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Köln

Richmodis von Aducht

Es war um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts.

Die Schatten des Todes breiteten sich aus über die heilige Stadt Köln. Ein Weib in dunklem Gewande schritt auf scheuen Sohlen durch die Gassen: die schwarze Pest. Ihr giftgeschwellter Atem drang in die Hütten und Paläste und erlöschte das Leben von vielen Tausenden.

An ungezählte Häuser malten die Totengräber das schwarze Kreuz, ein Zeichen, daß das verderbliche Gespenst dort eingekehrt. Die Zahl der Toten stieg so sehr, daß man bei Vielen auf ein regelrechtes Begräbnis verzichten mußte. Man warf die Leiber der Unglücklichen zusammen in eine gemeinsame Gruft, bedeckte sie notdürftig mit Erde und pflanzte ein Kreuz darauf.

Viel Jammern und Wehklagen ward dazumal gehört in der alten Stadt Köln. Auf dem Neumarkt, nahe bei der Kirche zu den Aposteln, wohnte in einem prächtigen Patriziergebäude der reiche Ratsherr Mengis von Aducht. Da traf auch ihn das Fürchterliche: sein jugendliches Ehegemahl ward von der Pest ergriffen und starb. Der Schmerz des Herrn von Aducht war grenzenlos. Er verbrachte die ganze Nacht bei der entschlafenen Hülle der vielgeliebten Frau, bekleidete sie selber mit dem weißen Hochzeitsgewande, das sie vor wenigen Jahren getragen, schmückte den Sarg mit duftenden Blumen und ließ der Toten die blitzenden Gehänge und kostbaren Ringe, welche sie im Leben so sehr geliebt hatte.

Die Nacht trauerte über dem Friedhof neben der Apostelkirche, allwo Richmodis ruhte in frischgeschaufeltem Grabe. Schweigen umhüllte die Ruhestätte der Toten. Da regt sich sacht der Riegel der Kirchhofsthür. Zwei Schatten schleichen auf Wolfsschritten die dunkle Gräberreihe hinab zu einer frischen Gruft, die ihnen wohlbekannt. Sie haben sie selber geschaufelt. Die beiden Totengräber sind's von Sankt Aposteln, die des Ratsherrn blühendes Weib am Nachmittag begruben. Sie schlossen den Deckel der Truhe und dieweil der Ritter sich zum letztenmal stöhnend hinabbeugte auf das heißgeliebte Weib, haftete der Beiden goldgieriger Blick an den blitzenden Gehängen und kostbaren Ringen, so die Tote schmückten.

In der Finsternis rascheln die Totenblumenkränze, klingen die scharfen Spatenstiche, mählich leert sich die Gruft und die Schollen nebenan hügeln sich. Ein dumpfes Geräusch klingt herauf, bis zum Sargdeckel sind sie gelangt. Trübe flackert der Lichtschein einer Laterne aus dem feuchten Grabe. Sie haben den Deckel gesprengt, beiseite geschoben und beugen sich wolfsgierig über die Gestalt im weißen Gewande. Grell bestrahlt das Licht der Laterne in der Hand des Einen das entgeisterte Antlitz der Frau im Sarge, dieweil der Zweite rasch die gefaltenen Hände löst, die ringgeschmückten.

Da zuckte plötzlich die Gestalt in der Lade; die weißen, schmalen Finger regten sich: schreckensbleich jagten die Räuber davon, den Sarg offen lassend, die Werkzeuge vergessend.

Ein klagender Seufzer entstieg der Gruft. Einige Minuten später erhob sich mühsam die Lebendigbegrabene. Weitoffnen Auges streifte sie ihre Umgebung und Entsetzen durchrieselte sie. Schaudernd blickt sie auf den Raum, den sie verlassen, auf die Stätte, die sie umgiebt. War es ein Traum, der sie folterte?

Sie ruft mit schwacher Stimme, niemand antwortet; nur das raschelnde Herbstlaub und die wildbewegten Kronen der Kirchhofsbäume. Sonst Todesstille ringsum!

Jählings begriff sie ihre entsetzliche Lage: im todesähnlichen Zustand hatte man sie als Entschlafene bestattet. Ihr Herz drohte still zu stehen vor grausigem Entsetzen. Sie ergriff die zurückgelassene Laterne und wankte zwischen den Gräbern dem Ausgang zu, den die Räuber vergessen zu sperren.

Verlassen lagen die Straßen. Nur die Sterne erblickten die wankende Gestalt in dem schneeigen Gewand, die sich schemenhaft, oft sich lehnend minutenlang an die Häuser der Straßen, dem Neumarkt zu bewegte.

Schweigend grüßte das steingraue Patrizierhaus die wiedererstandene Herrin. Ein Fenster war noch erhellt. Das arme Weib drunten zuckte zusammen. Es war das Gemach, welches die ersten Umarmungen ihrer Liebe gesehen, das Gemach, worin sie gelitten unter dem Hauch der fürchterlichen Krankheit, woraus man sie als Tote hinweggetragen, damit sie aufwache in todesfeuchter Gruft. Vielleicht weilte ihr trauernder Gemahl zur Stunde in dem erinnerungsheiligen Gemach, durchmaß es mit ruhelosen Schritten, um dann endlich, überwältigt von des Grames Größe, in des Lagers unberührten Kissen sein Haupt zu vergraben, auf den Lippen den Namen seiner geliebten Richmodis!

