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Von Rochefort war Kathrin der Geschmack für Antiquitäten gekommen, doch ging die Sache bei ihr nicht sehr tief. Es war mehr Snobismus, als sonst was.

Irgend jemand hat ihr gesagt, daß Sefer Pascha auf seinem Schloß Bertholdstein bei Gleichenberg eine prachtvolle Sammlung habe.

Sie schrieb an den Pascha, sagte ihm, wer sie sei, daß sie mit uns in Graz lebe, von seiner Sammlung gehört habe, und sehr glücklich wäre, sie zu sehen, um Rochefort darüber zu berichten.

Schon am nächsten Tage kam eine sehr warme Einladung von Sefer Pascha an uns und Kathrin, für einige Tage Gäste auf Bertholdstein zu sein.

Unterdes hatte Kathrin erfahren, daß Sefer Pascha eigentlich ein polnischer Graf war, der, nachdem er in Europa als Diplomat kein Glück gehabt, nach Ägypten gegangen, dort der Freund des Vizekönigs und bald dessen allmächtiger Minister geworden war.

In der letzten Zeit sei ihm aber der Boden dort zu heiß geworden, weshalb er seine Schätze von Kairo in Bertholdstein in Sicherheit gebracht hätte; so hieß es.

So etwas paßte Kathrin – und noch viel mehr meinem Mann. Beide waren Feuer und Flamme für die Einladung. –

Kathrin ging sofort daran, sich eine Toilette machen zu lassen, die schön sein sollte wie ein Sommernachtstraum – und Leopold hielt Heerschau über meine Pelze. – Wenn's diesmal nicht der Grieche war, dann würde ich niemals einen finden. Halb ritterlicher Pole, halb despotischer Orientale – das Ideal eines Griechen.

Am Abend vor unsrer Abreise bekam Leopold Zahnweh. Am Morgen erklärte er, er könne mit Zahnschmerzen nicht mitreisen. Er wollte sich den Zahn ziehen lassen, doch solle der Zahnarzt ins Haus kommen. Narkotisiert wolle er nicht werden, ich aber solle eine Pelzjacke anziehen, mich vor ihn hinstellen und ihn mit grausamer Miene während der Operation ansehen, das würde ihm eine genußvolle Narkose sein.

Solche Komödien waren mir schon geläufig; ich spielte auch diese zu seiner Zufriedenheit und zum Erstaunen des Arztes. Dieser sagte dann, es sei um den Zahn eigentlich schade, denn er sei gar nicht schlecht gewesen. Leopold aber achtete nicht darauf und meinte, es war ihm ein solcher Genuß, daß er sich unter den gleichen Bedingungen mit Vergnügen alle seine Zähne wollte reißen lassen.

Wir sollten am Nachmittag reisen. Nach Tisch sagte Leopold, er zöge es vor, den nächsten Tag nachzukommen, da er sich jetzt doch von der Operation angegriffen und nervös fühle und ausruhen wolle; wir sollten allein reisen, ihn bei Sefer Pascha entschuldigen und seine Ankunft für den nächsten Tag melden.

So fuhren wir also allein.

In Fürstenfeld erwarteten uns zwei Wagen, ein Fourgon und eine reizende, mit prächtigen Pferden bespannte Kalesche. Ganz großartig war die Art, wie uns die Diener, die nur französisch sprachen, empfingen.

»He, hat das Stil!« sagte ich zu Kathrin.

Diese Bemerkung hätte ich nicht machen sollen, das sah ich gleich an ihrem kalten, abweisenden Blick.

Wir hatten uns auf der ganzen Fahrt eifrig auf Vornehmtun eingeübt und waren in sehr eleganter Stimmung auf der Station angekommen – und da vergaß ich mich schon!

Es war eine schöne Fahrt, durch das liebliche Tal und dann den Berg hinauf nach dem Schloß, allein ich hatte keinen rechten Genuß davon. Ich sah nur den breiten Rücken des dicken englischen Kutschers, der da steif vor mir saß, und den kleinen zierlichen Franzosen neben ihm. Was hatte ich in diesem vornehmen Wagen zu tun? wohin fuhren wir? und wozu? Würde ich denn nie aus all dem Falschen und Unwahren herauskommen?

Daheim war mein Platz leer; immer wieder mußte ich mich von meinen Kindern trennen, warum? Ich wurde ärgerlich auf Kathrin, die mich dahinein gezogen hatte, und mißmutig und verstimmt kam ich in Bertholdstein an.

Sefer Pascha empfing uns sehr liebenswürdig, aber auch sehr als Grandseigneur.

Bertholdstein war eine halbverfallene Burg, als der Pascha sie für einen Pappenstiel kaufte und ausbauen ließ. Jetzt war sie angefüllt mit orientalischer Pracht, Pariser Luxus und seltenen Kunstschätzen. Es lag etwas Beleidigendes in dieser Verschwendung, diesem Reichtum, der einen kalt und steif anstarrte wie die Augen seines Besitzers.

Nachdem wir ein wenig Toilette gemacht hatten, trafen wir mit Sefer Pascha im Schloßhof wieder zusammen, wo er unter einer alten herrlichen Linde saß.

Kathrin mochte sich in ihren Briefen an ihn wohl als große Reiterin aufgespielt haben, denn er ließ ihr gleich alle seine Reitpferde vorführen. Es waren gewiß sehr kostbare Tiere, deren Vorzüge die englischen Reitknechte geschickt ins richtige Licht zu stellen wußten.

Kathrin hatte den Kopf ganz voll von diesen Pferden, von denen man ihr doch soviel erzählt hatte, und war fest entschlossen, sich von Sefer Pascha eins schenken zu lassen. Jetzt traf sie gleichsam ihre Wahl und das mußte ihr nicht leicht fallen, denn jedes dieser Pferde wäre ein schönes Geschenk gewesen. Mit einem solchen Pferd in Graz auszureiten, Neid zu erregen, dieses Verlangen zitterte in ihr, während sie voll Entzücken die wunderbaren Tiere betrachtete. Ich sah ein schlaues Lächeln unter dem grauen Bart des alten Herrn, und dachte, es würde ihr nicht leicht werden, ihre Sehnsucht zu stillen, denn der war kein Neuling.

Diesen Abend dinierten wir mit dem Pascha allein. Von den beiden Dienern, die unter der Aufsicht des Kammerdieners servierten, war einer ein junger schöner Nubier mit ganz unheimlich glühenden Augen. Kathrin schaute ihn an und ich bemerkte, wie ihr ein warmes Rot in die Wangen stieg.

In einem kleinen Salon neben dem Schlafzimmer des Paschas wurde der Kaffee serviert. Der Kammerdiener, ein ältlicher Mann, überblickte noch die Anordnungen, als wir eintraten. Im Vorbeigehen machte ihm Sefer Pascha eine Bemerkung in einem Ton so voll verhaltener Wut und Verachtung, daß mir ganz heiß wurde. Der Mann drückte sich an die Wand mit totbleichem Gesicht und ich sah, wie seine Hände zitterten.

Sefer Pascha, der den Eindruck, den das auf mich gemacht, bemerkt haben mußte, sagte, wie um sich zu entschuldigen, der Mann sei ein Dieb und verdiene wie ein solcher behandelt zu werden; er empfange 12 000 Fcs. Gehalt und er stehle ihm noch 100 000 Fcs. dazu, da er den ganzen Haushalt führe.

»Ich würde ihn in dem Fall wegschicken«, sagte ich.

»Und einen andern nehmen, der um kein Haar besser ist.«

Kathrin sprach von dem Nubier und Sefer Pascha erzählte, er habe der Kaiserin Elisabeth einen ebenso prächtigen geschenkt und sie sei mit ihm sehr zufrieden. Der seinige aber sei ein böser Kerl, die ganze Dienerschaft zittere vor ihm und fürchte, er werde einmal einen Mord begehen. Dann sprach er vom Orient und wie man dort mißtrauisch werde gegen seine Umgebung, weil man nie wisse, von wem die Leute gekauft seien.

Mir wurde immer ungemütlicher, ich sehnte mich fort aus diesem kalten Reichtum nach dem warmen Lachen meiner Kinder.

Diener führten uns in unsre Zimmer, denn nie hätten wir den Weg dahin allein gefunden.

Es war eine lange und mühevolle Wanderung. Wir stiegen Treppen hinauf und Treppen hinab, kamen durch breite Galerien und enge Gänge, große Säle, die von Waffen und geharnischten Rittern starrten, und vorbei an kleinen reizenden Erkern, durch deren Fenster, schmal wie Schießscharten, gespenstisch das Mondlicht fiel. Wir hielten betroffen in einem Turmzimmer an, durch dessen zerfallene Mauer der Nachtwind blies und das Rauschen des Waldes hörbar war, dessen Boden aber mit Schutt und den Trümmern einer herrlichen Vase bedeckt war, während aus dem breiten Goldrahmen eines Bildes die bemalte Leinwand in Fetzen hing. Der Blitz, sagten die Diener, habe vor einigen Tagen eingeschlagen und die Verheerungen angerichtet. Endlich kamen wir in einen großen Vorsaal mit vielen Türen, eine derselben führte in unsere Zimmer.

Das meine war hoch und breit wie eine Halle, mit zwei Betten – es sollte ja mein Mann mitkommen – und nur einem Fenster, das tief in der dicken Mauer steckte, wie das zurückgesunkene Auge eines Kranken.

»Meinst du, Kathrin, daß es behaglichere Schlafzimmer gibt als dieses? Hier hat die Angst Platz sich zu verstecken und nachts aus allen Winkeln zu kriechen und einen zu überfallen.«

»Hast du Furcht?«

»Hast du denn nicht gesehen, wie die zwei eisernen Ritter da draußen vor unsrer Tür sich zugewinkt haben, als wir vorüberkamen? Wenn sich's einer einfallen läßt, mir in der Nacht einen Besuch zu machen ...«

»Schicke ihn zu mir.«

»Es tut mir leid ... Das Winken hat aber diesmal entschieden mir gegolten.«

»O, Wanda, warum warst du den ganzen Abend so schlechter Laune?«

»Warum hast du mich hierher geschleppt zu diesem bösen alten Mann?«

Von meinem zu Kathrins Zimmer mußte man wieder einige Stufen hinab, und nachdem man einen schmalen, sich wie eine Schlange windenden Gang durchschritten, durch ein großes mit raffinierter Eleganz eingerichtetes Toilette-Zimmer gehen. Ihr Gemach war reizend, klein und behaglich und voll schöner Dinge.

Nach meiner Gewohnheit stand ich am andern Morgen früh auf und ging gleich ans Fenster und da sah ich erst, daß es eigentlich eine Türe war, die auf einen kleinen Balkon führte, von dem aus man eine schöne Fernsicht über das Tal und das Schloß Trauttmansdorff gegenüber hatte. Ich zog Kathrin aus dem Bett, um ihr meine Entdeckung zu zeigen.

Wir zogen uns rasch an, um ins Freie zu gehen. Kaum waren wir damit fertig, als uns das Kammermädchen, eine niedliche Französin, den Kaffee brachte.

Zugleich mit ihr raste eine ganze Meute Möpse ins Zimmer und jagte über die Betten und Möbel hin. Nachdem die Hunde die Gäste ihres Herrn auf diese stürmische Art begrüßt hatten, stellte die Französin sie uns vor. Zuerst »Sussi«, Sefers Pascha berühmte Möpsin, dann ihren Gemahl, ihre Kinder und Kindeskinder. Kathrin war ganz närrisch und wollte mit der Familie näher bekannt werden, aber da öffnete das Mädchen die Türe und die ganze Meute stürmte in derselben tollen Jagd wie sie gekommen war, wieder davon.

