, und die »Tintenklekse« schauten auf den Vater mit strengem Blick, als wollten sie ihn zur Verantwortung ziehen für seine geschwärzte Existenz.

Saschas schönes Gesicht aber leuchtete in stolzem, ruhigem Glück. Der kleine Gott fühlte seine Erhabenheit und sah voll sanften Mitleids auf die herab, die nicht, gleich ihm, göttlichen Ursprungs waren.

Es war gewiß ein engelhaftes Kind, aber doch nur ein Menschenkind. Wie hätte die Güte und Reinheit seines Herzens, bei so maß- und vernunftloser Anbetung, nicht leiden sollen? Er hörte es so oft, daß die beiden andern tief unter ihm stehende Wesen seien, die ihn im Grunde gar nichts angingen, die man nicht zu lieben brauchte, da sie nichts bedeuteten, bis er es glaubte und seine Geschwister danach behandelte, wenn sie in ihren Spielen sich erlaubten, sich auf die gleiche Stufe mit ihm zu stellen.

Machte ich Leopold darüber Vorstellungen, dann wurde er böse, und wollte von nichts hören. Mehr erreichte ich mit dem Kinde selbst, das zu edel war, um, wenn ich es sanft auf sein Unrecht aufmerksam machte, dieses nicht zu bedauern. Das aber durfte ich nur, wenn der Vater nicht zugegen war.

Es war natürlich, daß das Kind, das von seinem Vater angebetet und vergöttert wurde, nur die liebevollsten und zärtlichsten Worte von ihm hörte, diesem auch mit der rührendsten, innigsten Liebe anhing, dagegen die Mutter, die es zuweilen tadelte, trotz aller Zärtlichkeit, doch nicht in demselben Maße liebte. So weh mir das auch tat, so freute ich mich doch auch wieder darüber, denn nicht nur, daß die beiden in dieser Liebe zueinander das reinste und schönste Glück genossen, das Menschenherzen empfinden können, ich fand in ihr auch die stärkste Hoffnung, daß der Vater den Kindern erhalten bleibe, und daß ich vielleicht auch darin den Ausweg finden werde aus dem düstern Geheimnis unserer Ehe. –

Gleich wie die ewige Verherrlichung und Bewunderung den Geist des einen Knaben schlecht beeinflussen mußte, so mußte auch die immerwährende Herabsetzung und Lächerlichmachung das Gemüt des anderen verdüstern und verbittern.

Diese Verdüsterung zeigte sich weder in einer Animosität gegen den schönen vergötterten Bruder, noch in Ungehorsam gegen den Vater, wohl aber in einem stillen Abwenden von den beiden. Sein kleines übervolles Herz wandte sich dafür in leidenschaftlicher Liebe seiner Mutter zu. Und diese Liebe verbarg er wie einen teuren Schatz, der ihm von den anderen entrissen werden konnte. Mir selbst verriet er sie nur im Geheimen und Verborgenen, wenn er sich unbewacht glaubte, verstohlen nach meiner Hand haschte und sie mit heißen heftigen Küssen bedeckte, oder in stummer Seligkeit sein kleines Gesicht hineinbarg.

Aber lange blieb diese Leidenschaft nicht verborgen, und als sie Leopold erst entdeckt hatte, überschüttete er das Kind mit Spott und Hohn. Wegen seiner ernsten Miene nannte er ihn »Schopenhauer« oder »Pessimist« und suchte ihm stets begreiflich zu machen, daß eine so kleine schwarze Kröte keine Ansprüche an Mama habe. Einmal sagte er zu mir, als ich im Begriff war, auszugehen:

»Gib acht, daß du nicht dem Wolf begegnest und er dich auffrißt, wie das Rotkäppchen.«

Da stürzte der Kleine mit einem Schreckensschrei auf mich, umklammerte meine Knie und bat unter verzweiflungsvollem Schluchzen, ich sollte daheim bleiben.

Von dem Tage an glaubte mich das Kind in steter Gefahr, von allen Schrecken der Märchenwelt bedroht. Und Leopold, der nicht duldete, daß in seiner Gegenwart eine Fliege getötet wurde, lachte und freute sich über die marternde Angst des Kindes, in der dessen Liebe zu mir, nicht wie die Saschas zu ihm, ein schönes lachendes Glück, sondern ein großer quälender Schmerz wurde.

Und wenn es eine Wahrheit ist, daß heftige Kindheitseindrücke sich nie mehr im Leben verwischen, so ist dies ein Beleg dafür: dieses Kind ist heute ein beinahe dreißigjähriger Mann; seine Liebe zu mir ist mit ihm gewachsen und groß und stark geworden – aber sie ist ein Schmerz geblieben. Nicht eine Stunde in all diesen Jahren hat er aufgehört, für seine Mutter zu zittern, nur daß an Stelle der Märchenschrecken die Schrecken des realen Lebens und die Furcht vor der unvermeidlichen ewigen Trennung getreten ist.

 

Daß Kathrin von den Kindern den »Pessimisten« am meisten liebte, war vielleicht nicht der letzte Grund, daß mein Mann sie nicht leiden mochte. Sie hatte mir oft gesagt, welch reizenden Eindruck ihr die drei Kinder gemacht, als sie sie zum erstenmal gesehen. Da es ihr Plan war, mit uns nach Paris zu gehen, sobald es die Verhältnisse gestatteten, das heißt, sobald Rochefort wieder dort sein würde, wiederholte sie immer wieder:

»Ihr habt keine Idee, welchen Effekt eure Kinder auf den Boulevards und im Bois machen werden, wenn sie mit einer russisch angezogenen ›Nurse‹ da spazieren gehen werden. Man wird ihre Bilder in den Zeitungen bringen, ihre Photographien ausstellen und Artikel über sie schreiben. Ganz Paris wird von ihnen sprechen – sie werden die beste Reklame für euch sein.«

Einige Zeit nachher hatte Lesseps die Idee der Kinder-Reklame viele Jahre hindurch mit großem Erfolg in Paris durchgeführt. –

Der Gedanke, mit seinem Sascha in Paris Aufsehen zu erregen, hatte für meinen Mann sehr viel Verlockendes. Allein Kathrin verdarb ihm aus Bosheit die Freude dadurch, daß sie stets nur von Mitschi sprach, dessen zierliche Gestalt mit dem kleinen braunen Zigeunergesicht und den leidenschaftlichen Augen das originellste Kind sei, das sie je gesehen.

Bei Beginn des Winters ließ ich den Kindern Mäntel aus haarigem mönchbraunem Tuch machen und dazu große runde Hüte aus weichem haarigen Filz in derselben Farbe; sie sahen so nett aus, daß Kathrin sich gleich denselben Mantel und Hut machen ließ. Es war jetzt ihre größte Freude, genau so wie die Kinder angezogen mit diesen spazieren zu gehen oder zu fahren. Sie sahen zusammen so hübsch und originell aus, daß es ein Vergnügen war, sie zu sehen: Kathrin war die älteste Schwester der Kleinen – das machte ihr viel Spaß.

Um diese Zeit wurde der junge Straßmann, der Sohn des Burgtheater-Schauspielerpaares, in Graz engagiert. Er debütierte als Armand in der »Camelien-Dame«, und wir wohnten dieser Vorstellung mit Kathrin bei. Der junge Mann war noch sehr Anfänger, aber er war schön, so ungewöhnlich schön, daß man über seine Schönheit beinahe sein unfertiges Spiel vergessen konnte.

Kathrin sah ihn durch das Glas lange und aufmerksam an, dann wandte sie sich mit einem fröhlichen Lächeln zu mir und flüsterte mir zu:

»Der ist zu schön, den muß ich haben.«

Und sie hatte ihn. Schon nach einigen Tagen war er gewonnen.

Wie sie es anstellte, in solchen Fällen immer so rasch ihren Willen erfüllt zu sehen, darüber erzählte sie mir nichts; nur von den vollzogenen Tatsachen machte sie mir dann mit ausgelassenem Spott Mitteilung.

Mit diesem Spott verschonte sie am wenigsten sich selbst, und kaum hatte das Vergnügen begonnen, da wußte sie auch schon sein Ende vorauszusagen. Nach ihrer Überzeugung blieb kein Mann einer Frau treu, und um keinem Manne den Triumph zu lassen, sie hintergangen zu haben, betrog sie jeden, noch ehe er Zeit hatte, auch nur daran zu denken, das gleiche zu tun. Sie sagte mir einmal darüber:

»Wenn du wüßtest, mit welcher Seelenruhe man dem Betrug eines Mannes entgegensieht, wenn man seine Revanche schon im Vorhinein genommen hat!«

Straßmann betrog sie mit einem jungen Engländer, Mr. J..., der damals mit seiner Mutter in Graz lebte und viel mit der dortigen Aristokratie verkehrte.

