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Moselthal

Der Bernkastler Doktorwein

Doktorwein, oder noch kürzer, Doktor, heißt der Bernkastler, und diesen gespaßigen Namen hat er schon mehr als ein halb tausend Jahre. Damals – es war um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts – lag auf seiner Burg zu Bernkastel der Bischof Bohemund an einem hitzigen Fieber schwer krank darnieder. Manche bittere Pille, manch herbes Tränklein mußte der würdige Herr herunterschlucken und doch half alles Quacksalbern nichts. Dem wackern Kirchenfürsten ward's gar bänglich zu Mute, denn trotz seines erbaulichen Wandels behagte ihm vor der Hand sein Erzbistum im schönen Mosellande weit besser als ein Plätzlein im Himmel. Er ließ deshalb in seinem ganzen Sprengel verkünden, wer ihn von seinem üblen Fieber kuriere, sei er Laie oder gelahrter Medicus, dem sei seine höchste bischöfliche Gnade und ein reichliches Geschenk der Anteil.

Nun lebte damals im Trierer Lande ein alter Degen. (Des Edlen Name ist nie bekannt geworden.) Den erbarmte des geistlichen Herrn arge Not. Er war ihm zwiefach ergeben, weil ihn einmal, vor Jahren war's, Herr Bohemund, sein Kampfherr, in einem Reitergefecht zu Sponheim mitten aus den Feinden herausgeschlagen hatte. Daß es dem vieledlen Gottesmanne zur Stunde so elendiglich ergehe, betrübte den ergrauten Kämpen sehr. Erinnerte sich auch, daß der hitzige Gesell, das Fieber, auch wohl ihn selber einmal gepackt und derb geschüttelt hatte in rauher Herbstnacht. Dazumal wollten sie auch an ihm mit Tränklein und Pillen salbadern, er aber hatte sie alle wegbefördert, hatte sich durch seinen Knappen einen mächtigen Humpen reichen lassen, darinnen perlte ein Feuerwein: der Bernkastler. Einen tapfern Trunk hat er gethan – bei einem fieberdurstigen Rittersmann will das etwas sagen – und als er zwölf Stunden später aus tiefem Schlaf erwachte, war der hitzige Gesell verschwunden.

Weshalb sollte diese Bernkastler Kur nicht auch bei dem würdigen Kirchenfürsten gut anschlagen? Nach kurzem Bedenken brach der Alte von seiner Burg im Soonwald auf und suchte den kranken Oberhirten auf. Ein Fäßlein hatte er bei sich, sonst niemand.

Herr Bohemund soll ein bedenklich erstauntes Gesicht gemacht haben auf seinem Schmerzenslager, als nun gar ein Heilkünstler in dem Krankengemach erschien, der die Medicinen und Mixturen, ein ganzes Fäßlein, auf der Schulter trug. Als aber die dienenden Geister auf des Ankömmlings Wink hinausglitten und jener dem hochwürdigen Herrn berichtete, was er berichten wollte; als er dann mit kundiger Hand das Spundloch einschlug, und dem Kranken von dem duftenden, perlenden Trank ein großes Medicinglas voll kredenzte: da hat der fromme Herr den feurigen Heiltrank genommen und das Glas in einem Zug geleert. Hat ihm noch eine zweite Dosis folgen lassen von gleicher Stärke und ein wohlthuender Schlaf ist über ihn gekommen.

Am andern Morgen haben die Trierer mit großer Befriedigung vernommen, daß den Erzbischof das leidige Fieber verlassen, Herr Bohemund aber hat zur selben Zeit dankbar bewegten Herzens einen gewaltigen Frühschoppen getrunken und dabei ausgerufen mit dem Brustton der Überzeugung:

Der Wein, der Wein macht' mich gesund!
Der ist der beste Doktor!

Und wenn damals schon die Melodie zu dem Studentenvers existiert hätte, (so berichten kundige Thebaner), dann hätte Herr Bohemund ihn gesungen.

