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Seit Jahren, seitdem ich aufgehört hatte, in Träumen zu leben, überfiel mich stets im Frühjahr ein unbeschreibliches Verlangen nach irgend etwas, dem ich keinen Namen geben konnte, das aber wie eine Krankheit an mir zehrte. Von meinem Fenster aus sah ich über die Hofmauer den Gipfel eines Baumes aus dem benachbarten Garten; wenn dieser Baum Knospen ansetzte und Blüten trieb, war es mir, als müßte ich aufstehen, die Türe öffnen, hinausgehen aus meinem Gefängnis, aus dem Hause, die Straße hinauf, aus der Stadt und immer weiter, zwischen Felder und Wälder, im hellen Sonnenschein, den Gesang der Lerchen und den blauen Himmel über mir.

Kurz nach Ostern erhielt ich einen Brief von Sacher-Masoch, der mich arg erregte. Er schrieb mir, daß er meine Briefe mit immer steigenderem Interesse lese, und daß er daraus die Überzeugung gewonnen habe, daß ich schriftstellerisch befähigt sei; ob ich es nicht versuchen wollte, er würde sich mit Freuden zu meiner Verfügung stellen, um meine ersten Schritte zu leiten; ich sollte irgend etwas aus meinem Leben oder sonst Geschautes beschreiben, ganz kurz, in der Größe eines Feuilletons, und ihm einsenden, er würde es, falls es brauchbar sei, einem ihm bekannten Blatt empfehlen.

Ein freudiger Schreck durchfuhr mich. Sollte das möglich sein? Möglich, daß ich nicht jung in Armut und Verlassenheit sterben mußte, daß ich die alten Tage meiner Mutter sichern konnte, daß mein Leben noch Inhalt bekommen sollte? Die Freude hielt aber nicht lange an. Zweifel und Bedenken der verschiedensten Art nahmen mir bald wieder Mut und Hoffnung. Um Schriftstellerin zu werden, fehlte es mir an Wissen, an der Kenntnis des Lebens und der Menschen; was ich auch schreiben würde, dieser Mangel würde sich immer bemerkbar machen. Und dann überkam mich wieder die Furcht vor dem Leben, das mich mehr erschreckte, als der Gedanke an den Tod.

Nein, ich hatte nichts zu tun, als still zu sitzen und das Ende abzuwarten.

So grübelte ich tagsüber, doch als der Abend gekommen war, saß ich nicht lesend wie sonst, sondern schreibend an meinem Fenster.

Nach einigen Tagen sandte ich meine Arbeit an Sacher-Masoch, und er teilte mir noch denselben Tag mit, daß sie gut sei, daß er sie bereits abgeschickt habe, und daß ich gleich etwas Größeres beginnen solle. Ich tat es; doch ehe diese zweite Arbeit noch beendet war, erhielt ich von ihm einen Brief, dem zehn Gulden beilagen mit dem zu unterzeichnenden Empfangsschein eines Wiener Blattes; auch der Abdruck meines Feuilletons lag bei.

Ich reichte meiner Mutter das Geld, aber sie nahm es nicht; sie hielt ihre armen abgearbeiteten Hände fest aneinandergedrückt, damit ich nicht merken sollte, wie sie zitterten, und sah mich nur scheu und verlegen an, als schämte sie sich.

Ich schrieb eine größere Novelle. Sie ging denselben Weg und brachte mir dreißig Gulden ein. Ich hörte auf Handschuhe zu nähen, und begann einen kleinen Roman. In drei Monaten war er beendet und ich erhielt dafür dreihundert Gulden.

Dieser rasche Erfolg würde unwahrscheinlich erscheinen, wäre damals nicht eine außerordentlich günstige Zeit für literarische Produktion gewesen; es war 1872, das Jahr vor dem großen Krach, die Zeit, in der alle Welt riesig in Geld »machte« und neue Zeitungen wie Pilze aus der Erde schossen. Und dann war ich durch Sacher-Masoch, der damals auf der Höhe seines Rufes stand, eingeführt: das erklärt, was sonst unerklärlich wäre.

Ein neues Leben hatte für uns begonnen. Wir wohnten noch in demselben Hause, aber nähten nicht mehr, nährten uns gut, waren anständig gekleidet und gingen täglich einige Stunden ins Freie. Wie wohl uns das beiden tat! Meine Mutter wurde wieder kräftiger und war so heiter und glücklich, wie ich sie nie zuvor gesehen. Ich selbst befand mich in einer Art Betäubung: das Glück war zu plötzlich, zu unerwartet gekommen; es wurde mir schwer, daran zu glauben; ich war beklommen und von einer unbestimmten Furcht gequält. Früher hatte ich Angst vor dem Leben, jetzt traute ich dem Glück nicht. Nur ein Gedanke, ein Gefühl war ganz bestimmt in mir: die Dankbarkeit gegen Sacher-Masoch. Es bedrückte mich, daß ich ihm diesen Dank nicht so ausdrücken konnte, wie es mir ein Bedürfnis war. Das, was ich ihm darüber schrieb, schien mir kalt und arm gegen das, was ich empfand. Doch wie hätte ich mehr sagen können? Erst wenn ich ihm meine Lage auseinandergesetzt hätte, würde er begriffen haben, was er eigentlich für mich getan, und welches Recht er auf meine Dankbarkeit habe ... und das wollte ich nicht.

 

Sacher-Masochs Briefe waren in der ersten Zeit kurz und vorsichtig; später wurden sie ausführlicher und vertraulicher. Er schrieb mir über alles, was er tat, was täglich bei ihm vorfiel. So wurden die Briefe eine Art Tagebuch, das er mir gleichsam zur Kontrolle seines Lebens vorlegte. In der Zeit, da ich zu schreiben angefangen, gab er mir Ratschläge und Winke, wie ich arbeiten solle, und er erzählte mir von seinen Anfängen.

Dann kam ein anderer Ton in seine Briefe. Er schrieb:

»Seit ich das Glück habe, Sie zu kennen, das heißt, seit Sie die Gnade hatten, mir zu erlauben, an Sie zu schreiben und meine Briefe zu beantworten, ist mein ganzes Denken und Fühlen ein anderes geworden. Es scheint mir, daß ich alle meine verlorenen Ideale wiedergefunden habe: ich glaube und hoffe wieder.

Alle meine Pläne für die Zukunft sind mit dem Gedanken an Sie verknüpft.

Herz und Geist ist gleich voll von Ihnen. Ich weiß nichts von Ihnen, weiß nicht, wer Sie sind, nicht wie Sie aussehen, und doch geht eine geheimnisvolle Kraft von Ihnen aus, der ich mich widerstandslos unterwerfen muß, wie einer Naturgewalt.

Mein Leben gehört Ihnen, machen Sie damit, was Sie wollen.

Ich kann dem, was ich für Sie empfinde, keinen Namen geben – es hat keinen.

Wenn Sie das bedenken, werden Sie begreifen, wie beschämt ich mich fühlen muß, wenn Sie mir für die geringen Dienste, die ich Ihnen leisten konnte, danken.

Wie viel werde ich Ihnen eines Tages zu danken haben ...

Beunruhigen Sie sich nicht; ich werde nichts tun, das gegen Ihren Wunsch und das Versprechen wäre, das ich Ihnen gegeben habe.

Sie sind mein Schicksal – wie ich das Ihre bin.

Und würden, Sie oder ich, etwas dazu tun wollen, um es zu beschleunigen oder aufzuhalten, es würde nichts nützen. Es wird sich erfüllen, wenn seine Zeit gekommen ist, wie Geburt und Tod.

Ich schreibe Ihnen das, weil ich will, daß Sie es wissen – und weil es nicht ehrlich von mir wäre, wenn ich es nicht täte.«

Es wurde mir schwül, wenn ich das las. Was sollte daraus werden? Ich fühlte keinen Grund in mir, auf diesen Ton einzugehen ... und doch erregten mich diese Briefe aufs tiefste, Ich zweifelte keinen Augenblick, daß Sacher-Masoch genau so dachte wie er schrieb, und das war es eben, das mich erschreckte – und freute.

Er hatte mir öfter geschrieben, daß er seit Jahren nicht so angeregt wäre und so leicht arbeitete wie jetzt; er müsse sich gewaltsam von seinem Schreibtisch losreißen, um an die Luft zu gehen, und kaum heimgekehrt, setze er sich wieder an die Arbeit. »Und das«, schrieb er, »danke ich Ihnen allein. Es ist, als ob sich mein Talent erst jetzt unter Ihrem Einfluß wahrhaft entwickelte; nur meine Mutter hat ähnlich auf mich eingewirkt.«

Wie sollte ich mich darüber nicht freuen? Ich konnte ihm also auch etwas geben, ihm, der mir so viel gegeben hatte. Gab es ein schöneres, edleres Mittel, ihm den Dank abzutragen, den ich ihm schuldete?

Trotzdem war ich sehr beunruhigt. Aus seinen Briefen erriet ich, daß er mich für eine Dame aus der vornehmen Welt hielt. Für solche Frauen hatte er eine Schwäche. Würde in seinem Gefühl für mich eine Wandlung eintreten, wenn er die Wahrheit wußte? Diese Frage wagte ich mir nicht zu beantworten. Warum aber sollte er die Wahrheit wissen? Wenn die Illusion, in der er sich befand, so glücklich auf sein Talent wirkte, warum sie zerstören? War es nicht wahrscheinlich, daß das Interesse, das er für mich hatte, hauptsächlich auf dem Geheimnis, das mich umgab, beruhte? Und wenn es so war, was lag an der Wahrheit? War es nicht das beste, ihm sein Glück so lang als möglich zu erhalten? Sorgt doch das Leben schon dafür, daß kein Glück zu lange dauert.

 

Der Sommer war vergangen und ein kalter regnerischer Herbst angebrochen. Ich hatte täglich von Sacher-Masoch Nachrichten erhalten; plötzlich blieben diese ganz aus.

Ich fing bereits an unruhig zu werden, als ich in der Zeitung las, Sacher-Masoch sei an einer Lungenentzündung schwer erkrankt.

Ich schrieb ihm sofort, ich würde um 5 Uhr desselben Tages zu ihm kommen, wenn das möglich und ihm angenehm sei. Den Brief trug ich selbst bis an das Paulustor, gab ihn dort einem Dienstmann mit dem Auftrag, ihn in die Jahngasse zu bringen und Antwort zu verlangen, die ich hier erwarten wollte. Schon nach ganz kurzer Zeit kam der Mann mit der Antwort. Sie lautete: »Ich werde heute abend um fünf Uhr der glücklichste Mensch auf Erden sein.«

Es waren noch viele Stunden bis dahin, und ich hatte Zeit, über den Schritt, den ich zu tun im Begriffe stand, nachzudenken.

Als ich im ersten Schreck über Sacher-Masochs Erkrankung an ihn schrieb, ich würde zu ihm kommen, leitete mich die Furcht, die Krankheit könne einen bösen Verlauf nehmen und ich würde dann dem Manne, dem ich so viel zu danken hatte, mit keinem lebendigen Worte diesen Dank ausgedrückt haben.

Doch auch jetzt, da ich ruhiger war, fand ich, daß ich recht getan.

Es war klar, daß ein persönliches Zusammentreffen, früher oder später, unvermeidlich war. Ich hatte mir von Sacher-Masoch das Versprechen geben lassen, nie eine Begegnung mit mir zu verlangen, und er hat sein Versprechen gehalten. Die Initiative mußte also von mir ausgehen. Wäre die Sache geblieben, was sie mir anfangs war, eine Zerstreuung, würde mir der Gedanke dazu nie gekommen sein. Aber Sacher-Masoch hatte so tief in mein Leben eingegriffen, mich so hoch erhoben, wie ich es nie zu träumen gewagt hatte, und war mir dadurch so nahe gerückt, daß immer und überall alle meine Gedanken bei ihm waren. –

Ich wußte, daß er und sein Bruder Karl beim Vater wohnten, und daß man in seiner Umgebung über den Besuch einer Frau nicht allzu erstaunt sein werde.

