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Der Winter hatte eine solide Schneedecke über Stadt und Land gebreitet; früher schon still und leer, war der Ort jetzt wie eingeschlafen, nur wenn der leise Klang von Schlittenglocken von weit her kam, tauchten die Verschlafenen an den Fenstern auf, um zu sehen, was da komme.

Still war es auch um uns, aber nicht in uns.

Lange Stunden saß Armand bei mir und las mir vor. In einer solchen Stunde hatte ich mich verloren, mich von meinen Erinnerungen übermannen lassen und darüber ihn und das Gelesene vergessen.

»Wanda, an was denkst du!« rief er mich plötzlich an. Und schon hatte er in eifersüchtiger Wut einen Stuhl ergriffen und ihn wie ein Spielzeug zerbrochen.

»Schau mir in die Augen – an was hast du eben gedacht?«

»Meine Gedanken sind mein

»Du kannst sie nicht ausdrücken – das ist's ... Manchmal hab' ich Lust, dir mit einem Beil den Kopf zu spalten, nur um zu sehen, was darin ist ... um zu wissen, was in dir vorgeht, wenn du so abwesend vor dich hinstarrst ... um all das kennen zu lernen, was an dir nicht mein ist ... Wenn du ahnen könntest, was für eine Qual es für mich ist, zu denken, daß du eine Vergangenheit hast, in der ich nicht bin ... daß du Erinnerungen hast, die sich nicht an mich knüpfen ... eine ganze Welt in dir lebt, die mir fremd ist und fremd bleiben wird ... wenn du das ahnen könntest, würdest du Mitleid mit mir haben. Aber du kannst das nicht ahnen, weil du nicht weißt, wie ich dich liebe, was du für mich bist ... Was diese Liebe für eine Marter für mich ist! Manchmal bin ich ruhig, wenn ich dich so still und brav sehe ... dann plötzlich ziehen Schatten über dein Gesicht, dein Blick geht in die Weite ... wohin? ... Immer denke ich an dich. Ich spreche mit andern und ich denke an dich, und wenn ich ganz von dir voll bin, packt mich die Verzweiflung, daß ich deiner nicht wert bin, daß du mich nicht lieben kannst

So quälte er sich und mich.

Ich habe schon angedeutet, daß zwischen uns kein physischer Verkehr bestand. Was Tolstoi in seiner »Kreuzer-Sonate« predigt, war in unseren Beziehungen zur Tatsache geworden. Ich glaube aber nicht, daß der große Russe Grund gehabt hätte, auf den Erfolg seiner Theorien stolz zu sein – denn moralische Gründe waren es kaum, die Armand dahin führten. – Oder waren es doch moralische?

Was aber auch die Ursachen waren, ich forschte nicht nach ihnen – zu glücklich, daß es so war, wie es war. Daß sie aber Unruhe und Qual in seine Liebe brachten, das tat mir leid. –

 

An der Table d'hote im »Falken« saßen nur wenig Gäste, zwei bis drei Handelsreisende, die immer wiederkehrten.

Es hatte in der Nacht wieder geschneit, und auf dem alten, bereits hart gewordenen Schnee lag am Morgen ein leichter weißer Flaum. Die Schneeflocken hatten einen feinen Spitzenschleier über meine Fenster gewebt, und draußen auf dem Sims lag der Schnee tief auf die Mauer hinabgeneigt, wie Schaum, der aus einer übervollen Schale geflossen.

Es mußte draußen sehr kalt sein. Die wenigen Menschen, die über die Straße gingen, taten es eilig und in gebückter Haltung, als ob sie sich gegen die Kälte wehren oder sie von sich wegstoßen wollten.

Als wir an diesem Tage zum Essen hinunterkamen, waren noch weniger Reisende da als sonst. Frau Keller stand während des Essens am Büfett, während ihr Töchterchen servierte.

Ich saß am oberen Ende des Tisches, der Türe gegenüber. Etwas zog meinen Blick nach der Tür, da ging sie auf und ein schlanker Mann stand in ihr und sah zu mir, wie ich zu ihm. Es war ganz still im Saal gewesen; niemand hatte den Fremden die steile, immer knarrende Holztreppe heraufkommen hören, weshalb ihn alle überrascht ansahen. Auch hatte er etwas seltsam Fremdes, das hier auffiel. Sein Auge hatte nur eine Sekunde in das meine geblickt, meine Seele aber wie ein elektrischer Funke in heißem Schrecken berührt.

Mit der ruhigen Sicherheit eines vornehmen Mannes trat er auf Frau Keller zu und sprach zu ihr. Ich sah, wie etwas wie Erstaunen über ihr Gesicht flog, dann lächelte sie in ihrer lieben Weise und wies den Fremden an einen Seitentisch, der etwas hinter mir stand. Sie half ihm seinen Pelz ausziehen und bat ihn, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dann ließ sie ihm servieren.

Am anderen Ende der Tafel, wieder mir gegenüber, befand sich der Kamin, und über diesem ein großer Spiegel. In ihm sah ich den Fremden – und er mich.

Eine unbeschreibliche Erregung hatte sich meiner bemächtigt; mein Herz schlug, alle Nerven zitterten in mir, und nur mit Mühe konnte ich noch atmen.

Die Tafel war lang, der Spiegel weit von mir entfernt, und doch sah ich das blasse, edle, tieftraurige Gesicht, als wäre es ganz nahe bei mir, und unsere Augen senkten sich ineinander, wie die Augen von Menschen, die sich gesucht, erwartet und viel zu sagen haben. Es war nichts Irdisches in dem durchgeistigten Antlitz, und in dem dunklen Blick eine solche Unendlichkeit von Leid, eine so hoffnungslose Ergebung, daß ich fühlte, wie mein Herz mit ihm weinte. Ich erkannte, daß alles, was aus diesem Gesicht an Schmerz und Gram zu mir kam, mir ein Wohlbekanntes war – die Angst und Qual, die in dem Unendlichen mein Teil gewesen in der Vergangenheit – und sein wird in der Zukunft.

Das Essen war zu Ende, wir standen auf und gingen hinaus.

Einige Minuten später stand ich an meinem Fenster und sah hinaus. Ich hatte kein Gegenüber, nur Gärten und die Landstraße mit dem kleinen Gäßchen, das hier abbog zur Bahn.

Da ging er! Ich hatte ihn nicht kommen sehen, nun war er da. Und jetzt hob er den Hut und grüßte – mich. Ohne sich umzukehren, ohne den Kopf zu wenden, hatte er mich gegrüßt ... mich. Niemand war auf der Straße, niemand in den Gärten, nur mir konnte der Gruß gelten. Ich riß das Fenster auf, als wollte ich mich ihm nach hinunterstürzen – da war er verschwunden ... nicht weiter gegangen ... nicht in das Gäßchen abgebogen – verschwunden.

In einem wahren Tumult von Gedanken und Empfindungen, denen ich keine Worte geben kann, gingen Stunden hin.

Am späten Nachmittag saß Frau Keller gewöhnlich allein im Speisesaal, ihre Rechnungen ordnend. Ich ging zu ihr, ich mußte über den Fremden mit ihr sprechen.

Kaum hatte ich seiner erwähnt, da legte sie auch schon ihre Papiere hin und erzählte mir ganz ergriffen, was für ein seltsamer Gast das war. Sein Eintritt hatte sie schon sehr erstaunt, denn es gab um diese Zeit keinen Zug, auch hatte man keinen Wagen oder Schlitten anfahren hören; er war also zu Fuß gekommen; da aber hatte sie ihm auf die Füße geblickt, und an seinen feinen Schuhen nicht die leisesten Spuren von dem frischgefallenen Schnee entdeckt. Das war schon rätselhaft; ihr Erstaunen aber wurde zu mitleidsvollem Schrecken, als sie der elegante Fremde bat, ihm zu essen zu geben; er habe Hunger, aber kein Geld, um zu bezahlen.

»Und keins hat ihn komme und keins gehe sehe«, sagte die gute Frau in ihrer Schweizer Mundart, »und ischt doch der Lohndiener alleweil unte an der Treppe.«

Nachdem der Fremde ihr für das Mahl gedankt – was, wie sie sagte, gar nicht nötig war, denn er hatte so viel wie nichts gegessen und den Wein nicht angerührt – und gegangen war, hatte sie ihm gleich den Lohndiener nachgeschickt, um zu sehen, wohin er ginge. Nirgends aber hatte dieser seine Spur entdeckt, nicht die Straße hinunter, nicht die Straße hinauf und auch nicht an der Bahn.

»Wo ischt er nu herkomme? Wo ischt er hingange? Der arme Herre«, schloß Frau Keller.

 

Ich wartete, bereit, den Schlag zu empfangen, den mir das Schicksal wieder zugedacht hatte.

In der zweiten Hälfte Februar träumte ich in einer Nacht, daß ich mühevoll einen steilen Berg hinauf gegangen. Ich war auf einer Hochebene, die sich in unendlicher Weite auszubreiten schien. Ich war allein, und es war finstere Nacht; kein Stern leuchtete am Himmel, und unten war kein Haus, kein Mensch, kein Tier, kein Baum, nichts als Finsternis und tiefes, schweres Schweigen um mich. Es war, als ob die Welt seit Jahrtausenden versunken und ich allein in der ewigen, einsamen Nacht zurückgeblieben wäre. Grauen, Furcht und Schrecken erstarrten mir das Blut; ich sank auf die Knie und betete so inbrünstig, so mit ganzer Seele, wie ich als Kind gebetet, wenn mir das Herz recht schwer gewesen. Da erschien in der dunklen Ferne ein heller Schein, der immer mehr zunahm. In ihm erkannte ich Golgatha und Christus auf dem Kreuz. Der Gekreuzigte schaute auf mich mit demselben unsagbar traurigen Blick, mit dem der Fremde an jenem Mittag auf mich geschaut; das schmerzdurchfurchte Antlitz war dasselbe, das ich im Spiegel gesehen, und wie jenes war mir auch dieses nahe, obgleich es sich in unermeßlicher Ferne von mir befand. Ich hatte kein Bewußtsein von meinem gegenwärtigen Leben; ich fühlte mich als Kind, und wie ein solches hob ich voll Bangigkeit die Hände zu dem Heiland auf, als wollte ich ihn bitten, meine furchtbaren Leiden von mir zu nehmen.

Darüber erwachte ich.

Noch schrecklicher als der Traum war das Erwachen.

Ich lag in einer dunklen Tiefe als irgend etwas, ob Tier? ob Mensch? es war mir nicht deutlich. Wohl hatte ich die Empfindung, daß ich mich besinnen müßte, was oder wer ich war; ich machte die furchtbarste Anstrengung, um aus diesem grauenhaften Zustand herauszukommen, so daß ich darüber Schmerzen empfand. Endlich wurde mir klar, daß ich in einem Bett lag; aber wo war dieses Bett? in welchem Zimmer? und wer war ich denn? Ich schob und drängte gleichsam meinen Geist aus der Bewußtlosigkeit zum Bewußtsein ... langsam und schwer gelang es mir ... es kam und erlöste mich aus dem entsetzlichen Druck, der meine Seele umnachtete.

So mögen die Toten in ihren Gräbern erwachen; ohne Erinnerung an ihr vergangenes Leben, sich nur als eine starre Masse fühlend, irgendwo in ewiger Nacht und ewiger Einsamkeit.

 

An diesem Tage erhielt ich ein Telegramm aus Leipzig, das mir sagte, daß Sascha am Typhus erkrankt war.