Indessen glaube ich, daß sie Straßmann während der ganzen Dauer seines Engagements in Graz behielt, einzig wegen seiner Schönheit, an der sie sich wie an einem Kunstwerk erfreute.

 

Während Kathrin so von einer Liebschaft zur andern ging und sich mit ziemlich nichtssagenden jungen Leuten die Zeit vertrieb, wurde sie von einem hochachtbaren Manne in sehr ernster Weise geliebt; Hauptmann v. C... hatte seit den Tagen, da sie Pensionärin bei seiner Mutter war, nicht aufgehört, um sie zu werben.

Sie ließ sich diese Werbung gefallen, weil sie ihr schmeichelte, weil sich ein Generalstabsoffizier im Kreise ihrer Courmacher sehr gut ausnahm, ohne jedoch nur eine Sekunde lang die Möglichkeit ins Auge zu fassen, seine Frau zu werden.

Hauptmann v. C... war nicht nur ein schöner und eleganter Mann, er war auch ein guter, jedem sympathischer Mensch. Für Kathrin schien er eine tiefe Leidenschaft zu haben, aber nicht den Mut, sie ihr auszusprechen.

Übrigens war die Heirat das letzte, an das Kathrin dachte; sie wußte zu gut, daß sie für die Ehe nicht geschaffen war. Jeder Zwang war ihr ein Greuel, die Liebe ein lustiger Spaß, die Ehe aber eine schmutzige Lüge.

Eine Heirat mit einem Manne von gleichen Lebensansichten, der ihr große soziale Vorteile brächte, wie Rochefort mit der Aussicht auf die Präsidentschaft, das begriff sie. Sie schüttelte sich aber vor Abscheu, wenn man ihr von einer gewöhnlichen Heirat sprach.

Leopold, der sich darin gefiel, bei jeder Gelegenheit sein eheliches Glück zu preisen, konnte konsequenterweise nicht anders, als für die Heirat eintreten. Um sie zu ärgern, sagte er einmal zu ihr:

»Du könntest Gott danken, wenn du einen Mann wie Hauptmann v. C... bekämst.«

Wie von einer Natter gestochen, sprang sie auf. Aber schon hatte sie die boshafte Absicht bemerkt, und fing zu lachen an.

»Nein«, sagte sie. »Gott wird ihn nicht so sehr strafen und mich ihm zur Frau geben – ich verdiene ihn nicht.«

»Und er dich nicht.«

»Amen.«

In diesem Augenblick ließ die Magd einen Dienstmann ein, der Kathrin eben einen Brief von C... brachte. Während sie ihn las, bemerkte ich, daß derselbe Mann schon öfter mit Aufträgen von Kathrin gekommen war, und daß er sie ganz eigentümlich ansah.

Er war ein schöner, vielleicht kaum dreißigjähriger Mann, mit kühnem und zugleich schüchternem Ausdruck.

Nachdem er wieder gegangen war, sagte ich zu Kathrin:

»Wie der dich angesehen hat!«

Eine spitzbübische Heiterkeit blitzte in ihrem Gesicht auf, als sie antwortete:

»Er hat seinen Stand an meiner Straßenecke, wenn ich einen Dienstmann brauche, nehme ich ihn. Er ist verliebt in mich ... wenn ich ihn ansehe, wird er blutrot. Neulich ließ ich ihn ins Zimmer kommen, um ihm einen Brief zu geben. Ich kam eben aus dem Bade und hatte nur mein Baignoire an ... wie ich aufstehe, fällt es auseinander ... Du hättest den armen Teufel sehen sollen!«

Ich wußte schon, welch besondere Geschicklichkeit sie besaß, mit der unschuldigsten Miene von der Welt Männer in Situationen zu bringen, die ihnen den Schweiß aus allen Poren trieben.

»Weiter«, sagte ich.

»O, weiter ... weiter ... Weiter bin ich noch nicht.«

»Wenn ich den Mann wiedersehe, werde ich ihm raten, dich bei nächster Gelegenheit zu vergewaltigen«, sagte Leopold.

»Ach, er ist ja zu dumm! Aber wenn ich wieder nach dem Theater allein nach Hause komme und er ist noch auf der Straße, nehme ich ihn mit herein ... Das wird ihm eine schöne Erinnerung für sein ganzes Leben sein.«

»Das ist unmoralisch«, spöttelte Leopold.

Sie lachte. Dann wurde sie ernst: ein Gedanke schien sie zu beschäftigen. Plötzlich schaute sie uns an und sagte:

»Oft habe ich Lust, auf die Straße zu gehen und, wie die reichen und guten Menschen in den schönen Geschichten, die man den Kindern erzählt, ihre Goldstücke den Armen schenken, meinen Körper armen jungen Leuten zu geben, die das entbehren müssen, weil sie es nicht bezahlen können –«

Sie schwieg, neigte den Kopf und schien wieder Gedanken oder Erinnerungen nachzuhängen. Ich beobachtete, wie ihre Wangen sich dunkel färbten, ein seltsames Lächeln ihre Lippen öffnete und ihre kleinen funkelnden Zähne sichtbar wurden.

Mit einem Male machte sie eine Bewegung, als wollte sie sich von etwas befreien, sprang auf und, ihre Arme ausbreitend, stand sie glühend erregt da und rief:

»Ja, ich habe es schon getan ... ich habe mich ganz armen Männern ... Soldaten ... hingegeben ... aus Mitleid ...«

Sprachlos starrten wir sie an.

»Ich habe Rochefort einmal diesen Gedanken ausgesprochen ... er hat mich verhöhnt und gesagt, ich würde es nie ausführen können. Das reizte mich. Ich schlug ihm eine Wette vor. Er ging darauf ein. Wir reisten nach Straßburg. Dort ging Rochefort in ein Haus, das fast nur von Soldaten besucht wurde ... er bezahlte die Besitzerin, damit sie mir erlaube, meine Wette zu gewinnen ... sie willigte ein ... Es war grauenhaft ...! Als die Soldaten erfuhren, daß eine junge Französin ... umsonst ... Sie standen in der Straße und warteten ... Rochefort auf der anderen Seite ... Dann die Wut der Mädchen, die ich um ihren Verdienst gebracht ...«

Sie schwieg. Langsam sanken ihre Arme herab. Die Erregung war vorbei, und wie erstarrt von den Bildern, die an ihrem Geist vorüberzogen, blieb sie eine Weile unbeweglich. Dann rüttelte sie sich wieder auf und ließ sich darauf in den Sessel fallen. Etwas, das ich in ihrem Gesicht noch nie gesehen hatte, ein leiser Schatten von Scham und Verlegenheit, zog darüber hin.

»Als ich von dort wegging«, fing sie wieder an, »und die Mädchen uns durch die Fenster die gemeinsten Schimpfworte nachschrien, überfiel mich ein solcher Haß gegen Rochefort, daß ich vor Verlangen, ihm etwas anzutun, zitterte. Da er eine entsetzliche Angst hatte, erkannt zu werden, sagte ich ihm, ich würde ihn an den nächsten Polizeimann verraten und verhaften lassen. ›Ha, wie würden die Deutschen sich freuen, dich zu bekommen! und was das in Paris für einen schönen Skandal machen wird!‹ zischte ich ihm vor Wut zu. Wie er erschrak! ›Du wärst es imstande‹, sagte er, und lief, so schnell er nur konnte, nach der Bahn. Er war so komisch in seiner Angst, daß ich lachen mußte; darüber verflog mein Zorn.«

Ich sah sie an. War das alles wahr? Ja, es war wahr, ich mußte es glauben. Sie war fähig, alles zu tun, im Hohen wie im Niedrigen, wenn es nur eine augenblickliche Tat war.

So verlangte sie aus ihrer unruhigen, kraftvollen Natur heraus, aus ihrem Überfluß an Energie, und wie trunken von ihrem heißen, nach Lebenstätigkeit durstenden Blute, in aufregenden Handlungen, gefahrvollen Taten Beruhigung und Sättigung. Vielleicht hatte Leopold auch nicht ganz unrecht, wenn er ihr sagte, daß derlei generöse Ideen am Genfersee heimisch seien, und daß sie dafür an Frau v. Warens ein leuchtendes Vorbild hätte. Das aber wollte sie nicht hören ... ihr Spiel sollte man nicht durchschauen, da wurde sie schlechter Laune.