Ich war jetzt zwar noch immer einfach, aber elegant angezogen. Ich hatte wohl nur ein Kleid, aber es war aus schwarzer Seide und gut gemacht; dazu trug ich eine kleine schwarze Tuchjacke und schwarzen Hut. In dieser Toilette konnte mich Sacher-Masoch ganz gut für eine Frau aus der feinen Welt halten. –

 

Als ich die zwei Treppen zu Sacher-Masochs Wohnung emporgestiegen war und auf dem großen Flur mit den vielen Türen stand, unentschlossen, an welche ich klopfen sollte, ging eine derselben auf, und er selbst stand vor mir und ließ mich ein. Ich war überrascht, denn ich hatte erwartet, ihn im Bett zu finden.

Er führte mich durch ein kleines dunkles Vorzimmer, in dem es abscheulich nach Katzen roch, in ein sehr großes, ganz mit Büchern angefülltes Zimmer. Bei dem unsicheren Licht einer großen, mit einem grünen Schirm bedeckten Lampe kam er mir zwar bleich, aber nicht wie ein ernstlich Kranker vor. Er trug polnische Kleidung und das machte ihn mir fremd.

Er schien sehr erregt und als ringe er vergebens nach Worten. Einige Augenblicke herrschte ein peinliches Schweigen, dem ich ein Ende machte, indem ich ihn nach seinem Befinden fragte. Er antwortete nicht gleich, führte mich an das Sofa, auf dem ich Platz nahm, während er vor mir stehen blieb. Endlich sagte er:

»Sie sehen, in welchen Zustand mich Ihr Besuch gesetzt hat. Ich bin kaum fähig, Ihnen dafür zu danken.«

»Dann will ich lieber wieder gehen«, erwiderte ich lächelnd.

»O«, machte er, kniete vor mich hin, und die Hände wie im Gebet gefaltet, sah er zu mir auf.

»Aber wie jung Sie sind«, rief er, »und wie reizend! Ganz anders, als ich erwartet hatte. Wie hätte ich auch nach Ihren ernsten strengen Briefen ein so zartes Mädchenantlitz erwarten dürfen! Welch eine entzückende Überraschung!«

Er hatte mir unterdes die Hände genommen, die Handschuhe abgezogen und hielt sie jetzt in den seinen fest, zuweilen einen Kuß darauf drückend. Ich frug ihn wieder nach seinem Befinden, und er erzählte mir mit vielen Details seine Krankheitsgeschichte, aus der ich entnahm, daß die »Lungenentzündung« ein starker Schnupfen gewesen. Als ich ihn so ernst und feierlich darüber sprechen hörte, hatte ich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken.

Ich war bei ihm auf Übertreibungen gefaßt, aber fest entschlossen, ihnen in unserem Verkehr so wenig Platz als möglich zu lassen – ich fühlte, wie gefährlich sie uns beiden werden könnten, wenn es ihnen gelänge, in die Wirklichkeit einzugreifen.

Er schien ein wenig enttäuscht, sah mich aufmerksam an, als forschte er in meinen Zügen nach etwas, und sagte dann:

»Ja, so sind Sie auch in Ihren Briefen. In Ihren Augen find ich all die klugen und klaren Gedanken wieder, die mich dort überwältigt haben und mir den Glauben beibrachten, ich hätte es mit einer nicht mehr ganz jungen, erfahrenen Frau zu tun.« –

Ich blieb beinahe zwei Stunden bei ihm, und als ich ihn verließ, war es mit einem ganzen Aufruhr von Gedanken im Kopf und bangem, schwerem Herzen. Während wir zusammen gesprochen, hatte ich mich bemüht, ihn zu erkennen, und in dem, was er mir sagte, in dem, was zwischen uns war, Wahrheit und Dichtung auseinander zu halten, aber beides hatte sich jetzt ineinander verwebt und mich eingesponnen, daß ich keinen Ausweg mehr sah.

Er hatte mir in derselben überschwenglichen Weise, die mich schon in seinen Briefen beunruhigte, seine Liebe erklärt, und da er mich unglücklich verheiratet glaubte, beschworen, alles aufzubieten, was in meiner Macht stehe, um die Scheidung zu verlangen. Man würde dann schon Mittel finden zur Heirat. Er sagte, er könne mir zwar keine Reichtümer anbieten, und ich würde an seiner Seite vielleicht manchen Luxus entbehren, an den ich gewöhnt sei, aber wenn ich in seiner großen Liebe für mich Ersatz dafür finden wolle und inneres Glück äußerem Glanze vorziehe, dann würde sein ganzes Streben nur noch dahin gehen, mein Leben schön und freudvoll zu gestalten. Er sagte auch, er habe mich geliebt, noch ehe er mich kannte, und daß eine Liebe, die auf so rein geistigen Grundlagen beruhe, die sicherste Garantie für dauerndes Glück sei; er werde immer nur das sein, was die Frau, die er liebe, und in deren Hände er sich gegeben, aus ihm mache, und in welchen Händen wäre er besser, als in den meinen; er glaube, daß seine Mutter segnend über ihm schwebe, während er das sage; sein persönliches Glück und seine Zukunft als Schriftsteller hänge allein noch von mir ab.

So sprach er, und seine Worte unterstützten den Ausdruck seines Gesichts und seiner Augen, die voll Liebe und voll Angst auf mich schauten. Ich war tief bewegt und mußte mir Gewalt antun, um meine Vernunft zu behalten, ihm nicht sofort die ganze Wahrheit zu gestehen, und mich ihm, was ich bereits beschlossen hatte, rückhaltlos hinzugeben. Ich tat es nicht, weil ich mir sagte, eine solche Hingabe würde ihm als das erscheinen, was sie wirklich gewesen wäre, ein Akt der Dankbarkeit, und das hätte in seinen Augen den Wert meines Besitzes und dadurch sein Glück verringert. Ich mußte mit seinem phantastischen Geiste rechnen: die Schwierigkeiten, die, wie er glaubte, zu überwinden waren, ehe er mich erringen konnte, waren zu seinem Glücke wahrscheinlich sehr nötig. Ich zweifelte nicht an seiner Liebe, auch nicht an der Größe, wohl aber an der Einfachheit seines Herzens.

Seltsam berührte mich bei ihm sein ergebenes, unterwürfiges Wesen, das zu sagen schien: »Ich bin nichts, du bist alles ... sieh, hier lieg' ich zu deinen Füßen, schreite über mich hinweg und ich werde glücklich sein, wenn nur dein Fuß mich berührt.« Es lag darin eine solche Huldigung an das Weib, die, von einem so bedeutenden Manne ausgehend, auf jede Frau eine starke Wirkung machen mußte. Das war es wohl, was Frau Frischauer das »Faszinierende« seines Wesens nannte.

Und wie vernünftig wußte er über unvernünftige Dinge zu sprechen und dadurch dem Zweifelhaftesten, Unhaltbarsten ein einfaches und sicheres Ansehen zu geben! Ich fühlte mich ganz unter der Herrschaft seines Geistes, der, wie ein frischer Quell dürres Land, meine im Elend verkommene Seele erquickte. Er öffnete eine neue Welt vor mir, eine Welt voll Licht und Glanz, in der Arbeit Kunst war und Erfolg, Ruhm und Gewinn einbrachte. In diese Welt wollte er mich führen aus der Nacht, in der ich bisher gelebt hatte, sie sollte in Zukunft meine Welt sein.

 

Von nun an sah ich Sacher-Masoch zwei- bis dreimal in der Woche, und immer in seiner Wohnung, da er noch lange nicht auszugehen wagte.

Er erzählte mir aus seinem Leben, Reisen und Arbeiten. Er zeigte mir die Briefe mit Anträgen, die er erhalten, sagte mir, was sich im Druck befinde, was eben erschienen und nächstens erscheinen würde. Auch von seiner Familie erzählte er mir; von seiner Mutter, die er abgöttisch geliebt, von seinen verstorbenen Geschwistern, von seinem Bruder Karl, von dem herzlichen Verhältnis, das zwischen ihnen herrsche, und dann von seinem Vater. Vor dem alten Herrn schien seine Familienliebe Halt zu machen, denn er war kein zärtlicher Vater für seine Kinder, noch ein guter Gatte für seine geliebte Mutter gewesen.

Ich fand Sacher-Masoch in allem, was er mir sagte, gut und edel, voll Mitleid mit den Armen oder Unglücklichen, und voll Nachsicht mit den Fehlern und Schwächen anderer. Was mir aber, besonders in der ersten Zeit, unbeschreiblich peinlich war, war die unbegreiflich naive Art, in der er mir von seinen früheren Liebschaften erzählte. Er schien von dem Unpassenden dieser Mitteilungen gar keine Ahnung zu haben und anzunehmen, daß es mir ebensoviel Vergnügen mache, zuzuhören, als es ihn erfreute, in seinen Erinnerungen zu schwelgen.

»Ein Mann wie Sacher-Masoch kann nicht mit demselben Maße gemessen werden wie andere Menschen«, hatte Frau Frischauer von ihm gesagt ... daran dachte ich jetzt – und daran sollte ich noch oft denken.

 

Es war Winter geworden und kalt, ich aber ging immer noch in meinem kleinen Jäckchen und fror. Das mußte bei einer »eleganten, an Luxus gewöhnten Dame«, die ich sein sollte, seltsam erscheinen. Sacher-Masoch hatte mich gleich nach unserer persönlichen Bekanntschaft gebeten, mir den Bedarf an Pelzen besorgen zu dürfen. Ich kannte ja seine Leidenschaft für Pelze, und da ich sie in der Form von Hausjacken – seine geliebten Kazabaikas –, wenn ich bei ihm war, tragen sollte, hatte ich nichts dagegen. Jetzt, da es kalt war, schlüpfte ich sogar sehr gern in eine dieser Jacken, die er in verschiedenen Farben hatte.

Eines Tages überraschte er mich mit einem prachtvollen Straßenpelz in schwarzem Samt, mit Blaufuchs besetzt.

Als ich, angetan mit dem schönen Pelz, zu meiner Mutter in unser armseliges Zimmer trat, blieb sie starr vor Staunen. Kam sie doch in der letzten Zeit aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.

 

Wir sahen uns fast täglich. Ich hatte Sacher-Masoch gesagt, daß ich die Scheidung verlangt, meinen Mann verlassen habe und bei meiner Mutter lebe. Er freute sich und dankte mir dafür. Der Gedanke an unser künftiges Zusammenleben beschäftigte ihn immer; unablässig stellte er Berechnungen an über die Summen, die er verdienen könne, und verglich sie mit denen, die er in den letzten Jahren verdient hatte. Alle diese Berechnungen und Überschläge führten ihn zu der Annahme, daß er leicht jährliche Einnahmen von sechstausend Gulden erzielen könne, und er frug mich, ob ich glaube, daß diese Summe für unser Leben genüge.

Wie ich innerlich lachte über diese Frage!

Er meinte auch, wir sollten, sobald die Scheidung ausgesprochen, ins Ausland gehen und dort abwarten, bis wir zur Heirat Mittel und Wege gefunden haben würden. Oder wir könnten direkt nach England gehen, denn da gäbe es für eine zweite Heirat fast gar kein Hindernis.