Noch denselben Tag reiste ich ab.

 

Zwei blaue Kinderaugen haben sich für immer geschlossen.

 

Ich bin wieder in Neuveville, und das Leben geht weiter.

Vielleicht ist es nicht mehr ganz genau dasselbe wie früher, vielleicht hat sich der Kreis von Liebe, der mich umgibt, noch enger um mich geschlossen – ohne jedoch den Versuch zu machen, da einzudringen, wo ich allein sein will.

Dennoch versucht diese Liebe, leise, mit zarter Hand mich da heraus zu führen. –

Mein Tisch liegt noch voller als sonst mit Büchern, die man lesen muß; es ist Frühling geworden, alles steht in Blüte, und nie ist die Schweiz so schön, als in dieser Jahreszeit – man muß hinaus, um das zu sehen; es gibt so hübsche kleine Ausflüge in die Nähe, kurze Reisen, die an reizende Orte führen, die man gesehen haben muß.

So drängte die Liebe neben mir, die jetzt ganz Sanftmut und Güte war. Wir lebten sehr einfach. Armand hatte von der Schwester seiner Mutter, die mit einem Herrn Goldschmidt, der Prokurist bei Rothschild in Wien war, verheiratet gewesen, 30 000 Gulden geerbt, die zum größeren Teil von »Auf der Höhe« verschlungen worden waren; der Rest aber, hatte für die Verschwendung, die er in Leipzig getrieben, noch lange nicht gereicht, und er war noch in Schulden geraten. Jetzt hatte ihm die Familie den Brotkorb höher gehängt, aber doch nicht zu hoch, um ihn nicht noch ein ganz behagliches Leben führen zu lassen – nach meinen Begriffen. Er fand, daß es ein Hundeleben war.

Hauptsächlich ärgerte ihn diese Einschränkung, weil es ihn verhinderte, mir Luxus zu verschaffen; er aber wollte mich mit Luxus umgeben – er konnte sich eine Frau, eine geliebte Frau, gar nicht anders als im Luxus denken.

Die Familie hatte ihn unter Kuratel gestellt, und wenn er mehr haben wollte, als sie gab, hieß es arbeiten und selbst verdienen. Immer brütete er über dem Plan, nach Paris zu gehen und sich dort als Journalist eine Stellung zu machen.

Mir wäre es ganz recht gewesen, wenn er irgend eine Beschäftigung gewählt hätte, denn das träge Dasein, das er führte, war für ihn gewiß eine Gefahr. Zum Journalisten schien er auch am meisten befähigt.

Über Arbeit hatte er seine eigenen Begriffe. Wenn ich ihn drängte, doch etwas zu tun, nicht so müßig zu bleiben: der Mensch müsse arbeiten, die Arbeit adelt, und derlei schöne Dinge – da lachte er und sagte:

»Aber Wanderl, das glaubst du doch selbst nicht! Wenn die Arbeit nichts weiter ist, als Arbeit, adelt sie nicht, sondern erniedrigt. Wenn einer was im Bauch hat, arbeitet er schon ganz von selbst, weil's raus muß – und dann wird's auch was. Aber so, nur um die Zeit umzubringen, nein! Da schau ich doch lieber dich an, studiere deine Augen, von denen ich noch immer nicht weiß, ob sie grau oder grün sind; oder ich höre auf das Rauschen deiner Kleider, das mir wie die köstlichste Musik vorkommt und mich zu Gedichten anregt ... die ich mache ... oder nicht ... in jedem Fall aber empfinde ich sie ... das ist dann eine Beschäftigung, die adelt, denn sie wird zum Glück

Und doch hatte ich sehr ernste Bedenken gegen einen Aufenthalt in Paris.

Armand war ein kranker Mann. Trotz seines prächtigen, kräftigen Aussehens war nichts Gesundes mehr an ihm. Wir hatten darüber nie gesprochen, aber wir wußten es beide. Er hatte in Deutschland die berühmtesten Ärzte aufgesucht, die sich zwar für den »Fall« interessierten, ihm aber nicht helfen konnten.

Zu der bereits vorhandenen Krankheit hatte sich in Leipzig noch die Gicht gesellt.

Paris mit dem aufreibenden Leben eines Journalisten, seinen Vergnügungen und seinen Restaurants erschien mir für ihn gefahrvoller, als die Untätigkeit in Neuveville.

Aber durfte ich in sein Leben eingreifen? Ihn verhindern, es so zu leben, wie er es verstand? Gewiß nicht. Ich konnte mich ja auch irren, die Dinge schwärzer sehen, als sie waren, und er trotz Paris, trotz seiner Krankheit alt werden.

Was sein wird, wird sein, dachte ich, und ließ den Dingen ihren Lauf.

 

Armand wollte, ehe er nach Paris ging, » porter un coup«, um sich dort gleich die gewünschte Position zu sichern. Er schrieb sein Buch »L'Allemagne telle qu'elle est«, und der Coup war gemacht. Es war damals die Zeit der ärgsten Deutschenhetze in Paris, und wer auf Deutschland schlug, konnte sicher sein, sein Frankreich hinter sich zu haben.

Wir reisten nach Paris, und nur einige Tage nachher war Armand Redakteur am »Figaro«. Nur mit schwerem Herzen hatte ich mich von Neuveville getrennt. Ein Wohnungswechsel war mir immer etwas Peinigendes. Ich lebte mich in die Räume und Dinge, die mich umgaben, so hinein, daß sie mir beinahe lebende Wesen wurden. Es war von meinem Leben, das ich ihnen gab, das sie mir so vertraut und die Trennung von ihnen mir geradezu zum Schmerz machte.

Mehr als von irgend einem anderen Ort wurde mir der Abschied von Neuveville schwer. Hier hatte ich mich zum erstenmal im Schutz eines Mannes gefühlt, frei von allen Sorgen, allen Lasten des täglichen Lebens. Hier war mir alles lieb und wert. Ich liebte mein Zimmer mit den altmodischen Möbeln, den vielen Fenstern mit dem herrlichen Ausblick auf den See und die Berge.

Hier waren wir allein zusammen gewesen, nichts Fremdes zwischen uns; hier fühlten wir jede Minute des Tages unser Leben, während das große, immer bewegte, wechselnde Leben der Welt uns wie eine Fata morgana weit draußen am Horizont erschienen war.

Nun standen wir mitten in diesem, von Armand so heiß ersehnten, von mir so gefürchteten und so wenig erwünschten Pariser Leben.

 

Armand hatte sein Buch Jacques Saint-Cère unterzeichnet und war unter diesem Namen bald eine gekannte Persönlichkeit in tout-Paris.

Da er entschlossen war, nur dann zu arbeiten, wenn ihm die Arbeit viel Geld einbrachte, hatte er dem »Figaro« seine Bedingungen gemacht, und diese waren angenommen worden.

Ich war erstaunt, wie rasch er sich in seine neue Stellung fand, die bald eine beinahe dominierende wurde. Dabei kam ihm besonders die Vorliebe, die der damalige Chefredakteur des Blattes, Herr Francis Magnard, für ihn hatte, zu statten.

Eine ganz besondere Gabe hatte er – und es war gerade die, die ihm in seiner neuen Laufbahn das größte Glück brachte – die Dinge, die er wußte – es waren nicht allzu viele – so darzustellen, daß jeder, der ihn sah und hörte, bei sich dachte: Wenn der reden wollte! Was der wissen muß!

Um diesen Effekt hervorzubringen, wußte er, immer mit dem Schein größter Unabsichtlichkeit, geschickt alles zu verwerten, was ihm gleichsam unter die Hände kam, – auch seine Beziehungen zu Sacher-Masoch und dessen Frau – fürchte ich.

Er war zu klug, um nicht einzusehen, daß, wenn er auch die Stellung im »Figaro« durch diese nicht leicht faßbaren Mittel erreicht hatte, er, um sie festzuhalten, mit reelleren Dingen herausrücken mußte: es handelte sich also darum, sich in die Lage zu setzen, den Erwartungen, die das Blatt auf seinen neuen Redakteur setzte, entsprechen zu können. –

Ich kannte in Berlin eine angesehene reiche Dame, von der ich wußte, daß sie Beziehungen in Journalistenkreisen hatte. Ich schrieb an sie und frug sie, ob es ihr möglich wäre, unter ihren Bekannten einen dafür zu gewinnen, Armand Nachrichten zu liefern.

Sie antwortete ja und gab einen Herrn X... an, der sich ganz besonders dafür eignete, da er Redakteur an einem offiziellen Blatte und zugleich Vertrauensperson eines der Regierung und dem Hofe sehr nahestehenden Mannes war.

Herr X... war teuer. Aber da der »Figaro« in solchen Dingen vor keinen Ausgaben anhielt, kam die Verbindung zustande und dauerte so lange, als Jacques Saint-Cère Redakteur im »Figaro« war.

Er hielt sich gern und viel in der Redaktion auf. Alles, was in Paris einen Namen hatte, strömte da zusammen; zu diesen war er liebenswürdig, gefällig und einfach, und sie sagten: »quel charmant garçon ce Jacques St-Cère.« Hier bildete er sich seine künstlerische, literarische und politische Meinung des Tages, und hier bekam er Witterung von der, die morgen den höchsten Kurs haben werde. – Dabei manövrierte er so geschickt, daß die Leute, die er aushorchte, überzeugt waren, in ihm einen Mann vor sich zu haben, dem bei nächster Gelegenheit eine Machtstellung zufallen werde.

In wenigen Monaten hatte die Wirklichkeit seine kühnsten Hoffnungen und Erwartungen übertroffen: wie in einem Schwindel blickte er manchmal um sich, um sich selbst wieder zu erkennen.

In solchen Augenblicken sagte er dann zu mir:

»Nein, Wanderl, ist das Leben dumm! ... Kenntnisse ... ernstes Streben ... Glück muß man haben!«

 

Ich fand mich nicht leicht in das Pariser Leben, so voll hohler Geschäftigkeit und immerwährender Bewegung, das so ermüdend ist und in dem man sich so rasch selbst verliert.

Doch war ich in der ersten Zeit neugierig, vieles regte mich an, besonders die Bekanntschaft von Personen, die ich nach ihrem Namen und Ruf schon früher gekannt.

Zu ihnen gehörte der Onkel Armands, der Bruder seiner Mutter, Monsignor Bauer. Er war der Beichtvater der Kaiserin Eugenie gewesen und hatte den Suez-Kanal eingeweiht.

Schon Sefer Pascha hatte mir in Bertholdstein mit den Bildern der Familie Lesseps auch die jenes »hohen Würdenträgers« im großen Ornat gezeigt.

Welche Enttäuschung war er für mich!

Er hatte nichts von jenem verführerischen Zauber, der von hohen katholischen Priestern ausgeht, nichts von jener aus Stolz und Demut gepaarten Hoheit, jener würdevollen Anmut und machtvollen Schönheit, die es ihnen so leicht macht, von den Gläubigen als die Repräsentanten Gottes angesehen zu werden.

