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Im Jänner 1874 fanden wir für Graf Hendl eine Stellung bei dem Grundbesitzer und Kaufmann Krändl. Er verließ unser Haus, da mit seiner Stellung volle Verpflegung verbunden war.

Jetzt wurde es wieder still bei uns. Leopold arbeitete wieder fleißig, und das war nötig, denn wir hatten beinahe kein Geld im Hause und lebten fast nur auf Kredit. Wir hatten gehofft, Madame Therese Bentzon, die mit erstaunlichem Eifer fortfuhr, die besten Novellen Sacher-Masochs für die Revue des deux mondes zu übersetzen, würde sich endlich entschließen, dem Autor irgendeinen bescheidenen Anteil an dem Honorar, das sie erhielt, zukommen zu lassen. Sie tat es nicht, und da Leopold endlich anfing die Geduld zu verlieren und ihr einen zarten Wink gab, hatte sie die Kühnheit, zu antworten, Buloz zahle an junge Schriftsteller keine Honorare, diese fänden sich durch die Auszeichnung, in der ersten Revue der Welt mitzuarbeiten, reichlich entschädigt. Das schien uns damals schon nicht sehr wahrscheinlich und stellte sich später, als Sacher-Masoch direkt mit Buloz verhandelte, als eine freche Lüge heraus. Als Entschädigung für das Honorar sandte Madame Bentzon an Leopold ihr Bild.

Im Februar schneite es eine Woche lang, und dann lag der Schnee so hoch, daß voraussichtlich für lange Zeit an Spazierengehen nicht zu denken war. Um sich aber doch etwas Bewegung und Zerstreuung zu verschaffen, schlug Leopold vor, mich das Billardspiel zu lehren. Ich war gern dazu bereit, und wir gingen nun jeden Tag in das uns gegenüberliegende einzige Kaffeehaus in Bruck, zu der Stunde, wo es stets leer war. Staudenheim kam gleichfalls hin und einige Offiziere des 9. Jägerbataillons, das in der Stadt in Garnison lag, und die wir durch Staudenheim und Hendl kennen gelernt hatten. Die Herren unterstützten meinen Mann beim Unterricht und bemühten sich alle, mir ihre versteckten Kunstgriffe beim Spiel beizubringen. Bei so vielen Lehrmeistern machte ich rasch Fortschritte und spielte bald erträglich. Auch Fechten lehrte mich mein Mann, und das gefiel mir noch besser als das Billardspiel. Selbstverständlich mußte ich bei dem einen wie bei dem andern immer eine Pelzjacke anhaben, denn dadurch erhielt das Vergnügen für Leopold erst seine Würze.

Am liebsten waren mir die Abende. Dann schrieb Leopold in seinem Zimmer, und ich und Staudenheim saßen im Salon beim Schach. Wir hatten die Türen des Salons, die häßlich waren, wegnehmen und durch Portieren ersetzen lassen. Da meine Mutter die Gewohnheit hatte, gleich nach dem Abendessen zu Bett zu gehen, und auch Lisi jeden Abend für einige Stunden unsichtbar wurde, herrschte im Hause tiefe Stille, die nur unterbrochen wurde von dem knisternden Geräusch des Papiers, wenn Leopold ein Blatt vollgeschrieben hatte und es weglegte, oder dem leisen Anschlagen der Figuren auf das Brett.

Ich und Staudenheim waren gute Kameraden geworden und verkehrten als solche in ungezwungener, natürlicher Weise. Seine frische, glückliche Natur wirkte wohltuend auf mich; in seiner Gegenwart fühlte ich mich leichter, freier, die Spannung, in der mich meine neue Lebenslage beständig hielt, ließ nach, und ich empfand das Leben einfacher und natürlicher. Wenn Leopold in seiner Arbeit eine Pause machte, kam er zu uns herein und besah sich das Spiel. Manchmal geschah es, daß es ihn so sehr fesselte, daß er dablieb, bis es zu Ende war, worüber es zuweilen Mitternacht wurde.

Eines Abends kam er wieder so herein, um nach der Partie zu sehen. Ich war sehr in der Enge, und mein Gegner hatte mich bald mit ein paar Zügen matt gesetzt. Da sagte mein Mann zu Staudenheim: »Ich bin erstaunt, mit welcher Ruhe du mit meiner Frau spielst und fast stets gewinnst. Ich bin ihr im Schach entschieden überlegen, und doch verliere ich mit ihr fast jede Partie.«

»Wieso?«

»Du weißt, was sie für schöne Hände hat. Wenn sie nun so dasitzt, über ihren Zug nachdenkt und dabei ihre weiße Hand mit den beseelten Fingern über den Figuren schwebt, dann ist es mir, als ob diese Hand im nächsten Augenblick nach meinem Herzen greifen würde ... ich bekomme Angst ... verliere die Geistesgegenwart ... und das Spiel. Mit Frauen Schach spielen, ist für Männer immer eine gewagte Sache – und nun erst, wenn man in seine Gegnerin verliebt ist, wie ich in Wanda.«

Staudenheim hatte erst überrascht zugehört; offenbar wußte er nicht recht, wo das hinaus sollte. Dann wurde er einen Augenblick verlegen, faßte sich aber rasch wieder und zog die Sache ins Scherzhafte, indem er sagte:

»Gnädige Frau, wenn Sie Lust haben, nach meinem Herzen zu greifen, dann tun Sie's nur, es wird Ihnen auf halbem Wege entgegenkommen.« Und dann, sich an Leopold wendend, fuhr er fort: »Nein, mein lieber Dichter, schöne Frauenhände machen mir nicht Angst; selbst diese nicht«, und er zeigte unter den Tisch, wo ich meine Hände versteckt hielt, »obgleich es die schönsten sind, die ich je gesehen.«

Einige Tage vorher hatte ich beim Billardspiel Leopold zu einem der Offiziere sagen hören, es sei zu bedauern, daß sich die Frauen nicht mehr am Billardspiel beteiligten, weil es ihnen, wie kein anderes Spiel, Gelegenheit gäbe, durch graziöse Bewegungen ihre schönen Körperformen vorteilhaft zu zeigen. Ich war seit dem Tage nicht mehr hingegangen und hatte einen guten Vorwand dazu: ich war wieder schwanger und sagte, die starken Bewegungen beim Spiel würden mir nicht gut tun. –

Ich fürchtete, daß die Äußerung meines Mannes meine Beziehungen zu Staudenheim trüben würden; es war nicht so. Es war, als ob zwischen mir und ihm ein geheimes, stummes Einverständnis bestände, uns die Freude des Beisammenseins nicht stören zu lassen. Diese abweisende Ruhe und Sicherheit fußte auf der Reinheit und Rechtschaffenheit unseres Verkehrs.

 

Ostern war herangekommen und sollte uns den Besuch Schwager Karls bringen.

Unter den Sachen, die mein Mann von seinem Vater mitgebracht, befanden sich einige Kisten, die seine »Armeen« enthielten. Die beiden Brüder hatten als Knaben leidenschaftlich Soldaten gespielt; die Freude an diesem Spiel wuchs mit ihnen groß, und als sie Männer waren, lieferten sie sich Schlachten, deren Entwurf, Ausführung und Resultat gewiß von keinem Berufsheerführer hätte ernster genommen werden können. Die lange Abwesenheit Leopolds von Graz hatte eine lange Friedensperiode zur Folge, die dem kriegerischen Geist, der die beiden beseelte und nach Betätigung verlangte, nicht zusagte. Jetzt, in den Osterfeiertagen, sollte das Versäumte nachgeholt und eine Schlacht geliefert werden, wie sie in keinen Kriegsannalen noch verzeichnet war.

Vor allem galt es, eine Revision der Truppen vorzunehmen, die Regimenter zu vervollständigen, die fehlenden Mannschaften einzuberufen und Munition und Waffen anzuschaffen.

Die Schriftstellerei wurde vorläufig auf den Nagel gehängt, und es ging ans Kistenauspacken. Ich durfte beim Inspizieren der Truppen helfen, das heißt, die gleichmäßigen blauen Schachteln, in welchen die Soldaten ihre Friedensjahre verbracht hatten, aus den Kisten nehmen und nach den Aufschriften in Regimenter ordnen. Es war keine mühevolle Arbeit, und wenn alle Armeen sich in so musterhafter Ordnung befinden, dann ist die Aufstellung eines Kriegskorps keine erdrückende Aufgabe. Die blauen Schachteln enthielten zwei Armeen, die deutsche und die österreichische; sie waren aus Bilderbogen ausgeschnitten und schön auf kleine Holzklötzchen geklebt. Das österreichische Heer stand unter der Führung Leopolds, während Karl das deutsche kommandierte. Mein Schwager war nämlich, obwohl in Lemberg von polnischen Eltern geboren und bis zu seinem zwölften Jahre kein Wort deutsch sprechend, ganz deutsch gesinnt, während mein Mann bis in seinen letzten Blutstropfen Slave war – von der echtesten schwarzgelben Färbung.

Unter solchen Verhältnissen war es begreiflich, daß es zwischen Deutschland und Österreich häufig zu Konflikten kam, die auf dem Schlachtfelde ausgetragen werden mußten.

Die Truppenschau wurde für Leopold zu einer aufregenden Freude, weil sie ihm Gelegenheit gab, mir all die Helden seiner Armee persönlich vorzustellen, wobei er mir erzählte, wo und wie sie sich ausgezeichnet hatten.

Auf diese Weise machte ich mit allen in der österreichischen Armee bekannten Namen Bekanntschaft, sowie denen der Freunde und Verwandten meines Mannes, die im Militärdienst standen.

Der Entwurf des Feldzugsplanes verlangte ernstes Nachdenken und nahm Leopolds ganze Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch. Er besah sich sehr eingehend unsere Wohnung und fand, daß sie sich vorzüglich zu einer großen Schlacht eigne. Das Zusammentreffen der feindlichen Armeen sollte im Salon, der zwischen dem Speise- und meinem Schlafzimmer lag, stattfinden. Die Österreicher würden die an mein Zimmer stoßende Hälfte besetzen, während die andere Hälfte mit dem Speisezimmer dem deutschen Heer überlassen sein sollte. In meinem Schlafzimmer und auf der anderen Seite im Speisezimmer würden die Reservetruppen Aufstellung nehmen.

Am Auferstehungstage, mittags, kam Karl an, und gleich nach Tisch wurde mit dem strategischen Aufmarsch der Truppen begonnen. Damit sich dabei die beiden Feldherren nicht beobachten konnten, wurde der Salon durch Bettücher, die auf einem Strick hingen, in der Mitte abgeschlossen. Die Möbel boten die Terrainschwierigkeiten, die überwunden oder ausgenutzt werden mußten. Ich hatte Bücher und anderes Material zum Schanzen- und Brückenbau herbeizuschleppen und für Munition zu sorgen.

Am Sonntag morgen begann die Schlacht. Sie dauerte drei Tage und endete mit einem kolossalen Sieg der Österreicher.

Ein solches Ereignis konnte natürlich den Bewohnern von Bruck nicht verborgen bleiben. Kriegsgerüchte, von Staudenheim in Umlauf gesetzt, waren in Offizierskreise gedrungen und hatten Spannung erregt. Einige der Herren ließen bitten, dem Verlauf der Schlacht zusehen zu dürfen, was ihnen unter der Bedingung, daß sie keine Spionage trieben, gestattet wurde.

Sie kamen, und als sie sich das erstemal dem Schlachtfeld näherten und die Heerführer gegenüberstehen sahen, das Kindergewehr, bei dem das hölzerne Ladestöckchen zugleich Geschoß ist, in den Händen fleißig losknallend, brachen sie trotz dem Ernst der Situation in schallendes Gelächter aus. Allein ihre Heiterkeit dauerte nicht lange, das Vorgehen der Truppen, die sichere Taktik der beiden Befehlshaber, die auf tiefes strategisches Wissen schließen ließ, weckte bald den soldatischen Geist in ihnen, und sie schauten mäuschenstill auf das wechselnde Kriegsglück der beiden Armeen.