Ich war mit allem, was er sagte, einverstanden, denn ich glaubte nicht an diese Heirat ... ich wünschte sie nicht einmal. Ich glaubte nicht daran, denn, so sehr ich auch von der Aufrichtigkeit seiner Liebe zu mir überzeugt war, so zweifelte ich doch sehr an deren Beständigkeit. Er war zu oft verlobt gewesen und hatte seine Bräute wahrscheinlich ebenso geliebt als mich, und es war doch zu nichts gekommen. Ehrlich und gewissenhaft in seinem Geiste, traute er sich mehr zu als sein Temperament und seine Phantasie halten konnten. Seine augenblickliche Leidenschaft für mich dazu auszunützen, um ihn Hals über Kopf in eine Heirat zu jagen, das war weit entfernt von mir. Ich war entschlossen, mich ihm hinzugeben, aber ich wollte in seinem Leben nur eine schöne Episode sein. Ich liebte ihn mit einer anderen Liebe als er mich ... was er ersehnte, fürchtete ich. Vielleicht kam mir auch das zu Hilfe, wenn ich den Gedanken einer Heirat nicht festhalten wollte.

Darum hielt ich das Märchen von meiner Ehe aufrecht: die Scheidung, die Schwierigkeiten einer neuen Heirat, das war gewiß eine Probezeit, die er nicht bestehen würde, die ihm aber zu einem ehrenvollen Rückzug die Möglichkeit bot. –

So aber, wie die Situation jetzt war, war sie unhaltbar. Das stundenlange Zusammensein war mit geheimer Qual für ihn verbunden; das wurde mir wieder peinlich, und ich beschloß, dem ein Ende zu machen.

Ich schlug ihm vor, am 15. November, seinem Namenstag, unsere »Hochzeit« zu begehen. Es sollte unsere eigentliche, richtige Hochzeit, und die, die später kommen würde, wenn es die Umstände erlaubten, nur eine Formalität sein. Der Gedanke entzückte ihn; das Vertrauen, das ich ihm damit bewies, versetzte ihn in Begeisterung. Er sagte, wenn der Papst selbst unsere Ehe einsegnen würde, würde er sie nicht für bindender und heiliger halten, als durch das Vertrauen, das ich in ihn setzte. –

Es war eine stille, aber glückliche Hochzeit, die wir hatten. Ich fand ihn an dem Tage im Frack und weißer Binde; ich trug wie immer mein schwarzes Seidenkleid. Als Hochzeitsgeschenk bekam ich einen »Schlafpelz«, den ich natürlich sofort anziehen mußte.

Wir wechselten Ringe, hielten uns an den Händen, sahen uns in die Augen und versprachen uns, getreulich zueinander zu halten fürs ganze Leben. Damit war der Trauungsakt zu Ende.

 

Kurz nach unserer »Vermählung« erschien in der Revue des deux mondes eine Novelle von Sacher-Masoch. Er war darüber vor Freude halb närrisch. Ich kannte damals die berühmte Zeitschrift nicht einmal dem Namen nach; Leopold erklärte mir ihre Bedeutung, und daß es der höchste Ehrgeiz aller französischen Schriftsteller sei, darin zu erscheinen; daß man in Frankreich auf ihn aufmerksam geworden, ihn zu übersetzen anfange und noch dazu in der größten Revue der Welt, das war die schönste Genugtuung, die er während seiner ganzen literarischen Laufbahn erfahren.

Die Übersetzerin war eine Frau Therese Bentzon.

Wir fanden es seltsam, daß man ihn von Paris aus nicht davon unterrichtet und seine Autorisation verlangt hatte.

Doch meinte er schließlich, das sei ganz nebensächlich, die Hauptsache sei, von den Franzosen gelesen zu werden, damit sei ihm der Weltruf gesichert; auch werde es einen sehr glücklichen Rückschlag auf Deutschland ausüben, sein Ansehen und seine Honorare steigern.

Weihnachten war gekommen. Leopold hatte mir einen Weihnachtsbaum bereitet, unter dem reiche Geschenke für mich lagen. Selbstverständlich befand sich darunter wieder ein Pelz.

Wie viele, viele dunkle Jahre lagen zwischen diesem und dem letzten Weihnachtsbaum, der für mich angezündet worden war! Ich war so gerührt, so glücklich und so traurig, daß ich Mühe hatte, nicht zu weinen. Wie voll Güte war Leopold für mich; und wie freute er sich, wenn er sah, daß er mir damit ein Vergnügen gemacht.

 

Ich wurde schwanger. Der Gedanke, ein Kind zu bekommen, erfüllte mich mit unbeschreiblichem Glück. Wenn ich früher an Liebe und Ehe dachte, war es immer das Kind, in dem sich all mein Sehnen und Wünschen einte.

Mein Verhältnis zu Leopold wurde dadurch ein anderes. Mein Gefühl für ihn war bis dahin ein rein intellektuelles, und ich empfand deshalb die physische Hingabe wie ein Opfer – das ich ihm freudig brachte. Daher kam es, daß er mir, trotz unseres vertrauten Umgangs, tief innerlich fremd geblieben war – und das quälte mich und störte mein Glück, weil es mir wie ein Unrecht, eine Undankbarkeit meinerseits erschien.

Nun war es anders. Ich fühlte mich eins mit ihm, ganz so, wie man sich eins fühlt mit seinen nächsten teuersten Angehörigen.

Er selbst war über das zu Erwartende hoch erfreut, und bat mich nur, es möglich zu machen, daß wir zusammen leben konnten, denn, sagte er, es sei ihm ein Bedürfnis, mich immer um sich zu haben, um nur jede Minute sagen zu können, wie sehr er mich liebe und wie glücklich er mit mir sei.

Schneller als er erwartete, fügten sich die Umstände, in der Weise, daß sie unser Zusammenleben bedingten.

Von Wien aus kam der Antrag, an einem dort eben gegründeten großen Blatte mitzuarbeiten. Man bot ihm ein großes Gehalt, knüpfte aber die Bedingung daran, seinen Wohnsitz in Wien zu nehmen. Leopold glaubte, das Anerbieten annehmen zu müssen, weil ein sicheres Einkommen, wenn man für Frau und Kind zu sorgen habe, sehr wichtig sei. Er gestand mir bei dieser Gelegenheit, daß er noch von früher Schulden habe, die ihm zwar keine Sorgen machten, allein eine solche Stellung würde ihm die Mittel geben, sich rasch davon zu befreien. Alles hinge jedoch von mir ab: sei ich entschlossen, mit ihm zu gehen, dann nehme er die Stellung an, wenn nicht, so verzichte er auf sie.

Nichts konnte mir erwünschter sein, als jetzt Graz zu verlassen. Für das Leben meiner Mutter konnte ich sorgen, und da mich sonst nichts zurückhielt, sagte ich ihm, ich würde mit ihm gehen, und er nahm die Stellung an.

 

Wir bezogen in der Kohlmessergasse zwei möblierte Zimmer für den Preis von hundertundfünfzig Gulden monatlich. Der Eigentümer der Wohnung war Arzt, Dr. Fried, der mit seiner Frau aufs Land gezogen war, um während der Ausstellung durch die Vermietung eines Teils der Wohnung ein schönes Geschäft zu machen. Er war sogar so klug, Leopold Wechsel für sechs Monate Miete unterschreiben zu lassen, und dieser war so unbefangen, es zu tun. Noch in anderer Weise zeigte uns Dr. Fried seine geschäftliche Überlegenheit: als wir die beiden Zimmer besichtigten und mieteten, waren sie sehr hübsch möbliert, als wir aber kamen, um sie zu beziehen, waren die hübschen Möbel verschwunden und durch den ordinärsten Kram ersetzt worden. Diese gemeine Betrügerei ärgerte Leopold gewaltig, allein er nahm sie hin, um Aufregung und Verdrießlichkeiten zu vermeiden.

Leopold arbeitete viel. In seinen freien Stunden gingen wir zusammen aus. Er zeigte mir Wien, das er genau kannte. Diese Stunden waren für mich gleichsam historische und künstlerische Vorträge, denn er zeigte mir nicht nur, er erklärte mir auch.

Wir wohnten auch der Aufführung eines seiner Stücke »Der Mann ohne Vorurteil« bei. Fräulein Clairmont spielte darin die Hauptrolle. Diese schöne, aber ganz talentlose Schauspielerin war die Geliebte Sacher-Masochs gewesen und hatte von ihm ein Kind. Sie ahnte wohl nicht, mit welchen Gefühlen ich auf sie blickte und welche Gedanken mich bewegten ... wie ich sie im Stillen bat, mich nicht zu beneiden um den flüchtigen Glanz, der so unerwartet auf mein dunkles Leben gefallen ... und wie ich mich schon vorbereitete, daß die Reihe, zu den »Verlassenen« zu gehören, nächstens an mich kommen werde.

 

Am ersten Mai wurde die Ausstellung eröffnet. Leopold mußte für das Blatt hingehen und den Tumult mitmachen, während ich glücklich war, in Ruhe und Stille daheim bleiben zu können, und nur vom Fenster aus dem tollen Treiben zusah.

Drei Tage nach der Eröffnung der Ausstellung kam der »Krach«. Das Zeitungsunternehmen, das Leopold engagiert hatte, war eines der ersten, das mit verkrachte.

Er hatte schon in der kurzen Zeit seiner Tätigkeit gesehen, daß es ihn zu sehr in Anspruch nahm und keine Zeit mehr für ernstes Arbeiten lasse, deshalb traf ihn der Schlag nicht sehr hart. Für den Augenblick aber waren wir nicht in einer sehr glücklichen Lage. Wir hatten für die Reise und den ersten Aufenthalt im Hotel alles vorrätige Geld ausgegeben, und mußten uns nun auf das äußerste einschränken, um einige Wochen durchzukommen, bis wieder das Eingehen von Honoraren zu erwarten war.

Wir beschlossen, nicht mehr im Restaurant zu essen; ich installierte mich in der Küche, auf deren Benutzung ich als Köchin ein Recht hatte.

Die schwerste Last war uns die teure Wohnung, die wir, dank der unterschriebenen Wechsel, in jedem Falle bezahlen mußten. Leopold arbeitete fleißig und verdiente mit rasch geschriebenen und rasch, meist in Wien selbst verwerteten Feuilletons immer kleine Summen, die uns über Wasser hielten. Trotzdem gab es manchmal recht magere Tage, die mich den Weg ins Wiener Leihhaus kennen lehrten.

Sehr peinlich waren uns in jener Zeit die Besuche, die fortwährend kamen. Es waren meist Personen, die zur Ausstellung gereist waren, gehört hatten, daß Sacher-Masoch in Wien war, und ihn aufsuchten; sie waren uns peinlich, weil sie viel Zeit kosteten, nicht zuletzt auch wegen der schlecht möblierten Wohnung, in der es kaum einen anständigen Sitz gab. Nur zwei Personen gehörten damals zu unseren ständigen Besuchern: der Dichter Baron Reichenbach und Graf Hendl.

Beide jungen Männer waren Offiziere gewesen und hatten den Dienst verlassen müssen: Baron Reichenbach wegen seiner kranken Lungen, Graf Hendl wegen seiner kranken Finanzen. Letzterer machte uns ziemlich Sorgen. Er war direkt von seinem Regiment weg und ganz mittellos nach Wien gekommen, in der festen Überzeugung, Freund Sacher-Masoch würde da leicht eine Stellung für ihn finden. Es war aber eine schlechte Zeit für Stellungsuchende und, so sehr sich Leopold auch bemühte, er fand nichts.

In seiner Verzweiflung wurde Hendl Inseratenagent, der nichts weiter einbrachte als zerrissene Sohlen und einen schauderhaft hungernden Magen. Selbst in sehr gedrängter Lage, konnten wir so viel wie nichts für ihn tun, nur unser Essen teilten wir mit ihm; leider war eine Aufnahme in unser Heim ausgeschlossen, und ich fürchte, der arme Graf hat damals nicht jede Nacht ein Dach über sich gehabt.