Bernhard Bauer war als Jude in Budapest geboren. Mit neunzehn Jahren hatte er sich an der März-Revolution beteiligt; Kossuth hatte ihn als Vertreter der Wiener Akademischen Legion öffentlich umarmt und geküßt und ihn als Abgesandten an die Pariser Studenten geschickt. Nach Österreich wagte er sich nicht mehr zurück. Jahre blieb er für seine Familie ganz verschollen. In dieser Zeit soll er sich in Frankreich und Italien als Photograph herumgetrieben haben. In den sechziger Jahren machte ein Carmeliter Mönch, Pater Maria Bernhard vom allerheiligsten Sakrament, durch seine Predigten in der Provinz Aufsehen. Sein Ruf drang nach Paris und an den Hof. Die Kaiserin wurde neugierig und ließ ihn zu den Fastenpredigten nach Paris kommen. Schon mit der ersten Predigt eroberte er Eugenie, den Hof und damit ganz Paris. Die Kaiserin machte ihn zu ihrem Beichtvater, und ihrem Beispiel folgte die ganze vornehme Pariser Damenwelt. Er wurde eine Macht. Die Curie ernannte ihn, um der Kaiserin gefällig zu sein, zum Bischof in partibus infidelium. Er war in die Mode gekommen, die Pariserinnen trieben Abgötterei mit ihm, seine elegante Wohnung in der Rue Florentin, wo er der Nachbar von Lesseps war, blieb stets von schönen Sünderinnen belagert, die ihm ihre Geheimnisse anvertrauen wollten und um ein Rendezvous im Beichtstuhl baten; er würde aus dem Beichtstuhl überhaupt nicht mehr herausgekommen sein, würde er allen den Willen getan haben; er traf also seine Wahl, und er traf sie gut. – Es war gar nicht denkbar, daß ein andrer als Monsignor Bauer den Suez-Kanal eingeweiht. Er reiste im Hofstaat der Kaiserin dahin, und nachdem er »vor einem Parterre von Königen« gepredigt hatte, kam er reich an Ehren und Geschenken wieder nach Paris. Dann brach der Krieg aus. Solange man noch an den Sieg glaubte, spielte Monsignor Bauer eine großartige Rolle im »Roten Kreuz«. In weißem, wallendem Gewand mit dem roten Kreuz auf der Brust, gefolgt von vornehmen freiwilligen Krankenpflegern, ritt er hoch zu Roß durch die Straßen von Paris, den sich ehrfurchtsvoll vor ihm beugenden Vorübergehenden den Segen spendend. Nachdem aber das Unglück Frankreichs besiegelt war, verschwand er aus der Öffentlichkeit. Er hatte gut daran getan; denn unter der Kommune hätte er für sein »segenvolles« Wirken leicht Undank ernten können. –

Ein zweiter Bruder von Armands Mutter hatte sich unterdes in Madrid als Bankier niedergelassen und war am dortigen Hofe persona grata geworden. Es mag für ihn grade keine unangenehme Überraschung gewesen sein, in dem Beichtvater der Kaiserin von Frankreich seinen verlorenen Bruder wiedergefunden zu haben, und es ist auch anzunehmen, daß sie sich recht brüderlich in die Hände arbeiteten.

Noch während des Krieges, erzählte mir Armand, soll die Kaiserin durch Vermittlung ihres Beichtvaters ungeheure Summen bei dem Bankier Bauer in Madrid in Sicherheit gebracht haben. –

Als die Republik erklärt, Ruhe und Ordnung wieder hergestellt, und Paris wieder Paris war, tauchte auch Monsignor Bauer wieder auf, überall da, wo sich die Leute einzufinden pflegen, die gesehen werden wollen. Er war unterdes »aus der Kutte gesprungen«, und zugleich aus der katholischen Kirche, und stellte sich jetzt den Parisern als »Viveur« vor. Er hatte damit nicht viel Glück. Er war unter den Tollen der tollste und in so aufdringlicher Weise, so sehr mit der Absicht, bemerkt zu werden, so sehr bemüht zu zeigen, daß er mit seiner Priester- auch seine Menschenwürde abgelegt hatte, daß er allgemeinen Widerwillen erregte. Aber vorsichtig mußte man mit ihm gleichwohl sein ... mit all den Geheimnissen, die er wußte! Seine ehemaligen Beichtkinder erbleichten, wenn sie nur seinen Namen aussprechen hörten – jetzt, wo er durch das » secret professionel« nicht mehr gebunden war ... Und wie er sich jetzt zeigte! ... Man kam aus dem Zittern nicht heraus.

Er und General Gallifet gehörten zu den »Alten«, die man am öftesten im Foyer der Tänzerinnen, in der Großen Oper und auf dem Turf bemerkte; die Reporter der mondainen »Echos« versäumten nicht, von Zeit zu Zeit zu erzählen, wie General Gallifet und Monsignor Bauer sich zu Pferde im Bois kreuzten, und wie der geistreiche General ironisch zu dem ehemaligen Priester sagte: »Ihren Segen, Hochwürden«, und wie dieser, auf den Scherz eingehend, mit seinen weißen feinen Händen die altgewohnte segnende Bewegung nach seinem Gegenüber machte.

 

»Onkel Bernhard« kam sehr viel zu uns. Es paßte ihm ungemein, daß sein Neffe Redakteur im »Figaro« war. Das gab freien Zutritt in alle Theater und was sonst irgendwie in Paris los war – und die billigsten Vergnügungen waren ihm die liebsten.

Bald nach seinem Eintritt in den »Figaro« kam Armand auch mit der »Vie Parisienne« in Verbindung. Er war mehrere Jahre von Paris abwesend gewesen und darum nicht mehr gut au courant des Pariser Lebens, – da half ihm Onkel Bernhard mit seinen alten und neuen Kenntnissen aus der Verlegenheit, und darum ertrug er ihn. Aber lange dauerte das gute Einvernehmen nicht, und bald wurde Monsignor bei uns nicht mehr gesehen.

 

Als Armand den Plan faßte, nach Paris zu gehen und sich als Journalist dort eine Stellung zu machen, brachte er ihn stets mit einem andern in Verbindung: Sacher-Masoch zu veranlassen, gleichfalls nach Paris zu ziehen.

Wie früher Kathrin, war auch er der Ansicht, daß es eine große Dummheit von Sacher-Masoch war, die Stellung, die ihm sein bedeutender Ruf in Paris gemacht, nicht einzunehmen und daraus die materiellen Vorteile zu ziehen, die damit verbunden waren. Die Gelegenheit war nie so günstig als jetzt: Turgenjew war tot – Sacher-Masoch sollte an seinen Platz treten. Die Pariser müssen immer so einen exotischen Schriftsteller haben, und Sacher-Masoch kommt nicht einmal als Fremder, ganz Paris kennt ihn, man wird ihn mit offenen Armen empfangen.

So dachte Armand damals. In der Redaktion des »Figaro« war er mit allen hervorragenden literarischen Personen in Berührung gekommen und hatte sie in seiner geschickten Art über Sacher-Masoch ausgehorcht; was er hörte, bestätigte seine Ansicht. Nun nahm er mit um so größerer Lebhaftigkeit seinen alten Plan wieder auf.

Ich sollte an Sacher-Masoch schreiben, ihm die Situation klar machen und vorschlagen, mit uns in Paris zu leben.

Der Plan hatte nichts Verlockendes für mich; ich sagte das Armand, und wie wir alle drei durch ein solches Zusammenleben leiden würden. Er aber wollte davon nichts wissen; die Hauptsache war, daß Sacher-Masoch das Vermögen, das ihm in Paris sicher war, in Empfang nehme, ich mußte dem Sohne das Opfer bringen, denn es würde einst sein Vermögen sein. Ich sollte die Sache nicht von der sentimentalen, sondern von der praktischen Seite auffassen, und er schloß:

»Es wird eben eine mariage à trois mehr in Paris geben et puis après? Hat Turgenjew nicht mit den Viardots gelebt? Das wußte doch ganz Paris, in was hat es ihnen geschadet?«

Die Geldfrage war mir jetzt nicht mehr so gleichgültig wie früher; meinem Kinde ein Vermögen hinterlassen können, das ihm im Leben die Wege ebnete, war ein Opfer wert; ich war also bereit, das Kreuz auf mich zu nehmen, und schrieb an Sacher-Masoch.

 

Dieser war in der Zwischenzeit von Leipzig weg nach Lindheim in Hessen gezogen, wo sich die Hulda Meister, mit der er jetzt zusammen lebte, ein Schlößchen gekauft hatte, in dem er, wie es schien, das »Asyl« gefunden hatte, das er seit vielen Jahren gesucht. – »Auf der Höhe« hatte er aufgegeben, und von sonstigen literarischen Erscheinungen hörte man nicht viel.

Er hatte mir seit dem Tode Saschas, als der gemeinsame Schmerz eine Art Versöhnung zwischen uns gebracht, sehr liebevolle Briefe geschrieben, voll Wehmut und Trauer, die schließlich in dem Vorschlag zur Scheidung gipfelten. Den Scheidungsgrund bot meine Untreue, die durch mein Zusammenleben mit Armand erwiesen war. Er würde auch dann, wenn ich in die Scheidung willige, bereit sein, für mich und Mitschi zu sorgen, weil er, wieder in geordneten Verhältnissen, mehr und besser arbeiten werde und mehr Geld verdiene.

Unterdes hatte ich von anderer Seite erfahren, daß ihm von der Meister in Leipzig ein Kind geboren war, ein zweites jetzt erwartet wurde, daß seine schmutzigen Geschichten weiter gingen, und selbst unmittelbar nach dem Tode seines Lieblings solche stattgefunden hatten. –

Ich war fest entschlossen, nicht in die Scheidung zu willigen. Da kam ein anderer Ton in seine Briefe.

»Wenn ich zu einer Verständigung (die Scheidung) geneigt bin«, schrieb er, »so ist es nur um unseres Kindes willen und weil ich mit Bangen an Deine Zukunft denke. Mache mir nichts vor, Du weißt ebensogut wie ich, daß Du verloren bist, wenn Du Dich diesmal nicht mit mir verständigst. Dein Unglück ist, daß Du nicht begreifen willst, daß nur ein Rest von Gefühl für Dich und die Liebe zu dem Kinde, das Du mir entführt hast, mich allein bestimmen, Dir entgegenzukommen, daß Du jedesmal, wenn ich zu einer Verständigung bereit bin, Dir einbildest, daß Du mir imponierst, und daß ich mich vor Dir fürchte. Mein Gewissen ist rein. Wenn Du mir mit einer Strafanzeige drohst, so ist das Unsinn. Sag das andern, aber nicht mir.«

»Du hast die Geheimnisse unserer Ehe Fremden (meinem Rechtsanwalt, Dr. Broda) preisgegeben, meinen Feinden Waffen gegen mich gegeben, die mich jetzt mit einem Skandalprozeß bedrohen. Du vergißt dabei nur, daß die Welt immer geneigter ist, die Frau eher zu verurteilen als den Mann. Sobald Du das Geringste gegen mich unternimmst, werde ich nicht die mindeste Rücksicht auf Dich nehmen und mich nicht kümmern, was aus Dir wird, wenn Du zu alt bist, um noch Verehrer zu finden.«

»Du tust, als ob Dir durch meinen Vorschlag Unrecht geschehen sollte. Es soll nur legalisiert werden, was faktisch schon ist, was Du selbst getan hast. Du bist fortgezogen. Es soll so bleiben wie es ist, das ist alles.« –

Es waren keine Briefe mehr, es waren ganze Manuskripte, die er mir sandte, um mir in schön gesetzten Phrasen, der Kunst des Schriftstellers, zu beweisen, daß es in unserer Ehe nur einen Schuldigen gegeben hat, und daß der ich war, und daß ich, wenn ich nur noch eine Spur von Gewissen habe, die Gelegenheit, mein großes Unrecht gegen ihn, so weit es überhaupt möglich, wieder gut zu machen, freudig ergreifen und in die Scheidung willigen müsse. Dann sei er bereit, nach Paris zu kommen, und es wäre der skandalöse Scheidungsprozeß aus der Welt geschafft. –

Das Zauberwort »Paris« tat auch in Lindheim seine Wirkung. Sacher-Masoch sagte sein Kommen für die allernächste Zeit zu.