Bald gingen wir hinaus aus den düstern Mauern in den sonnigen Hain, der das Schloß auf einer Seite umgab und blieben dort bis kurz vor dem Diner.

Man sagte uns, daß Gäste gekommen seien und daß man auf uns warte.

Kathrin machte rasch Toilette und ich half ihr dabei. Sie zog ihren Sommernachtstraum an und war darin reizend schön. Sie meinte, auch ich sollte ein hübscheres Kleid anziehen, aber ich fand, daß ich ganz gut war, so wie ich war, und wir gingen hinab in den großen Empfangssaal.

Wir fanden viele Gäste. Graf und Gräfin X..., ein junges ungarisches Ehepaar, das für den Sommer ein Schloß in der Nachbarschaft gemietet hatte, Baronin N ..., Prinzessin Z... und einen eleganten Husarenrittmeister, der zwar Mayer hieß, was ihn jedoch nicht verhinderte ein schöner und feiner Mann zu sein.

Die Ungarn waren einfach und freundlich; die Baronin und noch mehr die Prinzessin nahmen kaum Notiz von uns. Ich glaube, es war der Sommernachtstraum und die frische Jugend, die er bekleidete, die den beiden Damen ihre Haltung diktierte, denn sie selbst waren wohl noch jung, sahen aber ganz so aus, als ob sie niemals frisch gewesen wären. Die Prinzessin war direkt häßlich: klein, mager und schlecht gebaut, mit strohgelben dünnen Haaren, die sie ganz gegen die Mode flach gekämmt und in ein bescheidenes Zöpfchen geflochten trug; ein mit Sonnenflecken bedecktes, fast blödsinniges Gesicht, über dem sich eine Stirn »wölbte«, wie sie Kinder haben, die am Wasserkopf leiden.

Sie mußte eine perfekte Sport-Woman sein, denn sie sprach fast nur von Pferden und Hunden. Sussi kannte sie sehr genau, so genau, daß ich und Kathrin uns anblickten – und verstanden.

Die Ungezogenheit der beiden Frauen ärgerte Kathrin. Ich selbst fand mich leicht darüber hinweg; wenn ich neue Gesichter sehe, beschäftigen sie mich, ich suche sie zu verstehen und darüber kann ich vieles vergessen. Auch nahm sich der Rittmeister meiner an; er erzählte mir, daß er eben von Paris zurückgekommen, wo er die Ankündigung des Stückes meines Mannes gelesen; dann zeigte er mir die jüngste Photographie der Sarah Bernhardt, die dieselbe war, die sie meinem Manne in großem Format durch Rochefort hatte senden lassen.

Bei Tisch erhielt ich eine Depesche meines Mannes, die mir anzeigte, daß er leider seinen Besuch in Bertholdstein auf eine günstigere Zeit verschieben müsse, da sich nach der Operation eine Entzündung gezeigt, die ärztliche Behandlung beanspruche. Ich möge Se. Excellenz davon mit seinem aufrichtigen Bedauern in Kenntnis setzen. Ich reichte diesem die Depesche.

Es tat ihm furchtbar leid, Sacher-Masoch jetzt noch nicht kennen zu lernen.

Die Zahnschmerzen Leopolds kurz vor unserer Abreise, die Operation mit Pelz und Grausamkeit, die darauffolgende Entzündung – das war ein gut ausgedachter Plan.

Man nahm wieder den Kaffee in dem kleinen Salon und dann fuhren die Besuche ab.

Nachdem wir allein waren, zeigte uns Sefer Pascha eine große Photographie der Kaiserin Elisabeth mit einem Autograph, die er eben erst erhalten. Nachher führte er uns in die Säle, die seine Sammlungen enthielten und machte uns auf die schönsten Stücke aufmerksam.

Dann machten wir eine Ausfahrt nach Gleichenberg.

Sefer Pascha kutschierte selbst einen mit vier Pferden bespannten Break. Kathrin saß neben ihm auf dem Bock. Ich fuhr allein in einer kleinen Kalesche.

Vorher hatte uns der Pascha noch auf die Pferde, die er führte, aufmerksam gemacht; vier Isabellen, ein Geschenk der Kaiserin Elisabeth für den ihr gegebenen Nubier. Es waren wunderbare Tiere mit zarten rosigen Köpfen, wie ich sie noch nie gesehen.

Vier so wertvolle und seltene Pferde für einen Negerknaben – das war auch ein »Pappenstiel«.

In Gleichenberg machte Sefer Pascha einen Besuch, während wir uns den Ort ansahen. Kathrin war jetzt, wie die Prinzessin Z..., ganz Sports-Woman geworden, und sprach wie diese nur noch von Hunden und Pferden.

Ich war als ganz junges Mädchen mit meinem Vater einmal einige Wochen in Gleichenberg gewesen und erinnerte mich jetzt, daß in dem Fürst Thurn und Taxischen Jagdschlößchen »Hubertus-Haus« für die dahingegangenen Pferde des Fürsten ein stimmungsvoller Kirchhof angelegt war, der mir damals einen tiefen Eindruck gemacht. Ich sagte es Kathrin und erbot mich, sie dahin zu führen. Sie war erfreut darüber, und unter passenden Gesprächen über Pferde, Rennen und derlei kamen wir in weihevoller Stimmung an der berühmten Grabstätte an.

Hier lagen sie und schliefen den ewigen Schlaf, die edlen Tiere, die einst der Stolz und die Freude ihres Besitzers waren. Alte Ulmen rauschten über ihnen und nachts sangen ihnen die Nachtigallen gewiß ihre schönsten Lieder.

Kathrin las die schön gemeißelten Gedenktafeln, auf welchen Geburts- und Todestag sowie die Taten des Darunterliegenden gewissenhaft verzeichnet waren. Es waren lauter Berühmtheiten: auf allen Rennplätzen der Welt waren sie die flinksten gewesen, hatten ihrem Herrn Geld eingebracht, ihn und sich mit Ruhm bedeckt; besonders denen, die bei Ausübung ihres edlen Berufs ums Leben gekommen, hatte man tiefempfundene Worte über ihr tragisches Schicksal in den Stein hineingemeißelt.

Kathrin war ganz ergriffen. Wir setzten uns auf eine Moosbank und blieben lange in ernsten Betrachtungen versunken.

Wir gingen dann noch in den Anlagen spazieren und Kathrin erzählte mir, daß unser Wirt wütend auf sie sei, weil sie nur von der Prinzessin gesprochen und immer wieder ausgerufen habe: »Dieu, qu'elle est laide! Dieu, qu'elle est laide!« Da er ihr sehr den Hof machte, habe ihn das so gereizt, daß er ganz rasend wurde und ihr gedroht habe, wenn sie nicht aufhöre ihn zu quälen, er sie auf die höchste Spitze des Berges fahren und dort umwerfen würde.

Zurückgekehrt tranken wir Tee und aßen prachtvolles Obst, und dann standen wieder andere Wagen und andere Pferde zu einer neuen Ausfahrt bereit.

In einem benachbarten Dorfe waren wandernde Schauspieler angekommen und hatten den Schloßherrn von Bertholdstein um seinen Besuch bitten lassen.

Dieses Theater, die Schauspieler, und wie sie spielten, das war so lächerlich-traurig, daß ich froh war, als wir bald wieder aufbrachen.

Lange konnte ich diese Nacht nicht schlafen. All diese Vergnügungen hatten mich zu sehr ermüdet, auch war ich mit meinem Verlangen weit fort von Bertholdstein.

 

Als ich am andern Morgen spät erwachte, stand Kathrin in einem weißen Baignoire in der Balkontüre, von der Sonne ganz durchschienen, so daß ich ihren schlanken kraftvollen Leib durch den feinen Stoff erkennen konnte.

Sie blickte zu mir hin und da sie sah, daß ich erwacht war, kam sie gleich zu mir:

»Ça y est?«

»Sefer Pascha ...?«

»Ja.«

»O, warum hast du's getan!«

»Aus Wut gegen die Prinzessin.«

»Du hättest es nicht tun sollen. Er ist zu reich ... und hat über Frauen zu orientalische Ideen ... er ist überzeugt, daß er sich alle kaufen kann ... Sagtest du nicht, daß man erzählt, alle Frauen, die Bertholdstein besuchten, fügten sich ihm? Was bist du jetzt für ihn? Eine mehr ... nichts weiter. Und jetzt wird er glauben, daß auch ich nur da bin, um auf seinen Wink zu warten ...!«

»Nein, da irrst du dich«, sagte sie lebhaft. »Er glaubt dich sehr verliebt in deinen Mann und daß du dich nach ihm sehnst ... Moi aussi, je crois que j'ai fait une bêtise.«

»Aber wie ist es passiert, du bist doch mit mir heraufgekommen?«

»O, das ist amüsant! Denk, er hat immer Furcht, ermordet zu werden, und damit man ihn wenigstens nicht im Schlaf überfallen kann, hat er die Türen seines Schlafzimmers so machen lassen, daß sie sich in die Wände hineinschieben, wenn sie offen sind; geschlossen aber von draußen gar nicht geöffnet werden können. Er sagte mir, eine solche Türe sei hinter seinem Bett verborgen und gehe auf eine in der Mauer befindliche kleine Treppe, die hinter meinem Bett an einer ebensolchen Tür ende, und er könne nachts wenn er wolle zu mir kommen. Ich glaubte es nicht. Da sagte er, er würde es mir noch diese Nacht beweisen – und er hat es getan.«

»Hattest du nicht Furcht?«

»Ach, Furcht! Neugierig war ich.«

»Warum will man ihn denn ermorden?«

»Er sagt, er habe sehr viele Feinde.«

Wir schwiegen. Kathrin kauerte auf meinem Bett, die Füße auf einem Stuhl, die Ellbogen auf den Knieen, das Gesicht in den Händen und schien nachzusinnen.

»Ich möchte fort von hier«, sagte ich nach einer Weile.

»Ich auch. Aber wir sollten ja eine Woche bleiben.«

»Mein Mann ist krank; das gibt mir einen guten Vorwand, und allein kannst du nicht bleiben.«

»Wollen wir unsre Koffer machen?«

»Ja.«

Der Gedanke fortzukommen belebte uns beide. In einer halben Stunde waren wir bereit.

Ich ließ Sefer Pascha sagen, daß ich um meinen Mann besorgt wäre und abreisen wollte.

Er sandte mir seinen Kammerdiener mit der Bitte, noch zu Tisch zu bleiben; wir hätten am Nachmittag einen besseren Zug.

Da mußten wir also warten.

Bei diesem Essen waren keine anderen Gäste und Sefer Pascha liebenswürdiger als je.

Es war zum erstenmal, daß ich Kathrin mit einem Manne zusammensah, der ihr Liebhaber war. Sie erstaunten mich. Nicht das leiseste Zeichen von Vertrautheit war an ihr wahrzunehmen; sie war mit dem Pascha nach dieser Nacht genau so wie vorher, nicht weil sie sich so stellte, sondern weil es wirklich so war. So wenig war ihr die Hingabe an einen Mann, daß dieser sich in nichts für sie dadurch veränderte, er stand ihr nicht näher – sie gab ihm nichts von sich und nahm nichts von ihm.

Wie das das Leben vereinfacht, dachte ich. Und wir andern, die wir in der Hingabe so viel sehen, soviel in sie hineinlegen ... das ganze Leben ... und soviel von ihr erwarten, was sie nicht geben kann.

Sefer Pascha sagte mir zum Abschied, er werde an Sacher-Masoch schreiben und ihn sehr ernst an sein Versprechen, nach Bertholdstein zu kommen, mahnen.

Endlich fuhren wir den Berg hinunter und wurden immer froher, je weiter das düstere Schloß hinter uns zurückblieb.

 

Ich brachte meinem Dichter wieder eine Enttäuschung nach Hause; Kathrin hatte die Stelle eingenommen, die er mir in Bertholdstein zugedacht hatte.