Er war ein bildhübscher Mensch und erst 26 Jahre alt. Die Bekanntschaft der beiden Freunde war auf seltsame Weise entstanden. Graf Hendl war in Meran in Garnison und dort hielt sich im Winter auch Sacher-Masoch auf. Im Hotel lernte dieser eine hübsche junge Frau, auch eine »Geschiedene«, kennen, Frau v. P..., die später das Modell zur »Venus im Pelz« wurde. Er machte ihr sehr lebhaft den Hof, hatte aber dabei Graf Hendl zum Konkurrenten. Der junge elegante Offizier tat so, als wolle er den neuen Mitbewerber keinen Zoll breit Terrain gewinnen lassen, was Leopold zwar nicht weiter genierte, die Frau aber sehr zu amüsieren schien. Da, gerade in dem Augenblick wo Sacher-Masoch glaubte, der Moment sei gekommen, um nach den Waffen zu greifen, suchte Hendl seinen Gegner auf und erklärte ihm, freiwillig auf das Streitobjekt zu verzichten und den Kampfplatz zu verlassen. Sacher-Masoch rührte dieser Opfermut, und aus den Nebenbuhlern wurden warme Freunde.

 

Ein furchtbar heißer Sommer war gekommen und mit ihm die Cholera. Zuerst war das Sterben nur gering, aber bald wurde es grauenhaft. Wer nur immer die Stadt verlassen konnte, floh. Leopold kam aus Schrecken und Angst nicht mehr heraus, und kein Tag verging, an dem er nicht die ersten Anzeichen der Krankheit an sich bemerkte. Für Furchtsame war es eine schreckliche Zeit. Den ganzen Tag fuhren die Wagen mit den Toten durch die Straßen. Die Geschäfte in unserer Nachbarschaft waren nach und nach alle geschlossen, weil die Besitzer samt ihren Familien weggestorben waren. Ein fünfstöckiges Haus ganz in unserer Nähe wurde verschlossen und versiegelt, denn von allen Bewohnern war kein einziger mehr am Leben. Das war wohl geeignet, auch bei den Starken und Festen Angst und Furcht zu erregen; Sacher-Masoch aber gehörte in solchen Dingen nicht zu diesen. Immer war ich damit beschäftigt, ihm seine Furcht als unbegründet zu beweisen und ihn durch Geplauder davon abzubringen, denn er hatte nur Furcht, wenn er an die Gefahr dachte; es galt also, ihn davon abzulenken. Ich dankte Gott, daß Hendl da war. Wenn ich mich den ganzen Tag mit meinem »Dichter« abgemüht hatte, war ich, wenn der Abend kam, so erschöpft und abgespannt, daß ich voll Sehnsucht den Augenblick erwartete, wo er kommen sollte. Wenn er dann mit seinem, trotz seiner desperaten Lage fröhlichen und immer zu Scherzen bereiten Humor ins Zimmer trat, und beim Anblick des jammervollen Gesichts seines Freundes in herzliches Lachen ausbrach, dann mußte der Cholerakranke mitlachen, und Furcht und Angst waren vergessen. War es aber gar arg, dann wußte Hendl allerhand prächtige Hausmittel, wie heiße Fußbäder, starken Branntwein und dergleichen, die in keinem Falle schaden konnten, Leopold aber, der sie mit fanatischem Glauben hinnahm, die Überzeugung beibrachten, daß er wieder einmal seine »Rettung« ihnen danke. Dafür und für sein stets bereites praktisches Zugreifen, wenn er damit helfen konnte, war ich Hendl um so dankbarer, als ich mit all den kleinen Leiden, die mein Zustand mit sich brachte, zu kämpfen hatte und mir, nur von Männern umgeben, der Rat und Beistand einer erfahrenen Frau fehlte.

Eines Tages blieb Hendl aus. Da er nicht eigentlich »wohnte«, hatten wir keine Adresse von ihm und konnten uns nicht nach ihm erkundigen. Einige Tage später erschien er wieder, bleich und herabgekommen, und erzählte mit einem Lächeln, das ihm diesmal nicht recht gelingen wollte, »sie« habe ihm einen kurzen Besuch gemacht, er habe »sie« aber sofort energisch zur Tür hinausgeworfen. Wie und wo mag der Arme die Krankheit überwunden haben? Mir imponierte dieser junge Graf, der bereit gewesen wäre, Lastträger zu werden, um sein Brot ehrlich zu verdienen, der Krankheit und bitterste Armut nicht nur ohne Klage, sondern auch mit heiterem Mut ertrug. Leopold sagte, er habe eine rauhe, harte Natur; das war gewiß wahr, allein, da er rauh und hart gegen sich selbst war, aber gut und freundlich gegen andere, wie hätte man ihm daraus einen Vorwurf machen können?

Interessant war es mir, zu beobachten, wie die beiden Freunde in ihrem Gedanken- und Gefühlsleben nicht nur nichts Gemeinsames hatten, sondern die entschiedensten Gegensätze darstellten. Leopold sah die Welt und alles in ihr nur mit den Augen seiner Phantasie, während Hendl sich nicht einmal begnügte, die Dinge so zu sehen wie sie waren, sondern ihnen auch noch das Mäntelchen abriß, das ihnen Anstand und Konvenienz umgehängt. Dieser junge Aristokrat war der praktische Verstand in Person; eine beinahe fröstelnde Klugheit ging von ihm aus, gegen die ich mich um so mehr zu wehren suchte, als ich mir eingestehen mußte, daß diese kalte, nüchterne Auffassung des Lebens mich in beängstigender Weise anlockte, weil ich in ihr die einzige Sicherheit gegen viele Leiden und Schmerzen sah.

Wenn Hendl und Leopold abends nach Tisch zusammensaßen und oft in sehr heftiger Weise über die verschiedensten Dinge sprachen, kam es zu Reibungen, die Funken gaben, in deren Licht ich die Wahrheit zu erkennen glaubte. –

 

Der »Figaro« kam mir zu Hilfe, die Cholerafurcht fast eine Woche lang zu verscheuchen. Das Blatt brachte einen großen Artikel, der über eine Begegnung des deutschen Kaisers mit Sacher-Masoch in der Ausstellungsrotunde berichtete. Leopold galt damals für einen großen Deutschenhasser, und darauf baute der Pariser Journalist seinen Artikel. Die Begegnung war lang und breit und mit so vielen Details erzählt, daß nur wenige eine Täuschung vermutet haben mögen. Der Ausstellungsbesuch war immer mit Kosten verbunden, die uns schon lange unerschwinglich waren, selbst wenn Hitze und Cholera uns die Lust daran nicht verdorben hätten; es war also jedes Wort in diesem Artikel Erfindung, was uns jedoch nicht verhinderte, die Kühnheit, Geschicklichkeit und Verlogenheit des französischen Reporters zu bewundern und darüber zu lachen.

Hitze, Geldsorgen, der immerwährende Schrecken und die beständige Besorgnis um die Gesundheit Leopolds mögen zusammengewirkt haben, daß ich einen Monat vor der Zeit niederkam. Ich war denn auch ganz unvorbereitet. Unser Geldmangel hatte mir nicht erlaubt, das Nötige für das Kind anzuschaffen, und als es jetzt so plötzlich da war, mußte man es in Taschentücher und Ähnliches wickeln. Man hatte eine Hebamme aus der Nachbarschaft geholt, Frau Z..., die mich trotz ihres hohen Alters aufopfernd und liebevoll wie eine Mutter pflegte. Leopold war über seine Vaterschaft ganz närrisch geworden und konnte sich vor Stolz und Freude gar nicht fassen. Es war ein Knabe, und er sprach schon jetzt von seinem »Sohn« als von einer sehr gewichtigen Persönlichkeit.

Ich lag still in meinem Bett und schaute, ohne müde zu werden, auf das kleine Wunder an meiner Seite, das mit seinem Erscheinen alle Unklarheit, Verwirrung und Beängstigung meines Lebens in Klarheit, Harmonie und Ruhe umgewandelt hatte.

Als Doktor Fried zu seiner Ordinationsstunde kam und von dem Ereignis hörte, trat er ungerufen ein, sah mich und das Kind an, fand alles in Ordnung und ging wieder. Das tat er auch die folgenden Tage; wir hielten es für eine Artigkeit seinen Mietern gegenüber, wurden aber arg enttäuscht, als wir später auf seiner ärztlichen Rechnung diese ungebetenen Besuche mit je fünf Gulden angeschrieben fanden.

Am sechsten Tag nach meiner Entbindung ging Leopold für den ganzen Tag mit Graf Hendl in die Ausstellung. Ganz allein in dem traurigen, dunklen Zimmer, gequält von der unerträglichen Hitze, und mich nach Luft und Licht sehnend, stand ich auf, nahm das Kleine und setzte mich in das andere, auf den Franz-Josephs-Quai gehende Zimmer ans Fenster. Hier im hellen Licht sah ich, daß das Kind nicht wohl war. Auch Nahrung nahm es nicht mehr. Und ich war ganz einsam und hilflos noch für lange Stunden! Am Abend, als Frau Z... kam, erklärte sie, das Kind habe Krämpfe und man müsse sofort einen Arzt holen. Glücklicherweise kamen eben Leopold und Hendl heim, und als sie hörten, um was es sich handelte, gingen sie gleich wieder weg, um nach einem Arzt zu suchen. Aber, wo sie auch anklopften, sie fanden nur verschlossene Türen: alle Ärzte waren auf dem Lande, und die von der Cholera verseuchte Stadt blieb nachts so gut wie ohne Arzt. Es war lange Mitternacht vorüber, als Hendl mit Hilfe der Polizei einen Arzt auftrieb. Mit welcher Roheit behandelte der Mann das sterbende Kind! Es war an keine Hilfe mehr zu denken. Unwirsch sprach er über den kleinen zuckenden Körper das Todesurteil. Ich glaubte vor Weh sterben zu müssen.

Nachdem der Arzt gegangen war, warf sich Leopold auf das Sofa und brach in ein seinen ganzen Leib erschütterndes Schluchzen aus. Meinen eigenen Schmerz unterdrückend, suchte ich ihm durch ruhiges, vernünftiges Zureden Mut zu geben und ihn aufzurichten.

Frau Z. mahnte uns, das Kind noch schnell taufen zu lassen, da wir sonst Schwierigkeiten mit der Behörde haben würden. Graf Hendl, der noch immer da war, ging, ohne ein Wort zu sagen, in die nahe Stefanskirche und kam bald darauf mit einem jungen Kaplan zurück.

Dieser vollzog die Nottaufe und, nachdem das getan war, trat er an mein Bett, kniete hin, sprach mit sanfter, warmer Stimme ein kurzes Gebet über mich, bekreuzigte und segnete mich. Er tat es so einfach und schlicht, wie nur die reinste Überzeugung es kann, und machte dadurch einen um so wehmütigeren Eindruck auf mich, als er mich an die Zeit erinnerte, wo auch mein Glaube, wie der seine, einfach und schlicht war.

Der religiöse Akt schien Leopold etwas beruhigt zu haben. Ich bat ihn zu Bett zu gehen und sich auszuruhen. Er tat es, und bald hörte ich an seinen ruhigen Atemzügen, daß er fest schlief.

Das Kind an meiner Seite fing an, leise zu röcheln; das Nachtlicht flackerte auf und große, unheimliche Schatten tanzten an den Wänden, dann sank es zuckend wieder zusammen, als wolle es verlöschen. Ich hatte gehofft, mich in der Stille der Nacht ausweinen zu können, aber jetzt kamen keine Tränen in meine heißen Augen. Meine Gedanken irrten verworren auf einer unendlich grauen Fläche, ich empfand jene angstvolle Erregtheit, die das Fieber mit sich bringt und die mir noch neu war.