Es galt nun, die vorbereitenden Schritte für seinen Empfang in Paris zu treffen. In diesen Dingen führte damals der »Figaro« das große Wort. Armand hatte seinerseits in der Redaktion dafür gesorgt, daß Sacher-Masoch gleichsam unter dem Schutz dieses mächtigen Blattes in Paris eingeführt werde, während ich Philipp Gille aufsuchte und ihn bat, sich für die Ankunft und den Plan Sacher-Masochs, in Paris seinen ständigen Aufenthalt zu nehmen, zu interessieren.

Im »Figaro«, wo man sehr gut wußte, daß ich mit Saint-Cère zusammenlebte, empfing mich Gille, freudig überrascht von meiner Anwesenheit in Paris; und als ich ihm mein Anliegen vortrug, gab er mir voll Eifer die Versicherung, daß Sacher-Masoch in der Rue Drouot empfangen werde, wie man dort gewohnt ist, Prinzen zu empfangen. Er sagte mir auch ungemein viel Schmeichelhaftes über das Talent Sacher-Masochs, und bat mich, diesem gleich mitzuteilen, daß der »Figaro« sich sehr freuen würde, einen großen Roman von ihm sobald als möglich zu veröffentlichen, und ihm dafür das Honorar anbiete, das nur die ersten französischen Schriftsteller erhalten, nämlich einen Franc die Zeile. Dann sagte er noch, der »Figaro« würde in seinen Festräumen einen Empfangsabend für Sacher-Masoch arrangieren, der ihn mit einem Schlage in die literarische Welt in Paris einführen würde. Und plötzlich stellte er die Frage an mich:

»Nicht wahr, Ihr Mann ist doch sehr reich?«

Beinahe hätte ich meine Sicherheit verloren. Instinktiv fühlte ich, daß Sacher-Masoch hier reich sein müsse, sollte er nicht von seinem Ansehen einbüßen.

»Nun, Rothschild ist er wohl kaum«, sagte ich lächelnd.

»Nein, solche gibt's in der Literatur nicht«, rief Gille lachend.

Hätte ich den Mut gehabt, zu sagen, Sacher-Masoch sei ebenso reich, als Turgenjew es war oder Tolstoi ist, so hätte man ihm das Honorar von einem Franc vielleicht auf zwei erhöht. –

 

Ich weiß nicht mehr, ob ich oder Armand es war, der diese Nachrichten nach Lindheim sandte, aber wer es auch war, ihre Wirkung war jedenfalls die, daß die Reise nach Paris dort noch beschleunigt wurde.

Am 12. Dezember 1886 kam Sacher-Masoch in Paris an.

Wir hatten ihm in unserer Nähe, in der Rue Edinbourg in einer maison meublée, in der auch der Sohn Sarah Bernhards, Moritz Bernhard, wohnte, ein Zimmer gemietet. Essen sollte er bei uns.

Er sah in seinen Kleidern so vernachlässigt aus, daß nicht daran zu denken war, ihn so den Parisern zu zeigen. Da er so gut wie ohne Geld war, ließ ihm Armand sofort Kleider machen und stattete ihn mit Wäsche aus. Ich glaube, Armand hat dabei eine sanfte Freude empfunden, daß er, der von Sacher-Masoch so viel Geschmähte, nachdem er bereits seit drei Jahren dem berühmten Manne Frau und Kind erhalten, jetzt auch noch seine eigene Erhaltung auf sich nehmen mußte.

Am Tage, nachdem sich Sacher-Masoch im »Figaro« vorgestellt hatte, brachte dieser einen article de fond über ihn, der so glänzend war, daß selbst er, der in dieser Richtung viel vertragen konnte, ganz gerührt darüber wurde.

Da war's jetzt gekommen, was ich einst für ihn und die Kinder erträumt hatte, Ehre und Ruhm und Reichtum. Zu spät! Mein Herz war erstarrt für solches Glück.

Er aber ging mit langen Schritten im Zimmer hin und her, machte große Bewegungen mit den Armen und sprach und deklamierte so laut, als wäre es vor einem zahlreichen Publikum, von der verdienten Ehrung, die ihm endlich wurde, von Frankreich, das er wie sein Vaterland liebe, dem klaren Geist der Franzosen, die allein ihn verstehen konnten, die nicht kleinlich und engherzig über jede Extravaganz eines bedeutenden Mannes die Hände über dem Kopf zusammenschlugen und von Schande schrien.

Schande! Wie ein Peitschenhieb traf mich das Wort und rüttelte mich aus meiner Starrheit. Eine heiße Blutwelle schoß mir nach dem Kopf und jagte die Gedanken weit fort ... nach Budapest ... dorthin, wo an einem Abend eine schmächtige Frau in leichten und schon zerrissenen Schuhen durch den Schnee watete, den Kragen ihres kostbaren Pelzes hoch hinaufgeschlagen und einen dichten Schleier vor dem schmalen, vergrämten Antlitz. Große zornige Schneeflocken jagten ihr entgegen, wirbelten ihr ins Gesicht und einigten sich dort mit den Tränen, die sie noch rasch verstohlen weinte – ehe sie lächeln mußte. Sie geht durch Straßen, die sie nicht kennt, durch die sie nie gegangen, und da plötzlich leuchtet ihr aus dieser Unkenntnis ein Hoffnungsstrahl: wenn sie sich verirrte ... wenn sie dort nie ankäme, wohin sie gehn mußte, nie an jenes Ziel gelangte ...

»Hier, gnädige Frau, hier«, sagt da eine fettige Stimme neben ihr, und ein kleiner, dicker, alter, häßlicher Mann tritt aus dem Schatten eines Tores.

Und die Schande, die sie hier erwartet, führt sie ruhig und sicher einen ihr fremden Weg; durch die tanzenden Schneeflocken, die ein weißes Spitzengewebe über ihren schwarzen Pelz ziehen, hinein in einen hellerleuchteten Flur, vorbei an neugierigen Kellneraugen ... und so kommt sie an, weiß und kalt, mit etwas Totem in der Brust.

Schande! Wie freudig würde ich dich aufsuchen und mich für immer in deinen Dienst stellen, könntest du mir zurückgeben, was jenes kleine Grab an Glück für mich einschließt ...

Aber auch du bist machtlos dem Schicksal gegenüber ... was du versprichst, kannst du nicht halten.

Vorbei! Vorbei!

 

Dem »Figaro« folgten die anderen Blätter, und alle feierten Sacher-Masoch. Unsere Tür war jetzt stets von Besuchern belagert. Da Sacher-Masoch in seinem Zimmer in der Rue Edinbourg Besuche nicht empfangen konnte, empfing er sie bei uns.

Sehr herzlich nahm Rochefort Sacher-Masoch auf. Da er durch Kathrin über unsere Geldverhältnisse aufgeklärt war, fürchtete er, Sacher-Masoch könne nicht die Mittel haben, seiner Stellung gemäß in Paris zu leben, und erbot sich deshalb, ihm irgend einen alten übersetzten Roman abzunehmen: er würde ihn sofort an einen Verlag für 10 000 Francs verkaufen.

Das war nicht schwer, denn ein, zwei Romane lagen immer bereit und warteten auf einen Verleger. Er war ganz gerührt über Rocheforts Güte und Freundschaft, denn damit war er plötzlich aller Geldsorgen für die nächste Zeit ledig. Auch die »Revue des deux mondes« bestellte einen Roman bei ihm. Über einen so plötzlichen und glücklichen Wechsel seiner materiellen Lage erfaßte ihn Schwindel, obgleich er sich redlich abmühte, mich und Armand glauben zu machen, daß er mit seinem Aufenthalt in Paris uns ein Opfer bringe.

Aber Armand, der derartiges genug früher hatte hinunterwürgen müssen, war jetzt fest entschlossen, es sich nicht mehr bieten zu lassen, und sagte ihm bei solchen Gelegenheiten:

»Natürlich, wir werden Sie noch schön bitten müssen, 100 000 Francs im Jahre einzustecken. Wenn Sie meinen, daß es sich in Lindheim unter der Beaufsichtigung der Meister bei Wurst und ›Kartoffelklößen‹ besser lebt, brauchen Sie nur an die Nordbahn zu gehen; die Züge gehen zweimal täglich nach Deutschland.«

Dann ließ er den Kopf hängen und schwieg und für einige Zeit, wenigstens hatten wir vor seinem Getue Ruhe.

Es wäre ihm wohl recht fatal gewesen, wenn er jetzt, da er das Pariser Leben zu kosten bekommen, wo jeder Tag Auszeichnungen und Vergnügungen für ihn brachte, wieder hätte nach Deutschland zurückkehren müssen, wo Vergessenheit und Armseligkeit seiner wartete.

Wie gierig griff er nach den Genüssen des Pariser Lebens, wie funkelten die »fast blind geweinten Augen«, von denen so viel in seinen Briefen und auch in Zeitungen zu lesen war, wenn er bei Tisch von seinen Abenteuern, von seinen Erfolgen in der »Welt« erzählte.

Geradezu unerträglich wurden uns seine polnisch-russischen Gewohnheiten, an die wir nicht mehr gewöhnt waren und die uns seinen Aufenthalt in unserer Wohnung zur Pein machten.

»Wie kannst du an ein Zusammenleben mit ihm denken?« sagte ich zu Armand. »Ich weiß, daß wir es beide nicht mehr ertragen können.« Er aber erwiderte mir:

»Sei ruhig und laß mich machen. Mit Geld läßt sich vieles erträglich gestalten. Wir leben jetzt zu enge. Alles wird anders sein und gut, sobald wir eine große Wohnung haben. Hab Geduld und glaube mir.«

 

Ein komisches Erlebnis hatte ich in jener Zeit mit Rochefort. Er hatte uns, Sacher-Masoch, mich und Mitschi zum Déjeuner eingeladen. Wir trafen dort den Fürsten Talleyrand-Perigord, den Eigentümer des »Intransigeant« und die drei Kinder von Olivier Pein, die Rochefort auf seine Kosten erziehen ließ und die zur Gesellschaft Mitschis da waren. Kurz ehe wir zu Tisch gingen, kam noch eine junge Frau, die mir Rochefort vorstellte und die ich – den hatte ich nicht verstanden – für seine Tochter hielt, die an einen Genfer Maler verheiratet war und, wie ich wußte, sich oft beim Vater in Paris aufhielt. Ich glaubte um so fester, daß es seine Tochter sei, da er zu ihr »Du« sagte, und sie in einem Hauskleide war, zu dem sie sogar rote Pantoffeln trug – was mir auffiel, für die Frau eines Künstlers aber wohl hingehen konnte.

Einige Tage nach diesem Déjeuner kam Rochefort in den »Figaro« und erzählte Armand, daß Sacher-Masoch und seine Maitresse bei ihm gegessen haben. Armand wurde stutzig.

»Seine Maitresse? Das war ja seine Frau

Rochefort sah ihn starr an.