Wenn dann von Zeit zu Zeit die weiße Fahne aufgesteckt wurde und ich auf österreichischer, meine Mutter auf deutscher Seite das Schlachtfeld begingen, um die Verwundeten und Gefallenen wegzuschaffen, trafen sich die Herren im Vorsaal, der als neutrales Terrain galt, und da gab es dann sehr animierte Diskussionen über Kriegskunst. Daß die zwei »Zivilisten«, die nie im Leben eine Uniform auf dem Leibe gehabt, ebensoviel davon verstanden oder verstehen wollten, als sie, die Berufssoldaten, das stieg den Offizieren gewaltig in die Nase. Doch als Leopold behauptete, eine papierne Armee sei viel schwerer zu führen, als eine aus Fleisch und Blut, hielt ihr Ärger nicht mehr stand.

Man sagt, Kriegsjahre zählen doppelt – ich hoffe, daß mir dieser Feldzug auch doppelt angeschrieben wird. Es war eine schwere Zeit. Das ganze Haus war drunter und drüber. Da das Speisezimmer Kriegsschauplatz war, mußten wir im Fremdenzimmer speisen, das nur mangelhaft möbliert und deshalb recht ungemütlich war. Aber das Essen war gut und à la guerre comme guerre, wie Karl sagte.

Wenn ich mich nachts zur wohlverdienten Ruhe hinlegen wollte, fand ich Husaren auf meinem Bett kampieren, die ich erst ausquartieren mußte, ehe ich unter die Decke schlüpfen konnte.

 

Es war an einem heißen Tag. Ich stand im Speisezimmer mit Ausbügeln von Spitzen beschäftigt und hatte der Hitze wegen ein leichtes, den Hals ganz freilassendes Hauskleid an. Mir gegenüber saßen plaudernd mein Mann und Staudenheim. Ein Schwalbenpaar, das auf dem breiten Rahmen eines Bildes sein Nest gebaut hatte, schwirrte fortwährend über unsere Köpfe, während es durch die offenen Fenster aus- und einflog. Die Sonne lag in breiten Flecken auf dem Fußboden und erfüllte das Zimmer mit ihrem glänzenden Licht.

»Sieh dir doch deine Frau an«, sagte Staudenheim zu Leopold, »wie siegreich sie da in der Sonne steht! Wie viele Frauen gibt es, die das wagen dürfen? Je mehr Licht auf sie fällt, um so blühender sieht sie aus.«

»Ha, das ist nicht schlecht«, sagte mein Mann, »daß du meiner Frau in meiner Gegenwart den Hof machst.«

»Natürlich in deiner Gegenwart«, gab Staudenheim etwas ungeduldig zur Antwort. »Und wär sie nicht deine Frau, würde ich ihr nur unter vier Augen den Hof machen. Beklagst dich noch! anstatt daß du mich für meine Ehrlichkeit belohnst.«

»Wie soll ich dich denn belohnen?«

»Indem du mir erlaubst, ihr einen Kuß zu geben ... da hinters Ohr.«

Er war aufgestanden und wies mit dem Finger auf die bezeichnete Stelle. Er war dabei so unwiderstehlich komisch, daß wir alle lachen mußten. »Na, willst du?«

»Küß sie nur«, sagte Leopold. »Aber schau, daß du vorher ihre Hände fest bekommst, sonst stehe ich für nichts.«

Staudenheim trat von rückwärts an mich heran, und ehe ich noch Zeit gehabt, das heiße Eisen wegzustellen, hatte er meine Arme gepackt und mir einen kräftigen, aber ehrlichen Kuß gegeben.

»So, nun können Sie ruhig weiterbügeln«, sagte er dann.

Ich blickte meinen Mann an. Er schien nicht nur belustigt, sondern ganz freudig erregt. Mit leuchtenden Augen sah er bald mich, bald Staudenheim an. Dieser hatte dasselbe bemerkt und sagte:

»Du weißt, ich bin gleich bereit, wieder anzufangen, wenn es dir ein besonderes Vergnügen macht.«

Leopold wurde verlegen, sah aber Staudenheim fest an, ohne jedoch zu antworten.

Ich ging aus dem Zimmer.

Ziemlich lange nachher hörte ich Staudenheim weggehen, und gleich darauf kam mein Mann zu mir herein. Er schien ganz exaltiert und fing gleich an:

»Weißt du, Wanda, Staudenheim ist rasend in dich verliebt. Das ist auch ganz natürlich. Ein Mann kann nicht Tag für Tag mit einer Frau wie du verkehren, ohne Feuer zu fangen. Er hat es ja gestanden ... Er ist nur zu ehrlich ... seine Freundschaft für mich verhindert ihn, es dir zu sagen.

Welch ein schönes Paar ihr wärt! Es war ein entzückend schönes Bild, als er so hinter dir stand und dich küßte ... Er ist groß und stark, und hat etwas so Ritterliches in seinem Wesen, während du neben ihm fast klein und so zart aussahst wie eine erschreckte Taube ... Nachdem du fort warst, meinte er, du seist gewiß böse auf ihn, und er bat mich, dir zu sagen, daß es ihm furchtbar leid tue, du möchtest ihm seinen dummen Spaß verzeihen. Ich sagte ihm: ›Sei doch nicht kindisch! Warum soll sie denn das so übel nehmen ... was ist denn so Schreckliches dabei, daß du sie geküßt hast? ... Es hat ihr gewiß auch Spaß gemacht.‹ Hatte ich nicht recht?«

»Nein, du hattest unrecht, das zu sagen.«

»Das ist doch merkwürdig, daß keine Frau ehrlich sein kann! Du wirst doch nicht behaupten wollen, daß es dir nicht mehr Vergnügen macht, von einem schönen Mann wie Staudenheim geküßt zu werden, als von mir? Abgesehen davon, daß schon der Reiz des Unerlaubten allein genügt, um den Widerstand einer Frau zu überwinden.«

»Wo willst du denn hinaus?«

»Ich möchte, daß du den Mut hast, deiner Natur zu folgen.«

»Meiner Natur? ...«

»Ja. Raff dich doch auf, entschließe dich, aufrichtig zu sein, und gestehe, daß dir der Kuß von Staudenheim nicht unangenehm war.«

»Es war ein Scherz, der nichts zu bedeuten hat. Ich bin überzeugt, daß Staudenheim sich gar nichts dabei gedacht hat.«

»Das glaubst du! Du glaubst, daß ein Mann eine Frau küßt, ohne dabei etwas zu denken! Bist du wirklich so naiv oder verstellst du dich?«

»Was gibt dir das Recht, so zu mir zu sprechen?«

»Ach, hör mir auf! Du hast wahrscheinlich auch nicht bemerkt, daß Staudenheim sich in dich verliebt hat, gleich als er dich das erstemal sah? Mit euch Frauen ist nichts anzufangen ... Ihr seid immer bereit, einen Mann zu betrügen, aber ehrlich eingestehen, wenn ihr Lust zu einer Untreue habt, dazu seid ihr nicht zu bewegen.«

»Du hast nicht das Recht, so zu mir zu sprechen«, rief ich nochmals, und ich fühlte, wie mir die Tränen in die Augen kamen.

Er kniete vor mich hin, nahm meine Hände in die seinen, küßte sie und sagte:

»Aber Wanda, mein geliebtes Weib, weine nicht, sei nicht kleinlich und schwach wie gewöhnliche Frauen. Mit einer Frau von deinem Verstand kann ein Mann alles besprechen. Und wenn du dir nur die Mühe geben wolltest, meinen Gedanken zu folgen, so würdest du bald begreifen, daß du keinen Grund zu Tränen hast – im Gegenteil. Ich will dir ein für allemal klar machen, daß du das Recht hast – nicht nur das natürliche Recht, das sich für jeden vernünftigen Menschen ja von selbst versteht, aber auch das dir von deinem Manne freiwillig eingeräumte Recht – deine Neigung jedem Manne zu schenken, der dir gefällt, ohne die geringste Rücksicht auf mich zu nehmen. Tue deinem Herzen keinen Zwang an und glaube ja nicht, daß ich dich deshalb weniger achten werde. Frauen, die, wie du, jung, schön und gesund sind, verlangen mehr als einen Mann – das wirst du zugeben, wenn du ehrlich bist – wenn du das starke ehrliche Weib bist, für das ich dich halte.«

»Du räumst selbstverständlich dem Manne dasselbe Recht ein?«

»Nicht in allen Fällen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Nimm zum Beispiel unseren Fall. Du bist in mich nicht verliebt, ich aber in dich. Du gleichst in allem dem Ideal, das ich von der Frau habe: welches Recht hätte ich, dir untreu zu sein? Anders du: das geistige Interesse, das du an mir nimmst, die Befriedigung, die du darin findest, die Frau eines berühmten Schriftstellers zu sein, kann dir, so wertvoll es dir auch sein mag, doch nicht Ersatz bieten für die unbefriedigten Wünsche deines Herzens. Um mir treu zu bleiben, müßtest du deiner Natur Gewalt antun – und das werde ich nie zugeben.«

»Du hast mir aber doch bei unserer ersten Begegnung gesagt, daß du nichts so sehr wünschtest, als eine brave, treue Frau zu bekommen.«

»Gewiß. Aber bist du deshalb weniger brav und treu, weil du hier und da einer sinnlichen Laune folgst?«

»Wer solche Ideen hat, sollte sich nie verheiraten.«

»Ach, du verstehst mich noch immer nicht. Warum hätte ich dich nicht heiraten sollen? Ich bin wahnsinnig in dich verliebt, ich würde auf der ganzen Welt nicht eine zweite Frau finden, die so alle Eigenschaften, die ich am Weibe liebe, vereinigt wie du ... ich konnte doch nichts klügeres tun, als dieses Wesen, das mein ganzes Glück ausmacht, für immer an mich zu fesseln. Aber dieses seltene und unerwartete Glück, das mir zuteil wurde, gibt es mir etwa das Recht, dich ganz für mich allein zu behalten. Kann ich von dir verlangen, daß du deshalb, weil ich dich liebe, auf alle Freuden und Vergnügungen verzichtest, die dich beglücken würden? Mach dir meine Situation dir gegenüber klar! Ich liege zu deinen Füßen und bete dich an ... ich bin schon namenlos glücklich, daß du mir das gestattest ... daß du meine Liebe duldest ... Aber eben, weil ich dich so sehr liebe, möchte ich dich ganz glücklich sehen. Du warst es bis jetzt nicht, hast dein ganzes Leben in Not und Armut verbracht ... genieße doch jetzt, was dir das Leben bietet ... benütze den Vorteil, einen Mann zu haben, der keiner deiner Launen etwas in den Weg legen wird, der dir in allem volle Freiheit gibt ... gib den spießbürgerlichen, dummen, deiner ganz unwürdigen Gedanken auf, daß es Unrecht ist, die Ehe zu brechen, und nimm dir so viel Liebhaber, als du nur willst.«

»Und du wirst gar nicht eifersüchtig sein?«

»Aber ich bin furchtbar eifersüchtig! In dem Augenblick, als dich Staudenheim küßte, glaubte ich, mein Herz würde stillstehen ... Es war ein furchtbarer Moment für mich ... eine unbeschreibliche Qual; aber in dieser Qual lag zugleich ein Genuß, wie ich ihn noch nie im Leben gehabt. Man muß eine Frau bis zur Verrücktheit lieben, wie ich dich, um durch ihre Untreue eine so wonnevolle Marter zu empfinden, wie ich sie empfinden werde, wenn ich dich in den Armen eines anderen Mannes sehen werde.« –

Ich hatte wenige Tage vor diesem Gespräch eine Kritik über Sacher-Masoch gelesen, in der gesagt war, seine Schriften durchwehe ein frischer, freier Geist, sie seien auf der Basis einer weiten, in der menschlichen Natur begründeten Philosophie aufgebaut, sie wirkten befreiend und eröffneten weite Horizonte. Daran mußte ich denken, während er sprach, und wähnte, daß meine Begriffe von Liebe und Ehe kleinlich, spießbürgerlich und dumm waren. Ich war ganz verwirrt. Ich sah alle meine Pläne für sein Glück in einen Abgrund von Wahrheit und Irrtum versinken.