Er war ärgerlich – aber doch voll Hoffnung. Er traute Kathrin nicht zu, einen Mann wie Sefer Pascha auf die Dauer zu fesseln, während ich ...

Warum er annahm, daß Kathrin Sefer Pascha, den er nie gesehen hatte, nicht sollte fesseln können, weiß ich nicht; daß ich aber jeden Mann fesseln konnte, ging ganz klar daraus hervor, daß ich ihn fesselte.

Mit welcher Zähigkeit hielt er, trotz immer erneuerten Fehlschlagens, an seinen Wünschen und Hoffnungen fest! Mit welcher Leichtigkeit baute er für seine Chimären immer wieder scheinbar solide Unterlagen! Mit welchem tiefen Ernst sprach er davon! Ihm seine Phantasie zu erfüllen, das wäre etwas Großes, Erschütterndes.

Nachdem er anfangs froh war, mich viel in Kathrins Gesellschaft zu wissen, weil er meinte, ich würde da leichter den Griechen finden, fing er jetzt an über sie unwillig zu werden und fand, daß das Gegenteil der Fall war. Er sagte, sie sei eine zu leichte Eroberung, das ziehe die Männer zu ihr, während sie bei mir viel zu riskieren glaubten, da ich einen Mann habe, der Duelle gehabt, von dem man also wisse, daß er sich schlagen würde.

Sefer Pascha hatte wirklich an Sacher-Masoch geschrieben, und ihn dringend eingeladen ihn zu besuchen. Er sagte, er würde sich so einrichten, daß kein anderer Besuch in der Zeit da sein werde, um das Vergnügen, mit ihm zu plaudern, ungeteilt genießen zu können.

Einige Tage ehe wir uns zu dieser zweiten Fahrt nach Bertholdstein aufmachten, begegneten ich und Kathrin im Stadtpark dem Grafen Spaur. Er sagte, er käme eben von einem Besuch bei Sefer Pascha, der ihn ersucht habe, ein Collier für Kathrin mit nach Graz zu nehmen; er werde ihr dasselbe noch den Abend senden.

Graf Spaur, ein nicht mehr ganz junger Mann, galt für einen gefährlichen Don Juan und für eine der bösesten Zungen in Graz.

Kathrin und er belauerten sich gegenseitig schon lange. Sie waren gewiß verwandte Seelen und trauten sich deshalb nicht. Sein Ruf als Viveur zog sie an und reizte sie; ihn lockte sie dadurch, daß sie die eleganteste und interessanteste Erscheinung in Graz war, allein er wußte von Straßmann und J... und wollte nicht mit diesen »Buben« in einen Sack geworfen werden, daher war er vorsichtig. So umschlichen sie sich, wie die Katzen den heißen Brei, ohne daß eins den entscheidenden Schritt wagte.

Die Geschichte mit dem Collier, und wie er sie zu färben verstand, war Wasser auf seine Mühle. Er strahlte vor Vergnügen, Kathrin das bieten zu können.

Welchen Grund hatte Sefer Pascha, Kathrin in dieser Weise herunterzusetzen, gerade jetzt, wo er sie eben wieder mit uns eingeladen hatte?

Nachdem wir uns genügend darüber aufgeregt hatten, kam das Collier an, und von dem ganzen Alarm blieb nichts übrig, als die Bosheit Spaur's; denn das Schmuckstück hatte nur einen rein archäologischen Wert, der jede beleidigende Absicht ausschloß.

Ich weiß nicht mehr wie es kam, daß ich und Kathrin wieder allein nach Bertholdstein fuhren und Leopold uns erst den nächsten Tag nachfolgte.

Diesmal sollte mir Sefer Pascha nicht entgehen.

Ich hatte nämlich eine »unfehlbare«, schwarze, mit Hermelin besetzte Samtjacke, diese, und nichts anderes, sollte ich während meines diesmaligen Aufenthaltes bei dem Pascha tragen – die Jacke würde ihre Schuldigkeit tun. Sie tat es auch mehr als mir lieb war. Wir waren sowohl bei Tisch als den Rest des Abends allein mit dem Pascha. Er bemühte sich sehr um mich, während Kathrin neugierig und beobachtend dasaß. Sie war nicht schlechter Laune, kein Schatten von Bosheit oder Neid, ja nicht das kleinste Zeichen von Ungeduld merkte ich an ihr. Auf mich schaute sie freundlich und lieb, auf den Pascha spöttisch, und wenn ich je glaubte, daß sie mir gut sei, so war es in diesem Augenblick. –

Ich gab vor, von der Reise ermüdet zu sein, und wir zogen uns bald zurück.

Wir hatten dieselben Zimmer wie bei unserm ersten Besuch, aber diese Nacht schlief Kathrin bei mir in dem Bett, in dem morgen mein Mann schlafen sollte.

Wir verlöschten das Licht nicht, lagen da und plauderten ...

Kathrin erzählte wieder von ihrer Kindheit und kam dann auf die Kinder Rocheforts, und wie glücklich diese seien. Er habe die Ansicht, keine Erziehung sei die beste Erziehung. Kinder müssen Raum haben, um sich zu entwickeln, und jede Erziehung sei beengend. Victor Hugo denke ebenso. Seine Enkelkinder George und Jeanne regierten unumschränkt im Hause, alles richte sich nach ihnen, am meisten der alte Großvater, der sie blind und leidenschaftlich liebe.

In der Lebhaftigkeit ihres Geplauders sprang sie aus dem Bett, um zu mir zu kommen. Da stieß sie plötzlich einen wilden Schrei aus. Sie war mit dem nackten Fuß auf eine jener großen dicken Nadeln getreten, mit denen Tapezierer Teppiche zusammennähen, und die in dem neuen Teppich wohl vergessen worden war.

Ich wollte gleichfalls aus dem Bett springen um ihr zu helfen, sie aber rief:

»Nein, nein, komm nicht her!« Und sie hüpfte auf einem Fuß bis an mein Bett, setzte sich darauf, zog den verwundeten Fuß auf das Knie des andern und betrachtete ihn ganz erstaunt und wie etwas besonders Angenehmes.

»Aber zieh doch die Nadel heraus!« rief ich ungeduldig.

»Nein. Du hast keine Idee, was das für ein entzückendes Gefühl ist, verwundet zu sein, die Nadel so in seinem Fleisch zu fühlen und zu denken, daß man sie herausziehen muß, und daß es vielleicht furchtbar weh tun wird.«

Ich sah sie an. Es war ihr Ernst. Ich überließ sie ihrem Entzücken und sie fing wieder an zu plaudern und zu erzählen.

Warum ist sie nicht die Frau Sacher-Masochs geworden? dachte ich. Wie gut würde sie zu ihm gepaßt haben, mit ihrem »Genuß im Schmerz« und all den sonderbaren Empfindungen, für die ich so wenig Verständnis hatte.

Sie blieb vielleicht noch eine Stunde mit der Nadel im Fuß, dann zog sie sie mit einer raschen entschlossenen Bewegung heraus. Es kam kein Tropfen Blut – und sie lachte und schlang ihre Arme um ihren Kopf, als wollte sie sich selbst umarmen.

»Mach' dir einige kalte Umschläge, damit keine Entzündung dazukommt.«

»Ach was!« rief sie und sprang ins Bett. Bald darauf merkte ich, daß sie fest eingeschlafen war.

Am andern Morgen dachte sie nicht mehr an ihre Verwundung. Ich erinnerte sie daran und sie sagte, daß sie gar nichts fühle und alles gut sei.

Noch vor dem Essen kam Leopold an und wurde von Sefer Pascha ganz ausgezeichnet empfangen.

Am Nachmittag saßen die beiden Herren im Schloßhof unter der schönen Linde und sprachen von ihrer gemeinschaftlichen Heimat, Polen, und über Politik, während ich und Kathrin im Schloß selbst auf Abenteuer ausgingen, das heißt, unsere Nasen überall hineinsteckten und dabei um ein Haar ins »Burgverließ« gestürzt wären.

Kathrin litt nämlich an der fixen Idee, der Pascha halte einen Harem im Schloß verborgen, und den wollte sie ausschnüffeln; aber so gewissenhaft wir auch spionierten, wir entdeckten nicht den Schatten einer Haremsdame und nicht das kleinste Zipfelchen eines Eunuchen.

Leopold schlief noch, als wir am andern Morgen schon Kletterpartien auf dem steilen Felsen machten, der das Schloß umgab.

Anfangs taten wir es nur zu unserm Vergnügen, aber bald stellte sich der Hunger ein und wir suchten nach irgend etwas Eßbarem, doch waren zwei unreife Holzäpfel alles, was wir erbeuteten, und da ich meinen Hunger dem Genuß dieses Obstes vorzog, aß sie Kathrin allein und schien davon sehr befriedigt.

Als wir dann bei Tisch die Schüsseln mit den feinen Speisen vor uns hatten, sahen wir uns an und lachten. Sefer Pascha merkte etwas und frug, was wir denn getrieben hätten, da wir den ganzen Morgen unsichtbar geblieben, und da erzählte Kathrin, daß wir bald verhungert ausgezogen seien, um zu fouragieren, aber die ganze Gegend abgegangen wären und nichts gefunden hätten als zwei saure Holzäpfel. Der Pascha meinte belustigt, die Schuld liege an uns, wir stünden zu früh auf; in Bertholdstein gehe kein Mensch vor zehn Uhr aus dem Bett; auch hätten wir im Schloß selbst fouragieren sollen, dann wäre der Erfolg befriedigend gewesen.

Den nächsten Tag reisten wir wieder ab. Sefer Pascha begleitete uns an die Station und sagte, er werde uns in Graz aufsuchen; auch möchte er bei seiner Anwesenheit dort meinen Mann mit dem Grafen Goluchowski bekannt machen, der in derselben Zeit dort sein würde.

Mein Mann war sehr befriedigt von Bertholdstein zurückgekommen, nur in einer, der Hauptsache nicht: Sefer Pascha war nicht mein Liebhaber geworden. Er würde in jeder Richtung so vorzüglich dafür gepaßt haben, aber er reiste ja schon in ganz nächster Zeit nach Kairo, es war also zu spät – für dieses Jahr.

Am wünschenswertesten wäre es, meinte er, wenn uns Sefer Pascha, nachdem er uns besucht, einladen würde, mit ihm für den Winter nach Ägypten zu gehen. Das wäre das Idealste für die »Venus im Pelz«; vielleicht täte er es, denn daß ich ihm gefallen habe, und daß er mich immer mit verlangenden Augen angesehen, dessen war er, Leopold, ganz gewiß. –

 

Gleich nach unserer Rückkehr von Bertholdstein fingen unsere Beziehungen zu Kathrin an sich zu trüben. Der geheime Groll, den mein Mann von jeher gegen sie hegte, war immer mehr angewachsen und hatte sich in der letzten Zeit beinahe bis zum Haß gesteigert. Obgleich er das nicht eingestand oder, wo er es tat, milderte und dafür Gründe vorschob, die nicht stichhaltig waren, glaubte ich, die wahren Ursachen erkannt zu haben.

Kathrin, die vor niemandem Respekt hatte, hatte auch vor ihm keinen: sein Talent bewunderte sie, seine Person aber fand sie lächerlich – und sagte es ihm.

Das vertrug er nicht. Er war ein guter, edler, ausgezeichneter Mensch, eine ideale Natur, und er hielt darauf, daß die Personen, mit denen er verkehrte, ihn nach seinem wahren Wert schätzten.