»Seine Frau? Ist er denn mit ihr hier? Um Gotteswillen, was ist das wieder für eine Dummheit? Hören Sie, Saint-Cère, da müssen Sie mich reinwaschen. Ich habe Sacher-Masoch » et madame« eingeladen, im festen Glauben, daß er mit seiner Maitresse hier ist – ich denke, meine Maitresse ist so gut wie die seine ... sie können beide an meinem Tisch sitzen ... Sie sehen die »Gaff –«

Ich habe dann noch öfter bei Rochefort gegessen, die Dame mit den roten Pantoffeln aber nie wieder gesehen.

Durch Rochefort machte Sacher-Masoch viele und sehr vorteilhafte Bekanntschaften. Es war damals die Zeit des Boulanger-Taumels in Paris. Rochefort hatte für den schönen General leidenschaftlich Partei genommen und führte auch Sacher-Masoch zu ihm.

Als dieser von dem Besuch zurückkam, glaubte ich, er sei verrückt geworden. Hätte er Napoleon I. in seiner glanzvollsten Zeit gesehen, hätte er vor Begeisterung und Bewunderung nicht mehr überschäumen können. Dabei kam ihm noch seine Vorliebe für Soldatenspielerei und alles, was Uniform trägt, zu Hilfe: er war bezaubert, hingerissen, Boulanger war ein Held, der nur die Hand auszustrecken brauchte, um Frankreich die verlorenen Provinzen zurückzugeben; und jetzt sollte nur einer mit Frankreich Krieg anfangen – er würde in Stücke gehauen.

Man mußte ihn reden lassen, der kleinste Widerspruch würde ihn in Raserei versetzt haben.

Rochefort bewohnte auf dem Boulevard Rochechuard ein kleines Hotel; dazu gehörte einer jener traurigen, zwischen hohen Häusern eingeschlossenen Gärten, die fast nie von einem Sonnenstrahl berührt werden; aber es war doch ein Garten, und dort spielte Mitschi oft mit den Kindern Oliviers Peins.

Rochefort liebte wie Sacher-Masoch die Katzen ganz besonders und hatte schöne Exemplare davon. Es war darunter eine, die ihrer Mutterschaft in der nächsten Zeit entgegensah, und da Mitschi sie am meisten bewunderte, sagte Rochefort einmal zu ihm:

»Sie wird Kleine haben. Wenn du brav bist, sollst du eine bekommen.«

Mit welcher sehnenden Ungeduld wurde dieses »Kleine« bei uns erwartet!

Da fuhr eines Tages ein Wagen vor, aus dem Rochefort sprang.

»Wo ist Mitschi?« rief er schon an der Tür, »ich bringe ihm ein Kätzchen«, dabei zog er eine winzige reizende Katze aus der Rocktasche.

Damals war Jules Ferry Minister – ein Grund, weshalb ihn Rochefort jeden Tag in seinem Artikel ausschlachtete. Um seiner Verachtung für den Staatsmann genug zu tun, nannte er die Katze, ohne sich um deren Geschlecht zu kümmern, Jules, und Mitschi mußte sich verpflichten, sie nie anders zu nennen. Jeden Sonntag morgen mußte das Kind zu Rochefort gehen und ihm über das Befinden Jules' Bericht erstatten.

 

Besuche machen und empfangen, damit ging jetzt all meine Zeit hin. Waren wir nicht zu einem Essen geladen oder gingen wir nicht in ein Theater, so hatten wir Gäste im Hause. Da ich für die Welt Sacher-Masochs Frau war, mußte ich mich auch vor ihr zu ihm halten.

Armand sah dem allen mit trüben Blicken zu.

Wir, Sacher-Masoch und ich, waren zu einem Ball bei Crémieux, dem Sohne des Ministers und Gründers der Alliance israëlite geladen. Vorher sollte Sacher-Masoch zum erstenmal das théâtre français besuchen. Man gab »Hamlet« mit Mounet-Sully in der Titelrolle. Claretie hatte uns seine Direktionsloge zur Verfügung gestellt. Nach dem ersten Akt kam er selbst in die Loge und bat Sacher-Masoch, ihm zu folgen, er wolle ihm die »honneurs de la maison« machen, ihm die Künstler vorstellen.

Armand, der mit im Theater war, aber nicht mit zum Ball kommen sollte, da er mit den Crémieux's nicht bekannt und deshalb nicht eingeladen war, saß verstimmt neben mir.

»Wanda, ich bin sehr unglücklich«, sagte er, als wir allein waren, und lehnte sich tief hinter meinem Stuhl zurück in das Dunkel der Loge.

»Du hast es so gewollt ... Häßlich und erniedrigend ist das Leben, das wir jetzt führen ... nichts als Lüge und Unwahrheit ... Wie hast du nur glauben können, daß aus solcher Abscheulichkeit Glück entstehen könne? Und wenn ich denke, daß es so bleiben soll! ...«

Er ließ den Kopf sinken.

»Versprich mir was, Wanda.«

»Was?«

»Bleib nicht länger als eine Stunde auf dem Ball.«

»Ja.«

»Und noch was: tanze nicht ... laß dich von keinem Manne anrühren ... und denk immer an mich.«

»Ja, ich verspreche dir's.«

Es war nur ein schwacher Schatten seiner früheren Eifersucht. Was ihn unglücklich machte, war, daß ich von einem andern empfing, was nur er mir geben wollte: Ehrung, Auszeichnung, Vergnügungen. Das konnte er mir nicht bieten – jetzt noch nicht – und nach seinen Ideen mußte ihm das in meiner Liebe schaden. –

Als wir bei Crémieux aus dem Wagen stiegen, und er allein heimfahren sollte, hielt er einen Augenblick meine Hand fest, als wolle er mich an mein Versprechen erinnern.

Ja, er litt und es war gut so. Sollten wir wieder aus dieser unnatürlichen Lage herauskommen, würde es vielleicht am ehesten der Fall sein, wenn sich diese Leiden bis zur Unerträglichkeit steigerten.

Es war ein richtiger »Hausball« bei Crémieux. Aber waren auch die Räume beschränkt, die Gäste waren alle von » qualité«. Da war keiner, der nicht »Jemand« war.

Zuerst der »schöne« Pierre Decourselle, der schon damals das literarische Erbe d'Ennris angetreten hatte, wie er später der Erbe seines großen Vermögens wurde. Er war ein Schulkamerad Armands und dieser hatte mir nicht ohne Neid erzählt, daß er mit seinen Stücken grausam viel Geld verdiene. Dann sah ich dort die Schwester der in Paris verunglückten berühmten Kunstreiterin Loisette, von der man erzählte, daß die Kaiserin von Österreich sie mit ihrer Freundschaft beehrte; sie war die Frau eines reichen Holzhändlers und nahm sich sehr menschenfreundlich auf dem Ball meiner Fremdheit an. Auch die Gräfin Martel war da, die als Schriftstellerin damals unter dem Namen »Gyp« en vogue war. Sie sah ganz nach ihren Büchern – und Abenteuern aus: eine 36jährige schön gebaute Frau, das blonde Haar kurz geschnitten, ein überlegen-spöttisches Lächeln um den kleinen Mund und in jeder Falte ihres Kleides das Bewußtsein ihrer Bedeutung. Sie hatte eben das Porträt Rocheforts vollendet und dieses wurde noch feucht zur Bewunderung den Gästen herumgezeigt. Um Mitternacht ging eine Bewegung durch die Gesellschaft, der Tanz hielt an, man trat zur Seite und herein schwebte am Arm eines Mannes Madame G..., die damals von ganz Paris gefeierte amerikanische Schönheit. Groß und schlank, erschien sie in einem knapp anliegenden Atlaskleid ohne alle Garnierung – keine Linie dieses schönen Leibes sollte den Beschauern verloren gehen –, das flach um die Schläfen liegende dunkelblonde Haar umrahmte ein schönes, kaltes, hochmütiges Gesicht; oben auf dem stolz getragenen Kopf stand ein Halbmond in schweren Diamanten; Diana, die Göttin war aus dem Olymp herabgekommen, um die Irdischen mit dem Anblick ihrer Schönheit zu beglücken. Und wie es sich für eine göttliche Erscheinung ziemt, hielt sie sich nicht auf; nur flüchtig begrüßte sie die Hausfrau, glitt dann durch die Räume und verschwand wieder so plötzlich wie sie gekommen war.

Auf dieselbe Weise besuchte Frau G... jede Nacht fünf bis sechs Bälle. Wer einen Ball gab, lud sie ein, sie war gleichsam eine »Attraktion«, die den Gästen geboten wurde, und ich dachte im Geheimen, ob sie wohl auch ihr » cachet« für diesen Frondienst erhalte.

Rochefort sollte noch kommen und Sarah Bernhard, aber meine Stunde war um und ich verließ den Ball.

Zu Hause fand ich Armand, mich in Unruhe und Angst erwartend.

 

Wir bewohnten eine möblierte Parterrewohnung in der Rue Madrid. Es war zu Armands Glück unerläßlich, daß den ganzen Tag und die halbe Nacht ein Fiaker, vor der Tür auf ihn wartend, stehen mußte. Um zehn Uhr morgens kam der Wagen. Da Armand aber nicht vor Mittag aufstand und nicht vor vier Uhr ausfuhr, stand der Wagen, wenn Sacher-Masoch oder ich ihn nicht benutzte, immer vor unsern Fenstern. Der Kutscher hatte einen netten kleinen braunen Hund, mit dem er immer spielte, um sich die langen Stunden des Wartens zu vertreiben; oft stand ich am Fenster und sah den beiden zu, und da es mir schien, daß der Hund seinem Herrn sehr zugetan war, äußerte ich das einmal zu Armand. Gleich unterhandelte dieser mit dem Kutscher, um mir den Hund zu kaufen. Schwer war es dem Manne, sich von seinem Tier zu trennen, allein zwei schöne Goldstücke überwanden die Liebe, und man brachte mir den Hund. Ich war durch das Geschenk nicht gerade angenehm berührt: die Pariser Wohnungen sind nicht günstig für das Halten von Tieren; nun hatten wir schon Jules, der oder die zwar eine sehr wohlerzogene Katze war, allein auch die wohlerzogenste Katze bleibt immer eine Katze; und wie wird sie die Gegenwart des neuen Kostgängers ertragen? Wird sie ihn überhaupt dulden?

Das waren beunruhigende Fragen. Mitschi wollte zwar gern den Hund, war aber besorgt, daß sein Jules dann zurückgesetzt würde, und das durfte nicht sein. Natürlich dachte niemand daran, der Katze das Recht der Erstgeburt streitig zu machen. Trotzdem waren wir alle ängstlich, als der Moment kam, wo der Hund Jules vorgestellt werden sollte.

Wir hatten uns umsonst beunruhigt: es verlief alles in der anständigsten Weise. Fühlte sich Jules so sicher in seiner Stellung, oder lag es in seinem Temperament, oder war er ein Philosoph, das ließ sich nicht leicht feststellen, genug, er benahm sich sehr ruhig und würdevoll, ja er schien sogar nicht abgeneigt, den neuen Kameraden willkommen zu heißen.

Der Hund aber achtete auf nichts; er lief nur fortwährend zur Tür und dann wieder ans Fenster, um hinaus auf seinen Herrn zu schauen, der, seinen Judaslohn in der Tasche, sich nicht nach ihm umsah.

Einige Tage vergingen in immerwährender Unruhe und Sorge, der Hund möchte durchgehen. Er wollte weder Nahrung noch Liebe von uns annehmen.