Wie grausam irrte er sich in mir! Ich erwartete ein Kind von ihm, und sollte mit verlangenden Augen auf Staudenheim blicken! Wenn er mich so verkannte, war es nicht möglich, daß er über sich selbst auch im Irrtum war? Wenn das nur Phantastereien waren, die vor der Wirklichkeit verschwinden würden? So sann ich, aber eine Beruhigung fand ich nicht.

Den folgenden Tag war Staudenheim abgereist. Er schrieb uns, sein Vater habe ihn telegraphisch nach Graz berufen und er würde von dort seine Sommerreise antreten.

Mir war ein Stein vom Herzen.

 

Nach einer beinahe schlaflos verbrachten Nacht stand ich frühzeitig auf, öffnete weit mein Fenster und setzte mich, wie ich es als Kind immer getan, mitten in das hereinflutende Sonnenlicht; der morgenstille Frieden, der zugleich mit ihm hereinkam, tat mir wohl und ebenso der Blick auf die mir schon vertrauten Berge.

Durchdrungen von Licht und Wärme, fühlte ich die ersten schwachen Bewegungen meines Kindes. Ich mußte an das andere denken, das ich verloren hatte, wahrscheinlich infolge der seelischen Erregungen, denen ich damals ausgesetzt war, dann an das Gespräch von gestern, die bange Gegenwart, die drohende Zukunft – und die Furcht, auch dieses zu verlieren, packte mich mit kaltem Schrecken. Nein, das sollte nicht sein. Mir wurde plötzlich klar, daß ich, wenn ich es behalten wollte, alles von mir fern halten müsse, was sein Gedeihen stören könne, daß ich jetzt einzig nur dafür zu leben und zu sorgen hatte, und daß es meine Pflicht sei, in allem, was auch kommen möge, mich nur durch diese eine Rücksicht leiten zu lassen. Mein Kind war mein, ich mußte es schon jetzt beschützen und bewahren, damit es lebensfähig werde.

Mit diesem Entschluß wurde ich wieder ruhig und gefaßt. Und als ich später beim Kaffee meinem Manne gegenübersaß und sein verdutztes Gesicht sah, während er den Brief Staudenheims las, da mußte ich innerlich lächeln; ich freute mich, daß die Gefahr, die ich gestern so nahe glaubte und die mir eine sorgenvolle Nacht bereitete, so rasch in nichts zerflossen war.

 

Es gab jemanden, dem die Abreise Staudenheims sehr ungelegen kam. Schon vor einigen Wochen war der Schriftsteller A. Mels mit Frau und Kindern nach Bruck gekommen, um, wie er sagte, den Sommer in Gesellschaft Sacher-Masochs zu verbringen. Seine kleine dicke Frau hatte in den letzten Wochen in der Überzeugung gelebt, daß zwischen ihr und dem »Baron« ein Flirt bestehe, der sich nächstens zu einem interessanten Roman entwickeln würde und sie für die Untreue ihres Mannes schadlos halten sollte. Denn daß ihr Mann sie betrog und seine häufigen Reisen bald dahin, bald dorthin, unter dem Vorwande literarischer Geschäfte, nur den Zweck hatten, mit seiner Geliebten, einer Schauspielerin, zusammenzukommen, das hatte sie mir schon erzählt. Ich war also benachrichtigt, und wenn sie jetzt die Absicht hatte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, brauchte ich nicht mehr erstaunt zu sein. Dennoch war ich erstaunt, denn Frau Mels nährte ein kaum einige Monate altes Kind, und wenn sie, wie eine Bruthenne mit ihren Küchlein, mit ihren Kindern daherkam, sah sie so gar nicht aus wie eine Frau, die Lust hat, verbotene Wege zu gehen.

Aber trotz dem Ärger über die »Flucht« ihres Verehrers fühlte sie sich doch geschmeichelt; denn, wäre er geflohen, wenn seine Liebe zu ihr nur eine mäßige gewesen, und es ihm leicht erschienen wäre, sie zu bewältigen oder zu befriedigen? Auch war sie entschlossen, um jeden Preis an ihrem Manne Wiedervergeltung zu üben; nachdem sie jetzt auf Staudenheim nicht zählen konnte, hatte sie sofort Ersatz zur Hand.

Es lebte nämlich in Bruck ein vielumworbener Mann, ein Herr F..., den sie für alle Fälle schon lange in petto gehabt haben mochte.

Ich muß über Herrn F... etwas ausführlich sein, er verdient es, denn er war kein gewöhnlicher Mensch. Er war das Damoklesschwert, das fortwährend über der Moral der guten Stadt Bruck hing; eine beständige Gefahr für die Männer, und eine immerwährende Sehnsucht für die Frauen, kurz, er war ein schöner Mann. Von jener tadellosen Schönheit, wie man sie auf Schokolade- und Zigarrenschachteln findet, »gefühlvoll und fein«. Er war zwar nur Forstbeamter, kleidete sich aber immer sehr elegant und hätte gewiß ebensogut ein »Baron« sein können wie Staudenheim, und daß er es nicht war, war vielleicht der einzige Grund, weshalb letzterer dem Herzen der Frau Mels näher gestanden als er. Herr F... war sozusagen ihr Nachbar, er wohnte ihr gegenüber; das war auch ein Vorzug, denn es war bequem, und kleine dicke Frauen lieben die Bequemlichkeit.

Das Haus, in dem Herr F... wohnte, gehörte einem Spezereihändler, dessen Frau Zimmer an »ledige Herren« vermietete. Herr F... konnte jedoch auf das »ledig« keinen vollen Anspruch machen. Man erzählte von ihm, daß er verheiratet gewesen, sich aber von seiner Frau habe scheiden lassen, was jedenfalls das beste war, was er tun konnte, denn seine natürlichen Anlagen neigten entschieden mehr zum Don Juan, als zum Ehemann. Es gingen viel Geschichten über ihn um, die vielleicht weniger wahr als amüsant waren. Eine will ich erzählen, weil sie der Wahrheit am ähnlichsten sah und ebensowohl Tränen als Lachen hervorrufen konnte.

Die Hausfrau des schönen Herrn F... hatte zwei Töchter, die eine hübsch und geistig normal, die andere taubstumm und blöd. Eines Tages wurde das hübsche und kluge Mädchen auf der Schießstätte, wo es kochen lernte, während es im Garten hinter der Scheibe Salat schnitt, von einem ungeschickten Schützen erschossen ... Die Mutter war über den tragischen Tod ihres intelligenten Kindes so verzweifelt, daß sie eine Art Widerwillen gegen die ihr gebliebene Blödsinnige faßte und es kaum über sich gewann, sich noch mit ihr zu beschäftigen. Damit diese nicht ganz sich selbst überlassen bliebe, nahm sie ihr zur Gesellschaft gleichfalls eine taubstumme Blödsinnige, einen richtigen »Trottel«, wie sie in der schönen Steiermark so herrlich gedeihen.

Das ging einige Zeit ganz gut. Die beiden Blöden lebten in einem Teil des Hauses für sich und kamen mit den anderen Bewohnern desselben in keine Berührung. So glaubte die Frau, bis sie eines Tages bemerkte, daß die Gesellschafterin ihrer Tochter auffallend rund auszusehen anfing, und nun anderer Ansicht wurde. Es war gar kein Zweifel möglich, das Geschöpf war mit einem der Bewohner des Hauses, einem der Zimmerherrn natürlich, in »Berührung« gekommen, aber mit welchem? Eine furchtbare Angst bemächtigte sich der Frau; wenn das möglich war, dann war auch ihre Tochter in Gefahr. Am peinlichsten war ihr, daß sie sich mit dem Trottel nicht verständigen konnte, um den Schuldigen zu finden. Da kam sie auf die Idee, am nächsten Sonntag alle ihre Herrn zu einem Kaffee zu laden, dann, im richtigen Moment, die Blöde hereinkommen zu lassen, die sich beim Anblick des Geliebten gewiß verraten würde.

Und so geschah es. Die Herren waren ganz damit beschäftigt, dem guten Kaffee und feinen »Gugelhupf« ihrer Hausfrau gerecht zu werden, als die Türe aufging und das Trottel hereintorkelte. Beim Anblick des Herrn F. verbreitete sich ein glückseliges Grinsen über ihr Gesicht, und ohne auf die übrige Gesellschaft zu achten, warf sie sich auf ihn und »tätschelte« ihn ab. Herr F., der gewiß weit davon entfernt war, eine Falle zu vermuten, wurde trotzdem etwas verlegen, denn wenn er auch an Huldigungen von seiten der Frauen gewöhnt war, so hörte seine Eitelkeit doch da auf, wo zierliche Dummheit in entschiedene Trottelhaftigkeit übergeht, und eine Liebesbezeugung coram populo von »so einer« war ihm gewiß nicht angenehm.

Die Frau aber wußte jetzt, woran sie war. Nun hätte sie wohl Herrn F. zur Rede stellen und die Türe weisen können, allein, einen pünktlich zahlenden Zimmerherrn muß man nachsichtig behandeln; sie fand es einfacher, die Verführte auf die Straße zu werfen.

Diese ging, ein mageres Bündel in der Hand, seitwärts, wo der Wald am dunkelsten und der Berg am höchsten war, denn es war ja Sommer, und dort oben war das Leben leicht und einfach. Sie muß dort auch Schutz gefunden haben, denn nach einigen Monaten sah man sie wieder in der Stadt, mit einem Pack Kienholz auf dem Rücken und einem kleinen Kinde in den Armen. Wenn sie dann in den Straßen Herrn F. begegnete, wollte sie sich stets in einem Anfall wütender Zärtlichkeit auf ihn stürzen, er aber brauchte ihr nur mit dem Stock zu drohen, und sie verstand, daß es für sie bei ihm nichts zu holen gab – als Hiebe.

Mit Kienholz kam sie auch zu uns. Mir fiel der hübsche Knabe auf, den sie immer mit sich hatte und der damals 3-4 Jahre alt sein konnte. Da er ihr gar nicht ähnlich sah, sie aber doch Mutter nannte, erkundigte ich mich, wer denn da gesündigt habe, und erfuhr die Geschichte.

Gleich in den ersten Tagen nach unserer Ankunft in Bruck, während wir bei »Borbolani« wohnten, war es Herr F., den wir überall sahen. Leopold, der für schöne Männer ein ebenso aufmerksames Auge hatte, wie für schöne Frauen, machte mich noch zum Überfluß auf ihn aufmerksam. Er meinte, der Mann müsse in einem orientalischen Kostüm hinreißend schön aussehen. Von dieser Zeit an, während der ganzen Dauer unseres Aufenthalts in Bruck, verfolgte mich die Schönheit dieses Mannes, und ich hatte ununterbrochen mit den dämonischen Mächten an meiner Seite zu kämpfen, um die Zahl seiner Opfer nicht um eines zu vermehren.

Infolgedessen hatte sich im Lauf der Jahre eine Menge Haß gegen ihn in mir angehäuft, den er eigentlich nicht verdiente; denn er selbst hat sich nie an mich herangedrängt und ist mir persönlich niemals lästig geworden.

 

Das größte Vergnügen machten mir in diesem beginnenden Sommer die Spaziergänge mit Leopold. Ich habe die Natur stets geliebt, er aber lehrte mich erst, sie verstehen; denn er empfand sie wahr und tief.

Zwei dieser Ausflüge machten mir einen besonderen Eindruck; der eine, weil er mir meinen Mann von einer neuen Seite zeigte; der andere wegen eines mystischen Vorfalls, der mir in jenem Augenblick wie der Hinweis auf eine andere Welt erschien.