Auch hatte mein Mann die Eigentümlichkeit, wenn er sich in seinen Annahmen geirrt hatte, nicht sich, sondern die Personen, um die es sich handelte, für diesen Irrtum verantwortlich zu machen. Er hatte geglaubt, ich würde in Kathrins Gesellschaft schnell einen Griechen finden; das war nicht der Fall, und daran war Kathrins Bosheit schuld, die mir jeden Courmacher wegschnappte. Die »Venus im Pelz« war aber die wichtigste Angelegenheit seines Lebens, und immer trat Kathrin mit ihrem Leichtsinn dazwischen und zerstörte seine berechtigtsten Erwartungen. Wie sollte er sie da nicht hassen?

Sie hatte noch einen anderen großen Fehler: sie liebte die Kazabaikas nicht.

Er hatte ihr das einmal zum Vorwurf gemacht und den Wunsch ausgesprochen, sie bei uns in einer solchen Jacke zu sehen, worauf sie ihm hohnlachend erwiderte:

»Niemals. Mir tut schon Wanda leid genug, daß sie ihre graziöse Art in so plumpes Zeug verstecken muß. Das fehlte noch, daß ich meine schlanke Taille in einer dicken Pelzjacke begrabe! Deine Kazabaikas! Wenn du wüßtest, wie lächerlich du damit bist!«

»Was? Du findest vielleicht, daß sie Wanda nicht gut stehen?«

»Ja, das finde ich. Schau sie doch an, die Arme, wie schwer ihr jede Bewegung darin wird, und wie dick sie das macht. Sie hat Unrecht, dir nachzugeben und sich damit zu verunstalten. Ein Mann könnte mir Millionen geben, ich würde ihm nicht das kleinste Eitelkeitsopfer bringen.«

Er sagte nichts mehr, aber ich sah ihm an, daß er mit Kathrin fertig war.

Und gerade damals fiel etwas vor, das wie ein Beweis der Richtigkeit seiner Beurteilung Kathrins aussah.

Sie kam eines Tages und erzählte in der ihr eigenen humorvollen Art, in der sie sich selbst lächerlich machte, daß es endlich zwischen ihr und Graf Spaur zur Entscheidung gekommen sei und zwar dadurch, daß er zu ihr geäußert habe, ich sei eine Frau, in die sich zu verlieben ihm nicht schwer fallen würde. Damit hatte er seinen größten Trumpf ausgespielt und die Partie gewonnen.

Kathrin besaß sehr hübsche Schmucksachen, die ihr Rochefort gegeben hatte, sämtlich mehr geschmackvoll als wertvoll. Zufällig entdeckte sie, daß sie alle falsch waren. Das brachte sie furchtbar auf, und sie dachte nur noch an Rache. Sie behauptete, Dinge zu wissen, die, wenn sie sie an die richtige Adresse brächte, Rocheforts politische Stellung für immer untergraben würden. Sie zeigte mir auch einen Brief, den sie in der Sache an Gambetta geschrieben, und einige Tage nachher dessen Antwort: nur wenige Zeilen auf seiner Karte, die sagten, daß er sich sehr freuen würde, sie in Paris zu sprechen.

Ich wußte, daß Rochefort, der damals noch kein Vermögen besaß, Kathrin wiederholt in sehr generöser Weise beigesprungen, wenn sie in momentaner Geldverlegenheit war, was bei ihren verschwenderischen Ausgaben manchmal vorkam, und ich riet ihr deshalb ab, an ihm Verrat zu begehen, denn eine solche Strafe stünde in keinem Verhältnis zu dem, was er getan, auch könne er leicht mit den Schmucksachen selbst getäuscht worden sein. Sie schien auch auf mich zu hören; wenigstens war von der Sache nicht mehr die Rede.

Schon in diesem Augenblick wollte mein Mann ganz mit Kathrin abbrechen: käme es zu einem Zerwürfnis zwischen ihr und Rochefort, dann sollte dieser nicht glauben, daß er, Leopold, auf Seiten der Verräterin stehe. –

In jene Zeit fiel ein Prozeß, den mein Mann mit einem Verleger hatte. Er brachte ihm viel Verdruß und drückte ihn sehr nieder. In so gereizter Stimmung war ein Zusammenstoß mit Kathrin unvermeidlich. –

Nach ihrer lieben Gewohnheit, alles Unangenehme, das sie über ihre Freunde hörte, diesen brühwarm wieder zu bringen, kam sie immer mittags, wenn wir bei Tisch saßen, und packte ihren Vorrat von Neuigkeiten mit großem Vergnügen aus. Mein Mann, und was sie zu erzählen hatte, betraf fast immer ihn, wurde dann bleich vor verhaltener Wut. Sein im Zorn hinuntergewürgtes Essen schadete ihm, und er war für den Rest des Tages unwohl.

Schon im höchsten Grad aufgebracht über sie und in der geheimen Absicht, sich von ihr loszumachen, nahm er eine solche Gelegenheit wahr und sagte ihr, daß er ihr verbiete, all den Klatsch, den sie zusammenklaube, ihm ins Haus zu bringen; er habe es satt, sich seine Mahlzeiten und sein Zusammensein mit seiner Familie durch ihr boshaftes Gewäsch stören zu lassen.

Kathrin ging und kam nicht wieder. Wir erfuhren noch, daß sie wieder allein drei Tage in Bertholdstein gewesen war. Von dort zurückgekehrt, bezog sie zwei Zimmer im Hotel »Stadt Triest«.

»So ist's ganz gut«, sagte Leopold. »Ein junges Mädchen, das allein zu Sefer Pascha geht und allein in einem Hotel wohnt, ist kein Umgang für dich. Jedermann wird begreifen, daß wir uns von ihr zurückziehen.«

In dieser Zeit machte uns Sefer Pascha seinen Besuch.

Auch er war schlechter Laune: seine Angelegenheiten in Kairo gingen durchaus nicht nach seinem Wunsch.

Aber wir waren mit Kathrin noch nicht fertig.

Hauptmann v. C... trat jetzt für sie ein. Er ließ uns wissen, daß er es unverantwortlich fände, daß wir Fräulein Strebinger so fallen ließen und sie dadurch gleichsam zu unvorsichtigen Schritten drängten.

Leopold wurde stutzig. Er sagte:

»Ich müßte vielleicht doch ehrenhalber v. C... über Kathrin einen Wink geben, ihm so weit die Augen öffnen, daß er dann allein weiter sehen kann.«

»Das könnte doch nur in Frage kommen, wenn bei ihr die Absicht bestände, ihn zu heiraten, aber wir wissen doch, daß sie das um keinen Preis will. Hauptmann v. C... ist also in gar keiner Gefahr. Aber wenn es selbst der Fall wäre, hättest du, nach meiner Ansicht, nicht das Recht, einzugreifen. Er ist kein grüner Junge mehr, und Kathrin hat sich nie viel Mühe gegeben, zu verheimlichen, was sie getan. Daß er allein nicht gesehen hat, worüber die ganze Stadt klatscht, ist rätselhaft – geht uns aber nichts an. Es wäre sogar möglich, daß er deinen Wink sehr übel aufnähme, und die Sache dadurch statt besser nur ärger würde. Und dann wäre es auch ein Verrat an der Freundschaft. Hauptmann v. C... steht uns nicht nahe. Mit dem, was Kathrin getan hat, hat sie weder uns noch irgend jemandem ein Unrecht zugefügt. Sie ist frei und unabhängig und hat den Mut, nach ihren Überzeugungen zu leben – das ist ihr Recht«, sagte ich.

» Dir hat sie mit ihrer Liederlichkeit Unrecht zugefügt. Du warst ihr eine so treue und aufrichtige Freundin, daß sie aus Rücksicht für dich, um dich nicht zu kompromittieren, vorsichtiger hätte sein müssen.«

»Für wen sprichst du denn? Wir sind doch allein, es hört dich ja niemand, als ich. Mich kompromittieren! Was tun wir denn?«

»Das ist etwas ganz anderes. Du tust das nicht, wie Kathrin, aus Leichtsinn, sondern um deinem Mann eine Phantasie zu erfüllen.«

»Von diesen geheimen Ursachen weiß die Welt nichts – richtet sich also in ihrem Urteil nicht danach.«

»Du mußt den moralischen Mut haben, dich darüber hinwegzusetzen, und nicht dabei beharren, der Sache eine niedere Auffassung zu geben. Es gab schon vor dir Frauen von Schriftstellern oder Künstlern, die ihren Männern Opfer gebracht haben. Die Frau des Dichters St... hat sich in seiner Gegenwart zum Fenster hinausgeworfen, bloß weil ihr Mann sich beklagte, daß kein tragisches Ereignis sein Leben bewege und ihm Stimmung zu seinen Arbeiten gebe. Was verlange ich von dir? Daß du dir einen Liebhaber nimmst. Wahrlich, eine große Sache!«

So endeten alle derartigen Gespräche; mit einem Hinweis auf mein geringes Verständnis für dichterische Art wurde ich zum Schweigen gebracht.

Es war noch die Rede, daß Hauptmann v. C... die Absicht habe, Sacher-Masoch zu fordern, wegen der Haltung, die wir Fräulein Strebinger gegenüber angenommen hatten.

Da machte die plötzliche Abreise Kathrins all dem Unfrieden ein Ende.

 

Gegen Ende Oktober lud mich die Baronin Urban ein, für einige Wochen nach Tischnowitz zu kommen, wo sie auf dem Gute ihres Bruders weilte.

So sehr mich diese Einladung auch freute, so wenig dachte ich ihr zu folgen. Zuerst wußte ich zu gut, daß ich eine so lange Trennung von den Kindern nur schwer ertragen würde, und dann waren wir wieder so in Geldnot, daß, obgleich die Reise mich nichts kostete, ich doch meine Anwesenheit zu Hause, wo ich allein es verstand, uns durch alle Verlegenheiten hindurchzuwinden, für zu notwendig hielt, um das Herz zu haben, Mann und Kinder in dieser Lage allein zu lassen.

Mein Mann war anderer Meinung.

Der Bruder der Baronin, Herr Bruno Bauer, Besitzer der Tischnowitzer Zuckerfabrik, war Husaren-Offizier gewesen – in ihm vermutete Leopold einen Griechen.

Ich sollte um jeden Preis hingehen.

Um etwas Geld im Hause zu wissen und selbst nicht ganz ohne Kreuzer auf die Reise zu gehen, schickte ich ein Kleid ins Pfandhaus, das einzige, das ich außer dem, das ich nach Tischnowitz mitnehmen wollte, noch besaß; die anderen waren schon vorher denselben Weg gegangen.

Mit drei Gulden in der Tasche reiste ich in den letzten Oktobertagen ab.

Die Briefe meines Mannes sollen hier wieder an Stelle meiner Erzählung treten.

»Graz, 30. Oktober 1879.

Liebe Wanda!

Wir sind alle wohl. Nur vorgestern abend wurde mir einen Augenblick unwohl, und zwar nur, weil es mir so bange nach Dir war.

Ich tröste mich, indem ich fleißig schreibe, mit den Kindern spazieren gehe und herumhetze.

Danke der Baronin für das Telegramm; es hat mich ungemein gefreut, so rasch Nachricht von Deiner glücklichen Ankunft zu erhalten. Nun ich weiß, Du bist gut aufgehoben und bist sehr gern dort und ich gönne Dir, daß Du aus all diesen Scherereien herauskommst und einige angenehme Tage genießt.

Wenn nur Spitzer, der Lloyd und die Abendpost das Geld senden, dann kann ich alles Dringende zahlen.

Ich hoffe, Du amüsierst Dich und erholst Dich recht, und das entschädigt mich dafür, daß ich Dich so lange entbehren muß.

Mit tausend Küssen Dein Sklave
Leopold.

Die herzlichsten Grüße an die Baronin und ihren Bruder, sowie meine Gratulation zum Avancement des Generals.

 

Graz, 1. November 1879.

Liebe Wanda!

Alles ist wohl.