Einmal sagte sie mir:

»Siehst du, ich würde in ein brennendes Haus stürzen, um einen Hund zu retten, so wenig halte ich vom Leben. Aber, so wie du, jeden Tag, jede Minute, im Kleinen, stückweise mein Selbst hingeben, nie mir gehören, immer anderen, und nur, damit diese es bequemer haben, dazu wäre ich nicht imstande. Sterben ja, für was oder für wen es auch sei – aber leben, das will ich für mich. Darum will und werde ich nie Kinder haben, ich würde sie zu sehr lieben – und ich will nur mich lieben.«

Es lebte damals in Graz ein Graf G... Er stammte aus einem berühmten französischen Adelsgeschlecht. Ein Verwandter von ihm spielte am Hofe Eugenies eine große Rolle und hatte seine ganze Kraft eingesetzt, um Frankreich in den Krieg zu treiben. Er selbst hatte in der österreichischen Armee gedient und war Offizier gewesen, mußte aber wegen Armut und trauriger Geschichten, die sie im Gefolge hatte, die Uniform ablegen. Damit hatte er allen Halt verloren; er sank ganz herab und fristete sein Leben nur noch von kleinen Diebereien.

Einmal war von ihm in Gegenwart Kathrins die Rede. Sie hatte aufmerksam zugehört und dann geäußert, das wäre eine Partie für sie, sie hätte Lust, den Mann zu heiraten, ihm eine Pension von 100 Frcs. monatlich zu zahlen, unter der Bedingung, daß er irgendwo, so weit als möglich von ihr, leben solle und sich nie bei ihr blicken lasse.

»Denkt nur«, sagte sie, »was ich in Paris als authentische Gräfin G... für eine Stellung hätte!«

Jetzt kam sie wieder darauf zurück:

»Die idealste Heirat für mich wäre die mit Graf G... Ich wäre Frau, ohne Mann, und Gräfin par dessus le marché ... Das wäre wenigstens ein ehrlicher Handel ... jeder weiß, was er bekommt ... Aber! ... Er ahnt mich nicht einmal ... Ce serait tout simplement malhonnête –«

 

Während seines Aufenthaltes in Salzburg war mein Mann dort mit dem Grafen Sayn-Wittgenstein und dessen Frau bekannt geworden und seitdem mit ihnen in Korrespondenz geblieben.

Wir wußten, daß der Graf eine Oper komponiert hatte. Nun bat er Leopold, er möge ihm zu deren Aufführung in Graz behilflich sein.

Nur mit schwerer Mühe brachte mein Mann den Direktor des Grazer Theaters dazu, sich zur Annahme der Oper zu entschließen. Allein der Graf war mit dem Intendanten der Wiener Oper, Fürsten Hohenlohe, verschwägert – das wirkte bestimmend auf den Direktor. Die Aufführung stand bevor, und Graf und Gräfin Sayn-Wittgenstein wurden zu den letzten Proben in Graz erwartet.

Gerade um diese Zeit geschah etwas scheinbar ganz Unmögliches: Kathrin erkrankte an einer heftigen Halsentzündung.

Wie jede Gefahr, die ihr nahte, behandelte sie auch die Krankheit mit Verachtung. Die Neuheit des Falles schien sie sogar zu interessieren, denn trotz ihrer Erkrankung war sie in sehr guter Laune, als ich sie besuchte, und sagte, es amüsiere sie ungeheuer, einmal krank zu sein.

Das Vergnügen dauerte jedoch nicht lange, denn schon nach einigen Tagen war sie wieder wohl.

Während ihrer Krankheit waren die Wittgensteins angekommen und hatten uns besucht. Es war beinahe Mitleid erregend, wie die beiden aufgeregt und besorgt um das Schicksal ihrer Oper waren.

Sie hatten in Graz in Adelskreisen viele Freunde, und auch diese sahen dem Ereignis mit großer Spannung entgegen. Eines Tages kam der Graf wieder zu uns, aber ohne seine Frau. Er schien in großer Verlegenheit, sagte, der Anlaß, der ihn diesmal zu uns führe, sei ein schrecklich peinlicher für ihn, indessen ziehe er es vor, die Sache lieber offen zu besprechen, als Mißverständnisse entstehen zu lassen.

Ich sollte nämlich nicht erstaunt sein, wenn seine Frau nicht mehr zu mir käme, denn es würden so furchtbare Dinge über Fräulein Strebinger erzählt, daß es ihr unangenehm wäre, mit ihr bei uns zusammenzutreffen. Die Frauen der Aristokratie seien ganz wütend auf sie, und die Gräfin fürchte, wenn man erführe, daß sie mit Fräulein Strebinger verkehre, für den Erfolg der Oper, der doch größtenteils von der Aristokratie abhänge.

Leopold frug, was denn so Schreckliches über Kathrin erzählt würde.

Baron P..., sagte der Graf, habe im »Elefanten« bei Tisch in Gegenwart noch anderer Herren erzählt, daß ein Mann um zwei Uhr nachts aus Kathrins Wohnung gegangen sei; er, Baron P... habe ihn selbst weggehen sehen.

Doch Kathrin war krank; es mußte ein Irrtum sein.

Nein, sagte der Graf, ein Irrtum läge nicht vor; es wohne ja in dem Hause nur der Baron mit seiner Mutter und das Fräulein. Baron P... habe den Mann auch um Mitternacht kommen, das Tor mit dem Schlüssel öffnen und in Kathrins Wohnung treten sehen. Darauf habe Baron P... sein Ehrenwort gegeben.

Mein Mann erwiderte, Fräulein Strebinger sei seine Übersetzerin und unsere Freundin; ihre Moral sei ihre Sache, sie sei volljährig und frei. – Anstößiges sei bisher nicht vorgefallen. Die Befürchtungen der Gräfin müsse er als für seine Frau beleidigend zurückweisen.

Der arme Graf war in einer schrecklichen Lage. Mit Sacher-Masoch durfte er es nicht verderben, das wäre eine noch größere Gefahr für seine Oper gewesen, als der Verkehr seiner Frau mit Kathrin.

»P... hat doch sein Ehrenwort gegeben«, wiederholte er kleinlaut.

»Das Ehrenwort eines Mannes, der eine Frau ausspioniert ... mein lieber Graf, ich begreife Sie nicht.«

 

Hatte Kathrin wirklich etwas getan, das uns kompromittierte, dann hatte sie ausgespielt; – im anderen Falle mußte der Graf abbitten. Das war die Meinung meines Mannes.

Einige Tage nachher war Kathrin wieder gesund und durfte ausgehen. Ihr erster Gang war natürlich zu uns.

Als Leopold ihren Wagen anfahren hörte, kam er in Aufregung.

Sie sah noch etwas bleich und schmal aus. Leopold fing gleich an:

»Du weißt, Kathrin, daß ich mich nicht in deine Angelegenheiten mische, oder mich zum Richter über deine Moral aufwerfe, allein, wenn du Dinge tust, die meiner Ehre nahe treten, kann ich nicht ruhig darüber hinweggehen.«

»So, was tritt denn von dem, was ich tu, deiner Ehre nahe?« frug sie, nicht beunruhigt, nur neugierig.

Und Leopold sagte ihr, was im »Elefant« vorgefallen war, und fuhr dann fort:

»Du kannst dir vorstellen, welchen Eindruck das auf den Grafen Wittgenstein und seine Frau gemacht hat. Die Gräfin will nicht mehr zu uns kommen, um nicht mit dir zusammenzutreffen. Du begreifst, wie verletzend das für uns ist. Tu was du willst, aber richte dich so ein, daß deine Freunde in deine Geschichten nicht mit hineingezogen werden, – das bist du ihnen schuldig. Bei unserm intimen Verkehr wird kein Mensch glauben, daß wir von dem, was du tust, nichts wissen – welches Licht fällt dabei auf Wanda?«

» Assez! Tu es un muffle und dein Graf ist auch einer«, rief Kathrin und zuckte verächtlich die Schultern.

Dann wandte sie sich zu mir und erklärte mir wie alles gekommen.

Sie fühlte sich in einer Nacht sehr schlecht und glaubte ersticken zu müssen. Flora, ihr Mädchen, schlief nicht bei ihr, sie kam morgens und ging abends weg. In dieser Nacht war sie bis nahe an Mitternacht geblieben. Kathrin wollte, daß sie den Arzt nochmals zu kommen bitte, und damit das Mädchen nicht wieder zurückkommen müsse, befahl sie ihr, den Hausschlüssel dem Arzt zu geben, er möge das Tor selbst öffnen.