Wir waren schon seit einigen Stunden durch den Wald bergauf gegangen, als wir merkten, daß wir vom rechten Wege abgekommen waren. Wir fanden uns zwar wieder zurecht, waren aber von dem langen Herumirren sehr ermüdet, hungrig und durstig geworden. An einem am Wege liegenden Bauernhause hielten wir an. Ein junges, blasses Weib, mit einem Neugeborenen im Arm, stand auf der Schwelle.

»Frau«, sagte Leopold, »Sie geben uns wohl zu essen und zu trinken?«

»Brot und Milch, wenn's Ihnen recht ist?«

»Keine Eier?«

»Drei Eier sind da, nicht mehr«, sagte die Frau, die sich offenbar nicht gern von ihren Eiern trennte.

»Na, dann machen Sie mir nur recht schnell eine gute Eierspeise«, rief Leopold fröhlich, und sich dann zu mir wendend, setzte er hinzu: »Schade, daß sie nur drei Eier hat, du hättest gewiß auch gern eine Eierspeise gegessen.«

Ein Kind würde seinen Egoismus nicht harmloser aussprechen können. Ich war auch weder ärgerlich noch verletzt, nur erstaunt. Ich trank Milch und aß Brot dazu, und es schmeckte mir gewiß ebensogut, als ihm seine Eier.

Die Bäuerin stand da und schaute uns lächelnd zu, während wir aßen.

»Sind Sie das ganze Jahr hier oben?« frug ich sie.

»Das ganze Jahr.«

»Es muß auch im Winter schön sein.«

Sie sah mich erstaunt an.

»Schön?« sagte sie dann nachdenklich, »'s wär's schon, wenn's nur nicht so weit zur Kirchen wär. Drei Stunden hin und vier zurück. Im Winter, wenn der Pfad verschneit ist, vergehen oft drei Monat, ohne daß man in die Kirchen kommt.«

Ich sah auf den tiefblauen Himmel, der sich wie ein ungeheurer Dom über den sonnenbeschienenen Höhen wölbte, und unwillkürlich kam mir die Frage:

»Müssen Sie denn zur Kirche gehen?«

»Ja, wo soll man denn beten? Und Meß und Predigt hört ma ja a nur in der Kirchen.«

Sie steigt ins Tal hinunter, dachte ich, mischt sich unter die bedrängte und beladene Menschheit, um ihren Gott zu finden, und ist doch hier dem Himmel so nahe.

 

Es waren schwüle Tage. Leopold fühlte sich ermattet und konnte nur mit Mühe arbeiten. Er sagte, er brauche Zerstreuung, und wir wollten gegen Abend nach Leoben fahren, dort zu Nacht essen und dann bei Mondlicht heimkehren.

So geschah es.

Als wir zwischen reifen Kornfeldern durch das stille Tal auf der einsamen Landstraße dahinfuhren, war die Sonne bereits im Untergehen. Ein leiser Windhauch strich manchmal über die vollen Ähren längs des Weges und machte sie erbeben. Leopold zeigte mir zwei schwarze Punkte, die hoch über dem Wald zu stehen schienen – ein Geierpaar, das dem Hochwald zuflog.

Ich saß stumm in meiner Wagenecke, die ruhige Schönheit dieser Stunde genießend und mich ganz in das Glück versenkend, das mich erwartete.

Etwas hatte sich in dem Verhältnis zu meinem Manne verändert. Als ich mein erstes Kind bekommen sollte, brachte mich das ihm näher – jetzt zog ich mich instinktiv von ihm zurück, wie vor etwas feindlichem. Ich verschloß gleichsam mein Selbst, und wie einer, der einen geheimnisvollen Schatz hütet, wurde ich mißtrauisch und abweisend gegen alles, was sich mir nahte. –

Jetzt legte ich die ganze Kraft meiner Seele in den einen heißen Wunsch, dieses Kind möge in nichts seinem Vater gleichen. Und auf das mich umgebende Bild schauend, erwachte in mir ein glühendes Verlangen, etwas von seiner Schönheit, Klarheit und Harmonie möchte in die Seele meines Kindes übergehen.

Ich war mit dem Blick der hinter den Bergen versinkenden Sonne gefolgt, und da sah ich in ihren letzten glänzenden Strahlen dieselbe Erscheinung, die ich schon als Kind gehabt, weit entfernt und doch nahe; dieselben Augen schauten auf mich, als wollten sie mir etwas sagen, so sprechend und so vertraut, als wären's meine eigenen Augen.

Die Sonne sank und mit ihr das schöne Bild.

Noch ganz erregt und mit mächtig klopfendem Herzen saß ich da, als zwei Bergakademiker unserm Wagen entgegenkamen. Die jungen Leute zogen ihre Mützen, und der eine von ihnen, der einen großen Strauß Feldblumen trug, warf diesen im Vorübergehen auf mich in den Wagen. Ich wandte mich aus diesem Regen von Blumen nach ihnen um, und da standen sie noch, fröhlich lachend die Mützen nach uns schwenkend.

Leopold war entzückt. »Ja, ja«, sagte er, »du hast etwas an dir, das alle Männer anzieht, und wenn du wolltest, könntest du jeden Mann zu deinen Füßen sehen.«

Wie weit war ich in diesem Augenblick von solchen Gedanken entfernt.

Doch schien mir der Vorfall ein gutes und glückliches Zeichen für die Wünsche, die mich eben bewegt hatten.

 

Jetzt kündigte uns die Baronin Kövöcs ihren Besuch an. Der General, der auf einer Inspektionsreise auch nach Bruck gekommen und bei uns zu Gast gewesen war, hatte uns gesagt, er habe Grund, zu glauben, daß sein Aufenthalt in Graz nicht von langer Dauer sein werde, deshalb habe er auch Frau und Tochter in Wien zurückgelassen und nur seinen Sohn Albin nach Graz mitgenommen; auch habe die Generalin einen sehr angenehmen Kreis in Wien, den sie ohne wichtigen Anlaß nicht gern verlassen hätte.

Die Baronin kam also nicht von Graz, sondern von Wien.

Ich war damals mit den Sitten der vornehmen Welt noch nicht vertraut, daher erstaunt über die einfache Art, wie diese Leute ihre intimen Angelegenheiten regeln. Leopold meinte, dahinter müsse etwas »stecken«. Tante Melitta, sagte er, habe immer für eine sehr schöne Frau gegolten, und es sei wohl möglich, daß in dem »Kreis«, der sie in Wien zurückhält, ihr Herz gefangen sitzt.

Ich war sehr neugierig, die schöne »Tante« meines Mannes kennen zu lernen.

Sie kam, und ich fand, daß sie ihren Ruf verdiente: sie war wahrhaftig eine schöne Frau. Sie war noch mehr, sie war auch eine elegante und heitere Frau, ganz grande dame, und ich hatte noch nie eine solche so recht in der Nähe gesehen.

Einen so vornehmen Gast konnte ich unmöglich in unser einfaches Fremdenzimmer einlogieren; ich tat also, was ich schon kurz vorher für meinen Schwiegervater getan hatte, als er auf der Durchreise nach Bad Steinerhof einige Tage bei uns weilte, ich trat ihr mein Schlafzimmer ab und bezog selbst das Fremdenzimmer. Sie nahm es als etwas Selbstverständliches an, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Nun begann sie ihre Koffer auszupacken. Leopold half ihr dabei. Sie saß an dem offenen Koffer, denn sie war sehr müde von der Reise, nahm die Dinge heraus und reichte sie ihrem Neffen. Dieser nahm die aus feinem durchsichtigen Stoff, mit Spitzen und Bändern reich geputzten Wäschestücke, ließ sie auseinanderfallen, starrte sie mit ehrfurchtsvollen Schauern an und breitete sie vorsichtig auf Bett und Chaiselongue aus.

»Du in deinem Zustand kannst mir ja doch nicht helfen, liebe Wanda«, sagte sie zu mir und sah mich voll Mitleid an, »und so mußt du schon erlauben, daß dein Mann mir hilft, denn ich bin so sehr müde.«

»Wie lieb das von dir ist, Melitta, daß du meine Frau nicht in Anspruch nehmen willst. Sie ist jetzt wirklich in einer Verfassung, wo sie vollständige Ruhe braucht – sie hat vollauf mit sich selbst zu tun.«

Während der Hofrat bei uns war, hatte er meinem Manne öfter Vorwürfe gemacht, daß er mich dies und jenes tun lasse und nicht sorglicher auf meinen Zustand achte, worauf dieser erwidert hatte:

»Der Vater soll sich nur um Wanda nicht beunruhigen; die ist ja so frisch und munter, der schadet gar nichts.«

Mit der Anwesenheit Melittas änderte sich das; jetzt mußte ich geschont werden. Die Rücksicht meines Mannes ging so weit, daß er abends die Türe, die aus seinem Zimmer in das meine führte, mit dem Schlüssel abschloß, damit ich, wenn er noch arbeitete, dadurch im Schlaf nicht gestört werde. Und doch war ich noch die letzten Abende, wie immer, bei ihm aufgesessen, obgleich mir die Augen vor Schlaflust zufielen.

Erstaunt und neugierig, wohin das führen würde, sah ich den Dingen zu.

Tante und Neffe gingen jetzt jeden Tag zusammen aus. Und kamen sie am Abend in glücklicher Stimmung heim, dann wechselte Melitta Toilette und Leopold half ihr dabei. Erschien sie wieder im Salon, war sie in einem reizenden Deshabiller, das sehr oft nur aus einem Rock bestand, zu dem ihr Leopold eine meiner Pelzjacken angezogen hatte. So saßen sie sich gegenüber, plauderten und scherzten und, glitt zuweilen im Eifer des Gesprächs der Pelz auseinander, dann schlug sie ihn wieder zusammen, wobei alles zu sehen war, was sie an schönen Resten noch besaß.

 

Ganz nahe bei Bruck, aber in einsamer, unbewohnter Lage, wie angelehnt an einen bewaldeten Berg, stand ein Schlößchen, das so still und stumm dalag, als berge es ein Geheimnis. Und es barg auch eins. Das Schlößchen gehörte einem Grafen Bellegarde, von dem man erzählte, es habe ihn ein großes Leid getroffen, das ihn hierher in die Einsamkeit getrieben. Man sah ihn fast nie in der Stadt; ein Diener besorgte seinen Haushalt. Einen Tag in der Woche aber kamen einige der älteren Offiziere zu ihm zum Whist.

Schön Melitta war mit dem Grafen Bellegarde verwandt, und hatte ihm geschrieben, daß sie da sei und sich freuen würde, ihn zu sehen. Noch denselben Tag reiste der Graf ab. Er hinterließ ihr aber einen sehr hübschen Brief voll Bedauern über seine notwendige Abreise.

Das ärgerte die schöne Frau gewaltig. Sie hatte sich einen hübschen Plan ausgedacht, zu dessen Ausführung sie den Grafen gebraucht hätte. Es nahte sich nämlich der 18. August, des Kaisers Geburtstag. An dem Tage ist es in so kleinen Garnisonen Brauch, sagte sie, daß morgens ein feierlicher Gottesdienst stattfinde, und am Abend ein Diner beim Kommandanten. Major Horvath vom 9. Jägerbataillon hatte aber eine sehr kranke Frau, die deshalb aller gesellschaftlichen Pflichten enthoben war. Das Diner sollte also im Hotel »Bernauer« stattfinden. Der Plan Melittas war, durch den Grafen Bellegarde dem Major nahe legen zu lassen, daß er die Abwesenheit der Frau seines Generals dazu benützen sollte, sie zu bitten, bei dem Diner die Honneurs zu machen. Das wäre eine Gelegenheit gewesen, von all den Herren Huldigungen zu empfangen, und danach hatte sie großes Verlangen. Nun war's nichts damit, weil ihr Verwandter feige die Flucht ergriffen.