Wenn das Geld von Spitzer, Abendpost, Lloyd und Bran kommt, kann ich alles zahlen und bis zum 20. auskommen.

Da ich wünsche, daß Du einmal aller Sorgen ledig, Dich recht zerstreust und erholst, will ich Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich nach Dir sehne. Ich helfe mir durch allerhand Mittel. Täglich machen wir von elf bis ein Uhr einen großen Spaziergang, abends spielen wir Räuber, Rotkäppchen und ähnliche Spiele, wo ich recht hetzen kann.

Lauitschi ist Gottlob keine Betschwester, wie wir dachten, und stark wie ein Bär. Wenn Du »Venus im Pelz« spielen willst, wirst Du sie sehr gut brauchen können. (Lauitschi war unsere Magd. Erst nach meiner Rückkehr erfuhr ich, daß mein Mann ihr meine Pelzjacken anzog, sich von ihr peitschen ließ und mit ihr »herumhetzte«.)

Es freut mich, daß es Dir dort so gut gefällt, und hoffe ich, daß die Baronin nicht ernstlich krank ist. Ihre Grüße erwidere ich auf das Herzlichste.

Ich bin böse, daß Du weder in Mürzzuschlag noch in Wien ordentlich gegessen hast.

Die Kinder lassen die Mama küssen.

Mit tausend Küssen

Dein
Leopold.

 

Graz, 2. November 1879.

Liebe Wanda!

Du meinst, ich sehne mich nicht nach Dir? Ich fühle mich trotz Arbeit und Kinder, die mich sehr in Anspruch nehmen und ein wenig trösten, furchtbar einsam; aber wozu soll ich Dir klagen? Du hast so viel gelitten seit drei Jahren, daß ich glücklich bin, wenn Du dies alles vergißt und bei einer so edlen lieben Freundin, wie es die Baronin ist, Dich ein wenig erholst, deshalb möchte ich, daß Du so lange bleibst, als es Dir angenehm ist und die Baronin es wünscht.

Die Idee, daß die Baronin sich in eine blaue Kazabaika mit Hermelin schmiegen will, entzückt mich. Wenn ich sie nur sehen könnte!

Blau mit Hermelin wird zu ihrem blendenden Teint und blonden Haaren reizend stehen.

Ich schreibe der Baronin und bitte sie, mich einmal zu peitschen. Das erlaubst Du doch, nicht wahr?

Es freut mich, daß Du so gut in Tischnowitz lebst, Du hast es ja so lange entbehrt, armes Weiberl.

Wir leben sparsam, aber nicht schlecht. Durch drei Tage hatten wir Hirschschlegel, heute Risotto, morgen kommen die Ferncys zu einem Schöpsenschlegel.

Die Baronin soll sich zu der Kazabaika auch blaue Pantoffel mit Hermelin machen lassen. Ist die Kazabaika auch mit Hermelin gefüttert? Wie breit ist der Besatz? Ich bin sehr neugierig. Hat die Baronin auch eine Hundepeitsche für einen sehr großen Hund?

Es küßt Dir Hände und Füße

Dein Sklave
Leopold.

 

Graz, 5. November 1879.

Liebe Wanda!

Obwohl es mir recht bange um Dich ist, so ist es mir doch lieb, daß Du bis 11. bei der Baronin bleibst. Du hast in den letzten Jahren so viel Kummer gehabt, daß Dir diese Erholung und Luftveränderung sehr gut tun wird. Es berührt mich eigentümlich, daß Du mir gegen unsere Verabredung fast jedesmal über die Baronin schreibst und mitteilst, daß sie sich eine Kazabaika machen läßt, jetzt wieder ihren neuen Pelz schilderst, während Du über ihren Bruder schweigst. – Ich bin auf die Lösung dieses Rätsels sehr gespannt.

Der neue Pelz der Baronin muß prachtvoll sein, nur habe ich keine Vorliebe für Selskin. Ist er lang, und welchen Schnitt hat er? Ist die Baronin noch immer so reizend, fesch und pikant wie in Frohnleiten? Versteht sie es noch, die Leute von obenherab zu behandeln?

 

Graz, 6. November 1879.

Liebe Wanda!

Den Brief, den ich heute erhielt, hast Du offenbar in übler Laune geschrieben.

Du kümmerst Dich um alles, was zu Hause geschieht, wie sollst Du Dich da erholen? Du weißt doch, daß ich auf die Kinder noch viel aufmerksamer bin, als Du selbst, wie kannst Du also nur fragen, ob sie gebadet wurden, ob das Zimmer geheizt war usw.

Endlich, wie kannst Du glauben, daß ich nach Dir und neben Dir nur an ein anderes Weib denken könnte. Das kränkt mich am meisten. Wenn man einen Mann sieben Jahre erprobt hat, wie Du mich, könnte man doch endlich jedes Mißtrauen beiseite lassen. In diesen ewigen Verdächtigungen spricht sich keine Liebe aus.

Ich liebe Dich wirklich, weil ich Dir vertraue.

 

Graz, 7. November 1879.

Liebe Wanda!

Gestern war ich recht böse auf Dich, heute ist wieder alles vergessen, und nur wieder jene unendliche Liebe und Sehnsucht da, die Du so wenig verdienst.

Wir leben sehr sparsam, brauchen in der Regel nur 1 fl. bis 1 fl. 50 Kr. für Küche, 38 Kr. für Milch und Brot, im ganzen 2 fl. per Tag, aber dennoch flieht das Geld.

Den 4. erhielt R. 10 fl., den 5. Karl 30 fl., Lukas 16 fl., für Auslösen des Winterrocks 5 fl. 50 Kr. Das waren in zwei Tagen gleich 61 fl., und ich habe noch kein Geld vom Lloyd, Abendpost und Bran.

Wie Du mir abgehst, kannst Du daraus ersehen, daß ich, seitdem Du fort bist, keine Zeile geschrieben.

Weißt Du, daß es mich eigentlich schmerzt, daß die Baronin so prachtvolle Pelze hat. Ich kenne keinen Neid, und der Baronin gönne ich alles Glück der Erde, aber es tut mir nur weh, daß Du nicht auch einen großen mit Rehrücken gefütterten Pelz und eine Kazabaika mit echtem Hermelin hast.

Wenn nur das Stück oder die Operette reüssiert, dann sollst Du sehen, wie ich Dich mit Luxus jeder Art umgeben will.«

 

Ich habe in Tischnowitz in der Baronin dieselbe liebe und treue Freundin gefunden, wie ich sie in Frohnleiten kennen gelernt habe, und in ihrem Bruder, in den kurzen Augenblicken, da ich ihn bei den Mahlzeiten sah, einen stillen, ernsten Mann, der mir viel mehr von einem Künstler, als von einem Husaren zu haben schien; ich habe köstliche Stunden im herzlichen Geplauder mit der Baronin verlebt, und andere, in denen ich andächtig dem Gesang ihrer entzückend-schönen Stimme lauschte; ich fühlte mich so wohl in dem feinen Hause mit seinem behaglichen Reichtum, der so angenehm abstach von dem kalten, erdrückend schweren Luxus in Bertholdstein; ich habe hier nur Gutes und Freundliches erfahren – und all die Stunden und Tage dachte ich nur an die Rückkehr zu den Meinen und fürchtete, daß sie in Not seien und mich brauchten.

Noch ein anderes drückendes Gefühl drängte mich von der Baronin weg.

Schon in Frohnleiten empfand ich es schmerzlich, daß ich ihr so herzliches Entgegenkommen, das schöne Vertrauen, das sie mir schenkte, nicht in gleicher Weise erwidern konnte.

Ich konnte und durfte keine Freundin haben.

Nie fühlte ich mich so beschämt und zu Boden gedrückt von meiner schiefen und unwahren Stellung ihr gegenüber, als da sie einmal während meines Besuchs in so aufrichtig besorgter und liebevoller Weise zu mir über mich sprach. Ich hatte ihr von unserm Leben in Graz und den Bekannten dort erzählt, und das erweckte in ihr die Furcht, ich könne mich durch den Verkehr mit Männern aus der Aristokratie verleiten lassen, in dem einen oder andern mehr zu sehen, als für mein Glück und meine Ruhe gut wäre. Sie warnte mich vor diesen Männern und sagte, keiner von ihnen sei wert, daß ich ihm auch nur eine Stunde meines schönen ehelichen Glückes opfere; ich solle doch nur nie vergessen, wie hoch mein Mann stehe, und welche Auszeichnung es für mich wäre, seine Frau zu sein, wie gut und lieb er zu mir und den Kindern sei, und wie ein so reines edles Glück wie das unsre so selten vorkomme.

Und ich war mit dem ganz bestimmten Auftrag nach Tischnowitz gekommen, ihren Bruder zu verführen!

Nein, ich durfte mich nicht der Gefahr aussetzen, in einem solchen Augenblick aus Verzweiflung in Tränen auszubrechen und alles zu gestehen.

Ich war kaum eine Woche in Tischnowitz gewesen, dann reiste ich wieder heim.

 

Vergebens suche ich in meinem Gedächtnisse, um den Zeitpunkt festzustellen, an dem ich die »Gewalttat« beging, die uns von Kapf befreite. Wenn ich zurückblicke in jene Zeit, sehe ich mich am Rosenberg das große schöne Zimmer, in dem bisher die Magd mit den Kindern geschlafen, für unsern »Sekretär« einrichten, und jene in ein schmales Kabinett, das an unser Schlafzimmer stieß, einquartieren; ich sehe Kapf mit uns in die Stadt ziehen und sich seine Ecke in unserm Speisezimmer dekorieren und dort am Fenster sitzend den ganzen Winter Gedichte lesen; im kommenden Sommer beobachte ich, wie er beginnt, sich langsam zum Ästhetiker zu entwickeln, und wie er sich zu seinen langen Promenaden Sonnenschirm und Fächer anschafft; ich sehe die glänzenden scharfen Punkte seiner Brillen auf die schönen Mädchen gerichtet, die damals bei uns verkehrten, und wie seine wulstigen Lippen dabei behaglich schmunzelten; ich bin gewiß, daß er noch einen weitern Winter bei uns war, dann aber läßt mich mein Gedächtnis im Stich und ich kann nicht sagen, ob er auch noch einen dritten mit uns verbrachte, oder ob ich noch vor Beginn desselben »gewalttätig« gegen ihn wurde.

Wie es aber auch sei, einige Monate früher oder später, es war zu einer Zeit aufreibender Geldnot und in einem Moment, wo die »Anhänglichkeit« dieses jungen, uns gänzlich fremden Menschen und die Aussichtslosigkeit, ihn je selbst gehen zu sehen, mich zur Verzweiflung gebracht.

Der Kapellmeister des Grazer Theaters, Herr Angerer, hatte meinem Mann den Vorschlag gemacht, den Inhalt einer seiner Novellen zu einem Libretto umzugestalten, für das er eine Operettenmusik komponieren wollte. Leopold ging darauf sehr gern ein und machte sich auch gleich mit viel Vergnügen und Eifer an die Arbeit.

Fast gleichzeitig schrieb er ein anderes Libretto für Millöcker und ein Stück für Tewele. Das waren Hoffnungen – wir aber brauchten Einnahmen. Es gab wieder Stockungen in den Finanzen. Leopold schrieb zwar zwischendurch immer wieder Feuilletons, allein diese halfen nur kaum einige Tage weiter, und kamen auch manchmal rückständige größere Summen herein, so zerflossen sie wie Schneeflocken in der Sonne vor all den großen Zahlungen, die wir vor uns hatten, oder sie wurden von dem geheimnisvoll tiefen Abgrund verschlungen, der als »alte Schulden« auf unserm Budget verzeichnet stand. Da diese Situation noch lange dauern konnte und immer schlimmer werden mußte, beschlossen wir, unsre Ausgaben bis auf die äußerste Möglichkeit einzuschränken, um bis zu der Zeit, wo eine der Operetten oder das Stück zur Aufführung kam, durchzuhalten.