Am Morgen lag eine kleine Leiche neben mir.

Noch ehe Leopold aufgestanden war, war Graf Hendl schon gekommen. Ich sagte ihm, daß es mir lieb wäre, wenn er wieder für den ganzen Tag mit Leopold in die Ausstellung ginge, damit er sich zerstreue; der Anblick des toten Kindes und all die Vorbereitungen zu seiner Beerdigung würden ihn zu sehr aufregen, und es wäre das beste, daß er gar nichts damit zu tun habe. Hendl war gern dazu bereit, und sobald Leopold angezogen war, gingen beide weg.

War mir jetzt der Kopf auf Augenblicke frei, so dachte ich nur an eine Sache: Leopold alles zu sagen, dem Versteckenspielen ein Ende zu machen. Angesichts des Todes, der bereits eins von uns hinweggeholt hatte und den ich jetzt in meiner Nähe fühlte, erschien mir der Roman, in dem wir lebten, frivol und unserer nicht würdig. Wenn ich sterben sollte, wollte ich mit keiner Lüge von ihm gehen, und wenn ich am Leben bliebe, sollte es sich zeigen, ob seine Liebe stark genug war, die Wahrheit zu ertragen, und wenn sie es nicht war, dann war es das beste, sich zu trennen.

Voll Ungeduld wartete ich auf seine Rückkehr. Es war schon Nacht, als er kam. Er sprach draußen, und ich erkannte an seiner Stimme, daß er heiter und guter Laune war; doch mußte ihm Frau Z. gleich gesagt haben, wie es mit mir stand, denn als er zu mir hereinkam, blickte er mich sehr ernst und besorgt an. –

Bald waren wir wieder allein, und da ich keine Zeit verlieren wollte, bat ich ihn, sich zu mir zu setzen, denn ich hätte ihm Wichtiges zu sagen.

Er setzte sich auf den Bettrand, blickte voll Spannung auf mich, und ich erzählte ihm mein Leben.

Noch während ich sprach, glitt er vom Bett herunter auf die Knie, sein Mund bebte, wie immer, wenn er sehr erregt war, und große Tränen rannen ihm das bleiche Gesicht herab. Nachdem ich geendet, legte er den Kopf auf mein Kissen und ich fühlte, wie es in ihm arbeitete. Es dauerte eine Weile, ehe er sprechen konnte, dann sagte er:

»So also hast du gelebt, du Arme! Daß du mir das verschweigen konntest! Wieviel Sorgen und Kummer hättest du mir erspart, wenn du besser von meiner Liebe gedacht hättest. Das war's gerade, was mich immer quälte, zu denken, daß du ein reiches Heim verlassen hast, um mir zu folgen, daß du bei mir entbehrtest, an was du gewöhnt warst, das drückte mich ganz nieder, und ich schämte mich vor dir. Und nun sagst du, daß du arm bist und eröffnest mir damit die Möglichkeit, dir durch meine Arbeit ein schönes und behagliches Leben zu bereiten. Ich sollte eigentlich böse auf dich sein, weil du mich so falsch beurteilt hast, aber ich bin zu glücklich über diese Wendung. Ich werde jetzt mit ganz anderer Lust an die Arbeit gehen, und wie wirst du's gut haben bei mir! Immer war es meine Idee, ein armes Mädchen zu heiraten. Was könnte ich einer reichen Frau bieten, was sie nicht selbst hat, dagegen eine arme gleichsam durch mich reich wird. Das zu denken, hat mir immer Freude gemacht.«

So sprach er lange. In den nächsten Tagen sollte eine größere Geldsumme eingehen, bis dahin würde ich gesund sein, dann wollten wir Wien verlassen und in einen kleinen Ort in den steirischen Bergen gehen, wo wir vor der Cholera so gut wie sicher wären und ich mich schnell wieder kräftigen würde.

»Mir ist ein Stein vom Herzen«, wiederholte er immer wieder, »werde nur recht schnell gesund, damit wir von hier fortkommen und Mann und Frau werden!«

Aber ich wurde nicht gesund, sondern ernstlich krank.

 

Es war anfangs August, als ich so weit war, daß mir der Arzt die Reise gestattete.

Wir gingen vorläufig nach Bruck an der Mur und wollten dann sehen, ob wir dort bleiben oder weiter gehen würden.

Schon als wir über den Semmering fuhren und die hohen dunklen Berge in ihrer ruhigen Majestät auf uns niedersahen, wurde uns froh und leicht. Nachdem wir aber erst in dem reizenden Bruck angekommen waren und die reine, köstliche Luft atmeten, da fühlten wir uns ganz glücklich über die Wahl, die wir getroffen, und es schien uns von Anfang an, daß es das beste wäre, hier zu bleiben.

Wir nahmen in dem kleinen Bräuhaus »Barbolani«, das zugleich Gasthof war, Wohnung. Obgleich wir beide noch sehr niedergeschlagen waren von den schmerzlichen Vorfällen der letzten Wochen, wirkte der Aufenthalt in dem ruhigen, mitten in einer wunderbar schönen Natur gelegenen Städtchen so wohltuend auf uns, daß wir nach kaum einer Woche wie verwandelt waren, Leopold hatte alle seine Krankheiten vergessen und war so lebensfreudig, wie ich es seither gar nicht für möglich gehalten hätte. Ich selbst hatte mich ganz erholt und sah wieder so gesund und frisch aus, daß Personen, die mich bei meiner Ankunft gesehen hatten, und mich im letzten Stadium der Schwindsucht glaubten, mich wie ein Wunder anstarrten. Leopold arbeitete morgens, die Nachmittage verbrachten wir auf Spaziergängen, die sich immer mehr ausdehnten, je kräftiger ich wurde. In diesem ruhigen Dahinwandeln durch die Einsamkeit der Wälder, durch stille, lauschige Täler und über sonnige Höhen mit weiter Fernsicht sprachen wir uns leichter aus als in dem Trubel des Wiener Lebens, wir nahmen gleichsam erst Besitz voneinander. Ich sollte ja binnen kurzem das Weib des Mannes werden, der da an meiner Seite ging, ihm durchs Gesetz fürs ganze Leben verbunden, wie sollte mir nicht daran liegen, ihn zu erforschen, zu erkennen, um zu wissen, wie ich sein Glück am besten machen würde. Denn ich war nicht sicher, ob ich auch die Frau war, die ihn ganz befriedigen konnte, ja, ich hatte sogar manchmal Zweifel darüber. Oft, wenn er sich im Gespräch gehen ließ, hatte ich Gelegenheit gehabt, einen flüchtigen Blick in die dunkle Seite seines Wesens zu tun, dort, wo das »böse Ideal« hauste, und was ich dort noch mehr ahnte als sah, erschreckte mich. – Zuweilen sagte er mir, zwar scherzend, aber hinter diesem Scherz fühlte ich wie ein drohendes Gespenst die Wahrheit, daß auch in meiner Natur etwas Dämonisches liege, und daß ich vielleicht ebensoviel von seinem edlen wie von seinem bösen Ideal an mir habe.

Ich war zu sicher, daß er sich irrte, daß kein Schatten davon in mir war, und dieser Überzeugung entsprang die Furcht, unsere Heirat könne für uns beide zu einem grausamen Irrtum werden. – Dieser Gedanke durchfuhr mich oft wie ein heißer Schreck, und ich mußte all meine Vernunft, all meine Vorsätze zusammenfassen, um Mut und Vertrauen aufrecht zu halten. Doch überfiel mich solcher Kleinmut nur selten; meist war ich ruhig und zuversichtlich.

 

Der Entschluß, in Bruck wohnen zu bleiben, stand bald bei uns fest. Viel trug dazu das freundliche Entgegenkommen der dortigen Bewohner bei. Sobald Leopolds Name unter den Bürgern bekannt geworden, wetteiferten sie förmlich, uns angenehm zu sein. Herr Lippmann, der angesehenste unter ihnen, bot uns in seinem Hause, der sogenannten »Tillschen Mühle«, die von Herrn Till, seinem Schwiegersohn, geleitet wurde, eine leerstehende Wohnung an, und war bereit, uns diese kostenlos zu möblieren, bis wir unsere eigenen Möbel von Graz kommen ließen. Das Haus lag am Eingang der Stadt, am Ufer der Mur, mit schöner Aussicht nach allen Seiten, und von dem Mühlengeschäft nur wenig berührt; die Wohnung gefiel uns, wir mieteten sie, und Herr Lippmann sandte uns die Möbel. Diesen fügte seine liebenswürdige Frau, mit der Fürsorglichkeit einer Mutter, alle in einem Haushalt unentbehrlichen Kleinigkeiten bei, so daß wir bald in einem behaglichen Heim saßen.

Alles zu unserer Heirat Nötige war bereit, und wir warteten nur das Eingehen eines bedeutenden Honorars ab, um nach Graz zu reisen, dort Möbel zu kaufen und uns trauen zu lassen.

Darüber vergingen August und September. Ich glaube, es war die ruhigste und glücklichste Zeit meines Lebens.

Ende September gab es jedoch zwei Vorfälle, die mich aus meiner Ruhe aufscheuchten.

Wir hatten auf unseren Ausgängen häufig vor dem Laden eines Kornhändlers, auf einem Sack in der Sonne liegend, ein kleines graues Kätzchen gesehen, das sehr niedlich war und deshalb von Leopold, der Katzen so gern hatte, stets geliebkost wurde. Der Ladenbesitzer hatte es bemerkt und bot ihm eines Tages das Kätzchen zum Geschenk an. Leopold war glücklich; er nahm den teuren Schatz sofort mit sich nach Hause, und von dem Augenblick an drehte sich unser ganzes Leben nur noch um diese Katze. Obgleich wir über ihr Geschlecht im Dunkel waren, wurde sie »Peterl« genannt, schlief nachts im Bett ihres Herrn und lag tagsüber, in einem Körbchen weich gebettet, auf seinem Schreibtisch; er wollte sie stets vor Augen haben. Unsere langen Spaziergänge wurden aufgegeben; man konnte unmöglich Peterl so lange allein lassen. Das Tier war an so viel Zärtlichkeit offenbar nicht gewöhnt, denn sie bekam ihm nicht. Es wurde melancholisch, verlor den Appetit und die Lust, mit seinem Herrn zu spielen. In einer Nacht erwachte ich, und da stand Leopold an meinem Bett und schluchzte. Voll Schrecken fuhr ich auf und frug, was es gäbe. Kaum fähig zu sprechen und immer von Schluchzen unterbrochen, erzählte er mir, daß Peterl gestorben sei. Es war so rührend und so traurig, wie das arme Tierchen in seinen Händen den Geist aufgab. Er habe dabei an unser Kind denken müssen, und wie das auch so zuckend dagelegen, und es sei ihm gewesen, als ob die Seele des Kindes in dem Tier zu ihm gekommen sei, um nochmals von ihm Abschied zu nehmen. Er hätte nicht gewagt, das sterbende Peterl zu verlassen, sonst wäre er schon früher gekommen und hätte mich gerufen.

Ich stand auf und ging mit ihm hinüber in sein Schlafzimmer, das am andern Ende der Wohnung lag, sah die Leiche, und wir setzten uns hin und hielten Totenwache. Leopold konnte sich gar nicht fassen und hörte nicht auf, zu weinen. Erst nach und nach gelang es mir, ihn zu beruhigen, und als der Morgen kam, und die Sonne hell und siegreich ins Zimmer schien und die tote Katze beleuchtete, da, glaube ich, begriff er, daß diese und unser verstorbenes Kind nicht dasselbe sei, ja, es schien mir, als ob er sich etwas schämte.