Der Arzt kam und da er den Hals sehr schlecht fand und fortgesetztes Einpinseln für nötig hielt, aber sah, daß die Kranke allein war, blieb er da, um die Einpinselungen selbst zu machen. Gegen zwei Uhr war der Hals freier, Kathrin fühlte sich leichter, und der Arzt verließ sie.

Kathrin erzählte das nicht etwa, um sich zu rechtfertigen, oder als ob sie fühlte, daß sie uns eine Erklärung schuldig sei; das war von ihren Gedanken gewiß weit entfernt; sie sagte es, weil es ihr ein Vergnügen machte, uns zu zeigen, wie köstlich es sei, daß la punaise zufällig gerade die Nacht gelauert hatte, wo kein Liebhaber, sondern der Arzt bei ihr war, und wie sie dank diesem Zufall jetzt das Recht habe, den Baron für sein Geklatsch zu strafen.

Sie war zornig und belustigt zugleich; denn auch das war Leben.

Eigentlich war mein Mann über den Erfolg seines »energischen Vorgehens« bei Kathrin etwas enttäuscht.

Mich dagegen hatte er überrascht – ich hörte ihm mit Erstaunen zu ... ich erkannte ihn nicht wieder. Mit welchem Eifer er für seine Ehre und die seiner Frau eintrat! Dieselbe Ehre, von der er mir in Bruck gesagt hatte, daß sie durch die Leichtfertigkeit der Frau nicht berührt werde, war jetzt durch Kathrinens Leichtfertigkeit in Gefahr? Ihre Liebhaber sollten meine Ehre gefährden, dieselbe Ehre, die nicht in Frage kommt, wenn es sich um sein Vergnügen handelte? Wie kompliziert war doch der Geist dieses Mannes! Werde ich mich je in ihm zurechtfinden? –

Am Abend desselben Tages kam Kathrin wie ein Sturmwind zu uns hereingejagt und rief:

»Je l'ai cravaché! Je l'ai cravaché!«

Es war am Landestheater die Gewohnheit, daß die feine Herrenwelt vor Beginn der Vorstellung vor der Konditorei Meyer stand und dort die Ankommenden besah und bekrittelte. Auch Baron P... fand sich da stets ein.

Kathrin wußte das und war, mit ihrer Reitgerte bewaffnet, dahingegangen, um ihren Verleumder zu strafen.

Er wollte sich eben von seinen Freunden trennen, als sie auf ihn zutrat und sagte:

»Vous avez dit du mal de moi, tenez ... et ... tenez ... crapule!!« und sie schlug ihn rechts und links mit der Peitsche ins Gesicht.

Sie hatte es rasch und geschickt gemacht und ging bereits wieder ruhig die Straße hinunter, als die Freunde sich um den Geschlagenen scharten.

Das gab einen schönen Skandal in der Stadt. Der Adel war entrüstet über die »Fremde«, die sich das erlaubt hatte, man sprach von »Ausweisung«, aber noch mehr davon, daß das allbekannte Lästermaul P... die Züchtigung verdient habe und daß noch einige da wären, die ebenso behandelt werden sollten. –

Wittgenstein kam und entschuldigte sich, er habe nicht gewußt, daß P... ein so verlogener Mensch sei, er möchte auch von Fräulein Strebinger Verzeihung erbitten, denn es täte ihm sehr leid um sie.

Baron P... sandte Graf Spaur mit noch einem Herrn, um Leopold zu fragen, ob er bereit sei, sich mit ihm zu schlagen.

Mein Mann antwortete den Herren, er sei verheiratet – würde er sich für Fräulein Strebinger schlagen, so könne es leicht falsch ausgelegt werden.

Hauptmann v. C... bat Kathrin, ihm zu erlauben, Baron P... zu fordern; das wollte sie aber um keinen Preis. –

Die beiden »Wanzen« gingen für einige Zeit aufs Land, und damit war der Sieg Kathrins vollständig.

 

Unterdes war der Tag der ersten Aufführung der Oper herangekommen.

Man konnte von Kathrin nicht erwarten, daß sie für den Komponisten oder sein Werk eine besondere Liebe habe. Sie wünschte sogar aufrichtig, die Oper möge durchfallen, und tat alles, um diesen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen.

Das Schicksal hatte es anders beschlossen.

Sie hatte für den Abend zwanzig Sitzplätze gekauft und ließ diese von ihrem Dienstmann unter seine Kollegen verteilen mit dem Auftrage, sobald im Hause applaudiert würde, aus voller Kraft zu pfeifen und zu zischen. Außerdem erhielt jeder Mann noch einen Gulden für seine Mühe.

Es war ein brillanter Saal; die Logen alle gedrängt voll, die Damen in besonders schönen Toiletten und alle Welt in animierter Stimmung. Unsere Loge befand sich der des Grafen Wittgenstein gegenüber. Kathrin suchte ihre Kriegsleute: sie waren alle an ihren Plätzen. In ihren schönsten Kleidern saßen sie da, steif und würdevoll und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Nach dem ersten Akt gab es ein allgemeines sehr eifriges Beifallklatschen in den Logen. Kathrin horchte auf. Weder Zischen noch Pfeifen war zu hören – nichts als Beifall.

Wieder schaute sie auf ihre Krieger – und gerade diese warens, die mit ihren großen breiten Händen klatschten, als wären sie dafür bezahlt, und als läge ihnen daran, zu zeigen, daß sie den erhaltenen Lohn durch ihre Leistung auch verdienen wollten.

Kein Zweifel: die Leute hatten das schlechte Deutsch Kathrins nicht verstanden und sich die Sache so zurechtgelegt, daß die feine junge Dame das »Stück«, das von einem Grafen gemacht war, beklatscht haben wollte. Also klatschten sie.

Kathrin fand das Mißverständnis so lustig, daß sie in lautes Lachen ausbrach und nun auch ihrerseits zu applaudieren begann; denn da ihr böser Plan nun einmal fehlgeschlagen war, entschloß sie sich rasch zu der schönern Rolle: dem Werk des Feindes Beifall zu zollen.

 

Seltsam und unbegreiflich war es mir, daß mein Mann ohne jede geistige Fühlung mit anderen Menschen blieb; selbst zwischen ihm und seinem Bruder bestand kein seelisches Band.

Ich war ernüchtert und von allen Illusionen über meine geträumte »schöne Aufgabe« zurückgekommen und von dem ewigen Einerlei des Themas »Venus im Pelz« bis zur Erschöpfung ermüdet – er hatte nichts davon bemerkt.

Eine äußere Veränderung an mir würde er sofort wahrgenommen haben – für eine seelische war er blind.

Vieles aus seinem früheren Leben fiel wie ein Licht auf meine Gegenwart – vieles habe ich selbst erlebt und beobachtet, was mich mit zwingender Gewalt zur Erkenntnis meiner Lage drängte und mein Herz gegen den Mann erkaltete, dem ich physisch angehörte um den Preis, meine Kinder zu behalten und erziehen zu können. – Dennoch fühlte ich mich nicht unglücklich. Für das, wonach mein Mann nicht fragte, für alles, was mein Herz bewegte, fand ich bei meinen Kindern dankbare Verwendung. Und neben meinem reichen Heim lag da draußen noch die ganze Welt vor mir, das Leben, das zu erkennen ich mich stets bemühte und das zu beobachten ich nie müde wurde. –

 

Es war gewiß, daß Kathrin einen physischen Einfluß auf mich ausübte, dessen ich mir lange nicht bewußt wurde. Wenn sie ins Zimmer trat, wurde es gleichsam heller in mir, und wenn sie ging dunkler. Nicht daß ich mich nach ihr sehnte, wenn sie nicht da war; dann dachte ich kaum an sie; dazu hätte ich mich langweilen müssen, und das tat ich nie.

An einem Morgen kam sie früher als sonst zu mir und ließ sich von ihrem Friseur, den sie hierherbestellt hatte, frisieren. Ich saß dabei, während dies geschah, und sah zu, und da sah ich etwas, das mich beinahe in Schrecken setzte.

Der Mann löste ihr die Frisur und das Haar fiel ganz schlaff herab; als er es aber kämmen wollte, fing es an, sich zu erheben und aufzubauschen; es schien, als ob es immer mehr würde, und wenn er den Kamm hindurch zog, hörte man ein leises knisterndes Geräusch; schließlich stand es beinahe horizontal um ihren Kopf.

»Aber was hast du für merkwürdiges Haar!« sagte ich, angstvoll auf das Phänomen schauend.

»Das Haar von Fräulein«, bemerkte der Friseur, »hat sehr viel Elektrizität in sich. Wenn es dunkel wäre, würde man gewiß beim Kämmen Funken sehen.« Kathrin lachte.