In ihrer offiziellen Stellung mußte sie dem Gottesdienst beiwohnen, was sie zwar mit sehr guter Miene, aber innerlich sehr schlechter Laune tat. Da sie nicht gut mit Leopold in die Kirche gehen konnte oder wollte, wurde meine »Schonzeit« für diese Gelegenheit aufgehoben, und ich hatte die Ehre, die Frau Generalin ins Hochamt zu begleiten. Wir kleideten uns der ernsten Feier gemäß in starrende schwarze Seide und zogen, bewundert und angestaunt von allen Gassen, nach der Kirche.

Melitta machte Aufsehen, und damit kehrte ihre gute Laune zurück. Sie war auch eine prächtige Frau, eine jener unverwüstlichen Schönheiten, wie sie kein anderes Land als Österreich in solcher Menge hat. Sie war wohl um mehr als einen Kopf größer als ich und herrlich gebaut, zugleich kraftvoll und anmutig und weich. Die Offiziere schauten nur sie an, und als wir aus der Kirche gingen, bildeten sie Spalier.

Am Nachmittag desselben Tages beschlossen Neffe und Tante, dem Hofrat in Steinerhof einen Besuch zu machen. Sie sagten, sie wollten zu Fuß hingehen, und da ich wieder in die »Schonzeit« zurückversetzt worden war, war von mir dabei nicht die Rede. Sie gingen also allein. Als ich ihnen aber nachblickte, sah ich, daß sie nicht die Straße hinaufgingen, sondern an der Bahn abbogen, also den Zug nahmen.

Ich hatte Frau Mels, die wieder einmal Strohwitwe war, durch all die Besuche, die wir gehabt, in der letzten Zeit etwas vernachlässigt, und ging jetzt, um ihr bei »Borbolani« einen Besuch zu machen.

Ich fand sie am Fenster sitzend, ihr Kind stillend und fleißig auf ein anderes Fenster gegenüber blickend.

Wir verbrachten einige Stunden zusammen, und als ich sie eben verlassen wollte, hörte ich von der Straße herauf meinen Namen rufen. Ich trat ans Fenster und da stand Leopold Arm in Arm mit Melitta, fest aneinandergedrückt, lachend und glücklich. Sie waren zu Hause gewesen, und da sie mich nicht gefunden, hungrig waren und essen wollten, waren sie mich holen gekommen.

Und Arm in Arm, lachend und schäkernd, gingen sie vor mir her, und ich folgte ihnen mühselig und traurig, das Herz voll bitteren Wehs.

Zu Hause erzählten sie mir, was für einen köstlichen Nachmittag sie verbracht. Sie waren zuerst beim Hofrat gewesen, hatten mit ihm Kaffee getrunken, und waren dann in den Wald gegangen, Erdbeeren pflücken, und das war herrlich! Melitta sagte:

»Ach, Wanda, daß du nicht mit warst! Wie köstlich hättest du dich unterhalten. Leopold war charmant, mit ihm kann man sich nicht langweilen; du hast keine Idee, wie reizend er mit mir war!«

Sie will dir das Messer ins Herz stoßen; denk an dein Kind und bleib ruhig, sagte ich mir, und ich fand die Kraft, ihr zuzulächeln. Aber meine Ruhe reizte sie nur zu immer neuen Ausfällen, und als sie auch damit keinen Erfolg erzielte, tat sie, als ob ihr etwas unter den Tisch gefallen wäre, neigte sich herab, und dabei glitt ihr der weite Pelz und unter diesem das tief ausgeschnittene Hemd von den Schultern. – Leopold starrte sie ganz trunken an. Ich ging aus dem Zimmer – er merkte es nicht. Ich legte mich zu Bett, schlafen aber konnte ich nicht, und so mußte ich hören, was drüben vorging.

Am anderen Morgen, als mein Mann zum Frühstück ins Speisezimmer kam, – durch das Schlafzimmer Melittas, die noch im Bett lag, in das er ihr bereits den Kaffee gebracht hatte – sagte ich zu ihm, auf die Uhr weisend:

»Schau, es ist jetzt neun Uhr. Um ein halb zwölf Uhr kommt der Eilzug nach Wien durch, wenn Melitta diesen Zug nicht nimmt, um abzufahren, weise ich sie aus dem Hause. Richte dich danach.«

Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen und offenem Munde an, ohne ein Wort zu erwidern. Ich ließ ihn sitzen und sperrte mich in mein Zimmer ein.

Eine Weile blieb alles still. Dann hörte ich lebhafte Bewegung, und wie mein Mann die Magd wegsandte, einen Mann zu holen, der die Koffer zur Bahn bringen sollte. Sie geht! dachte ich und freute mich, daß ich den Mut und die Kraft gehabt, diese Qual abzuschütteln.

Nun wußte ich, was ich von seiner großen Liebe zu mir zu halten hatte – und das hatte auch sein Gutes.

Jetzt hieß es nur, das Leben zusammenhalten, nach außen korrekt, mag es im Innern noch so voll Wirren sein, und das Beste und Liebste hochhalten, damit es keinen Schaden nähme und nicht beschmutzt werde. –

 

Während einiger Tage wehte eine kühle Luft zwischen mir und meinem Manne. Mir tat sie wohl, sie reinigte etwas die schon gar zu schwül gewesene Atmosphäre, und ich ruhte in ihr aus, denn ich war an Körper und Seele erschöpft. Doch schlug der Wind bald wieder um: Leopold kroch zu Kreuz und tat Abbitte, behauptete aber dabei, zwischen ihm und Melitta sei nichts Unrechtes vorgefallen.

»Darum habe ich dich nicht gefragt«, erwiderte ich ihm. »Was in meiner Gegenwart vorgefallen ist, war Unrecht genug gegen mich, um das, was ich getan, zu rechtfertigen.«

»Ja, natürlich. Du tatest ganz recht. Sie hat sich wirklich frech dir gegenüber benommen. Mir hat es sehr gut gefallen, daß du so viel Energie gezeigt hast. Aber du müßtest auch mich strafen, denn ein wenig war ich doch daran schuld. Tu mir doch etwas an, räche dich, schlag mich; erfinde eine Pein für mich; ich habe förmlich das Verlangen, von dir gezüchtigt zu werden.«

O, wie ich mich innerlich von ihm abwandte. Daß er nicht ahnte, nicht begreifen konnte, wie mir das widerlich war!

General Kövöcs hatte, als er bei uns war, bemerkt, er wisse nicht, was er mit seinem Sohn Albin während der Ferien anfangen solle, worauf ihm Leopold sagte, er möge ihn zu uns senden. Der General war damit sehr einverstanden, und kaum war Melitta weg, kam Albin an. Er war ein sehr hübscher Junge von 16-17 Jahren, aber blutarm und matt wie ein bleichsüchtiges Mädchen.

In dieser Zeit war es, daß eines Tages ein wie eine Arbeiterin angezogenes Weib kam und nach dem Herrn Doktor fragte. Man führte sie in sein Zimmer und sie blieb dort sehr lange, dann rief mich mein Mann. Als ich kam, hatten beide verlegene Gesichter. Nach langem Herumreden erfuhr ich, daß die Person aus Klagenfurt gekommen, und die Kostfrau des Kindes war, das Leopold mit der Schauspielerin Clairmont gehabt; daß das Kostgeld nicht regelmäßig bezahlt wurde und die Frau das Kind, das Linerl, nicht mehr behalten wolle. Es handelte sich jetzt darum, zu entscheiden, was mit dem Kind geschehen solle.

»Laß es herbringen«, sagte ich, »es ist hier Platz genug.«

Überrascht schauten sie beide auf mich. Ich hatte wohl gemerkt, daß das Weib aus der peinlichen Situation meines Mannes Vorteil ziehen wollte und eine drohende Miene angenommen hatte. Jetzt war sie entwaffnet. Die Sache war rasch abgemacht. Ich holte mein Wirtschaftsgeld, bezahlte, was die Frau zu fordern hatte, und es wurde beschlossen, daß meine Mutter schon den nächsten Tag nach Klagenfurt fahren sollte, um die kleine Lina zu holen. Da ich dem Weib auch die Reise ersetzte und zu essen und zu trinken gab, ging sie in besserer Stimmung als sie gekommen war.

Leopold war nicht ganz sicher, wie ich das mit dem Kind meinte, und frug, nachdem wir wieder allein waren, etwas unsicher:

»Du hast doch nicht die Absicht, das Kind ganz im Hause zu behalten?«

»Warum nicht?«

»Du wirst doch selbst Kinder haben.«

»Eben deshalb. Da kommt es auf eins mehr nicht mehr an.«

Er dankte mir und sagte, ich hätte ihm damit eine lästige Sorge abgenommen.

Die Frau hatte gesagt, das Kind hätte nur noch Lumpen am Leibe. Ich machte rasch ein Kleidchen und das nötigste zurecht und am nächsten Tage reiste meine Mutter damit nach Klagenfurt und kehrte noch denselben Tag mit Lina zurück.

Das Kind war in einem jammervollen Zustand. »Schlechte und mangelhafte Nahrung, schlechte Luft und Unsauberkeit haben ihr einen schönen Skrofelbauch gegeben«, sagte Doktor Schmit, der es untersuchte.

Ich schaute auf meinen Mann, der verlegen und kleinmütig dastand. Und dabei war das kleine Mädchen trotz seiner grünlichen Blässe, und trotzdem es seinem Vater auffallend glich, schön. Mit ihren großen dunklen Augen – seinen Augen – sah sie voll Scheu und Schrecken auf den fremden Mann, der von ihr verlangte, sie solle »Papa« zu ihm sagen.

 

Am 7. September kam ich nieder.

Zwei Tage später brachte man den bereits sterbenden Hofrat von Steinerhof zu uns.

Bis zum Morgen dauerte das Sterben. Dann wurde es still.

Wie nahe nebeneinander lagen jetzt Geburt und Tod. Dort der alte abgestorbene Stamm und hier das neue Leben – Fleisch von seinem Fleisch. Und das ist alles, was wir von der Unsterblichkeit wissen.

Die Nacht hatte mir lang geschienen; das Röcheln war so grauenhaft anzuhören und wollte kein Ende nehmen. Warum sterben die Menschen nicht wie sie geboren werden, ohne es zu wissen?

Einmal war Leopold hereingekommen und sagte:

»Der Vater stirbt. Soll ich nicht nach einem Geistlichen senden?«

»Laß ihn ruhig sterben.«

»Aber vielleicht sehnt er sich danach.«

»Nein. Er denkt gewiß nicht daran. Wenn er sich nach etwas sehnt, so ist es der Atem, der ihm fehlt.«

Mein Mann ertrug den Tod seines Vaters mit viel Ruhe. Er sagte, es täte ihm wohl leid um ihn, allein er habe jetzt in seinem Herzen keinen Raum für andere Gefühle, als Freude über sein Kind.

Nach dem Begräbnis saßen Doktor Schmit, Graf Hendl, Schwager Karl und mein Mann im Speisezimmer beim Kaffee; da im Salon keine Türen waren, hörte ich, was dort gesprochen wurde:

»Um welche Zeit ist denn der Vater eigentlich gestorben?« frug Karl.

»Es war genau fünf Uhr«, erwiderte mein Mann.