Das war der Moment, wo Leopold sich entschloß, mit Kapf zu sprechen, ihm begreiflich zu machen, daß wir ihn unmöglich länger erhalten könnten, und daß er sich baldmöglichst ein andres Unterkommen suchen möge.

Kapf schien recht schmerzlich überrascht, er sagte, er habe immer gedacht, er würde sich nie von uns trennen, erklärte aber doch, daß er sich »umsehen« werde.

Unsre Lage allein würde meinen Mann kaum zu diesem Schritt veranlaßt haben, allein er hatte von seinem Sekretär schon seit langem genug und wollte ihn von sich abschütteln. Die immerwährende Anwesenheit dieses Fremden in der Enge seines Familienlebens, in das er so gar nicht hineinpaßte und dem er sich nie einfügen konnte, war Leopold unerträglich geworden, reizte und ärgerte ihn, er fing an, all die unangenehmen, ja unerträglichen Eigenschaften eines solchen Hausgenossen zu bemerken, und wenn er einmal einen Menschen nicht mehr mochte, war er ebenso ungeduldig das Verhältnis abzubrechen, wie er früher langmütig im Ertragen gewesen.

Es vergingen Monate. Unsre Lage wurde immer schrecklicher.

Mit schwerem Herzen entschloß sich Leopold, einige seiner Bilder zu verkaufen. Feldzeugmeister Benedek kaufte zwei und ich glaube auch Graf v. Meran, wenigstens erinnere ich mich, daß er bei uns war, um die Bilder anzusehen.

Kapf hatte den Verkauf der Bilder, und wie schmerzlich dieser für meinen Mann war, mit angesehen – stumm und stumpf wie immer. Das brachte Leopold auf, und er wiederholte ihm, was er ihm schon einmal gesagt, und Kapf gab darauf denselben Bescheid – er werde sich »umsehen«.

Mein Mann stand damals mit einer Verwandten des Grafen Sayn-Wittgenstein, der Prinzessin Rohan, die gleichfalls in Salzburg lebte, in ziemlich lebhaftem Briefwechsel. Kapf wußte davon, da mir Leopold öfter bei Tisch von den geistreichen Briefen der schönen jungen aber kränklichen Frau gesprochen; auch ihre Photographie, die sie Leopold gesandt, war Kapf bekannt.

Eines Tages erhielten wir eine Postanweisung über 200 Gulden: Als Absender war ein uns gänzlich unbekannter Name angegeben. Wir hatten keine Ahnung, wer das Geld gesandt haben könne.

Immer waren wir ängstlich bemüht gewesen, unsere finanziellen Schwierigkeiten vor der Welt zu verbergen, und brachten, um das zu erreichen, oft recht empfindliche Opfer. Niemand von unsern Bekannten und Freunden konnte wissen, wie unsre Lage war – nur Kapf. Die Geldsendung konnte nur die Folge einer Indiskretion seinerseits sein. Mein Mann nahm ihn ins Gebet und da gestand er auch gleich, und zwar mit einem gewissen Stolz, als handelte es sich um eine edle Tat, daß er von unsern schlechten Verhältnissen der Prinzessin Rohan geschrieben habe und die 200 Gulden wohl von ihr kämen.

Wie groß auch die Not bisher bei uns gewesen, und sie war manchmal arg genug, so war doch nie zwischen mir und Leopold die Rede, von unsern Freunden und Bekannten Geld zu leihen, obgleich die meisten reiche Leute und gewiß solche unter ihnen waren, die einem derartigen Ersuchen entsprochen hätten. Selbst bei Kathrin war es nie der Fall, trotzdem wir so intim mit ihr verkehrten und sie manche Annehmlichkeit durch uns genoß. Waren wir in Geldverlegenheit, dann verpfändeten oder verkauften wir von unsern Sachen, oder liehen uns Geld von Leuten, die daraus ein Geschäft machten.

Kapf war es nicht gegeben, das zu erkennen – es schien sogar, als erwartete er von uns großen Dank für seine undelikate Handlung, und als glaube er, sich damit das Recht erworben zu haben, weiter auf unsre Kosten zu leben. –

Wieder vergingen Monate und es wurde noch schlimmer bei uns. Unser Sekretär war wie gewöhnlich spazieren gegangen, ich aber saß da und sann darüber nach, wie ich es einrichten könnte, um mit dem wenigen Gelde, das ich noch hatte, 1-2 Tage durchzukommen, während Leopold in einer Lade nach ein paar alten Münzen kramte, die vielleicht verkäuflich waren. In diesem Augenblick brachte die Wäscherin die Wäsche Kapfs, die ich zu überzählen und zu bezahlen das Vergnügen hatte; denn obgleich er von seinen Eltern jeden Monat 25 Mark Taschengeld erhielt, zog er es doch vor, mir die Regelung dieser Ausgaben zu überlassen.

Nun hatte ich nicht mehr nötig, nachzusinnen, wie ich durchkommen würde – die Wäscherin nahm mir mit meinem Geld auch diese Sorge ab.

Jetzt aber sollte es ein Ende haben.

Sofort ließ ich durch den Hausmeister Kapfs Bett auf den Boden schaffen. Leopold rieb sich vergnügt die Hände.

»Na, der wird sich umsehen, wenn er heimkommt«, sagte er freudig erregt, daß es nun endlich mit dieser Last vorbei sein werde.

Es war ein schöner Moment und einer, der uns für manchen Ärger entschädigte, als Kapf wie gewöhnlich pünktlich zum Essen eintraf und sich zur Türe hereinschiebend gleich nach seinem Bett wandte, um Hut und Stock hinzulegen und dabei ins Leere griff; wie dann die kleinen Flämmchen in seinen Brillen wie Irrlichter im Zimmer herumfuhren, die Lösung des Rätsels suchend. Die Freude an dem Anblick hatten wir verdient und wir genossen ihn in aller Gewissensruhe. Nach einigen erläuternden Worten Leopolds begriff er endlich, daß es jetzt mit »umsehen« und derlei vorbei war, und er zur Tat schreiten müsse.

Noch am selben Tage hatten wir unser Heim wieder für uns allein, brauchten uns nicht jeden Augenblick zu erinnern, daß ein Fremder zugegen war und damit war die alte, so lange entbehrte Gemütlichkeit wieder bei uns eingekehrt. Aus Freude darüber hatten wir sogar für den Tag unsre Sorgen vergessen.

 

Nach der Abreise Kathrins war es bei uns still geworden. Ich bedauerte ihr Fernsein fast ebenso sehr, als es mir recht war. Sie hatte Unruhe und Verdruß ins Haus gebracht und uns oft zu Ausgaben verleitet, die wir ohne sie nie gemacht und die uns empfindlich waren. Andrerseits hatte ihre gesunde kraftvolle Natur erfrischend auf mich gewirkt. Das Leben, das mich erschreckte, machte sie lachen, und unwillkürlich war es auch mir in ihrer Gegenwart weniger ernst vorgekommen. Mit ihr war auch ein originelles, immer anregendes, geistiges Element von uns geschieden. Wir waren jetzt wieder auf uns selbst angewiesen, und das bedeutete für mich, daß das alte Pelzlied wieder mit voller Kraft einsetzen werde.

Es begann damit, daß mir mein Mann eine Pelzjacke aus violettem Samt mit Hermelin gefüttert und besetzt machen ließ. Schon lange wünschte er, ich sollte rote, bis an das Knie reichende, mit Lammfell gefütterte Saffianstiefel haben; auch diese Phantasie gönnte er sich jetzt von der ersten größeren Summe, die einlief.

Er wollte die Freude mich so zu sehen nicht allein genießen, die ganze Stadt sollte daran teilnehmen. So führte er mich denn jetzt jeden Tag im Wagen durch die belebtesten Straßen. Es war im Winter und kalt, aber der Wagen mußte ein offener sein und ich mit gekreuzten Beinen drin sitzen, damit die schönen roten Stiefel zur Geltung kamen. In diesem Staat mußte ich einer russischen Bäuerin, die sich zu einer hochzeitlichen Schlittenfahrt herausgeputzt, sehr ähnlich gesehen haben.

Zu solchem Pelz und solchen Stiefeln gehörte ein Liebhaber. Es war unbegreiflich, daß ich keinen finden konnte! Ich war ja eine reizende Frau ... woran lag es? An den Männern natürlich. Man wagte sich nicht an mich heran, weil mein Gemahl den Ruf eines Kampfhahnes hatte! All die Duelle, die er gehabt ... und immer wegen Frauen!

Wie sollte man den Männern begreiflich machen, daß sie nichts zu fürchten hätten ...?

Er sprach gern von seinen »dreißig« Duellen. Besonders von einem, das für seinen Gegner tödlich endete.

Wieder gab es lange Unterhandlungen zwischen uns, darüber, wie wir es machen wollten, um endlich zu dem von ihm so heiß ersehnten Ziele zu gelangen.

Es war eine schwierige Sache.

»Die Männer sind so furchtbar dumm«, sagte mein Mann. »Eine Frau wie du möchte wohl jeder gern haben, sobald man aber von ihnen etwas verlangt, das die Geschichte aus einer gemeinen Untreue zu einem poetischen Erlebnis gestalten würde, da werden sie stutzig, bekommen Furcht und alle möglichen Bedenken, und lassen lieber den Besitz einer schönen Frau fahren, als daß sie sich zu einer prächtigen heroischen Rolle entschließen können ... Je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr komme ich zur Überzeugung, daß es das beste wäre, die Sache mit einem Freunde zu unternehmen, der uns kennt, der weiß, daß du es nicht aus Liederlichkeit tust, sondern um deinem Mann eine Phantasie zu erfüllen und daß er von mir eben deshalb nichts zu fürchten hat. Und da komme ich immer wieder auf Staudenheim. Es hätte so viel für sich, wenn er der Grieche würde! ... Er ist ein schöner Mann, in dich verliebt, und er hat was Kühnes, Ritterliches ... Es besteht nur die Gefahr, daß er alles ins Komische zieht, und wo er ernst sein sollte – lacht.«

Solche Gespräche, bei welchen ich immer fest mit bei der Sache sein mußte, dauerten Stunden, ja sie waren das einzige und stete Thema unserer Unterhaltung. Da ich dabei immer Gefühle und Empfindungen zur Schau tragen mußte, die nicht die meinen waren, ermüdete und erschöpfte mich dieses Doppelleben derart, daß der utopische Gedanke und Wunsch in mir aufstieg, es möchte sich eine Frau finden, die jene Andre sein wollte, und ich nur meines Mannes Freundin, Hausfrau und Mutter seiner Kinder sein brauchte! Ich wußte wohl, daß das nicht möglich war, aber ich dachte doch immer wieder daran, etwa so, wie Arme davon träumen, sie würden einmal das große Los gewinnen, das ihrem Elend mit einem Schlage ein Ende machte, und die doch wissen, daß sie sich niemals auch nur den kleinsten Teil eines Loses werden kaufen können.

Da es bei mir feststand, daß Staudenheim niemals die ihm von meinem Manne zugedachte Rolle spielen sollte und ich um keinen Preis die Scham auf mich nehmen wollte, ihm nur davon zu sprechen, erklärte ich Leopold, er möge tun wie er wolle, ich würde Staudenheim kein Wort darüber sagen.

Das sah er als eine Kinderei an und meinte, er würde selbst mit ihm darüber reden, ich sollte nur an ihn schreiben und ihn einladen nach Graz zu kommen, da wir ihm etwas sehr Amüsantes mitzuteilen hätten.