Seit meiner letzten Niederkunft litt ich an stets wiederkehrenden Kopfschmerzen, ein Leiden, das ich früher nicht gekannt. Meist dauerte es 2-3 Tage und war so heftig, daß ich vor Schmerz wie blödsinnig wurde.

An einem Tage, an dem ich den Kopfschmerz bereits kommen fühlte und eben dabei war, Vorbereitungen zu treffen, um den folgenden Tag im Bett bleiben zu können, kam Kathrin und bat mich, mit ihr ins Theater zu gehen. Ich sagte, daß ich nicht daran denken könne, daß das genügen würde, die Schmerzen gleich unerträglich zu steigern. Aber sie bat und bat, und da ich wohl sah, daß sie einen besonderen Grund haben müsse für den Theaterbesuch, gab ich endlich nach und wir gingen.

Man gab »Undine«. Ich saß mit halbgeschlossenen Augen, auf die Musik lauschend, Kathrin mir gegenüber. Mir wurde immer leichter und besser – bald hatte ich gar keine Schmerzen mehr und fühlte meinen Kopf ganz frei und klar.

Es war gewiß nicht die Musik, die mich von meinem Leiden befreite, auch nicht die Menschen oder die Gasflammen, und noch weniger die Theaterluft, denn in all dem hatte ich schon öfter Gelegenheit gehabt, die Dauerhaftigkeit meiner Kopfschmerzen zu erproben, ja, ich hatte sie mir gerade im Theater geholt.

An einem Abend lag ich mit meinem alten Leiden bereits im Bett, als Kathrin kam.

Leopold schrieb in seinem Zimmer. Die Kinder schliefen schon; in dieser Ruhe fühlte ich meine Qual noch intensiver. Kathrin setzte sich ganz still und geräuschlos auf mein Bett und sagte leise:

»Du mußt nicht unruhig werden, wenn ich bei dir bleibe. Lieg nur ganz still, mach die Augen zu und sprich kein Wort. Laß mich allein reden, vielleicht zerstreut es dich.«

Und dann fing sie in gedämpftem, sanftem Ton, der von ihrer gewöhnlichen lebhaften lauten Art ganz verschieden war, von ihrer Kindheit zu erzählen an: von ihrer schönen Schweiz, ihrem geliebten See, seinem frischen blauen klaren Wasser, in das sie so gern hineintauchte, es durchschwamm, bis sie müde wurde, sich auf den Rücken legte und sich von ihm schaukelnd tragen ließ, während seine Wellen ihren jungen Leib liebkosten und ihr Blick sich an dem tiefen Blau des weiten Himmels über ihr festsog. Oder wie sie sich heimlich von Zuhause wegstahl und in die Berge flüchtete vor all der kalten Frömmigkeit, die sie daheim bedrängte, und wie sie nicht anhielt, bis sie auf dem höchsten Gipfel angekommen war und die Welt und all die Menschen, die sie so haßte, unter sich sah, und sich einbilden konnte, daß sie sie mit Füßen trat; und wie sie dann im Walde nächtigte, ohne Furcht und ohne Schrecken vor den Tieren, bis die Sonne durch die Bäume schimmerte und sie weckte; wie sie in den Weinbergen mit Trauben ihren Hunger stillte und Eidechsen mit der Hand fing, nachdem sie sie durch Pfeifen aus dem Steingeröll gelockt hatte. Und dann die Heimkehr, die »Züchtigung« durch Hunger und Schläge, die sie stumm und tränenlos hinnahm, überzeugt, daß sie sich mit der erbarmungslosen Strafe das Recht zu neuen Streichen erkaufte.

So erzählte sie und ich hörte ihr zu. Ich folgte ihr auf allen ihren Wegen; ich ging mit ihr hinunter an den See und stand am Ufer und sah zu, wie sie sich in die blauen Fluten warf und hinausschwamm, so weit, daß ich sie nicht mehr sehen konnte und mich um sie ängstigte, bis ich ihr schönes, von der Sonne beleuchtetes Haar gleich einer glänzenden goldenen Welle auf mich zukommen sah. Ich stieg mit ihr die Berge hinauf, auf schmalen mühevollen Pfaden und schmiegte mich nachts angstvoll an ihre Seite, denn ich war nicht kühn und mutig wie sie und fürchtete die Tiere des Waldes. Und als der Morgen kam, fühlte ich, wie die Sonne durch meine geschlossenen Lider drang, und ihr warmes Licht die schmerzende Spannung meiner Nerven löste.

Als sie schwieg, neigte sie sich über mich und sah mich an; sie meinte wohl, ich schliefe, aber ich öffnete die Augen und blickte sie groß und klar an.

»Und dein Kopfschmerz?« frug sie. »Wo ist er?«

»Ich weiß es nicht. Im See oder im Wald – irgendwo habe ich ihn verloren, denn ich habe ihn nicht mehr.«

 

Ende April 1879 reisten wir nach Wien. Leopold war eingeladen worden, im Ringtheater Vorlesungen zu halten, und hatte mit Freuden angenommen. Kathrin begleitete uns.

Es waren unruhvolle, bewegte Tage. Mein Mann suchte alte Bekannte auf oder solche ihn; er knüpfte neue Verbindungen an und da man ihn überall sehr gut empfing und ihm freundlich entgegenkam, war er in sehr guter Stimmung.

Am Abend nach der Vorlesung soupierten wir mit mehreren Herrn; unter diesen war Ferdinand v. Saar. Er saß neben Kathrin und ich habe allen Grund zu glauben, daß das arme Dichterherz in dieser Nachbarschaft recht unruhig geschlagen haben mochte.

Es war merkwürdig, daß Kathrin, die an Liebe im edlern Sinne nicht glaubte und der Hingabe an einen Mann gar keine Bedeutung beilegte, auf ernste Männer mit starken, tiefen Empfindungen stets einen überwältigenden Eindruck machte, während sie auf gewöhnliche, oder raffinierte, die ihr gleichsam geistig verwandt waren, nur wenig Anziehungskraft ausübte, oder sie ganz kalt ließ.

Hauptmann v. C... liebte sie gewiß aufrichtig, denn er hörte nicht auf, um sie zu werben, obgleich er wohl ahnen mußte, wie wenig Hoffnung er hatte, sie zu gewinnen.

Und jetzt blickte v. Saar auf sie, wie man in ein Paradies blickt, von dem man weiß, daß es sich wohl für andre, nie aber für uns öffnen wird. –

Am andern Tage sagte Leopold zu Kathrin:

»Du, Kathrin, Saar hat sich sterblich in dich verliebt. Willst du ihm keine Gnade erweisen?«

»Nein.« Ihr Gesicht wurde ganz ernst.

»Warum nicht? Dir liegt doch so wenig daran.«

»Ach, laß mich. Ich würde ihm ja ins Gesicht lachen, wenn er mich anschwärmen würde ... Es ist besser, er behält eine schöne Illusion von mir, als eine häßliche Enttäuschung.« –

 

An einem Abend war mein Mann in eine Herrengesellschaft gegangen. Auch Kathrin war den Abend mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, und so saß ich denn allein in meinem stillen Hotelzimmer, froh, mich ausruhen und für ein paar Stunden mir selbst angehören zu können.

Ich hatte mich umsonst gefreut. Besuch kam auf Besuch. Den Anfang machte Herr Goldbaum von der »Neuen freien Presse«, dann kam ein anderer, und wieder ein anderer. Was war das?

Ich befahl dem Kellner, niemanden mehr heraufzulassen und hatte endlich Ruhe.

Aber was war das?

Warum kamen all diese Herren gerade den Abend, wo ich allein dasaß?

Diese Frage stellte ich mir damals in aller Unschuld, und ich stellte sie mir später bei ähnlichen Gelegenheiten noch öfter, aber mit immer weniger Unschuld, bis ich endlich zur Erkenntnis gelangte, daß die Welt sich berechtigt glaubte, sich über die Frau des Sacher-Masoch »Ideen« machen zu dürfen. –

Mein Mann hatte mir gesagt, daß der Leichtsinn der Frau die Ehre des Manns nicht berühre – ich hätte ihm jetzt antworten können, daß das Umgekehrte leider nicht der Fall ist, daß die Lebensführung des Mannes der Frau ein moralisches Gepräge aufdrückt.

Und die Welt wußte damals mehr von Sacher-Masoch als ich!

Dazu kam noch, daß ich in seiner Gegenwart immer ein Benehmen zur Schau tragen mußte, das die Männer anzog.

Gab er doch jetzt fast jeden Tag ein Inserat in das »Wiener Tagblatt«, nur um einen Griechen zu finden; mußte ich doch jetzt in den Stadtpark zu den Rendezvous gehen, die er von weitem beobachtete.