Peterl erhielt nichtsdestoweniger zwischen drei hohen schönen Pappeln, die auf der Anhöhe vor unserem Hause standen, eine ernste und würdevolle Grabstätte.

Ein anderer Vorgang war von anderer Tragik.

Es hatte am Morgen stark geregnet, und obgleich am Nachmittag die Sonne hell schien, war doch draußen alles zu sehr durchnäßt, um ein Ausgehen zu ermöglichen. Wir beschlossen also, zu Hause zu bleiben; Leopold wollte fleißig arbeiten, dafür sollte der nächste Tag ganz einem Ausfluge gewidmet werden. Er liebte es, daß ich bei ihm blieb, wenn er schrieb, und so saß ich auch an diesem Nachmittag ihm gegenüber lesend am Fenster. Die Sonne war schon im Begriff, hinter den waldigen Höhen zu versinken, als es mir schien, daß Leopold unruhig wurde; er legte wiederholt die Feder hin, sah mit starren Blicken ins Leere, schien sich dann wieder gewaltsam aufzurütteln und fing wieder an, zu schreiben. Ich dachte, er fühle sich nicht ganz wohl, und wollte ihm eben raten, mit der Arbeit aufzuhören, als er plötzlich aufstand und mit großen Schritten im Zimmer auf-, und abzugehen anfing. Da ich keine Ahnung hatte, was es sein konnte, fand ich es am besten, zu warten, bis er selbst darüber sprechen würde.

Endlich warf er sich wie gebrochen in die Sofaecke und sagte:

»Wanda, komm, setz' dich zu mir, ich habe dir etwas furchtbar Ernstes und Trauriges zu sagen.«

Sein aschgraues Gesicht war wie verfallen, aus seinen tief in den Kopf zurückgesunkenen Augen blickte Angst und Entsetzen.

Nachdem ich mich zu ihm gesetzt hatte, zog er mich ganz an sich heran und umklammerte mich mit seinen Armen, als wollte er sich bei mir vor einer Gefahr schützen. Dann sprach er, schwer und langsam, gepreßt, gleichsam als ob jedes Wort sich erst von einer wunden, schmerzenden Stelle in der Brust losreiße:

»Du mußt jetzt all deinen Mut zusammennehmen und zeigen, daß du das starke, feste Weib bist, für das ich dich immer hielt, denn, was ich dir zu sagen habe, ist so schrecklich, daß ich lange zögerte, ehe ich mich dazu entschließen konnte. Aber was würde es nützen, wenn ich auch jetzt noch, wo ich Gewißheit habe, schweigen würde? – Es ist besser, daß dich das Furchtbare nicht ganz unerwartet trifft. – Ich kann es auch allein nicht länger tragen ... du mußt mir helfen ... beistehen ... bis zum letzten grauenhaften Ende ...«

Er konnte nicht weiter; die Aufregung erstickte ihn. Mir stand das Herz still. Ich nahm alle meine Kraft zusammen, um ruhig zu bleiben, obgleich die Gedanken in rasender Jagd in meinem Kopf stürmten. Um mich nicht zu verraten, schwieg ich, und er fuhr fort:

»Schon seit einiger Zeit bemerkte ich, daß mir oft beim Sprechen das richtige Wort fehle und daß ich ein anderes, ähnliches, aber nicht gleichen Sinnes, ausspreche. Auch beim Schreiben geschieht es mir, nicht das richtige Wort zu finden. Erst achtete ich nicht darauf, dann aber wurde es zu auffallend, und heute nachmittag kam ich zu der Überzeugung, daß meine Beobachtungen die Folge einer Gehirnerkrankung sind, wahrscheinlich beginnender Gehirnerweichung, – das heißt Irrsinn in allernächster Zeit. Du mußt es doch auch bemerkt haben, und du würdest gut tun, es offen zu sagen, damit wir uns mit einem Arzt besprechen können – Rettung ist keine mehr möglich ... aber vielleicht kann man das Ärgste noch hinausschieben.«

Ehe er noch zu Ende gesprochen hatte, riß ich mich gewaltsam von ihm los, und obgleich ich in diesem Augenblick alles glaubte, was er gesagt, so war ich doch überzeugt, daß alles von meiner Haltung abhänge, und darin fand ich die Kraft, Entsetzen und Furcht zu überwinden, um halb lachend, halb ärgerlich zu sagen:

»Aber das ist ja purer Unsinn! Wärst du nicht so aufgeregt, würde ich das Ganze für einen schlechten Scherz halten. Lies doch, was du in den letzten Monaten geschrieben hast, und wenn du darin einen einzigen Satz, eine Wendung, einen Gedanken findest, der nicht ganz klar und rein ist, dann will ich dir deine Gehirnerweichung und alles, was du willst, glauben. Und was das Aussprechen oder Schreiben unrichtiger Worte betrifft, wenn das sichere Zeichen beginnenden Irrsinns sind, dann mußt du mich sofort ins Irrenhaus schaffen lassen, denn an diesem Wahnsinn leide ich schon, solange ich denken kann, und ich glaube, zwei Drittel der Menschheit mit mir.«

Während ich ihn auf diese Weise zu beruhigen suchte, beruhigte ich mich selbst, und jetzt glaubte ich kein Wort mehr von all dem, was er gesagt.

Als ich zu sprechen angefangen, war es Komödie, jetzt konnte ich aufrichtig und aus vollem Herzen lachen und Spott mit ihm treiben. Er sah mich ganz betroffen an; diesen Eindruck hatte er gewiß nicht erwartet. Vielleicht hat er sogar ein wenig bedauert, daß die Geschichte keine tragische Wendung genommen hatte, andrerseits aber, da es ihm ja doch entsetzlich ernst war, war er freudig überrascht, daß ich sie so einfach hinweglachte. Ich sah, wie Spannung und Schrecken aus seinem Gesicht schwanden und freudigem Erstaunen Platz machten.

»Um Gotteswillen, Wanda«, sagte er, »bist du auch aufrichtig? Du weißt, wie groß mein Vertrauen zu dir ist – wenn du in diesem Augenblick wirklich lachen kannst und meine Besorgnisse bespötteln, dann muß ich glauben, daß ich mich irre und daß ich wirklich zu ängstlich war.«

Aber ich ließ mich auf eine ernste Verhandlung darüber gar nicht mehr ein. Um aus dem bereits dämmerigen Zimmer alle Gespenster zu verscheuchen, zündete ich die Lampe an, nahm das Schachbrett und lud ihn ein, eine Partie zu machen. Zehn Minuten nachher war er so in das Spiel vertieft, daß ich gewiß war, daß kein Schatten der vorhergegangenen Erschütterung mehr in ihm nachzitterte. Ich ließ ihn die Partie gewinnen und sagte ihm dann, daß er für einen angehenden Verrückten noch ziemlich gut spiele. Er lachte, und von Gehirnerweichung war nicht mehr die Rede.

 

In den ersten Oktobertagen reisten wir nach Graz.

Wir wohnten bei meiner Mutter, die uns das Zimmer abtrat und sich in der Küche einrichtete. Wir sollten den kommenden Sonntag einmal für dreimal verkündet und an einem der darauffolgenden Wochentage getraut werden. Die Zeit bis dahin verbrachten wir mit Einkäufen und Besuchen. Das große Ereignis dieser Tage war meine Einführung bei Leopolds Vater.

Der Hofrat war mit der Verlobung seines Lieblingssohnes Karl nicht zufrieden.

Leopolds Bruder Karl hatte sich kürzlich verlobt. Seine Braut wohnte in demselben Hause und war die Tochter einer an Kindern reich gesegneten Frau; sie war arm, hatte keine besondere Erziehung erhalten – und kurz und gut, der Herr Hofrat fand, daß sein Lieblingssohn Karl Besseres verdient hätte. In seiner rücksichtslosen Art beschuldigte der alte Herr Frau Guttmann, die Mutter der Braut, sie habe es von jeher auf seine Söhne abgesehen für ihre Töchter. Leopold hatte dieselbe Ansicht, denn er war, wie er sagte, einmal sehr nahe daran, Helene, der ältesten von den Schwestern, »ins Garn zu gehen«. Seit der Zeit, meinte er, sehe ihn die Familie Guttmann mit schiefen Augen an.

Der Herr Hofrat empfing mich sehr höflich, aber kalt. Auch ich war nicht die Schwiegertochter nach seinem Geschmack. Er ärgerte sich um so mehr über die Wahl seiner Söhne, als er ein Mädchen unter der Hand hatte, das ganz so war, wie er sich seine Schwiegertochter wünschte, und stets gehofft hatte, daß sie es eines Tages auch werden würde. Als unmittelbare Nachbarinnen hatte der Hofrat die Baronin X... und ihre Tochter. Die Baronin war Witwe, sehr vornehm und sehr arm.

Leopold stellte mich auch der Baronin vor, und da sah ich das junge Mädchen, eine feine schlanke Erscheinung mit sanftem, blassem Antlitz und jenem resignierten Ausdruck, der in jungen Gesichtern so traurig berührt. Ich konnte wohl begreifen, daß dem Hofrat dieses Mädchen mit seinem weltgewandten sicheren Wesen, den vollendeten Umgangsformen, wie man sie nur in den höchsten Kreisen antrifft, eine liebe und hauptsächlich eine standesgemäße Schwiegertochter gewesen wäre. Ich frug Leopold, warum er den Willen des Vaters nicht erfüllt und um die Baronesse geworben habe. Er gab mir zur Antwort: »Weil ich kalte Pasteten nicht liebe!«

»Und Karl?« frug ich weiter.

»Derselbe Grund.«

Er erzählte mir auch von dem »glänzenden Elend«, in dem die beiden Frauen lebten; und wie oft sein Vater, wenn er durch die Indiskretion seiner Haushälterin erfahren, daß drüben bei der Baronin schon seit einigen Tagen nicht mehr gekocht werde, einen Vorwand gefunden habe, um ein feines Diner zu geben, zu dem er seine Nachbarinnen bat; und wie dann, wenn der Geruch der guten Speisen aus der Hofratsküche durch das Haus zog, die immer hungrigen Kinder der Frau Guttmann die Nasen zu den Türen heraussteckten, und wenn sie erst merkten, was los war, den richtigen Moment ablauerten und in das Speisezimmer des Vaters einbrachen, um einen guten Bissen zu erschnappen. Der Hofrat, der in seinem Auftreten ganz Grandseigneur war und noch an den Traditionen polnischer Gastlichkeit festhielt, soweit es seine Mittel erlaubten, ließ sich diese Invasion gern gefallen, obgleich er die Guttmannsche Jugend wegen ihrer ungeschliffenen Art nicht liebte.

Der alte Herr schloß sich jetzt noch mehr an seine beiden Nachbarinnen an, als wollte er ihnen dadurch zeigen, daß er über die »Dummheiten« seiner Söhne genau so denke wie sie selbst.

Ich machte auch meiner zukünftigen Schwägerin einen Besuch. Dort aber wurde ich direkt unfreundlich empfangen. Sie war erst siebzehn Jahre alt und hatte mir viel zu verzeihen. Zuerst war ich im Begriff, den Platz einzunehmen, den ihre Familie ihrer Schwester Helene bestimmt hatte; dann war das Haus in der Jahngasse gar sehr adelsstolz; es wohnten hier fast nur Adelige und war ein richtiges »Adelsnest«. Meine kleine Schwägerin war zwar auch nicht von Adel, aber sie hatte so viele Bekannte und Verwandte, die es waren, und das war schon etwas – ich aber war nicht einmal »von Familie«, das Ärgste aber endlich war, daß ich mit Sacher-Masoch als seine »Maitresse« nach Wien gegangen ... Nun, da mußte man schon seine Röcke zusammennehmen, um sie nicht zu beschmutzen.