»Das ist merkwürdig. Als ich dein Telegramm mit der Todesnachricht erhielt, sah ich auf unsere Totenuhr – sie stand auf fünf.«

Einen Augenblick schwiegen sie; dann frug Dr. Schmit:

»Was ist's mit dieser Uhr?«

»Es ist eine kleine schwarze Stutzuhr«, erklärte Leopold, »die regelmäßig zu der Stunde stehenbleibt, wenn eins aus der Familie stirbt.«

»Dazu habe ich einen Beitrag«, sagte der Arzt langsam und zögernd, als käme es ihm schwer an. »Sie wissen, daß ich um Mitternacht noch hier war beim Hofrat. Dann ging ich heim und legte mich sofort ins Bett. Morgens weckte mich meine Frau wie gewöhnlich, und ich sah wie gewöhnlich zuerst nach der Uhr, die auf ihrem Platz am Nachttisch lag – sie stand auf fünf. Ich erinnerte mich jetzt auch, daß ich im Schlaf jenen feinen Ton gehört habe, den man beim Zerspringen einer Uhrfeder hört, und nur halb erwacht sagte ich mir: das war in meiner Uhr, die Feder ist gebrochen. Ich sah jetzt nach und es war so, die Feder war entzwei.«

»Zufall!« sagte Graf Hendl. Erst nach einer Minute erwiderte der Doktor:

»Ja, freilich, was sonst? Wir haben ja keine andere Erklärung dafür.«

Nachdem die Herren gegangen waren, kam mein Mann zu mir und sagte:

»Du, hast gehört? Ich wollte es dem Doktor nicht sagen, denn es schien ihm ohnedies einen starken Eindruck zu machen, den ich nicht noch vergrößern wollte, aber Vater hat noch wenige Minuten, ehe er starb, seinen Namen genannt und das war das letzte Wort, das er gesprochen; wollte er, daß man Schmit wieder rufe, oder war's nur Dankbarkeit, weil er sich so aufopfernd gezeigt, das weiß ich nicht.«

Mein Mann war wohl sehr abergläubisch. Er würde in keinem Zimmer geblieben sein, in dem drei Lichter angezündet waren; er trug stets drei Roßkastanien in seiner Tasche gegen Schwindel, und wenn es einmal vorkam, daß er seine Kastanien zu Hause gelassen hatte, dann kehrte er um und holte sie, wo er auch war; er spuckte dreimal aus, wenn er von seiner oder der Gesundheit irgend eines Menschen sprach, und begegnete er, wenn er ausging, zuerst einem alten Weibe, dann ging er sofort wieder heim; was aber sein ganzes Leben gleichsam dirigierte und alle seine Entschlüsse entscheidend beeinflußte, das war sein Traumbuch. O, wie viele qual- und sorgenvolle Stunden hat mir dieses Traumbuch bereitet! Um was es sich auch handelte, ohne sein teures Orakel zu befragen, wurde nichts unternommen, nichts beschlossen.

»Ich werde heute nacht auf meine Träume aufpassen und morgen sehen, was das Traumbuch dazu sagt«, so hieß es stets, ob Wichtiges oder Unwichtiges bevorstand. Und dieses schmutzige, alte, zerblätterte Buch hatte immer Recht, immer das letzte Wort. Denn wenn seine Aussprüche mit den Tatsachen nicht stimmten, oder diesen direkt entgegen waren, dann war es gewiß nicht das Buch, das sich geirrt, sondern er, Leopold, hatte es nicht richtig verstanden, seine geheimnisvollen Winke richtig auszulegen. Es war ihm etwas Heiliges, das ist das richtige Wort, und ich würde nie gewagt haben, dagegen zu räsonieren oder etwa gar darüber zu scherzen – denn dann würde es zwischen uns zu einem ernsten und nie wieder gut zu machenden Zerwürfnis gekommen sein.

Wäre mir daher nur von ihm die Mitteilung über das, was beim Tode des Vaters vorgefallen, gekommen, so hätte ich gewiß nicht viel darauf gegeben; allein ich hatte gehört, was Dr. Schmit und Karl darüber erzählt hatten, und ich wußte, daß sowohl der Jurist als der Arzt ganz nüchterne Menschen waren.

 

Es war höchste Zeit, daß unser Ansehen bei den Bewohnern von Bruck durch das »schöne und ehrenvolle Begräbnis« des Hofrats wieder etwas gehoben wurde, denn es war in der letzten Zeit arg im Abnehmen gewesen.

Anfangs, als wir eben die »Tillsche Mühle« bezogen, wußten die guten Brucker nicht recht, was sie eigentlich aus uns machen sollten. Staudenheim erzählte uns einmal in seiner lustigen Weise, wie er beim Eisschießen zwei von ihnen über uns hatte sprechen hören:

»Wer san denn die neuen Leit' in der ›Tillschen Mühl'‹?«

»Der Herr is a Doktor.«

»Macht er Prozeß?«

»Na, ka Prozeßdoktor is er net.«

»Kuriert er die Kranken?«

»Na, a solcher Doktor is er a net.«

»Ja, was doktert er denn hernach?«

»Er schreibt Bücher.«

»Ja wia denn des?«

»Er hat a Menge, da schreibt er ab und macht neue draus.«

»Jesses! San das so g'scheidte Leit?«

Da ihnen unser Name nicht recht »handsam« auszusprechen war, blieben wir für sie die »g'scheidten Leit.«

Ja, damals standen wir im hohen Ansehen bei ihnen, aber das änderte sich bald. Es waren ihnen da allerhand Gerüchte über unsere innere Angelegenheit zu Ohren gekommen, die sie stark irritierten. Besonders unzufrieden waren sie mit der »Gnädigen«. Ging sie nicht im Sommer in der größten Hitze in einem langen dicken Pelz daher, wenn sie nicht gar als »eiserner Ritter« in Helm und Panzer sich mit ihrem Mann mit Säbeln schlug? Und daß sie wie ein Mann Billard spielte, das konnte jeder sehen. Übrigens bekam auch Leopold seinen Teil ab. Denn daß ein »Doktor« mit Papiersoldaten spielte, das ging über ihre Begriffe. Sie drückten ihre Mißachtung dadurch aus, daß sie uns nicht mehr die g'scheiten, aber nur noch die »narrischen Leit« nannten. Die vornehmen Besuche, die wir erhielten, der Tod des Hofrats und sein schönes Begräbnis milderten zwar etwas ihre üble Meinung über uns, konnten aber an unserer Narrheit nichts ändern, und wir waren und blieben für sie die »narrischen Leit!«

 

Recht sorgenvolle Zeiten brachen für mich an. Es war kein Geld im Hause, dagegen ganze Haufen unbezahlter Rechnungen.

Ich ließ mich nicht zu sehr dadurch verstimmen. Leopold sollte in nächster Zeit etwa tausend Gulden erhalten, und das würde wenigstens augenblicklich Ordnung schaffen.

Doch statt des Geldes kamen eines Tages mehrere Kisten mit Toiletten für mich von einem großen Wiener Modehause an. Es war eine »Überraschung« meines Mannes. Und das war es wahrhaftig! Was waren das für schöne Kleider. Ein schwarzes Samtkleid stand allein für vierhundert Gulden auf der bezahlten Rechnung. Und dann war da ein Theatermantel – ich brauchte einen solchen ganz besonders nötig – aus orientalischem Stoff; eine Tolman in weißem Atlas mit schwarzem Fuchs besetzt; ein blaß-lila und ein weißes Seidenkleid, von so ausgesuchter Eleganz, daß ich ganz überwältigt und wortlos all diese Pracht anstaunte.

Ich mußte die Toiletten eine nach der anderen probieren, und am liebsten wäre es Leopold gewesen, ich wäre auch gleich mit jeder durch die vier Straßen von Bruck gegangen, um sie der »Welt« zu zeigen. Er war so glücklich über all das Herrliche, das ich jetzt hatte, daß mir der Mut fehlte, ihn merken zu lassen, wie mir's ums Herz war.

Eine so großartige Sendung von Toiletten war in Bruck bald bekannt geworden, und das Resultat war, daß die Leute, die uns so lange Kredit gegeben, sehr höflich, aber auch sehr dringend um Zahlung baten. Wie gern hätte ich die schönen Dinge wieder verkauft, um nur etwas von dem Gelde, das sie gekostet, zurückzubekommen. Doch daran war nicht zu denken, ich hätte Leopold damit zu unglücklich gemacht.

So durfte es nicht länger gehen, wir würden immer tiefer in Schulden geraten und die Verlegenheiten kein Ende nehmen. Meinem Manne zerfloß das Geld in den Händen. Nicht nur daß er das, was er besaß, in der unüberlegtesten Weise verschwendete, sondern auch das, das er erst erwartete und dessen er oft nicht einmal sicher war, gab er aus, indem er darauf Schulden machte.

Einen Augenblick dachte ich daran, wieder zu schreiben, um auch etwas zu verdienen, aber ich gab den Gedanken bald wieder auf. Ich hatte einen Mann, Haushalt und Kinder, das waren ernste Pflichten, die mir nahe gingen, das Herz warm und den Geist wach erhielten. Das bißchen Geld, das ich hätte verdienen können, stand in keinem Verhältnis zu den großen Nachteilen, die unser Familienleben erlitten, wenn ich ihm meine Zeit entzogen hätte. Und daß ich die Schriftstellerei so leicht aufgegeben, war mir auch ein Beweis, daß es mit meinem Talent nicht weit her war.

Nachdem sich die erste Freude über die schönen Kleider etwas gekühlt hatte, sprach ich mit Leopold über unsere Lage. Ich suchte ihm begreiflich zu machen, daß wir jetzt, in Rücksicht auf die Kinder, daran denken müßten, in geordnete Verhältnisse zu kommen, da es uns sonst unmöglich sein würde, ihnen eine angemessene Erziehung zu geben. Auch würden diese fortwährenden Geldverlegenheiten schließlich seinem Ansehen als Schriftsteller schädlich werden; er sei es sich selbst schuldig, sich frei zu machen und das sei nicht schwer, da er ja genug Geld verdiene, um schön und behaglich zu leben, es sei nur Ordnung nötig.

Er gab mir ganz recht und schlug mir vor, ich möge von nun an selbst die Kasse führen, sein ganzes Geld verwahren und ihm nur so viel geben, um die alten Schulden zu bezahlen und mir von Zeit zu Zeit einen Pelz zu kaufen.

Das war abgemacht. Seine Schulden sollte er bezahlen, und daß für Pelze so wenig Geld als möglich übrig bleiben sollte, dafür wollte ich schon sorgen.

Er sagte mir dann noch, er täte das sogar sehr gern, weil er sich mit Geld nicht gern befasse und weil es auch einen großen Reiz für ihn habe, ganz von mir abhängig zu sein. Deshalb sollte ich ein schriftliches Abkommen mit ihm treffen, das er unterzeichnen würde und in welchem er mir das alleinige Recht auf sein ganzes Einkommen zuerkenne. Darüber mußte ich wieder lachen, er aber nahm es sehr ernst und bat, daß ich den Vertrag sofort schreibe, und er sich ganz in meiner Hand fühle. Ich erkannte die Vorteile, die ich für unsere wirtschaftliche Lage daraus ziehen könnte, und war dazu bereit. Ich setzte mich also an den Schreibtisch, und er brachte mir einen schönen Bogen Kanzleipapier und sagte:

»Du mußt aber einen Pelz anziehen, wenn du das schreibst, damit ich das Gefühl deiner Herrschaft bekomme.«

Ich zog den Pelz an und schrieb den Vertrag! Er stand abseits und sah mit Schrecken und Entzücken auf mich. Nachdem das Schriftstück fertig war, unterschrieb er es, indem er sagte:

»Bewahre es gut auf. Du bist jetzt meine Gebieterin und ich dein Sklave. Ich werde nur noch ›Herrin‹ zu dir sagen. Befehle mir und ich werde dir immer gehorchen.«

Ich fing die neue Ära damit an, daß ich aller häuslichen Verschwendung ein Ende machte. Den Geschäftsleuten wurde gesagt, daß sie nichts mehr ins Haus senden dürften, das nicht ausdrücklich bestellt war. Mit dem ersten Geld, das einging, bezahlte ich alle kleinen Schulden, und nach einigen Monaten war ich von drückenden Verpflichtungen frei, ja ich hatte bereits eine kleine Summe auf der Seite.