Auch diesen Brief zu schreiben weigerte ich mich. Ob ich aber nachträglich dem Drängen meines Mannes doch nachgegeben und ihm geschrieben habe, oder ob er ihm selbst schrieb, dessen bin ich nicht gewiß. Jedenfalls ging ein solcher Brief ab – und vierundzwanzig Stunden später trat unser alter Freund Staudenheim bei uns ein.

Es war ein peinliches Wiedersehen. Staudenheim war neugierig, aber auch mißtrauisch und unsicher: Gerüchte über uns mögen zu ihm gelangt sein, und jetzt fühlte ich seinen forschenden Blick auf mich gerichtet, mein Gesicht sollte ihm sagen, wie weit sie richtig waren.

Als er frug, warum wir ihn gerufen, lächelte Leopold verlegen und starrte ihn nur an, ohne ein Wort zu finden. Endlich sagte er etwas von einer sehr interessanten Sache, die aber noch nicht reif sei, und ob er nicht einige Tage hier bleiben könne, um abzuwarten, und derlei.

Staudenheim erriet sehr gut, um was es sich handelte, und daß Leopold nur der Mut fehlte, um mit seinem Anerbieten hervorzutreten. Das machte auch ihn verlegen, kurz, es war eine schamvolle Situation; und wie widerwärtig war meine Lage zwischen den beiden Männern, von denen mich der eine in Gedanken gab und der andre nahm.

Das war abermals verfehlt und mein armer Mann war darüber ganz niedergeschlagen.

 

Diesen Winter wurde Leopold Graz müde; er wollte wieder einmal andre Gesichter sehen, andre Luft atmen. Da traf es sich gut, daß man ihn einlud, in Budapest eine Vorlesung zu halten; zugleich sollte im dortigen deutschen Theater die von Angerer komponierte Operette »Die Wächter der Moral« zur Aufführung kommen. Wir würden zuerst allein hingehen und, ließen sich die Dinge dort gut an, die Kinder holen und ganz nach Ungarn übersiedeln.

Leopold liebte Ungarn, obgleich er nie dort gewesen; ein schönes, herrliches Land und eine edle ritterliche Nation. Auch war er für die Ungarn kein Fremder; seine Schriften waren fleißig übersetzt worden, und er hatte Verwandte dort, zwei Cousinen, Frau von Korsan und deren Schwester, Fräulein Rosa Sacher, alles Gründe, die für eine Übersiedlung sprachen. Man würde also sehen.

Gegen Ende Februar 1880 reisten wir nach Budapest.

Cousine Wanda (Frau v. Korsan) hatte uns in der Nähe des Gymnasiums, deren Direktor ihr Mann war, zwei möblierte Zimmer gemietet, wodurch wir einen teuren Aufenthalt im Hotel vermieden. Die ganze Familie Korsan empfing uns sehr herzlich.

Die Zeitungen hatten über Sacher-Masochs Anwesenheit in Budapest sowie über die bevorstehende Vorlesung sehr schmeichelhafte Notizen gebracht; den ganzen Tag kamen Besuche, und Einladung folgte auf Einladung, Leopold hatte sich mit seinen »Judengeschichten« ganz Israel erobert, und jetzt reklamierte dieses seinen Schriftsteller. Am liebsten hätte es ihn selbst zum Juden gemacht, aber das ging doch nicht gut, und so mußte es sich begnügen, ihn als christlichen Verteidiger seiner Basse zu »verehren«. Daß die Juden ihn zu den ihrigen zählen wollten, freute und ärgerte Leopold zugleich. Es freute ihn, weil es ihm ein Beweis war, daß er den jüdischen Geist richtig erfaßt hatte, ärgerte ihn aber, weil er auf sein Herkommen, seine Familie hielt und wollte, daß die Welt wußte, aus welch angesehenem Hause er stammte.

Ein geistreicher junger Gelehrter, der zugleich ein vornehmer und reicher Mann war, Baron M... schloß sich uns besonders an und lotste uns sozusagen durch die Budapester Gesellschaft. Mit ihm besuchten wir auch Jokai.

Eines Tages wurden wir durch den Besuch Liszt's überrascht. Ich war etwas erschreckt: der berühmte Musiker – und Liebhaber – wie würde er sein? Er war »bezaubernd«. Dennoch fand ich, daß seine liebenswürdige Einfachheit zu dekorativ war, zu großen Stil hatte für unser bescheidenes Zimmer und uns – so ganz stillose Menschen.

Zu den angenehmsten Bekanntschaften, die wir in jener Zeit machten, gehörte die Adolf Silbersteins und seiner Frau. Bei ihnen lernte ich noch etwas anderes kennen – das Glück! Es war ein einfaches Glück, das ganz in ihnen lag: in ihrer Liebe zueinander. Voll Wehmut schaute ich darauf. Erinnerungen an meine erste Jugend erwachten wieder in mir; von solchem Glück hatte auch ich einmal geträumt, es war vor mir gestanden wie eine vom ersten Morgenrot durchleuchtete Wolke und dann im hellen Tageslicht in nichts zerflossen. Und welch ein trauliches Heim die beiden hatten! Ihr Glück sollte es gut und warm bei ihnen haben, sich zu Hause fühlen, damit es dabliebe, bis es zu einem alten Glück geworden war.

Aber es wurde nicht alt.

Eines Tages schrieb uns ein tief gebeugter Mann, daß die, die ihm alles war, ihn verlassen und alles Licht aus seinem Leben mit sich genommen habe. Er verlangte keinen Trost – wie hätten wir ihm auch einen solchen geben können –, nur um ein freundliches Erinnern bat er, an all den holden Reiz, der mit ihr dahingegangen.

Bei den Silbersteins trafen wir einmal mit Frau Alexander Strakosch zusammen. Was war das für eine brillante Frau! Sie war eben mit ihrem Manne von einer größeren Kunstreise zurückgekehrt, die ein einziger großer Triumphzug gewesen. So erzählte sie. Sacher-Masoch starrte sie nur so an. Er kannte sie von früher, von der Zeit her, da sie »Stütze« bei der ersten Frau ihres Mannes war, und er fand sie sehr verändert – sehr entwickelt – zu ihrem Vorteil natürlich. Er bewunderte sie, obgleich ein leiser Schatten auf ihre glänzende Erscheinung fiel; es war der Schatten einer zarten blassen Frau, jener andern, deren Kinder diese jetzt »Mutter« nannten. Leopold hatte mir von ihr erzählt; er hatte sie in jener Zeit in ihrem Hause beobachtet, wie sie dort voll Gram umherging und überlegte, was besser sei, Sein oder Nichtsein; wie die Ungewißheit eines Tages zur Gewißheit wurde, sie belehrte, daß Nichtsein für sie das beste war, und wie sie dann voll Grauen und Furcht, aber doch auch wieder mutig, den letzten Schritt getan in das Dunkel, den Schritt, der Raum gab für die neue Gattin und Mutter.

An das mußte ich jetzt denken; Angst beklemmte mir das Herz ... wie etwas Feindliches, wie drohendes Unheil empfand ich die Gegenwart dieser Frau ...

Nachdem Frau Strakosch die Größe ihres »Vortragsmeisters« in sichern kraftvollen Worten uns genügend vordemonstriert hatte, hielt sie Sacher-Masoch einen kritischen Vortrag über seine Werke. Sie sagte, das sei Kleinmalerei, Mosaikarbeit, es fehle ihm der Zug ins Große, Breite und derlei. Wie sie sprach! Ein Literaturprofessor würde von ihr haben lernen können. Wie sie die Worte so schön setzte und so ruhig und sicher war in der Festigkeit ihres Wissens. Mein armer Mann schrumpfte ganz ein und saß da wie ein abgekanzelter Schuljunge. Eine solche Frau hätte er haben müssen, wie sehr hätte sie ihm genützt ... Wieviel bin ich ihm schuldig geblieben.

 

Leopold war fest entschlossen, nach Ungarn zu übersiedeln. Wir kehrten also nur nach Graz zurück, um die Kinder zu holen, und schon gegen Ende März landeten wir wieder in Budapest.

Mein Mann war voll froher Hoffnungen. Er hatte in den letzten Wochen nur gute Träume gehabt, die alle auf glückliche Zeiten deuteten. In der Nacht vor unsrer Abreise träumte er, er habe auf dem ganzen Körper einen Ausschlag, und da das Traumbuch darüber sagte, es bedeute vorteilhafte Geschäfte und reiche Einnahmen, sah er die Zukunft im rosigsten Licht und war sehr guter Laune.

Mir war nicht so leicht zumute. Mit schwerem und traurigem Herzen sah ich dem Verkauf unserer Möbel, dem Auseinanderfallen unseres bescheidenen, aber trotz all der intimen Sorgen und fast konstanten Geldkalamitäten doch so glücklichen Heims zu. Würden wir je wieder die Mittel haben, uns einzurichten? Es sah nicht danach aus. Was also? Mit dem Manne, der so viele Pflege brauchte, drei kleinen Kindern und dem Mädchen in Gasthöfen dritten Ranges oder zweifelhaften Fremdenwohnungen herumziehen? Ein teures, unbehagliches und ruheloses Leben erwartete uns.

Da ich nicht wie Leopold ein glückverheißendes Orakel mit mir in der Tasche trug, das mich über all die ernsten Bedenken hätte hinwegtäuschen können, waren es Angst und Bangigkeit, die mich auf dieser Reise begleiteten.

Wir wohnten diesmal bei Cousine Rosa, die uns zwei Zimmer ihrer Wohnung überlassen.

Cousine Rosa lebte nicht allein; sie teilte die Leiden und Freuden ihres Daseins mit einem ungewöhnlich großen schwarzen Kater von furchterregender Schönheit. Wollte der Teufel sich unter Menschen mischen, so würde er die Gestalt dieses Tieres annehmen. Die schwarze Intelligenz und Majestät dieses Katers schüchterte mich in der ersten Zeit sehr ein. Er besaß eine besondere Geschicklichkeit, die Türen zu öffnen. Saß man so recht gemütlich beisammen, ging plötzlich ganz geräuschlos, wie von Geisterhand, die Türe auf, und die schwarze Herrlichkeit stand mit hoch aufgerichtetem Schweif mitten im Zimmer.

Es war schon zwei Jahre, daß Rosas Vater gestorben war, aber noch immer sprang der Kater, sobald er ins Zimmer kam, auf das Bett, schob mit den Pfoten die Decke zur Seite und suchte unter derselben nach seinem verstorbenen Herrn. Rosa behauptete, ihr Kater sei intelligenter als viele Menschen und auch achtenswerter, und behandelte ihn danach; sie schliefen und aßen zusammen, und ich glaube, daß die Katze die bessern Bissen bekam. Immer waren sie zusammen; sie saßen auf demselben Stuhl und lasen aus demselben Buch; schlief die Cousine dabei ein, dann las er allein ruhig weiter, er blätterte zwar nicht um, und das war auch nicht nötig, da ja doch auf allen Seiten dieselben Buchstaben standen; langweilte sie sich, dann schaffte er ihr Zerstreuung, indem er ihr Strickgarn um die Stuhl- und Tischbeine wickelte oder so lange die weißen Vorhänge auf und nieder kletterte, bis sie herunterfielen. So vertrieben sich beide die Zeit.

Aber so innig das Verhältnis Rosas mit dem Schwarzen auch war, ganz treu war ihr der Kater nicht. Manchmal blieb er 2-3 Tage und Nächte weg; erschien er dann wieder, war er so zerzaust, zerrupft, zerhackt und zerschlagen, daß sie sich seiner schämte. Sie brachte ihn dann eiligst in ihr Zimmer, schloß die Türe ab und da wusch, kämmte und bearbeitete sie ihm das Fell, bis es wieder glatt und glänzend war; sie gab ihm kräftigende Nahrung, und erst wenn er sich wieder komfortabel fühlte, machte sie ihm ernste Vorstellungen über seine Aufführung. Er ließ sie reden, ohne sie mit einem Wort zu unterbrechen, streckte nur seine kleine rote Zunge aus dem schwarzen Maul und kniff die gelben Augen lustig zu, als wälzte er sich innerlich vor Lachen über das alte Fräulein, das ihn über Dinge belehren wollte, von denen es nichts verstand.