Wie viele Legenden, wahre und falsche, waren über uns in Umlauf! War es zu erstaunen, daß mir Männer, die ich kaum kannte, dreiste Dinge zu sagen wagten, überzeugt, daß sie an der rechten Adresse waren, und Frauen mir von ihren Liebschaften erzählten, ganz sans gêne, waren wir doch »unter uns«? ...

 

Wir waren etwa drei Wochen in Wien geblieben, und während dieser ganzen Zeit hatte mein Mann nicht einen seiner Anfälle. Er schrieb jeden Morgen 2-3 Stunden und war den Rest des Tages und abends unermüdlich und frisch und munter bei allen Zerstreuungen, die ihm da geboten wurden.

Die Zeitungen hatten über die Vorlesungen sehr gut berichtet, mit Ausnahme des »Wiener Tagblattes«, was Sacher-Masoch auf Rechnung Frischauers setzte. Er nahm sich vor, es ihm heimzuzahlen.

Ich weiß nicht, warum zwischen den beiden, die früher unzertrennlich waren, ein solcher Haß herrschte, aber Frischauer war während einiger Zeit das bête noire meines Mannes.

Frau Frischauer hatte einmal von Sacher-Masoch gesagt, er sei naiv wie ein Kind und boshaft wie ein Affe, und das war ein wahres Wort.

Seine Artikel im »Wiener Leben« machten ihm dann am meisten Vergnügen, wenn sie keine erfundenen Stoffe, sondern Personen und Verhältnisse behandelten, die er kannte. Er liebte, wie Kathrin, die Bosheit um der Bosheit willen, ohne sich um die Person dabei zu kümmern.

Hatten diese Artikel für Graz ein besonderes Interesse, dann ließ sie der Herausgeber in der Stadt sehr auffällig affichieren – und Entrüstung und Absatz waren gleich groß.

Um die Meinung, er sei der Verfasser der Artikel, irrezuführen, noch mehr aber, um sich einen Spaß zu machen, behandelte er auch uns selbst im »Wiener Leben« satirisch. Es erschien zuerst ein Gedicht auf Kathrin nach dem »Mädchen aus der Fremde«, das so anfing:

»In einer Stadt von Abderiten,
Erschien, es ist jetzt kaum ein Jahr,
Mit riesengroßen Rembrandthüten
Ein Mädchen hübsch – und sonderbar.« usw.

Leopold hatte dafür gesorgt, daß das Gedicht in der Straße, in der Kathrin wohnte, in sehr schreienden Plakaten angekündigt wurde. Wie sie nur aus dem Hause trat, mußte sie es lesen.

Sie kam mit einem Satz zu uns, umarmte und küßte meinen Mann und war ganz toll vor Freude über die prächtige Reklame, die er ihr gemacht.

Acht Tage später kam ein Gedicht auf uns, oder vielmehr auf mich, nach dem »Kennst du das Land?«, das viel zu schmeichelhaft war, als daß es je jemanden über seinen Verfasser im Unklaren ließ.

Die pekuniären Erfolge dieser Artikel waren es wohl, die einen Verleger in Graz veranlaßten, Sacher-Masoch den Vorschlag zu machen, satirische Wochenhefte erscheinen zu lassen. Dieser ging gern darauf ein, und bald erschienen die »Schwarze Punkte« und machten böses Blut. –

 

Schon im Juni war ich mit Kathrin wieder in Wien.

Das »Wiener Tagblatt« hatte über Kathrin etwas gebracht, ich glaube die Affäre P... betreffend, das der Wahrheit nicht entsprach. Darüber erbost, wollte sie sofort eine Berichtigung verlangen und um diese ohne Zeitverlust zu erreichen, hielt sie es für nötig, selbst nach Wien zu reisen. Sie hatte ja bereits unter den dortigen Journalisten Freunde, diese sollten ihr zur Hand gehen. Sie wünschte, daß ich sie begleite, mein Mann wünschte es auch, da ich gleichzeitig einige Geschäfte für ihn besorgen sollte.

Wir hatten auf den Bahnen freie Fahrt, die auch Kathrin zustatten kam, wogegen sie sich verpflichtete, die Hotelkosten allein zu tragen – der wichtigste Vorwand, den ich gehabt hätte, die Ausgaben der Reise zu vermeiden, fiel damit weg, und so mußte ich mit.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, welcher Anlaß es war, der uns mit dem Fürsten Camillo Starhemberg in Korrespondenz gebracht hatte, und wieso es kam, daß sich an ihr bald auch Kathrin beteiligte.

Wir fuhren mit dem Eilzug. Kaum hatte dieser den Bahnhof verlassen, als mir der Kondukteur eine Karte des Fürsten brachte, der mit demselben Zuge nach Wien fuhr, und mich bat, uns in Mürzzuschlag begrüßen zu dürfen.

Was war das wieder?

Fürst Starhemberg hatte mich nie gesehen, wie wußte er von meiner Reise? Wie hatte er mich erkannt?

Ich sah Kathrin an – sie lachte.

»Was hast du denn vor? Willst du ihn denn der Strubel abwendig machen?«

Sie antwortete nicht, aber ich sah wohl, daß es so war. Sie brauchte von einem Manne nur zu wissen, daß er eine Frau liebe, und sie jagte nach seinem Besitz.

In Mürzzuschlag trafen wir mit dem Fürsten zusammen. Ich fand ihn ganz so einfach und liebenswürdig, wie ihn mir ein alter Freund seines Hauses, Oberst Engelhofer in Graz, oft geschildert hatte. Während wir plaudernd auf dem Perron auf und ab gingen, ahnte er wohl nicht, wieviel ich von ihm wußte und wie gut ich ihn kannte.

Bei unserer Ankunft in Wien besorgte er uns einen Wagen und unser Gepäck, und als er hörte, daß wir im »Erzherzog Karl« absteigen würden, sagte er, es freue ihn, unser Nachbar zu sein, denn er werde gegenüber im Hotel Munsch – ich glaube, so hieß es – wohnen, und sich erlauben, am anderen Tage nach unserem Befinden zu fragen.

Er kam auch und blieb in sehr anregendem Gespräch länger bei uns, als das sonst bei solchen Besuchen Brauch ist. Dann trafen wir ihn wieder im Speisesaal des Hotels, und am Abend kam er nochmals, um sich nach mir zu erkundigen, weil ich am Tage nicht ganz wohl war.

Zu den Journalisten, deren Bekanntschaft Kathrin gemacht und mit denen sie in Relation geblieben war, gehörte auch ein Herr Fuchs, ein kleines zierliches Männchen, den sie ihr »Füchschen« nannte, und dieser stand ihr bei, die Berichtigung in das »Wiener Tagblatt« zu bringen.

Diese erschien und befriedigte Kathrin vollständig.

Wir blieben nur wenige Tage in Wien. Die Briefe, die mir mein Mann hierher schrieb, werden am besten unser gegenseitiges Verhältnis und unsere Lage beleuchten:

»Graz, 17. Juni 1879.

Liebe Wanda!

Ich habe mir gedacht, daß Kathrin nicht wegen der Tagblatt-Affaire nach Wien fährt. Weshalb hat sie denn das Rendezvous mit Starhemberg verschwiegen?

Wir sind Gottlob alle wohl.

Von der ›Heimath‹ kam ein Brief, die kleine Novelle ist angenommen, aber sie können erst am 1. Juli zahlen.

Geh doch gleich zu Emmer und bitte ihn, uns die achtzig Gulden gleich zu verschaffen.

Gestern kam ein sehr herzlicher Brief von Rochefort. Heute zeigt mir Busnach an, daß der ›Emissär‹ im Odeon-Theater fest angenommen ist. Der Direktor selbst aber will, daß das Stück aus Rücksicht für meinen Namen und die Erfolge meiner galizischen Romane nicht in Cuba, sondern doch in Galizien spielte, was Busnach angenommen hat.

Also doch Pelze!

Der Direktor des Odeon kommt im Sommer nach Wien und wird mich aufsuchen.

Gestern kam eine glänzende Kritik aus dem Londoner ›Spektator‹, vier Spalten über beide Teile des ›Vermächtnis Kains‹, die ›Ideale unserer Zeit‹ und den ›Neuen Hiob‹. Ich werde Turgenjew an die Seite gestellt. Die »Hasara Raba« wird in ihrem Humor als geradezu unnachahmlich bezeichnet.

Von Mauthner kam sehr lieber Brief. Von Paimann Geld erhalten und an Enterich geschickt.