 

Zwei Kritiken, die man uns zugesandt, gaben mir viel zu denken. Die eine war in den »Débats« und von Asher [!], dem damaligen Kritiker des Pariser Blattes, unterzeichnet. Die andere kam aus Deutschland, doch kann ich mich weder an den Namen des Blattes, noch den des Kritikers erinnern.

Was die »Débats« sagten, war so glänzend, daß Leopold vor Freude darüber förmlich erschrak. Asher [richtig: Achard] begann damit zu erzählen, wie eben etwas ganz Seltsames in der literarischen Welt in Paris vorgehe: ein junger klein-russischer Schriftsteller, der bisher in Frankreich ganz unbekannt war, habe in unglaublich kurzer Zeit durch die Veröffentlichungen einiger seiner Novellen so viel Interesse und Sympathie erregt, daß den Parisern sein für französische Zungen geradezu unaussprechlicher Name geläufig geworden ist, und daß man in jedem Salon qui se pique d'être littéraire der Frage begegnet: »Haben Sie den ›Don Juan von Kolomea‹ von Sacher-Masoch gelesen?«

Das war mehr, als mein Mann brauchte, um in Ekstase zu geraten.

Die deutsche Kritik war weniger schmeichelhaft, dafür aber eingehender, und man fühlte aus ihr warmes und aufrichtiges Interesse für das Talent Sacher-Masochs. Mich machte sie nachdenklich, weil sie sagte, was ich selbst schon gedacht hatte, aber Leopold gegenüber nicht auszusprechen wagte: Daß die Frauen in seinen Novellen anfingen, sich auffallend ähnlich zu sehen; so interessant diese Frauen auch seien, bei Wiederholungen ermüdeten sie, und es sei Gefahr vorhanden, daß Sacher-Masoch dadurch monoton werde. Er müsse sich von diesem Frauentypus befreien, indem er dieses Weib aus seinem Leben streiche, auf die eine oder andre Art mit ihm fertig werden, damit es nicht mehr in seinen Büchern spuke. –

Nachdem die Freude über die Artikel in den »Débats« sich etwas gelegt hatte, frug ich ihn, was er zu der deutschen Kritik sage. Er hatte sie erst flüchtig angesehen. Jetzt las er sie aufmerksam, und darauf wurde auch er nachdenklich.

»Alles, was der Mann sagt, ist richtig«, versetzte er dann. »Nur in einem irrt er sich – in der Hauptsache. Wäre diese Frau, wie er meint, in meinem Leben, dann wäre sie nicht in meinen Büchern. Sie kommt hinein, weil ich den Geist voll von ihr habe. Sobald ich eine Frau schildern will, ist sie es, die mir in die Feder kommt; gegen meinen Willen muß ich immer wieder sie beschreiben, und bin ich einmal dabei, dann kommt es wie ein Rausch über mich, und ich kann nicht aufhören, bis sie in ihrer ganzen teuflischen Schönheit gemalt ist ... Daß es die Leser schließlich langweilen wird, das fürchte ich selbst oft, aber was tun?«

»Solche Frauen waren doch schon in deinem Leben.«

»Du meinst die P...?«

»Sie und andere.«

»Ach, alle wollten nur das sein, waren aber zu schwach dazu.«

»Natürlich. Wie willst du eine Gestalt deiner Phantasie genau so in der Wirklichkeit finden? Du verlangst zuviel. Du solltest deine Bedeutung als Schriftsteller nicht dadurch in Frage stellen. Die deutsche Kritik gibt dir einen gutgemeinten Wink, du solltest ihn verstehen und nicht warten, bis dir derselbe Vorwurf auch in Frankreich gemacht wird. Dir liegt doch so viel an dem Beifall der Franzosen, du siehst deine Zukunft in Frankreich – bedenke, was auf dem Spiele steht; faß einen Entschluß und wirf ein für allemal das ›böse Ideal‹ über den Haufen.«

Er sah mich sehr ernst an.

»Du hast wohl recht. Ich muß es aufgeben. Du könntest mir viel dabei helfen.«

»Wie das?«

»Indem du die Pelze trägst und die Peitsche schwingst.«

»Ich trage doch die Pelze.«

»Ja, aber mit der Peitsche willst du dich nicht befreunden. Was auf dem Spiele steht – unsere Zukunft – muß dir ebensoviel wert sein, als mir. Wenn ich ein Opfer bringe, dann kannst du auch eins bringen. Es ist mir ein Genuß, von meiner Frau malträtiert zu werden; also malträtiere mich, und ich gebe dir mein heiligstes Versprechen, mein Ehrenwort, daß von heute an keine grausamen Frauen in meinen Novellen mehr auftreten werden. Gehst du darauf ein?«

Ich überlegte nicht lange. Wenn er sein Wort hielt, woran ich nicht zweifelte, war alles gewonnen.

Von nun an verging kaum ein Tag, an dem ich meinen Mann nicht peitschte, ihm nicht beweisen mußte, daß es mir mit meinem Versprechen ernst war. – Anfangs kostete es mich viel Überwindung, aber nach und nach gewöhnte ich mich daran, obgleich ich es immer widerwillig und unter dem Zwange der Verhältnisse tat. Da er sah, daß ich mich darein gefunden hatte, war er erfinderisch, die Sache so schmerzlich als möglich zu machen. Er ließ nach seinen Angaben Peitschen fertigen, und unter diesen eine mit scharfen Nägeln durchzogene sechsschwänzige Knute. –

Nun hielt er sein Versprechen, und was er in den nächsten Jahren schrieb, war frei von Pelzen, Peitschen und Grausamkeiten.

 

In diesem Winter schrieb ein junges Mädchen aus Genf, Fräulein Kathrin Strebinger, und bat Leopold, ihr zu erlauben, seine Novellen übersetzen zu dürfen. Sie sagte, sie sei die Tochter eines Pastors in Morges, wohne aber in Genf, wo sie Rochefort auf die Novellen Sacher-Masochs aufmerksam gemacht habe. Sie habe in der Revue de deux mondes alles gelesen, was Frau Bentzon übersetzt, und würde gern unter denselben Bedingungen und für dasselbe Blatt übersetzen, was sie, dank ihrer Beziehungen zu Rochefort, leicht könne.

Unter denselben Bedingungen, wie Frau Bentzon! Das waren allerdings günstige Bedingungen.

Leopold nahm das Anerbieten an und nannte als Bedingung die Hälfte des Honorars. Gleichzeitig sandte er ihr eine Novelle ein. Nicht lange nachher erschien diese wirklich in der Revue des deux mondes, und als die Hälfte des Honorars erhielt er von Fräulein Strebinger mehr als er in Deutschland oder Österreich für ein Original bekam.

 

Mit dem Winter war auch Staudenheim wieder nach Bruck gekommen. Wie früher, saßen wir abends wieder zusammen beim Schach, während mein Mann schrieb.

Es gehörte zu den Manien meines Mannes, von Zeit zu Zeit Toiletten für mich zu »dichten«, die mich zur Verzweiflung brachten, eine Verzweiflung, die ich mich aber wohl hütete ihn merken zu lassen. So trug ich in jenem Winter ein spinatgrünes Kleid, dazu eine rote Tuchjacke mit schwarzen Samtaufschlägen, wie sie die Postillone tragen, und eine Dragonermütze, gleichfalls von schwarzem Samt und mit Hermelin besetzt.

Als ich das erste Mal so angetan ausgegangen war, mußte mich Staudenheim von seinem Fenster aus gesehen haben, denn er sagte abends zu mir:

»Gnädige Frau, aus welchem Modejournal ist denn die Toilette, die Sie heute anhatten?«

»Eine Erfindung meines Mannes.«

»Ist sie nicht reizend?« frug dieser, der dabeisaß. Staudenheim sah ihn von der Seite an.

»Das schon«, sagte er, »nur schmeckt sie stark nach Zirkus. Für eine Kunstreiterin wäre sie das Ideal.«

Leopold, der Komplimente erwartet hatte, verbiß seinen Ärger und ging in sein Zimmer, um zu schreiben.

Und jetzt sprach Staudenheim zum ersten und letzten Mal mit mir allein – von mir.

»Sie sind nicht böse wegen meiner Bemerkung über Ihre Toilette?«

»Nein.«

»Aber, warum lassen Sie sich so herrichten?«

»Weil es ihn freut.«

Er sah mich an, so recht tief in die Augen, wie er es sonst nicht oft tat, und sagte dann:

»Wissen Sie, was ich am meisten an Ihnen bewundere?«

Ich winkte ihm mit der Hand ab, er aber fuhr fort:

»Nein, Sie können hören was ich sagen will – er auch. Was ich am meisten an Ihnen bewundere, ist, was für ein guter Kamerad Sie Ihrem Mann sind. Ich glaube, darin liegt das Geheimnis aller glücklichen Ehen. Wie Sie immer mit guter Laune alle seine Marotten mitmachen ... das würde keine andere Frau tun ... nein, keine. Damit werden Sie ihn immer halten ... Komisch ist dabei, daß er Sie seine Herrin und sich Ihren Sklaven nennt.«

Ich dachte, wie mein Eingehen auf die Marotten meines Mannes diesen nicht verhindert hatten, mir mit Melitta untreu zu sein, und wie oft die klügsten Reden von der Wahrheit am weitesten entfernt sind. –

 

Hat dich der Teufel erst an einem Haar – so hat er dich auch ganz.

So ging es mir, nachdem ich einmal aus Rücksicht auf seinen schriftstellerischen Ruf nachgegeben, und auf die Phantasien meines Mannes eingegangen war.

Jetzt trat er direkt mit dem Verlangen an mich heran, ihm untreu zu werden.

Zuerst hatte ich ihm mit einem entschiedenen »Nein« geantwortet. Er aber hatte eine immer siegreiche Art, meinen Widerstand zu brechen.

Meine Weigerung nahm er ruhig hin, ohne ein Wort zu erwidern, ja ohne auch nur den geringsten Ärger zu zeigen – aber er schrieb von dem Tage an keine Zeile mehr. Wochen, Monate vergingen. Ich sah den Tag kommen, an dem wir ohne Geld sein mußten und machte ihm Vorstellungen.

Er schien darauf gewartet zu haben.

»Du meinst wohl, ich könnte Novellen schreiben, wie du Strümpfe strickst? Ich brauche zu meinen Arbeiten Stimmungen, Anregung. Was mich anregt, weißt du. Wenn du willst, daß ich für dich und deine Kinder Brot verdiene, dann kannst du doch auch etwas dazu tun. Man möchte wahrlich glauben, daß ich etwas ganz Entsetzliches von dir verlange. Was es ist, kann dir doch nur ein Vergnügen sein, du aber tust, als ob ich das schwerste Opfer von dir forderte.«

Was sollte ich tun? Anderes als nachgeben?

Ich erwartete wieder ein Kind; mit Lina waren es dann drei. Und immer fehlte es an Geld im Hause. Ich mochte sparen, wie ich wollte, kaum hatte ich etwas auf die Seite gebracht, da kamen unvorhergesehene Ausgaben: ein drohender Prozeß wegen einer Schuld, ein Blatt oder ein Verleger, der nicht zahlte, kurz, es gab immer was, das mein Erspartes verschlang. Und hatte Leopold irgendeinen kostspieligen Wunsch, kostspielig für unsre geringen Mittel – so fehlte es mir an Mut, ihm die Befriedigung desselben zu verweigern, in Rücksicht darauf, daß es ja sein Geld war.

Ich durchforschte und frug mich, warum ich seinen Wunsch nicht erfüllen wollte. Im Grunde war es, wie er richtig sagte, nichts Entsetzliches, sich von einem anderen, als seinem eigenen Mann lieben zu lassen. Moralische Gründe waren es nicht; oder doch, es waren moralische Gründe. Es ging nicht gegen meine Moralbegriffe, zu lieben und geliebt zu werden, wenn Herz und Sinne darnach verlangten.