Den Kindern war der schöne, imposante Kater ein Gegenstand der Ehrfurcht und Bewunderung. Nur von weitem staunten sie ihn an, und nie hätte eins gewagt, ihn zu berühren.

»Papa«, sagte Sascha einmal zu seinem Vater, »fürchten sich die Hausgeister nicht vor dem großen Kater?«

Den Hausgeistern war nämlich bei uns eine große erzieherische Rolle zugeteilt. Es gab einen guten und einen bösen; alle guten Gedanken und Handlungen kamen von dem ersteren ... mit ihm waren die Kinder ganz vertraut. Als wir von Graz wegzogen, waren sie sehr bekümmert, was nun mit ihrem guten Hausgeist geschehen werde, man konnte ihn unmöglich in der leeren Wohnung allein lassen, und da ward beschlossen, daß er mit uns nach Budapest kommen sollte.

Jetzt war den Kindern bange, ob sich ihr guter Hausgeist nicht vor der diabolisch-schönen Katze erschrecken und sie vielleicht verlassen würde.

Wir beruhigten sie, indem wir ihnen sagten, das würde sich bald zeigen: solange sie gut und brav blieben, sei der Geist mit uns, sollten sie aber schlimm werden, hätte er uns verlassen. Damit waren sie zufrieden.

 

In dem Wesen Sacher-Masochs lag gleichsam die Bedingung, daß er fast zu allen Zeiten mit Personen in Verbindung stand, die an Bildung, Intelligenz und in ihrer sozialen Stellung weit unter ihm rangierten, ja oft recht anrüchige Leute waren. –

Da er im Umgang mit allen Menschen gleich liebenswürdig und einfach blieb und nie den Mut hatte, Annäherungen, selbst dann, wenn er überzeugt war, daß er es eigentlich müßte, zurückzuweisen, so war allen literarischen Spitzbuben und Gaunern gleichsam Tür und Tor geöffnet.

Er selbst nannte das seine Humanität und Menschenfreundlichkeit, was zum Teil stimmte. Es war aber noch mehr sein immer reges Verlangen nach Schmeicheleien, das bei dem ihn ausbeutenden Gesindel die reichlichste Befriedigung fand. Vielleicht kam auch sein starker Glaube an sich selbst ganz im Verborgenen manchmal ins Wanken – und fand dann in der Bewunderung dieser Leute wieder Halt und Gleichgewicht. –

Zu diesem literarischen Auswurf gehörte ein gewisser Markus, Herausgeber des Revolverblattes »Cyankali«. Mit diesem zusammen gründete Sacher-Masoch die »Belletristischen Blätter.«

Das Unternehmen, das nur drei Monate dauerte, brachte Sacher-Masoch nichts ein, kostete ihm aber dagegen viele Sympathien. –

 

Eine jüdische Familie namens Ries, die wir kennen gelernt hatten, machte uns den Vorschlag, mit ihr für den ganzen Sommer nach Ecsed zu gehen, wo ein Verwandter von ihr Verwalter eines großen Gutes sei. Da die Familie gut und liebenswürdig, der Pensionspreis annehmbar war, gingen wir gern auf diesen Vorschlag ein, und schon Anfang Mai reisten wir mit unseren neuen Bekannten dahin ab.

Auf dieser Fahrt klagte mein Mann zum erstenmal über Furchtgefühl, das ihn überfallen, weil er sich in einem verschlossenen Raum befände. Mit Hilfe der herzigen und frohen Kinderschar, es war beinahe ein Dutzend, gelang es mir, diesmal den nervösen Anfall zu überwinden. Später hatte ich auf allen unseren Reisen mit diesem Furchtgefühl zu kämpfen.

In Hatwan mußten wir den Zug verlassen, und dort erwarteten uns Wagen, um uns nach Ecsed zu bringen.

Aber was waren das für Wagen! Sie mußten in irgend einem Winkel von einem vergangenen Jahrhundert vergessen worden sein, und jetzt hatte man sich ihrer erinnert und sie hervorgeholt, mit ihrem ausgedorrten, geborstenen, von Motten und Mäusen zerfressenen Leder und Kissen, ihren kraftlosen Federn, der ganzen verrosteten Herrlichkeit einer Generation, die längst zu Asche geworden. Der Wagen, der mich aufnehmen sollte, der vornehmste unter seinen Kollegen, war mit sechs Pferden bespannt, die anderen mit vier oder zwei; aber kein Paar ging zusammen. Es waren da alle Arten von Pferden, große und kleine, junge und alte, fette und magere. Das Sattelzeug bestand aus alten, vielfach geknüpften Stricken; die Kutscher waren junge halbgewachsene Burschen mit nackten Füßen, unbedecktem Kopf, das weiße Hemd über die Leinenhosen gegürtet. Aber wenn es unserem Zuge auch an Eleganz fehlte, so mangelte es ihm doch nicht an Heiterkeit, und die altersschwachen Wagen mögen auch in ihren jüngsten Tagen keine fröhlichere und glücklichere Fahrt gemacht haben.

Eine Weile fuhren wir auf der guten Landstraße, dann aber bogen die Kutscher ab, in die Felder hinein, auf eine Straße, die nie eine war, auf den vom letzten Regen noch ganz durchweichten Boden, durch kleine Seen, deren lehmiges Wasser die Sonne vergoldete. Bald senkten sich die Wagen rechts, bald links in ausgefahrene Stellen, dann schrien die Kinder vor Schrecken auf, um gleich wieder in helles, jubelndes Lachen auszubrechen, wenn der flüssige Kot über sie zusammenschlug und gleich wieder auf sie herunterfiel; wer am meisten davon bespritzt wurde, war der Glücklichste von allen.

Zu dieser allgemeinen Lustigkeit wollten auch die Pferde das ihrige beitragen: zog das eine links, dann zog das andere rechts; das wollten nun die Kutscher wieder nicht leiden, und schlugen und rissen im jugendlichen Eifer an Pferden und Stricken, bis letztere entzweigingen und Halt gemacht werden mußte, um den Schaden auszubessern. Sie sprachen dann ernst und würdevoll zu den Tieren, aber ich glaube, es waren keine Ehrentitel, mit denen sie sie anredeten – allein das war nur eine Vermutung, denn ich verstand ja nicht ungarisch.

Leopold war von Glückseligkeit ganz gerührt: wie ihn das anheimelte! Er erinnerte sich solcher Fahrten durch die Steppe und fand, daß die verkrachte Eleganz polnischer Gutsbesitzer diesem »Einzug in Jerusalem« auf ein Haar glich.

Ich weiß nicht, wie lange wir fuhren, aber es schien mir eine kurze Fahrt gewesen zu sein im Vergleich zu dem Vergnügen, das sie uns bereitet hatte.

Erst beim Eintritt in das Dorf wurde die Geschichte ernst. Da war der Kot zu einem soliden dicken Brei zusammengefahren, der sich in schweren Klumpen an die Räder hängte und ihr Weiterkommen verhinderte. Jetzt wurde es mir auch auf einmal klar, warum man so viele Pferde an die Wagen gespannt, denn jetzt bekamen sie zu tun. Doch auch das wurde überwunden, und wir langten endlich an mit Kot bedeckt und wie berauscht von der langen Fahrt über die weite, freie Ebene.

Das Kastell lag auf einem Abhang. Wir kamen erst durch einen ungeheuer großen Vorhof mit den Stallungen und dem Häuschen der Dienstleute; über diesem, von einem Garten umgeben, war das Kastell, ein ebenerdiges Gebäude aus Stein mit einer offenen Galerie, von welcher aus man in die Zimmer gelangte. Haus und Garten sahen vernachlässigt aus, die Wohnräume waren nur sehr summarisch möbliert, aber wir brachten ja mit unserer Kinderschar so viel Gemütlichkeit und zarte Anmut mit, daß es bald behaglich genug war.

Die geringe Zahl der Zimmer und ihre Lage brachten es mit sich, daß wir gleichsam mit der Familie Ries zusammen wohnten.

Ein großer Saal trennte unsere Schlafzimmer. In diesem Saal schliefen unsere und einige Kinder der Frau Ries; auch mein Dienstmädchen schlief da. Es war das mehr ein Kampieren, als ein eigentliches Wohnen, aber wir hatten ja Sommer, der Garten war groß und für die Kinder von entzückender Wildheit. Den Mangel an Komfort im Hause ersetzte die Familie durch einfache, herzliche Liebenswürdigkeit. Und wie hätte man sich in einem Hause nicht wohl fühlen sollen, dem Frau Ries vorstand! Wieviel habe ich von dieser Frau gelernt, sowohl als Mutter wie als Gattin und Hausfrau; ohne große Bildung hatte sie die Klugheit und den Takt des Herzens. Und wie verehrten sie ihre Kinder! Diese Mutter nicht zu kränken, ihr keinen Ärger und Verdruß zu bereiten, war ihre stete Sorge, und nie gab es in diesem Hause Uneinigkeit oder Zank. Einst war Frau Ries eine große Schönheit gewesen, aber das schien sie vergessen zu haben – ihre Eitelkeit und ihr Stolz waren jetzt nur noch ihre Kinder.

Die Schwester von Frau Ries war an einen Herrn Suhr verheiratet, der eben Verwalter des Gutes war. Auch sie hatten drei Kinder. Nie hatte ich eine so große Menge Kinder beisammen gesehen, und sie zu beobachten wurde ich nicht müde. Köstlich war es zu sehen, wenn meine Kinder mit den Suhrschen spielten: die einen sprachen kein Wort ungarisch, die andern kein Wort deutsch, und doch verstanden sie sich. Manchmal aber stockte das deutsch-ungarische Geplauder ganz plötzlich: jetzt gab's eine Schwierigkeit, ein Nichtverstehen; das Spiel hörte auf, die kleinen Gesichter sahen sich mit angestrengter Aufmerksamkeit an, Aug in Aug, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung – da ... jetzt hatten sie sich verstanden; ein freudiges Lächeln löste die gespannten Mienen, das Spiel wurde fortgesetzt.

So mögen die Tiere sich verstehen durch Gedankenlesen; eine Sprache fein und tief, nicht wie unsere groben Worte, die so selten imstande sind, unsere Gedanken so wiederzugeben, wie sie gedacht, wohl aber leichter zu gebrauchen sind, um sie zu verbergen oder zu verwirren.

Eine Eigentümlichkeit unserer Kinder fiel hier unter so vielen anderen ganz besonders auf – die beiden Knaben Sascha und Mitschi sprachen von sich und zu uns stets nur in der dritten Person. Wollte z. B. Sascha sagen: »Papa, erlaubst du, daß ich in den Garten gehe«, so sagte er: »Erlaubt der Papa ihm (Sascha), daß er (Sascha) in den Garten geht?« Dies machte auf alle, die es hörten, einen drolligen Effekt, und doch wurde es den Kindern nicht beigebracht, es kam ganz von selbst, als sie zu sprechen anfingen, und heute noch sagt mein Sohn zu mir, wenn er deutsch spricht, weder »Du« noch »Sie«, sondern »sie«. Ein Atavismus, der vom Vater kam, der auch zu seinen Eltern weder »Du« noch »Sie« sagte, sondern »Der Vater«, »Die Mutter«. Merkwürdigerweise hatte Lina von diesem polnischen Erbteil nichts abbekommen, sie nannte uns »Du«.

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