Gestern abend unterhielt ich mich mit Deinem Hermelinpelz.

An den Haaren ist ein leichter Duft Deines Götterleibes zurückgeblieben, der mich entzückt hat.

Ich küsse Deine kleinen Füße.

Dein verliebter Sklave.

 

Graz, 18. Juni 1879.

Liebe Wanda!

Gestern schrieb ich poste restante. Du wirst wohl den Brief erhalten haben?

Gehe doch vormittag zehn Uhr zur Heimat und biete alles auf, die achtzig Gulden zu bekommen. Wir haben alles versetzt, um noch ein paar Tage leben zu können.

Mit den Vorlesungen steht es schlecht. Ich habe Träger geschrieben, daß ich ohne Garantie nicht lese. Unsere Lage ist nicht danach angetan, um auf Abenteuer auszugehen. Es ist besser, ich bleibe in Graz und arbeite die Operette und das Stück für Tewele, wenn dann noch ›Unsere Sklaven‹ im Ringtheater und der ›Emissär‹ in Paris dazu kommen, werden wir diesen Winter aus allen Sorgen heraus sein.

Für Kathrin sind bisher weder Briefe noch Geld gekommen.

Holzinger sagt mir, daß J... und seine Mutter doch sehr graviert sind. Sie hat Geschäfte à la Spitzeder gemacht. Beide stehen unter Polizeiaufsicht. Alle Kinder sind wohl und lieb. Daß ich glücklich wäre, wenigstens einen Fußtritt von Dir zu erhalten, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Herzliche Grüße an Kathrin und die Wiener Freunde.

Dein
Leopold.«

 

»Graz, 19. Juni 1879.

Mein geliebtes Weib!

Dein Brief hat mich namenlos glücklich gemacht. Bis jetzt habe ich mir eingebildet, daß Du mich gar nicht liebst, und dies hat mich oft niedergedrückt und meine Tatkraft gelähmt. Jetzt, wo ich Deine Liebe habe, werde ich alles heiter ertragen, nicht den Mut verlieren und mit Passion arbeiten.

Wir kommen noch bis Samstag aus. Was aber dann?

Geh noch einmal zu Emmer, sage ihm offen, daß unsere Lage momentan eine sehr schlimme ist, und biete alles auf, die achtzig Gulden zu erhalten.

An ›Pester Lloyd‹ sandte ich ein neues Feuilleton und bat sehr dringend um die fünfzig Gulden für die beiden ersten.

Rochefort schreibt heute wieder sehr lieb und sendet eine Notiz aus dem ›Voltaire‹, der bereits die Annahme des ›Emissär‹ annonciert. Es ist also kein Zweifel mehr, daß das Stück im Herbst in Paris gegeben wird.

Gerade jetzt, wo ich weiß, daß Du mich liebst, wäre es für mich eine Qual, wenn Du die ›Venus im Pelz‹ in Szene setzen wolltest.

Wir sind alle gesund. Gestern war W... da; er scheint in Kathrin sehr verliebt zu sein.

Ich küsse Dich tausendmal.

Leopold.

 

Graz, 20. Juni 1879.

Liebe Wanda!

Die Berichtigung im Tagblatt macht sich sehr gut. Das Tagblatt ist durch dieselbe furchtbar blamiert, denn die Glossen, die Schembera beifügt, sind matt und nichtssagend.

Ich sehne mich sehr nach Dir.

Geh doch zur Heimath und trachte die achtzig Gulden zu erhalten.

Den Brief mit fünf Gulden von Mürzzuschlag erhielt ich. Ebenso heute die zweiten fünf Gulden.

Soeben erhalte ich einen Brief von Direktor Strampfer. Vom 15. Oktober bis 15. November spielen im Ringtheater die Meininger. Das ist sehr gut für mich, denn dadurch gewöhnt sich das Publikum wieder ins Ringtheater zu gehen, ehe mein Stück dran kommt.

Meine Bedingungen hat es angenommen.

Also von allen Seiten winkt das Glück, sei Du nur jetzt einmal stark, gib Dich nicht hin, sei mein treues, liebendes Weib und meine strenge Gebieterin, meine wollüstige, grausame ›Venus im Pelz‹ zu gleicher Zeit. Löse dieses schwierige Problem, und wir gehen alle einer lachenden Zukunft entgegen.

Es küßt Dich tausendmal

Dein
Leopold.

 

Graz, 21. Juni 1879.

Liebe Wanda!

Ich bin recht unglücklich, daß das Geld gestern doch nicht gekommen ist. Schon hoffte ich, Dich heute abend in Deinen Hermelinpelz schlüpfen zu sehen, mein gutes, schönes Weib mit Küssen zu bedecken, Deinen Fuß, angebetete Herrin meines Lebens, auf meinem Nacken zu fühlen, Dein Lachen über den verliebten Mann zu hören – nun heißt es wieder: warten.

Wir sind alle gesund; die Kinder küssen Mama und bitten sie, bald zu kommen.

Denke Dir meine Überraschung, als ich heute die Morgenpost zur Hand nehme und ein Feuilleton über Kathrin finde, in dem Zistler energisch ihre Partei ergreift und ihre ganze Berichtigung abdruckt. Es ist um so schöner von Zistler, da ich ihn seither nicht sprach, also nichts in der Sache tat. Er hat es ganz aus eigenem Antrieb getan.

Auch Holzinger nimmt mit vielem Feuer Kathrinens Partei.

Dein lieber Brief hat mich so glücklich gemacht, daß ich es gar nicht aussprechen kann.

Sei nur jetzt recht lieb mit mir und nimm Dir die Mühe, mich endlich einmal ganz zu unterjochen, ich will keinen Atemzug mehr ohne Deinen Willen tun. Sei recht zärtlich und recht grausam, ich bete Dich so schon an, dann werde ich wie ein Hund gehorsam und demütig zu Deinen Füßen liegen.

Es küßt Dich tausendmal

Dein Sklave
Leopold.«

 

Kathrin hatte schon seit Monaten ihre Beziehungen zu J... ganz abgebrochen: er hatte sie gelangweilt, und sie gab ihm den Laufpaß. Noch vor unserer Abreise hörte sie von den Gerüchten, die über ihn und seine Mutter wegen Schwindeleien im Umlauf waren. Was mein Mann mir darüber nach Wien schrieb, bestätigten sie.

Gleich nach ihrer Rückkehr von Wien knüpfte Kathrin wieder mit J... an. Wo es nur möglich war, zeigte sie sich mit ihm öffentlich, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß sie ihm auch die Mittel gab, Graz zu verlassen. –

Bei dieser Gelegenheit sagte ihr Leopold einmal:

»Höre, Kathrin, du solltest in deinem Verkehr mit J... vorsichtiger sein. Er ist durch seine Mutter doch stark kompromittiert.«

Sie sah ihn voll Hohn an.

»Wenn du dich auf den Standpunkt der Muffles stellst, dann hast du Recht. Das ist aber mein Standpunkt nicht.«

»Es gibt aber Fäll...«

»Hör' mir auf!« unterbrach sie ihn heftig.

»Es gibt Kinder, die nicht gefragt werden, von welchen Eltern sie zur Welt kommen wollen ... und es gibt Dummköpfe, die sie dann für alle Gemeinheiten der Eltern verantwortlich machen wollen. Wundert mich, daß du dich zu diesen schlägst. Glaubst du, daß, wenn wir uns unsere Eltern aussuchen könnten, wir nicht sehr oft eine andere Wahl getroffen hätten? Ich gewiß.« –

»Du kannst doch nicht wissen, ob J... nicht mit die Hand im Spiele hatte bei den Schwindeleien seiner Mutter.«

»Das wäre ebensowenig erstaunlich, als es erstaunlich wäre, wenn deine Buben dein Talent geerbt hätten. Das wäre für sie recht angenehm – aber ihr Verdienst wär's nicht. Wenn J... ein Lump ist, dankt er es seinen Eltern. Leute mit physischen oder intellektuellen Defekten sollen keine Kinder haben.«

»Du hast sonderbare Ideen!«

»Jeder hat die Ideen, die aus seinen Lebenserfahrungen herauswachsen ... Ich hab's mit meinen Eltern wirklich schlecht getroffen.« –

»Wenn du selbst erst Kinder haben wirst, wirst du sie samt ihrer Fehler lieben.«

»Ach, bist du dumm! Wer spricht denn davon, ob man sie liebt oder nicht liebt, wenn sie einmal da sind. Haben soll man keine, darum handelt sich's. In meinen Augen ist es ein Verbrechen, Kinder in die Welt zu setzen, wenn man ihnen nicht die Grundbedingungen für ihr künftiges Wohl, Gesundheit, klaren Verstand und materielle Mittel mitgeben kann. Et encore