Mein Mann, meine Kinder, mein Haus, das war eine kleine, aber so reiche Welt, daß ich volle Befriedigung in ihr fand. Auch handelte es sich hier gar nicht um mein, sondern um sein Verlangen. Das war's, wo er meiner Natur Gewalt antun wollte, diese aber sich dagegen bäumte. –

Dazu kamen noch andre Bedenken. Seitdem ich mit Sacher-Masoch lebte, war ich entweder schwanger oder ich nährte ein Kind – die Pflichten, die mir das auferlegten, schienen mir wichtiger und lagen mir mehr am Herzen, als die Befriedigung seiner Begierden. Und falls ich nachgegeben und diese Nachgiebigkeit Folgen gehabt hätte? Da hatten wir bereits ein Kind, dessen Mutter ich nicht war, sollte ich welche ins Haus bringen, deren Vater er nicht sein würde? Das alles war so widerwärtig, so gefahrdrohend für unser aller Glück, daß ich mich mit Schrecken davon abwandte.

Soweit war ich jedoch schon, daß ich es nicht mehr wagte, ihm mit einem offenen »Nein« zu antworten, als er mir jetzt wieder von Herrn F. sprach. Eine erneuerte »Arbeitseinstellung« mußte ich um jeden Preis vermeiden.

Er merkte mir aber doch an, daß Ich über seinen Vorschlag nicht sehr erfreut war, und deshalb lobte er mir den »schönen Herrn F.« und versicherte mich, daß ich eine ganz falsche Meinung von ihm hätte, er sei ein sehr netter Mensch und ganz gewiß schon seit langem in mich verliebt. Er brachte ihn auch ins Haus. Aufgebracht über seine Anwesenheit, beleidigte ich ihn in Gegenwart meines Mannes und einiger Offiziere. – Er kam nie wieder. Es tat mir dann leid, daß ich es getan hatte, denn er war nicht von selbst gekommen, aber ich hatte kein anderes Mittel, ihn für immer los zu werden.

Ich fürchtete, Leopold werde mir das übelnehmen und mir darüber Vorwürfe machen, als wir aber allein waren, lachte er und sagte:

»Das hast du wunderbar gemacht. Der arme F., er war wie aus den Wolken gefallen. Da hast du wieder einmal gezeigt, daß ich recht habe, wenn ich behaupte, daß du etwas von einer Sultanin, einer Monarchin in deinem Wesen hast; du könntest einem unbequemen Untertanen in aller Seelenruhe den Kopf vor die Füße legen lassen.«

Da Staudenheim und F. in dieser Richtung nichts mehr hoffen durften, sah sich mein Mann weiter um einen Liebhaber für mich um. Er kam bald zu der Überzeugung, daß es in Bruck keine große Auswahl gab. Ich sollte nach Graz gehen und dort so lange bleiben, bis ich den »Griechen« gefunden hätte. Er nannte meinen künftigen Geliebten stets den »Griechen«, weil in der »Venus im Pelz« deren Liebhaber ein Grieche ist, und der meinige dieselbe Rolle in dem zu erwartenden Drama spielen sollte. Ich überlegte, wie ich es anstellen werde, um meinen Aufenthalt in Graz so kurz als möglich zu machen. Der Zufall half mir. Es sollte ein wenig Geld für diesen Zweck eingehen; es kam auch, allein die Summe war lang nicht so groß als wir erwartet hatten, und erlaubte mir, höchstens acht Tage im Hotel zu leben. Diesmal segnete ich den sonst recht fatalen Zufall.

Leopold empfahl mir, in Graz jeden Abend ins Theater zu gehen, mich viel auf der Promenade herumzutreiben, hauptsächlich aber im Hotel die Augen offen zu halten; denn in den Hotels machten alleinreisende Frauen die interessantesten Bekanntschaften, er habe das selbst erfahren; die R... wie die Frau P... seien Hotelbekanntschaften gewesen.

Ich legte seine guten Ratschläge zu den stolzen und schönen Kleidern, die er in meinen Koffer packte, und brachte die einen wie die andern so sauber und unberührt, wie ich sie mitgenommen, wieder nach Hause, denn ich hatte keine Verwendung dafür gefunden. Ich war nur zwei Tage abwesend. Gleich nach meiner Ankunft in Graz schrieb ich an meinen Mann, ich hätte auf der Fahrt rasende Zahnschmerzen bekommen und würde, wenn es den nächsten Tag nicht besser ging, wieder zurückkehren, denn krank im Hotel zu sitzen hätte keinen Sinn. Darauf erhielt ich einen Brief, der mir sagte: »Komm! du wirst mit offenen Armen empfangen sein, denn dein Mann vergeht in Sehnsucht nach dir.«

Eine Trennung war uns beiden unmöglich; mir wegen der Kinder, und ihm, weil er so gewöhnt war, mich jede Minute um sich zu haben, daß er mich nicht entbehren konnte.

 

Sacher-Masoch hatte eine sehr ausgebreitete Korrespondenz, die ihn freute, weil sie ihm ein Beweis seines großen Rufes war, andererseits aber auch wieder lästig wurde, weil sie ihm viel Zeit raubte. Er widmete ihr einen Tag in der Woche. Da er sich in seiner Arbeit durch die ankommenden Briefe nicht wollte stören lassen – vielleicht durch unangenehme eine gute Stimmung verlieren – war es ausgemacht, daß ich alle Postsachen an mich nahm und ihm erst nach Tisch vorlegte. Ebenso gingen alle Briefe, die er schrieb, sowie alle Manuskripte, die er versandte, durch meine Hände.

Zu den Frauen, mit welchen er in regelmäßigem Briefwechsel stand, gehörten eine in Schlesien lebende Gräfin X. und ein Fräulein v. Oberkamp in München. Wie alle andern gingen auch die Briefe an und von diesen Damen durch meine Hände.

Daß mein Mann mit Frauen korrespondierte, wußte ich also, und ich sah es sogar gern; für ihn war ein Briefwechsel mit einer geistreichen Frau gewiß eine Anregung, und an eine Gefahr dabei dachte ich nicht. Es war mir daher nie eingefallen, nach dem Inhalt dieser Briefe zu fragen oder danach zu forschen. Manchmal erzählte mir mein Mann, was ihm diese oder jene geschrieben, manchmal auch, was er darauf geantwortet – das war alles.

Fräulein v. Oberkamp sandte ihm wiederholt ihre Photographie, und er zeigte sie mir: ein von Locken umwalltes Haupt, mit exaltiertem Ausdruck, wie es sich für eine Schriftstellerin paßt – denn das war sie. Sie war zudem furchtbar schreibwütig. Zuweilen, wenn mein Mann in meiner Gegenwart ihre Briefe öffnete und 4-5 Bogen herauskamen, sagte er:

»Ach, das verrückte Frauenzimmer, was hat sie nur wieder so viel zu schreiben?«

Es lag wieder so ein dicker Brief von Fräulein v. Oberkamp da, als mein Mann nach Tisch in den Salon kam. Er nahm ihn rasch an sich, öffnete und las ihn. Ich bemerkte, wie sein Gesicht dabei auffallend ernst wurde. Er hatte ihn noch nicht ganz zu Ende gelesen, als er plötzlich abgerufen wurde. Er warf die Blätter auf den Tisch und ging hinaus. Eins war dabei auf den Boden gefallen, ohne daß er es bemerkt hatte. Ich bückte mich und hob es auf. Unwillkürlich warf ich einen Blick darauf, während ich es zu den anderen legte, und da las ich: »Mein Geliebter und bald mein Mann!« Das war ein Anfang, der meine Neugierde reizen konnte, und das tat er auch. Ich las weiter. Aber, was las ich da! Fräulein v. Oberkamp schrieb an ihren »Geliebten und bald ihren Mann!«, daß jetzt alles geordnet sei und ihrer Vereinigung nichts mehr im Weg stehe. Die letzten Formalitäten, die Herausgabe ihres Vermögens betreffend, seien erfüllt, und dieses stehe nun ganz zu ihrer Verfügung. Die Villa in – hier nannte sie einen Ort in der Umgebung Münchens – sei vollständig möbliert; seine Zimmer, besonders sein Arbeitszimmer, ganz so, wie er es wünschte; sie würde in einigen Tagen hinziehen, und dann nur noch die Stunden und die Minuten bis zu seiner Ankunft zählen.

Diese Tatsachen waren reichlich eingebettet in einen Überfluß schwülstiger Phrasen, wie: »Mein Blut siedet, wenn ich an dich denke und an die Seligkeiten, die ich in deinen Armen genießen werde.«

Ich war noch ganz vertieft in den interessanten Brief, als Leopold wieder hereinkam. Doch ehe er ihn mir aus der Hand reißen konnte, was er beabsichtigte, hatte ich ihn an meiner Brust in Sicherheit gebracht. –

»Du wirst mich doch nicht für das verantwortlich machen wollen, was die Närrin schreibt?« sagte er unsicher.

»Die Narrheit dieser Närrin steht auf sehr soliden Füßen – ihr verfügbares Vermögen – die ohne deine ›Narrheit‹ nicht hätten entstehen können!«

»Ich kann dir nur sagen, daß ich absolut unschuldig an dem ganzen Gewäsch bin. Die Person hat mich vollständig mißverstanden; ich habe ihr nie in einer Weise geschrieben, um ihr solche Hoffnungen zu erwecken.«

»Laß gut sein. Diesen Brief werde ich beantworten – und damit werden die Mißverständnisse aufhören.«

Und noch in derselben Stunde schrieb ich an Fräulein v. Oberkamp einen kurzen aber kräftigen Brief, den sie auch, wie ich erwartete, sehr gut verstanden hat, denn sie ließ nie wieder etwas von sich hören.

 

Ich fing an, meine Lage und die Zukunft meiner Kinder in einer neuen Beleuchtung zu sehen. Daß mein Mann soweit gehen konnte mit einer Person, die er nie gesehen, berechtigte mich, das Ärgste zu fürchten. Dennoch glaubte ich nicht, daß er es jetzt getan hätte – noch hielten ihn zwei zarte Kinderarme fest – aber für wie lange? Ich hatte erhalten, was ich so heiß ersehnt hatte, einen idealschönen blonden Knaben, der seinem Vater in nichts glich. Vielleicht liebte ihn dieser gerade darum um so mehr, denn er trieb wahre Abgötterei mit ihm. Aber wie rasch und gründlich sich solche Abgötterei bei ihm in vollständige Gleichgültigkeit verwandeln konnte, das hatte ich bei Lina gesehen. Dieses Kind, das er in den ersten Tagen mit seiner Liebe beinahe quälte, war jetzt für ihn so gut wie nicht vorhanden. Eine solche Wandlung konnte auch für mein Kind eintreten. Von welchen nichtigen Zufällen war sie abhängig? Und war eine Liebe aus seinem Herzen, so war sie auch aus seinem Leben gestrichen. Ich durfte mir keine Illusionen machen: Pflicht und Liebe waren bei ihm eins. Wo er nicht liebte, war für ihn keine Pflicht. So war es mit Lina, und so würde es mit uns sein. –

Mit Schrecken mußte ich erkennen, daß ich meine stärksten Hoffnungen auf Irrtümern gebaut hatte. Seine große Liebe zu mir, die Liebe zu seinen Kindern, sein häuslicher Sinn – Irrtümer. Nichts würde ihn halten, wenn ihm fern von uns Befriedigung seiner Phantasien winkte. – Und noch gestern sagte er zu mir:

»Weißt du, Wanda, manchmal denke ich mit Entsetzen, was aus mir würde, wenn ich das Unglück hätte, dich durch den Tod zu verlieren. Du bist so alles für mich geworden, die einzige Bedingung meines Lebens, daß es für mich bereits eine beschlossene Sache ist, mich und die Kinder zu erschießen, wenn du sterben solltest.«

Dabei hatte er wieder sein verfallenes bleiches Gesicht mit den vor Schreck starren Augen. Und in diesem Augenblick war das keine Lüge, nur ein Irrtum – sein Irrtum.

* * *


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