Unsere Trauung fand am 12. Oktober 1873 in der Pfarrkirche zum »Heiligen Blut« statt. Zwei ehemalige Bekannte von mir und meiner Mutter, die Herren Kassendirektor Biber und Staatsanwalt Sanchez de la Cerda, waren meine Beistände; ein Onkel Leopolds, der damalige Brigadegeneral in Graz, Baron Kövöcs, mein »Brautführer«. Meine Mutter und Bruder Karl waren auch zugegen.

Wir hatten an dem Tage beim Hofrat gegessen, auch den Nachmittag mit ihm verbracht und gingen von dort direkt in die Kirche, Leopold im Gehrock und ich in einer schwarzen Straßentoilette. In der Sakristei fanden wir bereits meine Zeugen im Frack, und General Kövöcs in goldstrotzender Galauniform. Ich sah mich nach meiner Mutter um und entdeckte sie im Schatten eines großen Schranks.

Die Trauung war für 5 Uhr angesagt, aber schon eine Stunde vorher soll die Kirche gedrängt voll Menschen gewesen sein.

Um Geld zu sparen und in Übereinstimmung mit unsern Ideen wollten wir keine »Hochzeit« haben und hatten auch für die Trauung nur die niedrigste Taxe bezahlt, und dafür das erhalten, was die Kirchenleute eine »arme Trauung« nennen, das heißt, einen ganz schmucklosen Altar, auf dem nur zwei Kerzen brannten, deren trübseliges Licht die Dunkelheit noch dunkler machte, und einen Priester, der auf einer Seite etwas gelähmt war, sich nur schwer bewegte und noch schwerer sprach. Er machte die Sache kurz und das war das Beste, was er tun konnte. Wir hatten die Absicht, nach der Trauung einen Spaziergang von einer Stunde zu machen, um meiner Mutter Zeit zu geben, das Essen zu bereiten. Durch ein Hinterpförtchen verließen wir die Kirche, gingen durch den Bischofshof hinaus auf die Ringstraße, um durch das Paulustor zurückzukehren.

Es war finstre Nacht, die ein starker Nebel, der sich schwer und feucht auf alles legte, noch verdichtete. Leopold hielt sich fest an mich, denn der Boden war schlüpfrig und er fürchtete zu fallen; er hatte sich sein Foulard um den Hals gebunden, den Rockkragen hinaufgezogen und hielt sich sein Taschentuch vor den Mund, wenn er sprach. Er war sehr heiter, sehr glücklich und sehr befriedigt, als wäre er erst jetzt meines Besitzes ganz sicher. Ich bemerkte, daß ihm die religiöse Seite der Trauung Eindruck gemacht, und das erstaunte mich. Er sprach von seiner Liebe zu mir und breitete einen ganzen Himmel voll Glück und Sonnenschein vor mir aus.

Als ich mich ihm vor einem Jahre freiwillig vermählt hatte, tat ich es mit frohem, freudigem Herzen, nur von dem einen Gedanken geleitet, dem Manne, dem ich so viel dankte, soviel Glück zu geben, als in meiner Macht stand. Als wir aber jetzt dieselben Ringe, die wir damals in so heiterer Stimmung gewechselt, uns vor dem Altar neuerdings an die Finger steckten, der Priester unsre Hände ineinanderlegte und Leopolds kaltfeuchte Hand die meine fest umschlang, da war nichts Freudiges in mir, nur das erkaltende Bewußtsein, daß unser Leben jetzt für immer aneinandergeschmiedet war, daß das stolze schöne Verhältnis freiwilligen Gebens und Nehmens, das bisher zwischen uns war, aufgehört hatte. Jetzt war mein Leben nicht mehr mein und alles, was ich ihm zu geben bereit war, kein Geschenk mehr, sondern meine Pflicht.

 

Bei meiner Mutter trafen wir ein junges Mädchen, Adele Strohmeier, deren Bekanntschaft sie während meiner Abwesenheit gemacht hatte. Die Schwestern Strohmeier waren wegen Ihrer Schönheit in Graz allgemein gekannt; Adele war gewiß die Schönste von allen. Sie war groß und trotz ihrer Jugend voll entwickelt. Meine Mutter hatte mir schon vorher erzählt und ich freute mich jetzt, diese Schönheit in Ruhe anschauen zu können. Dies Vergnügen wurde durch die unbefangene, fast kindliche Art ihres Wesens und die harmlose Freude, die sie über die Bewunderung, die ihre Schönheit erregte, zu empfinden schien, noch erhöht. Meine Mutter liebte sie sehr, und das junge Mädchen hatte sich der alten einsamen Frau angeschlossen und so gleichsam ein wenig meine Stelle bei ihr eingenommen.

Sie war übrigens seit Wochen bei Verwandten abwesend gewesen. Eben zurückgekehrt, stand sie im Begriff, meine Mutter zu besuchen; ihr Weg führte sie an der Kirche vorbei, wo, wie sie sah, eine Trauung stattfand; neugierig war sie eingetreten und hatte gesehen, wer getraut wurde. Da sie meine Mutter allein nach Hause gehen sah, hatte sie sich ihr angeschlossen.

Meine Mutter flüsterte mir zu, ich möchte Adele doch zum Essen behalten, es würde ihr gewiß viel Freude machen. Ich tat es gern.

Als Leopold beim Eintritt in das Zimmer Adele erblickte, starrte er sie erst eine Weile sprachlos an; darüber brach das Mädchen in ein lustiges Lachen aus, in das ich und meine Mutter unwillkürlich mit einstimmten. Dann lachte auch er und sagte ihr, sie müsse ihm sein dummes Betragen verzeihen, denn über ihre Schönheit sei ihm der Verstand still gestanden.

Adele war gerade im Begriff, den Tisch für uns zu decken, als wir kamen; Leopold bot ihr jetzt an, ihr dabei zu helfen, und da sie damit einverstanden war, bat er sie, doch einen Pelz anzuziehen und ihm dann zu befehlen, was er zu tun habe, es würde ihm dann vorkommen, als sei sie eine schöne Sultanin und er ihr Sklave. Das war Adele ganz recht und, nachdem er ihr aus meinen Pelzjacken eine in violettem Samt, die zu ihrer blonden Schönheit sehr gut stand, ausgewählt hatte, zog sie sie an und das Spiel begann.

Wir saßen bald unter fröhlichem Geplauder um den Tisch. Leopold saß Adele gegenüber und hatte nicht Augen genug, um sie anzuschauen. Sie hatte etwas Träges, das ihr reizend stand. Zuweilen legte sie Messer und Gabel hin und lehnte sich zurück in dem Stuhl wie ein Kind, das sich müde gespielt und sich jetzt mit glücklichem Lächeln ausruht. Ihre übermäßig erweiterten Pupillen, die nur ein schmaler blauer Ring umgab, ließen ihre Augen ganz dunkel erscheinen und hoben die blütenhafte Zartheit ihrer Haut noch mehr. Leopold frug sie, ob ihre Schwestern auch so schön seien wie sie, und da erzählte sie voll Eifer, daß ihre vor einem Jahr verstorbene Schwester noch viel schöner gewesen und eine andre, die jetzt an der Schwindsucht zu Hause liege, noch vor wenigen Monaten die blühendste von allen gewesen sei. Dann fügte sie leise und angstvoll hinzu, daß sie und alle ihre Geschwister an der Schwindsucht sterben müßten, noch ehe sie ihr fünfundzwanzigstes Jahr erreichten, und wenn ihre jetzt kranke Schwester tot sein werde, die Reihe an sie käme. Während sie das sagte, bemerkte ich, wie alle Farbe aus ihrem Antlitz gewichen war und ihre Haut sich schauernd zusammenzog.

Wir schwiegen alle. Des Todes kalter Hauch hatte uns berührt und unsere Blicke nach jenem Abgrund hingezogen, in dem mühseliges Alter wie blühende Jugend für ewig versinken. Leopold war erdfahl geworden und stierte mit groß aufgerissenen starren Augen ins Leere; auch er hatte drei Geschwister an derselben Krankheit und in demselben jugendlichen Alter verloren.

Meine Mutter brachte eine Flasche Champagner; und in dem schäumenden Wein ertränkten wir das Grauen.

Adele trug ihr reiches goldblondes Haar am Hinterkopf in einem länglichen Knoten gewunden, der ihr zum Teil in den Nacken hing und nur mit einer einzigen großen Nadel in Form eines Pfeiles gehalten war. Indem meine Mutter ein Glas über Adeles Kopf hinweg Leopold reichte, blieb sie mit den Spitzen ihres Ärmels an dem Pfeil hängen und zog ihn heraus. Ehe das Mädchen es noch verhindern konnte, fiel die goldige Flut herab, sie samt dem Stuhl, auf dem sie saß, einhüllend, daß nur noch ihr frisches Gesicht mit den glücklichen, lachenden Kinderaugen aus den weichen glänzenden Wellen hervorsah. Sie wollte das Haar wieder zusammenfassen, aber wir baten sie, noch so zu bleiben, um das Vergnügen ihres Anblicks zu verlängern. Sie tat es in der ihr eigenen harmlosen Freudigkeit und ohne eine Spur von Koketterie.

Es war fast Mitternacht, als sich Adele von uns verabschiedete. Sie wollte mir danken, aber ich legte ihr den Finger auf den Mund, umarmte und küßte sie, und in diese Bewegung legte ich all die warme Dankbarkeit, die ich nicht aussprechen konnte aber tief empfand, dafür, daß sie mit ihrer Gegenwart, ihrer Jugend und Schönheit, am meisten aber mit ihrer einfachen Treuherzigkeit meinen so düster begonnenen Hochzeitsabend erhellt und erfreut hatte.

 

Am Morgen nach unsrer Heirat zeigte mir Leopold die »Tagespost« mit einer Notiz, in der es hieß, Sacher-Masoch habe sich gestern in der Stadtpfarrkirche mit der Baronesse von Rümelin vermählt. Rot vor Scham über diese lügenhafte Standeserhöhung frug ich ihn, wer es getan habe, und er lachte und gestand, daß er es sei und daß er sich freue, die Grazer damit ärgern zu können.

Das war nicht nur unwahr, es war auch nicht klug, denn in Graz gab es schließlich Leute genug, die mich kannten und wußten, daß ich keine Baronesse war ...

Viele Jahre später las ich in einem Brief Turgenjews an den Berliner Journalisten Pietsch, in welchem er seinem ganzen Haß gegen Sacher-Masoch die Zügel schießen läßt, bei diesem fange das Weib erst bei der Baronin an.

Und doch hatte der Russe unrecht, denn bei Sacher-Masoch ging diese Eitelkeit nicht tief, wie hätte er sonst mich, ein ganz armes Mädchen und nicht von »Familie«, wie meine Schwägerin sagte, zu seiner Frau gemacht; er war vielmehr ein lustiger Flunkerer, der hinterher über die Genarrten lachte. Allein der Schein war gegen ihn und Turgenjew hatte nach diesem geurteilt.

Am Abend dieses Tages gab es im »Thaliatheater« aus Anlaß eines berühmten Gastes eine besonders glänzende Vorstellung, die wir besuchten.

Mein Mann hatte mich gebeten, meinen hellroten, bis an die Erde reichenden, ganz mit Hermelin gefütterten und reich ausgeschlagenen Pelz anzuziehen, dazu einen weißen Spitzenschleier um den Kopf zu schlingen. Als ich so angetan in unsrer Loge erschien, wandten sich in dem gedrängt vollen Saal alle Augen nach mir. Sie hatten ja alle die Notiz über unsre Heirat gelesen und freuten sich, jetzt über die »Baronesse« und ihren exotischen Putz lachen zu können. Während eines Aktes kam General Kövöcs in unsre Loge; er grüßte mich kalt und warf einen strengen Blick auf meine Toilette. Auch er! dachte ich, und er wußte doch ganz genau, wer mich so angezogen hatte.