Sein Sehnen war, von uns fort zu seinem Herrn auf den Kutschbock zu kommen. War dieser vor der Türe, dann war der arme Hund wie verrückt, er weinte, bellte und sprang auf die Möbel, um sich ihm bemerkbar zu machen und konnte nicht fassen, daß sein Herr von seinen Leiden keine Notiz nahm.

Es war nur ein Hund, aber um wie viel war er mehr wert als sein Herr, der Mensch.

Mir tat das Tier leid, und grade jetzt würde ich es um seiner treuen Liebe willen gern behalten haben, während ich andererseits, um ihn nicht länger unglücklich zu machen, schon entschlossen war, ihn zurückzugeben.

Da kam einer der jetzt so seltenen Abende, wo ich und Armand allein waren. Das Kind schlief, die Magd war in ihr Zimmer hinauf gegangen, und Armand saß am Piano und spielte. Nur am Instrument brannten zwei Kerzen; das Zimmer war dämmerig; ich saß in der Sofaecke und hörte zu.

Die Töne trugen mich weit fort; bald schwamm ich tief unten im Rhein mit seinen Töchtern um den goldenen Schatz; bald saß ich neben Siegfried unter der Linde, und wir lauschten zusammen auf das Säuseln in den Blättern und das Gezwitscher der Vögel; dann folgte ich seiner Leiche nach Walhall.

Da entstand eine Bewegung neben mir, die mich in die Wirklichkeit zurückbrachte. Der Hund, der bisher merkwürdig ruhig zu meinen Füßen gesessen, war ganz leise und vorsichtig auf das Sofa gesprungen und hatte sich ganz dicht an mich herangeschmiegt, aber das alles mit solcher Rücksicht auf die Musik, wie nur ein Mensch es tun könnte, der weiß, wie schmerzhaft es für den Hörenden ist, gestört zu werden.

Ich legte meine Hand auf seinen Hals, und so saßen wir beide fest aneinander gedrängt, ohne uns zu rühren, ohne die leiseste Bewegung, und machten nun zusammen die Reise in das Märchenland der Töne.

Als Armand sich müde gespielt hatte, war es Mitternacht.

Von dieser Stunde an verließ mich der Hund nicht mehr; ob ich saß, stand oder ging, er war zu meinen Füßen. Wenn morgens der Kutscher kam, sah er ihn ruhig durch das Fenster an, ohne nach ihm zu verlangen, und wenn ich im Wagen ausfuhr, saß er an meiner Seite; versuchte der Kutscher ihn zu locken, dann sah er mich an und schien zu lächeln.

Es ist mehr in der Tierseele als wir ahnen. Ich habe in den Augen sterbender Hunde dieselben Tränen gesehen, die Menschen weinen, und dieselbe grausige Qual, wie sie Menschen vor dem Tode haben.

Instinkt. Aus Instinkt liebt das Kind die Mutter; aus sinnlicher Gier der Mann das Weib; warum liebt der Hund den Herrn, der ihn schlägt und mit Fußtritten auf die Straße jagt? Warum würde er ihn, wenn er angegriffen würde, mit seinem Leben verteidigen?

Hundeliebe!

Warum nicht, wenn sie besser ist als Menschenliebe?

 

Sacher-Masoch und ich waren zu einem großen Diner bei Daudets geladen. Ich war angezogen und wartete, daß er käme. Er kam nicht. Ich hieß die Magd in den bereitstehenden Wagen springen und hinüber in die Rue Edinbourg fahren, um ihm sagen zu lassen, er möge sich beeilen; es sei höchste Zeit. Die Magd kam mit der Nachricht zurück, ich solle allein fahren, er habe keine Lust, und bleibe zu Hause; » et il y a une femme« schloß sie ihren Bericht mit jenem diskreten und doch so vielsagenden Lächeln, mit welchem französische Dienstboten solche Dinge begleiten.

Ich telegraphierte sofort an Madame Daudet, sagte, daß Sacher-Masoch plötzlich erkrankt; sie möge uns entschuldigen. –

Ich habe Sacher-Masoch niemals wiedergesehen.

Erst später wurden mir seine Gründe zu diesem plötzlichen Bruche klar. Der Maler Schlesinger machte damals sein Porträt für den Salon. Sacher-Masoch hatte sich mit der Familie Schlesinger eng befreundet und in die schöne junge Tochter des Hauses verliebt – und sie in ihn. Man verlobte die beiden, aber vorläufig nur im Geheimen, bekannt sollte die Verlobung erst werden, wenn die Scheidung von mir ausgesprochen war. –

Während der Zeit dieser geheimen Verlobung wurde ihm von der Meister, die ihm nach Paris gefolgt war, in der Rue Cadet am 8. Juni 1887 ein zweites Kind geboren.

Damals hatte der Schriftsteller Hervieu Sacher-Masoch in der Rue Edinbourg aufgesucht und schrieb über diesen Besuch am 25. November 1895 im »Journal«:

... »Il m'est resté de cette visite une vision précise dans un nuage de surprise et de doute. La porte d'un petit appartement du quartier de l'Europe, auquel menait un escalier sombre, fut ouverte par une jeune personnage d'une séduction étrange, qui pouvait être un jeune garçon de quinze ans, mais qui plutôt devait être une femme. Il(?) était en culottes de velours noir, avec des bottes, une ceinture de soie rouge, et un veston aussi de velours noir. Elle(?) avait des cheveux longs et sur le front, étendus en bandeaux comme deux ailes de corbeau. Cette singulière créature, irreprochablement belle, d'expression de beauté non révélée encore, disparut soudain, sans rien dire, sans répondre, laissant le sénile entrebaille sur une pauvre antichambre parisienne, où elle venait d'évoquer je ne sais quel Orient, les mystères de la steppe et ce profond inconnu sans borne de quelque individu humain ...«

Dieses »tadellos schöne Geschöpf« ist heute eine glückliche Gattin und Mutter – mag sie es bleiben.

 

Während Sacher-Masoch mit mir und Armand verkehrte, auf Kosten dieses lebte, war der Scheidungsprozeß angehalten worden. Jetzt nahm er ihn wieder auf.

Die Scheidung wurde wegen »ehelicher Untreue«, begangen mit Armand, gegen mich vom Reichsgericht in Leipzig ausgesprochen.

»Es erben sich Gesetz und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort:
Sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlechte,
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit dir geboren ist,
Von dem ist, leider! nie die Frage.«

Wenn ich und Sacher-Masoch, nachdem wir entschlossen waren, zusammen zu leben, anstatt in die Kirche, mit unserer Absicht zu einem Notar gegangen wären, wie es sonst Leute tun, die einem Übereinkommen gesetzliche Form geben wollen, hätten ihm auseinander gesetzt, was wir uns sein wollten, unter welchen Bedingungen wir beisammen bleiben oder auseinander gehen wollten; wie dann diese Trennung stattfinden sollte in der für uns und die Kinder schonendsten und besten Weise; wie sich meine und der Kinder Lage dann gestalten sollte – so wäre mir nicht nur die dumme und lächerliche Komödie der kirchlichen Trauung, sondern auch die scham- und qualvolle Prozedur der gerichtlichen Scheidung erspart geblieben.

Und nicht das allein.

Der materielle Vertrag hätte für mich und die Kinder besser vorgesehen, als es Staat und Kirche getan. Er hätte dem Manne nicht gestattet, nachdem ich ihm zehn Jahre – die besten, die eine Frau hat – gegeben, ihm Kinder geboren, für ihn und diese ertragen und getan, was ich niemals für mich selbst ertragen und getan hätte, mir wie einer abgetanen Sache den Rücken zu kehren, ohne sich um mein und des Kindes Schicksal auch nur einen Augenblick zu beunruhigen.

Wie kommt es, daß die Frauenbewegung nicht hier einsetzt, das Übel nicht an der Wurzel anfaßt, und die faule Institution der Ehe, die unserem modernen Denken und Empfinden ins Gesicht schlägt, wegfegt, oder wenn sie das nicht kann, sie ignoriert?

So lange die Frauen nicht den Mut haben, das, was sie allein angeht, ihr Verhältnis zum Manne, ohne die Einmischung von Staat oder Kirche zu regeln, werden sie nicht frei sein. Denn was die Bewegung auch bisher erreicht hat und noch erreichen wird, es können nur Notbehelfe sein, weil sie die Frau aus ihrer eigentlichen, ihr von der Natur angewiesenen Sphäre verdrängen, und weil alles Unnatürliche weder Dauer haben, noch glückbringend sein kann.

Ich hoffe und wünsche, der Tag möchte kommen, an welchem die Frauen erkennen würden, daß die Natur die höchste und schönste Macht in ihre Hände gelegt hat, die der Mutter und Erzieherin, und daß, wenn sie an ihrem häuslichen Herde das erhoffte Glück bis jetzt nicht gefunden haben, die Schuld an ihnen allein liegt, weil sie sich ihrer Macht nicht bewußt geworden oder sie nicht richtig gebraucht, nicht bedacht haben, daß sie ihre Söhne zu künftigen Gatten zu erziehen haben.

Dann aber soll es anders sein. Kein Gesetz soll Frau und Mann mehr binden, nichts als ihr Wille, ihre Liebe und Freundschaft zueinander; kein Gesetz soll mehr die Liebe der Frau zur Pflicht herabwürdigen, sie zum Eigentum des Mannes machen. Als Freie sollen sie sich geben, freiwillig; und wenn die Bedingungen zu einem harmonischen Zusammenleben nicht mehr vorhanden sind, sich freiwillig trennen, ohne daß sie gezwungen sind, mit ihren intimsten Angelegenheiten von Gerichtshof zu Gerichtshof zu laufen, sie vor den Augen indolenter Advokaten, Beamten und Richter auszubreiten und in endlosen Aktenbündeln breittreten, verschieben und verwirren zu lassen.

Sie allein sollen Richter sein über das, was zwischen ihnen ist, wovon keiner, außer ihnen, etwas versteht, am meisten da, wo es die Frau betrifft; denn niemals wird sie das letzte Wort ihrer geheimen Leiden Männern sagen, auch wenn sie hundertmal weiß, daß diese die Macht haben, mit ihrem kalten, starren Gesetz, das sie für sich gemacht haben, ihr Leben wie mit Keulenschlägen zu zerschmettern.

Vor allem soll die Frau die Freiheit haben, ihren moralisch gesunkenen Manne, der für sie und die Kinder eine Gefahr ist, verlassen zu können, ohne daß der Strafrichter sie dafür verfolgen kann oder ihre ganze Existenz dadurch in Frage gestellt wird.

Und noch eins möchte ich wünschen: die Frauen sollten in ihrem Verhältnis zum Manne nicht allein ein persönliches Glück suchen und sehen, sondern die Bedeutung desselben für das Leben überhaupt, für das Glück der Allgemeinheit erkennen, dann würden sie auch eine tiefe und wahre Befriedigung darin finden, ihr Dasein harmonisch ausklingen zu sehen.

Sich lieben, das ist ja doch die Hauptsache; wie vieles würde anders und besser im Leben sein, wenn man sich besser lieben würde!

Und frei muß die Liebe sein von allen sozialen Fesseln, von jedem Zwang, damit sie sich in ihrer ganzen Schönheit entwickelt, und das gibt, was sie allein nur geben kann – edle Menschen.