Das Miseräbelchen

Wie St. Peter, der himmlische Pförtner, einstmals ins Ahrthal gekommen und zu Walporzheim den Himmelsschlüssel vergessen hat, das ist männiglich am Rheinstrom bekannt. Die frommen Zecher an der Mosel aber wissen noch eine zweite weinfrohe Historie von dem heiligen Jünger zu berichten, der zur Strafe dafür, daß ihn eine Magd im Hof des Kaiphas schwach gesehen, seit Hans Sachsens Tagen durch die schalkhafte Legende wandert.

So plaudert denn das Märlein, daß unser Herr einmal, von dem kalten Glauben der Juden wenig erbaut, ins Moselland gekommen sei, um dort den heidnischen Mosellanern das Wort Gottes zu verkünden. Dem Herrn und seinen Jüngern behagte das gerade, derbbiedere Völklein an dem krummen Moselfluß gar sehr; nur deuchten ihnen der Berge und Hügel allzuviele, weil sie das Wandern in der Sommerhitze höchst mühsam machten.

Ließen sich auch bald allesamt in einem schattigen Gehölz nieder und der Heiland winkte mit mildem Lächeln St. Peter zu sich: »Lauf hinüber, Petrus, ins Dorf und hole einen Schoppen Wein. Er wird uns wohl bekommen.«

St. Peter ließ sich das nicht zweimal sagen, blinzelte verständnisvoll mit den Augen, eilte spornstreichs, trotz Sonnenbrand und mühsamer Straße, ins Dorf hinein. Herrlich duftete das edle Naß, so ihm in einem hölzernen Becher gereicht wurde. War's Sünde, daß ihn der verschmachtende Jünger in einem Zuge leerte? Gewiß nicht: er hätt's nimmer ausgehalten vor Trockenheit in der Kehle. Hat auch sofort den Humpen zum andernmal bis hoch zum Rande füllen lassen, des Meisters und der übrigen Getreuen gedenkend, und ist dann befriedigt zurückgekehrt.

Heiß brütete die Sonne auf dem Bergeshang; dabei ist das Gehen auf bergiger Straße höchlich unbequem, zumal einer einen übervollen Becher in den müden Händen hält. Nicht zu verhindern war's, daß einige Tropfen des goldigen Getränkes den Boden netzten. Den Jünger dauerte die gute Gabe Gottes und pflichtschuldigst nippte er an dem vollen Rande, das Überfließen zu verhindern. Leider hatte er zu tief genippt und gar zu breit war des Humpens Rand geworden. Was solls? Weitbauchig und hoch waren die hölzernen Becher der Mosellaner: mit einem raschen Schnitt hatte St. Peter den hohlen Rand beseitigt. Konnte aber nicht verhindern daß im Weitergehen abermals etliche Tropfen den Boden netzten. St. Peter fand mit vollem Recht, daß der edle Wein dem Felsgestein keinen Nutzen bringe und that abermals einen tapfern Schluck. Daß er zu viel genippt, sah er bald ein, doch er half sich wie das erste Mal. Leider ward mit jedem Trunk und Schnitt, das Hümpchen kleiner, Schritt für Schritt.

Etwas beklommen ist St. Peter bei dem Meister angelangt. Stumm fragend sah der Herr den Jünger an. Der schaute einen Augenblick hülflos um, hub dann aber keck und zuversichtlich an:

»Herr, miserabel dünkt dir das Schöppchen, so ich dir bringe. Ich ward mir's noch mehr bewußt, wie elend das Naß hier zu Lande. Doch mich bedäuchte, Du, der Du die Fünftausend speistest mit fünf Broten und einigen Fischlein, werdest auch uns, wenn Du willst, den Durst stillen mit diesem miserablen Schöppchen.«

Mildlächelnd hob den Finger der langmütige Meister, »Erquicken will ich Euch gerne trotz des Miseräbelchens, das du uns gebracht hast. Jedem nach Herzenslust, dir jedoch dein Miseräbelchen, weil du deinen Anteil bereits hast.«

* * *

Klein waren die Schöppchen im Moselland seit der Zeit und Miseräbelchen heißen sie noch bis zur Stunde.


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