Leopold empfand das Aufsehen, das wir gemacht, wie einen Triumph. »Du hast Sensation gemacht«, wiederholte er immer wieder auf dem Heimweg.

Am nächsten Tag kehrten wir nach Bruck zurück und zwei Tage später folgte uns meine Mutter dahin nach.

 

Die nächste Zeit beschäftigten wir uns fast ausschließlich mit der Einrichtung unsrer Wohnung.

Nachdem die Möbel gestellt, die Bücher eingeordnet waren, die Bilder an ihrem Platz hingen, begann er seine Photographien auszupacken. Da kamen sie alle zum Vorschein, eine nach der andern, seine vergangenen Liebschaften, und er garnierte damit seinen Arbeitstisch in derselben sorglosen, unbefangenen Weise, in der er mir von ihnen erzählt hatte. Es waren ihrer viele, genug, um für das Leben mehrerer Männer auszureichen. Ich saß bei ihm, während er sie aufstellte, was er mit viel Überlegung und großer Sorgfalt tat. Die bedeutendsten zunächst so, daß er, wenn er beim Schreiben aufblickte, sie sah, dann in gehörigem Abstand die andern, die sein Herz nur flüchtig bewegt hatten. Zu denen, die in erster Reihe standen, gehörte Frau v. P..., um deren Gunst er einst mit Graf Hendl konkurrierte. Ehe er sie hinstellte, reichte er sie mir, damit ich sie ansähe und bewundre.

 

Ich hatte von Graz ein junges Dienstmädchen mitgebracht. Sie war vom Lande, die Tochter eines Chirurgen und hielt sich für »gebildet«, weil sie je vous baise la main sagen konnte, sonst aber war sie durchaus nicht albern, hatte einen frischen muntern Geist und drallen Körper. Auf dem Dorfe muß sie für eine Schönheit gegolten haben, Leopold meinte sogar, sie hätte etwas von einer »Brunhilde« an sich, aber dazu war sie doch zu kurz geraten. Jedenfalls war er über den »glücklichen Wurf«, den wir mit ihr getan, sehr zufrieden.

Während die Wohnung eingerichtet wurde, half Marie, so hieß das Mädchen, Leopold beim Aufstellen seiner Bücher und Aufhängen der Bilder. Da er Furcht hatte, auf eine Leiter zu steigen, war's Marie, die die Nägel einschlug und die Bilder aufhängte, was mit viel Gelächter und Späßen geschah. Nachdem aber in der Wohnung alles an seinem Platz war, gab es für Marie viel freie Stunden, und um diese auszufüllen, versorgte Leopold sie mit Romanen. Doch Marie las nicht allein die Bücher, die er ihr gab, sie kritisierte sie auch. Als ich darüber lachte, wurde er beinahe böse und sagte, Marie präsentiere ihm den gesunden Volksgeist, daß jeder Schriftsteller gut tun würde, einfache Menschen um ihre Meinung zu fragen und sich darnach zu richten, denn daran könne jeder lernen. Und dann erzählte er mir, wie Molière alle seine Stücke seiner Haushälterin vorgelesen und ihr Urteil stets als richtig erkannt habe. Es gab jetzt in der Küche lange literarische Gespräche, die Leopold die Spaziergänge, die er sonst machte, ersetzten. Marie war die wichtigste Person im Hause, alles was sie gesagt, wiederholte er mir, so bedeutend kam es ihm vor.

Die Abende waren schon lang, und um sie zu verkürzen, arrangierte Leopold »Räuberspiele«. Ich und Marie waren die Räuber und er der Verfolgte. Ich mußte Marie eine meiner Pelzjacken geben und selbst eine anziehen, denn ohne diese würden wir nicht wie Räuber ausgesehen haben. Das war ein Laufen, Jagen, Verstecken und Suchen in der großen Wohnung, bis wir den Verfolgten eingefangen hatten. Dann mußte er mit Stricken an einen Baum gebunden werden, und wir, die Räuber, hielten Gericht. Natürlich wurde er zum Tode verurteilt, ohne daß wir auf sein Flehen um Gnade achteten ...

Bis dahin war es Spiel, von da an aber gab Leopold der Sache einen ernsteren und mir sehr peinlichen Anstrich. Er wollte wirklich eine Strafe erleiden, die ihm Schmerz verursachte, und da wir ihn ja nicht ermorden konnten, so sollten wir ihn wenigstens schlagen und zwar mit Stricken, die er dazu bereitgelegt.

Ich wollte darauf nicht eingehen, aber er gab nicht nach, fand meine Weigerung kindisch und sagte, wenn ich es nicht täte, würde er sich von Marie allein peitschen lassen, denn er sehe an ihren Augen, daß sie dazu große Lust habe.

Um das zu vermeiden, versetzte ich ihm einige leichte Streiche. Er war damit nicht zufrieden, und da ich erklärte, daß ich nicht stärker schlagen könne, sagte er, er wolle absolut geschlagen werden und mit ganzer Kraft, Marie würde das besser machen als ich.

Ich ging aus dem Zimmer. Ich glaubte, damit würde die Sache aufhören, aber das war nicht der Fall. Marie schlug ihn, wie er es wünschte, mit ganzer Kraft, denn ich hörte noch im zweiten Zimmer, wie die Hiebe auf seinen Rücken niederfielen.

Minuten wurden mir zu Ewigkeiten. Endlich hörte die Qual auf. Unbefangen, freundlich kam er zu mir herein und sagte:

»Na, die hat mich ordentlich durchgehauen. Mein Rücken muß voll Striemen sein. Du hast keine Idee, was das Mädel Kraft in den Armen hat. Mit jedem Hieb glaubte ich, das Fleisch würde mir zerrissen.«

Ich wollte auf diesen Ton nicht eingehen und schwieg. Er sah mich an und jetzt merkte er, daß ich nicht scherzhafter Stimmung war.

»Was hast du?« frug er. »Ist dir was nicht recht?«

»Es ist mir nicht recht, daß du dich von der Magd schlagen läßt.«

»Ja, siehst du denn darin etwas? dann ist es natürlich was andres. Aber wie hätte ich nur denken können, daß du auf das dumme Mädel, die Marie, eifersüchtig sein könntest.«

»Es paßt sich nicht, daß die Magd den Herrn schlägt. Wir kommen dadurch alle drei in eine schiefe Stellung. Und dann mußt du von Marie nicht erwarten, daß sie darüber schweigt; lustig und übermütig wie sie ist, wird sie es allen erzählen, mit denen sie zusammenkommt. Was wird man im Ort von uns denken, wenn das bekannt wird?«

»Aber man könnte ihr ja verbieten, es zu sagen.«

»Der Magd, die dich geschlagen, kannst du nichts mehr verbieten. Und wenn du es tätest, dann gibst du der Sache erst recht eine verdächtige Färbung. Marie muß sofort aus dem Hause. Damit ist dem Skandal wenigstens hier ein Ende gemacht.«

»Du hast recht. Ich habe nicht so weit gedacht. Ja, schicke sie nur fort, sobald als möglich. Am besten wär's, sie ginge noch heute abend.«

Mit dem ersten Zug, der am andern Morgen nach Graz fuhr, reiste Marie ab. Ich ersetzte sie durch eine vierzigjährige, ganz reizlose Person.

 

Anfangs November erhielten wir von Graf Hendl einen ganz verzweifelten Brief. Seine Lage war schrecklicher als je.

Wir baten ihn zu uns zu kommen und hier abzuwarten, bis sich was für ihn fände.

Zwei Tage später kam Hendl an. Es war gut, daß es schon Nacht war, als der Zug einfuhr, denn der Arme sah nicht sehr präsentabel aus. Er schien auch krank zu sein, und war es wirklich. Am andern Morgen konnte er nicht mehr aufstehen, und als der Arzt kam, erklärte er, eine Operation würde nötig sein.

Zu Weihnachten ging es ihm wieder gut und um ihm eine Freude zu machen, luden wir für die Feiertage seinen Bruder Ludwig, der Zögling der Neustädter Akademie war, ein, und da ging's denn bei uns recht lebhaft zu. Eine fröhliche, glückliche Stimmung beherrschte alle; Hendl hatte mit seiner Gesundheit auch seinen köstlichen Humor wiedergefunden und gab damit oft genug Anlaß zu schallendem Gelächter.

So liebte Leopold zu leben. Je mehr Gäste im Hause waren und an seinem Tisch saßen, je reichlicher dieser besetzt war, um so behaglicher fühlte er sich.

In dieser Zeit lernte ich noch einen andern Freund meines Mannes kennen, der auch bald mein Freund wurde.

Schon als wir im August nach Bruck gekommen waren, hatte man uns gesagt, daß der Baron Ferdinand Staudenheim mit seiner Frau und seinem Kinde hier wohne. Für Leopold war es eine freudige Überraschung, denn der Baron war ein lieber Jugendfreund, den er schon viele Jahre nicht mehr gesehen hatte. Im Oktober war die Baronin mit dem Kinde zurückgekehrt, während Staudenheim noch bei Freunden zur Jagd bleiben sollte und erst später nachkommen würde.

Jetzt war er gekommen und sein erster Gang galt uns. Die beiden Freunde staunten sich gegenseitig an, und konnten sich gar nicht darüber beruhigen, daß sie sich nach so langen Jahren der Trennung hier in diesem einsamen, abgelegenen Städtchen als verheiratete Männer wiedersahen.

Staudenheim mußte jedem gefallen, der ihn sah; er war eine schöne männliche Erscheinung, voll Kraft und Geschmeidigkeit, wie sie Sportsleuten eigen ist; etwas Gesundes, Frisches ging von ihm aus, das sofort für ihn einnahm, dazu stimmte auch sein hübsches, offenes, einfaches Gesicht, ich meine ein Gesicht, das nicht beunruhigte, hinter dem man nichts zu suchen und nichts zu fürchten brauchte. Und wie strahlte er von Lebensfreudigkeit! Wenn er lachte, war es mir, als ob sich eine warme Hand auf mein Herz legte.

Staudenheim sagte uns gleich bei seinem ersten Besuch, daß er mit seiner Frau nicht harmoniere und es ihm lieber wäre, wenn wir mit ihr nicht bekannt würden, weil ihm sonst die Freude an unserm Verkehr verkürzt würde. Wir waren ganz damit einverstanden und damit war das abgetan.

Weihnachten brachte uns allen reiche Geschenke – reicher als es unserer Kasse angemessen gewesen wäre, allein Leopold hatte bei den Kaufleuten in Bruck unbeschränkten Kredit gefunden und benutzt, um Weihnachten nach seinem Herzen zu halten.

Die Glücklichste im Hause war aber gewiß Lisi, unsere Magd. Erst sollte sie nur ein schwarzes Kleid erhalten, aber da erzählte irgend jemand bei uns, daß sie neun Kinder gehabt habe, die alle bald nach der Geburt gestorben, ohne krank gewesen zu sein, und daß in der Stadt die Meinung verbreitet sei, Lisi habe Engelmacherei getrieben. Von dem Augenblick an fand sie Leopold »interessant« und suchte sie öfter in der Küche auf, um mit ihr zu reden. »Sie hat böse Augen«, sagte er dann, »und man könnte ihr schon Grausamkeiten zutrauen.«

Dank ihrer bösen Augen bekam sie zu dem Kleide noch einen schönen Pelz.

* * *


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