 

Bald nachdem Sacher-Masoch bei uns unsichtbar geworden war, erkrankte ich. Mein Körper war diesem Übermaß von Zerstreuungen und Vergnügungen nicht gewachsen und brach unter ihm zusammen.

Armand hatte Wort gehalten; er hatte mich »glücklich« gemacht – so, wie er das Glück verstand.

O, daß keiner was vom andern weiß! Dieses Fremdbleiben zwischen denen, die sich am nächsten sind! Die man am treuesten liebt, für die allein man lebt – fremd!

Und kommt doch einmal der Tag, an dem sie sich erkannt, dann ist's zu spät; sie sind andere Wege gegangen, von welchen es kein Zurück mehr gibt.

Zu spät! Glücklich die, welchen die starre, lähmende Grausamkeit dieses Wortes erspart geblieben. –

 

Lange suchte ich die Pein, die mir diese Lebensweise verursachte, vor Armand zu verbergen. Es hätte ihn zu unglücklich gemacht, ja, ich glaube, er würde geringer von mir gedacht haben, wenn er gesehen hätte, wie wenig Verständnis ich für Freuden habe, die für ihn selbst der eigentliche Zweck des Daseins waren.

Meine Krankheit setzte ihn in Schrecken.

Ich war wohl ernstlich krank, weil es so still um mich wurde – aber es war doch köstlich so dazuliegen, an nichts mehr zu denken, nicht mehr Toilette machen, nicht mehr ins Theater gehen zu müssen, nur immer stilliegen, abgespannt bis zur völligen Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit für die mich umgebende Welt.

Ich wurde wieder gesund. Aus Freude darüber hätte Armand beinahe den Verstand verloren.

»Nun hab' ich dich wieder«, sagte er, mich wie ein Kind im Zimmer herumtragend, »du mein liebes Ich.«

Ja, sein »Ich« war ich und so blieb es alle Zeit. – Und das ist das Schöne bei solcher Liebe – sie hat mit keinem Rausch begonnen und keine Ernüchterung folgt ihr, sie sieht mit immer gleichen Augen und liebt mit immer gleicher Liebe in jungen wie in alten Tagen.

 

Anfangs schrieb Armand im »Figaro« nur über Deutschland, bald aber übergab man ihm die ganze auswärtige Politik.

»Der Armand ist wirklich neugierig«, sagte er lachend zu mir, als er es mir mitteilte, »wie sich der Saint-Cère aus der Affaire ziehen wird. Auswärtige Politik! Ich weiß kein Wort davon. Macht nichts, nur immer drauf los, was mich tröstet, ist que les autres ne savent pas plus que moi!«

Und es ging vortrefflich. Bald galt Saint-Cère als eine Autorität in auswärtigen Angelegenheiten.

Bei ihm bewahrheitete sich das Proverb: »Mit dem Amt kommt der Verstand.«

Übrigens war's kein schweres Amt. In Dingen, die das Ausland betrifft, sind die Franzosen leicht zufrieden zu stellen. Dazu hatte Saint-Cère noch das voraus vor seinen »Amtsbrüdern«, daß er zwei fremde Sprachen, deutsch und englisch, gründlich verstand, auch etwas spanisch, diese Sprachen in den betreffenden Ländern erlernt hatte, die dortigen Zeitungen also im Original lesen konnte, was nur wenig Pariser Journalisten von sich sagen können. Er war immer ein sehr eifriger Zeitungsleser gewesen, das kam ihm jetzt zu statten: er fand sich leicht zurecht. Und wo er mit Worten nicht weiter konnte, da trat ein bedeutungsvolles Schweigen ein – und das war noch effektvoller als Worte es sein können.

Es kam oft vor, daß ein Minister über irgend etwas aus der Fremde eingehend unterrichtet sein wollte, dann ließ er Saint-Cère vom »Figaro« rufen – und erhielt die gewünschten Details.

Es war ganz natürlich, daß Armand, an den alle Welt glaubte, schließlich auch selbst an sich zu glauben anfing. Zuerst hatte er sich über die andern und sich selbst lustig gemacht – jetzt stand er gleichsam mit dem Hute in der Hand vor sich selbst.

Dasselbe erwartete er von seiner nächsten Umgebung.

 

In Paris überzeugt nichts so sehr als der Erfolg – und den hatte Armand für sich. Er hatte in Paris eine Vergangenheit, die ihm in seinem raschen Emporsteigen hätte hinderlich sein können.

Die, die ihn von früher kannten, standen unten in der Menge und schauten voll Überraschung auf den glänzenden Vogel, der mit seinen mächtigen Flügeln so sicher emporstieg ... vielleicht bis an die Wolken ... und sie waren nicht dumm genug, ihn an seinem Fluge zu hindern ... kann man wissen? –

Andere, mit schärferem Blick, wußten sehr wohl, daß der schöne Vogel nur ein Papierdrache war, daß er zwar hoch steigen könne, aber doch sicher wieder zur Erde herunter mußte. Diese saßen still in ihren Redaktionen und lugten nur von Zeit zu Zeit durchs Fenster, um den Faden nicht aus den Augen zu verlieren, der den Drachen an die Erde band. –

 

Armand, der früher so sehr nach einem Zusammenleben mit Sacher-Masoch gedrängt hatte, war jetzt froh, daß dieser ganz abgetan war. Meist um Mitschis willen. Mit eifersüchtiger Angst hatte er das Kind überwacht, so lange dessen Vater ins Haus kam. Ich konnte oft die geheime Qual auf seinem Gesicht beobachten, wenn Sacher-Masoch manchmal so tat, als ob er sich für sein Kind interessierte, und bemerken wie dasselbe Gesicht in stolzem Glück aufleuchtete, wenn Mitschi in Gegenwart seines Vaters sich in seiner gewohnten Art an ihn schmiegte, ihn mon vieux nannte, und wie immer voll kindlicher Zärtlichkeit mit ihm spielte, auf Sacher-Masoch aber mit neugierigen oder fremden Augen schaute.

Ganz ruhig und glücklich war aber Armand erst, als wir drei wieder allein waren.

Ich habe schon gesagt, mit welcher Sorgfalt Armand das Kind erzog, mit dem richtigen Maß von Strenge und Milde, und wie er ihn vor allem lehrte, stets wahr zu sein.

Und doch – gern hätte mein Herz verschwiegen, was ich jetzt sagen muß – war Armand selbst ein großer Lügner.

Er log nicht nur, wenn er damit einen Zweck verfolgte, er log wie ein Dichter dichtet, weil er muß; wie diesem die Verse, kamen ihm die Lügen, es war seine Begabung, gleichsam sein Beruf.

Wie ermüdend war es für mich, aus diesem Gewirr von Lügen, mit dem er alles umgab, die Wahrheit herauszufinden. Manchmal aber interessierte es mich auch, den vielverzweigten Wegen seiner Phantasie nachzugehen. Nur nach seinen Handlungen konnte ich auf die Wirklichkeit schließen.

Und immer triumphierte die Lüge. Es war, als ob er den Leuten suggerierte, was er sie glauben machen wollte, und nur dadurch wird es verständlich, daß die Dummen wie die Klugen, die einfachen wie raffinierten Geister, gleichmäßig unter seiner Macht standen. Viel lag auch in seiner bestrickenden Persönlichkeit, in seiner einfachen herzlichen Art, vielleicht auch in seiner immer offenen Hand, die Geschenke wie Lügen gleich verschwenderisch austeilte.

Nur Mitschi gegenüber, nur in Gegenwart des Kindes schwieg der Lügengeist in ihm; um keinen Preis würde er vor ihm etwas gesagt haben, das der Knabe gleich oder später als Lüge hätte erkennen müssen. –

Man wird mit Recht fragen, warum ich mich einem so verlogenen Menschen anvertraute? Und ich werde antworten: weil ich ihn liebte, so verlogen wie er war. Ich liebte ihn, weil er nur mit dem Geiste log, sein Herz aber wahr und treu war; weil er der erste und einzige blieb, der gut zu mir gewesen; weil all seine Lüge dahinschwand vor der einen heiligen Wahrheit, die seine große und reine Liebe zu mir war.

 

Nun schwammen wir ganz in den Wogen des Pariser Lebens.

Armand hatte in der Chaussée-d'Antin neben dem berühmten Restaurant Paillard und gegenüber dem »Vaudeville« eine große Wohnung gemietet und sie sehr schön ausstatten lassen. Am schönsten mein Zimmer. Er hatte mich immer sein »Prinzesserl« genannt, und jetzt würde ich's wie eine wirkliche Prinzessin haben. Doch sollte die Wohnung nie ganz fertiggestellt werden, denn, sagt ein arabisches Sprichwort: »Wenn das Haus fertig ist, tritt der Tod herein.«

Als mich Armand an der Hand nahm und in mein Zimmer führte, sagte er:

»Das ist jetzt dein Nest, Wanderl, hier sollst du glücklich sein. Bei meiner toten Mutter schwör ich dir, daß dich hier nichts erreichen soll, kein Kummer, keine Sorgen, nichts als meine unendliche Liebe.«

Wie er zu lieben verstand!

Wohl stand ich mitten drin in den Wogen des Pariser Lebens, aber mit einer dumpfen Sehnsucht nach Ruhe, dem geheimen Wunsch im Herzen, eine Welle möchte mich unbemerkt ans Ufer tragen und mich dort für immer absetzen. –

Die Welle war schon unterwegs.

Wo es nur immer ging, entzog ich mich den abendlichen Vergnügungen. So kam es, daß Armand oft allein ausging. Viele Stunden verbrachte er in der Redaktion, oft war er auch bei seinem Chef Françis Magnard zum Diner geladen, auch sonst bei Bekannten. So sagte er mir. Vielleicht war es nicht ganz so. Aber es war jedenfalls eine gute Form für sein Ausbleiben – und ich forschte nicht weiter, ich hütete mich wohl, nach jener dunklen Seite hinzublicken, die es im Leben jedes Mannes gibt. –

Obgleich die Wände meines Zimmers mit Atlas bedeckt waren, und ich in einem Bett lag, das eine Anhäufung von Spitzen, Stickereien und Seide war, floh mich doch der Schlaf. Da mich das nutzlose Liegen im Bett ermattete, stand ich oft auf, schlug einen Mantel um mich, setzte mich ans offene Fenster und lauschte auf das Leben, das da draußen wogte.

Ohne Licht im Dunkel sitzend, wurde mir mein Fenster zur einsamen Insel mitten in dem brausenden Ozean des Lebens.

Um besser zu sehen, schloß ich die Augen. Da kamen die Gedanken und führten mich weg, zurück in die Vergangenheit mit ihrem toten Glück und ihrem immer lebendigen Leid; in stille abgelegene Täler, wo andere ernste Wanderer sich zu mir gesellten, die alle das Zeichen der Suchenden, der Fremden auf Erden an sich trugen, jener, die das Leben an das Kreuz geschlagen, und anderes tauchte wieder auf, das längst im Strom der Zeit hinabgewirbelt – das ganze sinnlose Spiel des Daseins.

Dann drang ein heller Schein durch meine geschlossenen Lider: ein wenig, ach wie wenig! von dem milden und doch so schmerzenden Licht der Erkenntnis.

In diesem Licht sah ich das Wunderbare, das ich an mir selbst erlebt.

So saß ich da in dunkler Nacht, in der Einsamkeit meines Zimmers und weinte all die Tränen, die ich am Tag nicht weinen durfte.