»Nach solchen Grundsätzen würde die menschliche Rasse bald aussterben.«

» Et puis après!«

Ich war froh, daß das Thema angeregt worden war, und sagte jetzt:

»Kathrin hat recht. Unter neunzig von hundert Fällen ist es leichtsinnig und gewissenlos, Kinder zu haben.«

»Aber Wanda, wie kannst du das sagen!« rief mein Mann. »Du, die als Mutter so glücklich ist.«

»Wenn ich glücklich bin, so will das nicht heißen, daß es die Kinder auch sein werden. Und was ist das für ein Glück, diese ewige bleischwere Angst um ihre Zukunft! Nach dem, wie sich das Leben mir geoffenbart hat, durfte ich keine Kinder haben. Es schnürt sich mir das Herz zusammen, wenn ich denke, welchen dummen und grausamen Zufällen sie ausgesetzt sein werden. Ich fühle mich so schuldig gegen sie, daß ich Tag und Nacht nur daran denke, wie ich es machen soll, um sie jetzt so glücklich als möglich zu machen, um sie wenigstens in etwa für das Unrecht zu entschädigen, das ich ihnen getan, indem ich ihnen das Leben gegeben.«

Mein Mann sah mich groß an.

»Ja, ja, sieh mich nur an. Es war unverantwortlich leichtsinnig von uns, Kinder zu haben.« –

Kathrin war gegangen.

Es war spät in der Nacht, und wir saßen jetzt allein, die schlafenden Kinder um uns.

Eine Weile schwieg Leopold, dann sagte er:

»Um Gottes willen, wie kannst du nur so traurige und trostlose Gedanken haben? Ich sehe die Zukunft unserer Kinder durchaus nicht so trübe wie du.«

»Weil du den Blick immer nur auf einen Punkt richtest: die ›Venus im Pelz‹, und kein Auge für das wirkliche Leben hast! In welcher Lage sind wir? Heute wissen wir nicht, ob wir morgen Brot haben werden. So sind Jahre hingegangen, und so werden sie weiter hingehen. Die Zukunft voll schöner Hoffnungen, und die Gegenwart voll bitterer Not. Hatten wir ein Recht, die Kinder dem auszusetzen?«

Ich zitterte vor Erregung und schwer verhaltenem Groll.

Erst kürzlich, ehe wir nach Wien zu den Vorlesungen reisten, hatte er zwei Monate vergehen lassen, ohne eine Zeile zu schreiben, weil ich mich geweigert hatte, einen schamlosen Brief an einen Abgeordneten in Berlin, den reichen Gutsbesitzer G..., zu schreiben, in dem ich mich ihm anbieten sollte. Schon seit Jahren stand Leopold mit G... im Briefwechsel, und dieser hatte durchblicken lassen, daß er eine Natur wie die des Griechen in der »Venus im Pelz« sei – darum sollte ich ihn zum Liebhaber nehmen. Und da ich auch dann noch bei meiner Weigerung blieb, als mir mein Mann drohte, er werde den Brief in meinem Namen schreiben, strafte er mich, indem er zu arbeiten aufhörte. Und wäre die Reise nicht dazwischen gekommen, es würde dabei geblieben sein, nicht zu arbeiten, bis mich die Not gebrochen und seinem Willen gefügig gemacht hätte. Ja, er hatte ein unfehlbares Mittel, mich zu beugen, und die »Energie«, es standhaft zu gebrauchen. –

Daran dachte ich jetzt, und von der grausigen Angst vor der Zukunft überwältigt, wollte ich ihm noch mehr sagen:

»Und mit deiner Leidenschaft für die ›Venus im Pelz‹ wirst du uns alle ins Unglück bringen.«

»Warum?«

»Weil du, wenn es sich darum handelt, alles Maß verlierst und nicht mehr weißt, was du von mir verlangst – und nicht ahnst, wohin uns deine Passion führen wird.«

Einen Augenblick war er betroffen. Dann aber sagte er:

»Ach, das sind ja wieder deine alten Bedenken. Alles, was in der ›Venus im Pelz‹ geschieht, liegt in deiner Hand. Ich bin dann doch wirklich nur dein Sklave und habe nichts zu sagen. Hat die Sache schlimme Folgen, so liegt die Schuld an dir, und nicht an mir.«

Es war nutzlos, mit ihm zu reden – nutzlos, ihm mein gequältes Herz zu zeigen ... er verstand es nicht. Um das zu können, hätte er mich mit einer anderen Liebe lieben müssen.

 

Kathrin hatte noch mit einem anderen ihrer Verehrer Unglück; das aber war ein heiteres Unglück.

Straßmann hatte Graz verlassen. Sein Nachfolger, ein Herr W..., übernahm nicht allein sein Rollenfach, sondern auch seine Wohnung.

Nachdem er so weit war, strebte er nach Höherem: er wollte seinen Vorgänger auch im Herzen Kathrins ersetzen. Der Kulissenklatsch mußte ihn über die freigewordene Stelle unterrichtet haben, und er bewarb sich darum mit einer Miene, als habe er zweifellose, berechtigte Ansprüche auch auf diesen Besitz.

Um sich ihr zu nähern, machte er Sacher-Masoch nicht nur einen Besuch, sondern auch den Hof.

Mein Mann fand an Leuten, die ihn bewunderten, immer lobenswerte Eigenschaften, und so kam es, daß Herr W... öfter zu uns kam, als es zu unserem Vergnügen gerade nötig gewesen wäre.

Er hatte ganz richtig kalkuliert, denn er traf Kathrin wirklich bei uns. Zu seinem Erstaunen mußte er aber wahrnehmen, daß die Sache nicht so leicht ging, als er erwartet hatte.

Kathrin nahm gar keine Notiz von ihm. Er war häßlich und hatte all die lächerlichen Seiten kleiner Komödianten; dadurch wurde er uns allen lästig. Er mußte sich zurückziehen, war aber wütend darüber, denn er mochte seinen Kollegen gegenüber wohl schon als Sieger aufgetreten sein.

Eines Tages entdeckte er im Ofen seines Zimmers einen ganzen Haufen Briefe Kathrins an Straßmann. Ah! Jetzt würde er die Widerspenstige schon gefügig machen! Er schrieb an sie, sagte ihr von seinem Fund und frug, was sie wünsche, daß damit geschehen soll.

Sie antwortete nicht.

Zwei Wochen wartete er, dann schrieb er an meinen Mann, bat ihn um eine Unterredung unter vier Augen, da er ihm eine sehr delikate Mitteilung zu machen habe.

Leopold freute sich auf den Besuch und empfing W... in sehr heiterer Stimmung.

Die ernste, geheimnisvolle Miene, die sich dieser für die Gelegenheit zurechtgelegt hatte, veranlaßte meinen Mann, ihn zu fragen, ob er jetzt in das Fach der Intriganten übergegangen sei. Da fiel er gleich aus der Rolle. Verwirrt und verlegen packte er seine Geschichte mit den Briefen aus, und bat meinen Mann um seine Vermittelung, um von Fräulein Strebinger zu erfahren, was er mit seinem Fund zu tun habe.

»Sie haben sich in der Sache ja schon direkt an die Dame gewendet.«

»Ja, aber keine Antwort erhalten.«

»Das ist doch auch eine Antwort. – Sie legen Ihrem Fund offenbar mehr Wert bei, als Fräulein Strebinger.«

»Aber es muß doch etwas geschehen. Soll ich die Briefe behalten?«

»Ganz wie Sie wollen. Wissen Sie, was ich an Ihrer Stelle täte? Ich ließe sie in Goldschnitt binden und gäbe sie als die gesammelten Werke der Autorin heraus. Dabei könnten Sie noch ein gutes Geschäft machen.«

Jetzt stieg dem jungen Schauspieler die Galle auf und er sagte boshaft:

»Ja. Es gibt Leute genug, die die Briefe gewiß mit viel Interesse lesen würden. Hauptmann v. C... zum Beispiel ...«

»Mein lieber W..., es ist kein Zweifel, daß Ihnen Fräulein Strebinger die Briefe überläßt, und Sie damit machen können, was Sie wollen – nur mache ich Sie aufmerksam, daß sie eine sehr drastische Art hat, auf Gemeinheiten zu antworten ... Das können Sie bei Baron P. erfragen.«

Das wirkte.

»Ich werde die Briefe dem Fräulein durch die Post zuschicken.«

»Da haben Sie eine gute Idee – damit hätten Sie eigentlich anfangen sollen.«

* * *


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