Dann bewegte es sich zu meinen Füßen; mein Hund richtete sich auf und schaute mich an. Leise fuhr er mit seiner Pfote über meine Hände, als wollte er sie streicheln, und legte seinen kleinen Kopf zärtlich zwischen meine Knie.

Oft habe ich in späteren Jahren, wenn ich in der Fremde lebte, ohne Freunde, ohne Schutz, ohne eine Menschenseele, die sich um mich kümmerte, an den kleinen Hund gedacht, der mir ein so zärtlicher, so treuer Hund gewesen.

 

Nie habe ich das Elend der Großstadt so furchtbar erkannt, als wenn ich in solchen schlaflosen Nächten an meinem Fenster saß und in die Straße hinabsah – und nie habe ich die Kluft, die mich geistig von Armand trennte, so schmerzlich gefühlt, als wenn ich mit ihm darüber sprach.

»Tout ça, c'est de la blague«, sagte er dann und damit waren für ihn alle sozialen Fragen abgetan.

Sah er aber, daß mir der Jammer das Herz beklemmte, und ich sein Interesse dafür anregen wollte, wurde er ernst und sagte:

»Schau, Wanda, du mußt von einem Menschen nicht mehr verlangen als er geben kann. Ich hab' das nun einmal nicht und kein Mensch kann aus seiner Haut heraus. Du könntest ein Jahrhundert lang von Menschenliebe in mich hineinreden, ich werd' doch nur dich lieben. Die, die mir am nächsten sind, die liebe ich ... wenn nur jeder dasselbe täte, wie viel Unglück würde dadurch schon aus der Welt geschafft. Dein Unglück schneidet mir ins Herz ... Du bist meine Menschheit ... und daß ich dir nicht das alles geben kann, was ich dir geben möchte, das macht mich manchmal ganz rasend.«

Gegenüber von unserm Hause befand sich die »Wiener Bäckerei«.

Den ganzen Tag umstanden Hungernde den Laden und starrten mit gierigen Blicken auf die dort ausgelegten Brote.

So starrte einst meine Mutter auf das Brot in dem Bäckerladen, das sie sich nicht mehr kaufen konnte.

»C'est de la blague.«

Und wenn nach Mitternacht die Theater endeten und es still auf den Boulevards geworden war, dann krochen im Schatten der Häuser die, die die Scham am Tage zurückhielt, heran, kauerten sich an die Kellerfenster hin, aus denen der warme Geruch des Brotes kam, und atmeten ihn ein.

So stand meine Mutter nachts von Hunger getrieben auf und ging vor die Türe, um sich am Geruch frischen Brotes zu sättigen.

De la blague!

Zehn Franks gab mir Armand jede Woche Taschengeld und es war sehr viel, da ich alles im Überfluß hatte und nichts zu kaufen brauchte – und doch wie schmerzlich wenig war es im Verhältnis zu der Verwendung, die ich dafür hatte.

Die Straßen von Paris waren mir verleidet und ich ging kaum mehr aus.

Wie leben mit solcher Qual im Herzen?

Und leben, umgeben von Luxus, Überfluß und Verschwendung.

Manchmal empfand ich seine große Liebe zu mir wie einen Diebstahl an der Menschheit.

 

Gegen zwei Uhr morgens hielt Armands Wagen vor dem Hause.

Ich hörte, wie die Treppe unter seinem schweren Schritt ächzte, wie er leise aufschloß, Pelz und Hut ablegte und ins Speisezimmer ging, wo stets ein kalter Imbiß für ihn bereit stand.

Der Hund, der des Herrn Schritt erkannt hatte, hob den Kopf und sah mich an. Mußten wir hinausgehen, ihn begrüßen? Nein. Mit einigen ruhigen Schlägen seines Schweifes auf dem Teppich gab er mir sein Einverständnis zu erkennen, legte den Kopf wieder auf meine Füße und atmete kaum, um mich nicht zu stören.

Ehe Armand aß, ging er in Mitschis Zimmer, das neben dem seinen lag, küßte ihn wach, schlug eine Decke um ihn und trug ihn ins Speisezimmer.

Darüber war auch Jules erwacht, der zu den Füßen seines Herrn schlief, und nun begann zwischen den dreien ein lustiges Essen, aber mit nur gedämpften Scherzen und Lachen, um Mutti nicht zu wecken, die jetzt gewiß tief schlief.

 

So ging der Winter hin. Immer mehr wurden mir die Pariser Zerstreuungen zur Qual. Immer traf ich da dieselben Personen, immer dieselben, ich kannte sie schon alle, sie und ihre Geschichte – denn da hatte jeder eine – wie ich die meine – mit ihrer falschen Freude und ihrem falschen Glück ... ihrem falschen Lächeln und ihren falschen Worten ... wie hatte ich sie satt! Wie verlangte es mich doch nach Menschen unter diesen Figuranten des Pariser Lebens.

Im Mai vorher war Armand für den »Figaro« nach Berlin gegangen. Da er mit seinem Korrespondenten, Herrn X... dort nicht zusammenkommen wollte, um keinen Verdacht zu erregen, aber doch gern mit einem bedeutenden Journalisten bekannt geworden wäre, um allerorten Zutritt zu erhalten, riet ich ihm, Paul Lindau aufzusuchen, der, gleichsam als Hausjournalist der Bismarcks, ihm am meisten nützen könne und ihn auch, als vom »Figaro« kommend, gewiß kordial empfangen würde.

Er folgte meinem Rat und schrieb mir von Berlin:

»Hier wurde ich mit offenen Armen und Türen empfangen. Ich habe Dir schon von Bergmann erzählt. Heute um 6 Uhr bin ich von Herbert Bismarck empfangen. Der Fürst hat einen Hexenschuß, aber ich habe trotzdem nicht jede Hoffnung verloren, ihn zu sehen.

Ich habe gestern bei Lindau soupiert mit Schweninger. Ein unglaublicher Kopf ... gemein ... grob aber genial, ein wissenschaftlicher Lenbach. Lindau sehr liebenswürdig; seine Frau in Ems. Vor dem Souper war ich in ›Rosmersholm‹, einer von den größten Eindrücken meines Lebens. Es muß übersetzt werden. Aber gespielt wie die Schweine!

Heute esse ich Mittag bei X... (der Dame, die ihn mit seinem Korrespondenten bekannt gemacht), abends bin ich zu Herbette (dem französischen Gesandten) geladen und nach dem Essen gehe ich mit dessen Sohn in eine Premiere, ›Gewissenswurm‹ von Anzengruber im deutschen Theater.

Ich schicke heute meine Unterredung mit Herbert Bismarck fort. Ich bin wirklich › Jemand‹, und du kannst ruhig sein – ich habe Sachen erfahren, die › niemand‹ erfahren hat. Du wirst es lesen. Ich habe den Kaiser gesehen, der begräbt sie alle.«

Zum Begräbnis des alten Kaisers ging er wieder nach Berlin zurück.

Als ginge es auf eine lange und gefahrvolle Reise, so traurig und bewegt nahm er von mir Abschied. Fest schloß er mich in seine Arme, küßte mich immer wieder und wiederholte immer wieder:

»Leb wohl mein liebes, liebes Weib! Acht Tage ohne dich! ... es ist mir, als könnte ich es nicht überleben.«

Am 14. März war mein Geburtstag.

Als ich am Morgen noch im Bett meinem Mädchen läutete, öffnete dieses die Tür und trat mit einem großen Korb voll weißem Flieder und herrlichen Rosen herein.

Zwischen den Blumen lag ein Brief Armands. Er kam aus dem Hotel »Kaiserhof« in Berlin und trug das Datum des 12. März. Er schrieb:

»Man sagt: weit von den Augen, weit vom Herzen. Es ist nicht wahr. Ich bin recht weit von dir, aber ich will doch, daß Du weißt, daß ich von Herzen mit Dir bin, und diese Blumen, als erster Morgengruß, sollen dir meine ganze Liebe bringen und alle Wünsche, die ich für dein Glück habe. Du weißt, daß Du mein Alles auf der Welt bist und so lange ich lebe, lebe ich für Dich. Sei gesund und laß mich Dich glücklich machen.

Und mit Millionen Küssen von weitem glaube an

Deinen Armand.«

Zwei Tage nach diesem Brief kam Armand wieder in Paris an.

Er war nicht mehr derselbe.

Kalt begrüßte er mich und sprach kaum zu mir. Nie hatte ich ihn so gesehen.

Ich wollte ruhig bleiben und sagte mir: morgen wird sich's aufklären – schlief aber diese Nacht noch weniger als sonst.

Es klärte sich nicht auf.

Wir lebten nun wie Fremde nebeneinander; jedes in seinem Zimmer; hatten wir uns etwas zu sagen, geschah es durch die Dienstboten.

Und zwischen uns stand Mitschi stumm mit großen erstaunten Augen, angstvoll auf das Unfaßbare blickend.

Was war es?

Die Frühjahrssonne kam zu mir, aber sie brachte mir keine Wärme und keine ihrer Strahlen drang in das Dunkel meiner Seele. Mit ahnungsvollem Grauen erwartete ich das Einstürzen des Zauberpalastes, den seine Liebe um uns gebaut.

Noch steht er still ... aber ich zittre und harre ... denn ich weiß, daß er einstürzen muß ... und wir alle unter seinen Trümmern zerschmettert liegen werden.

Da trat er bei mir ein.

Wie sah er aus!

Den scheuen Blick verhehlten Schmerzes von mir abgewendet, wankte er an den Kamin, dort Halt suchend.

Aus Mitleid sehe ich ihn nicht an.

Ich wollte aufstehen, zu ihm gehen, ihm die Hand auf den Mund legen und zu ihm sagen: »Sprich nicht, tu's nicht ... aus Barmherzigkeit für uns alle ... Du begehst ein Verbrechen ... einen Selbstmord an deinem Besten ... an dem einzigen, was dich so hoch über andere gestellt ...« Aber ich war keiner Bewegung, keines Wortes fähig ... gelähmt vor Schreck und Angst wartete ich, wie der Verurteilte wartet unter dem Beil des Henkers.

Dann sprach er.

Aber das war auch nicht mehr seine Stimme ... nicht mehr die tiefe warme Stimme, die ich so sehr geliebt, die stets wie ein voller, schöner Glockenton in mein Herz geklungen, die mit dem sanften, treuen Blick seiner Augen sein Reichtum und mein Glück gewesen.

Es war ja gleichgültig, was er sagte.

Es war etwas von alten Schulden, die ihm auf den Rücken gefallen ... von einer Änderung seiner Laufbahn ... von Vorschlägen, die ihm Minister gemacht, die diplomatische Karriere zu ergreifen ... von einer Stellung in den Kolonien ...

Lügen!

Ich war wieder ruhig geworden. Während er sprach, hatte ich nach dem Faden gesucht, der mich aus diesem Labyrinth von Lüge auf den Weg der Wahrheit führen sollte, ihn aber nicht gefunden.

Als er schwieg und Antwort von mir erwartete, sagte ich, auf den Spiegel zeigend, vor dem er stand:

»Sieh dich doch an, Armand. So sieht kein Mann aus, der die Wahrheit spricht. – Aber da du es wünschst, werde ich alles, was du gesagt, glauben. – Was soll nun geschehen?«

Es kamen die verworrensten Pläne.

Lügen!

»Wie es auch sein wird – was du auch beschließest – ich nehme es an. Du kannst uns aus deinem Leben streichen – aus deinem Herzen nie.«

Er weinte.

Diese Tränen waren keine Lüge.

* * *


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