Die Frau im Sterbekleide seufzte. Sie pochte an die Thüre so stark als ihre erlöschende Kraft es erlaubte. Ein alter Diener steckte nach einer Weile den Kopf hinter den Schieber der Eichenthür und bemerkte mit Entsetzen im Dämmerschein das gespenstische Wesen draußen.

Richmodis nannte ihn beim Namen und hieß ihn, ihr zu öffnen. Beim Klang dieser Stimme fuhr der Alte zurück. Schreckensbleich rannte er die Stiegen hinauf, stürzte ins Gemach und stammelte:

»Herr, die Toten stehen auf! Draußen steht unsere gute Frau vor dem Hause und will eintreten.«

Aber der Ratsherr schüttelte das Haupt in tiefem Leid.

»Richmodis, mein geliebtes Weib, ist tot und kehrt nie wieder. Nimmer kommt sie zurück,« wiederholte er voll unnennbaren Wehs, »eher vermeine ich, daß die Schimmel aus dem Stalle den Söller hinaufsteigen ins Turmgemach.

Da dröhnte plötzlich donnernder Hufschlag auf dem Innenhof, auf den steinernen Stiegen. Hinausstürzend sah der Herr von Aducht seine beiden Schimmel die Treppen hinaufpoltern.

Einen Augenblick später schauten über das Fenstersims zwei wiehernde Rosse in die Sternennacht, unten aber vor dem alten Patrizierhause hielt ein Mann lachend und weinend sein geliebtes Weib in den Armen, das ihm das Grab zurückgegeben.

Noch viele Jahre lebte Frau Richmodis an der Seite ihres Gemahls. Ein Kranz lieblicher Kinder krönte den glücklichen Bund. Tiefsinnige Frömmigkeit verklärte das Leben der stillen Hausfrau, die niemand mehr hat lächeln gesehen seit jenem Tage. Ein kunstvolles Meßgewand hat sie gestickt für die Kirche zu den heiligen Aposteln, und Herr Mengis von der Aducht hat das Geschehnis auf dem Friedhof in der Apostelkirche in einer Chornische malen lassen zum dauernden Gedächtnis. Die Malerei ist heute verblaßt.

Wenn du heute, mein Leser, nach Köln kommst und seinen Dom und seine Kirchen bewunderst, dann gehe auch auf den Neumarkt, und aus dem Dachfenster eines altertümlichen Hauses werden dich zwei holzgeschnittene Pferdeköpfe grüßen, ein Erinnerungszeichen jener denkwürdigen Geschichte der Richmodis von Aducht.

Der Dombaumeister von Köln

I.

Zu Köllen war es, am Vorabend des Festes der Himmelfahrt unseres Herrn. Vor dem gewaltigen Erzbischofe Konrad von Hochstaden stand ein schlichter Baumeister und bot ihm den Plan einer Kirche an, mit stolzen Worten sich vermessend, sie werde eine der schönsten Kirchen der Welt. Jener Mann war Meister Gerhard von Ryle. Mächtig staunte der Kirchenfürst über die Großartigkeit des Grundrisses; dem kühnen Baumeister gebot er seine Ausführung.

Bald hob sich aus dem weiten Platz, wo schon einmal unter des ersten Frankenkönigs Majestät ein Dom gestanden (ihn hatte Hildebold, der Erzbischof, erbauen lassen, und die wilden Normannen hatten ihn zerstört), schlankes Mauerwerk. Gigantische Säulen mit kühnen Wölbungen vereinigten sich einem stolzen Gotteshause.

Männiglich bewunderte den schlichten Baumeister, dessen schöpferischer Geist tausend Hände bewegte, und Meister Gerhards Name ward lobend genannt in deutschen und welschen Landen. Der Chor war bereits vollendet. Aus allen umliegenden Orten, gar aus weiter Ferne wallten fromme Pilger zum Kölner Dome, um vor den Gebeinen der heiligen drei Könige zu beten, die im Chore ruhten. Gläubiger Christen Lobgesänge durchbrausten die vollendeten Hallen.

Der aber, so am meisten Anlaß hatte, sich zu freuen, that es nicht. In seiner Brust, anfangs freudegeschwellt, nisteten trübe Gedanken. Ihm, dem Meister und Schöpfer des Ganzen, raunte unaufhörlich graue Sorge, die Tochter beständigen Grübelns, ins Ohr, ob wohl seine Tage hinreichten, den stolzen Bau zu vollenden? Ob nicht eines Tages der Tod mitleidsvoll ihn hindere, den größten Triumph zu feiern seines Lebens?

Sein junges Weib sah mit Kummer die Veränderung. Vergebens versuchte sie, die Falten zu vertreiben von seiner Stirne.

Je mehr und tiefer die dunklen Ahnungen in seinem Herzen wuchsen, das sie selber gepflanzt, um so mehr ließ Meister Gerhard den Bau des Domes beeilen. Vier Jahre waren verflossen. Man zählte zwölfhundertzweiundfünfzig. Schon ragte der Turm der Nordseite stolz in die Lüfte. Eifriger denn je wandelte der Baumeister von Gerüst zu Gerüst.

Eben stand er auf dem Domkrahnen. Riesige Trachytblöcke, aus der Kluft des Drachenfelsen gebrochen, wanden die Steinmetzen zur Höhe. Voll Befriedigung schaut der Meister zu, stolze Freude blitzt es aus seinen Augen. Da steht plötzlich ein Fremdling ihm zur Seite, dessen Kommen er nicht erschaute. Ein Scharlachmantel umhüllt die hochgewachsene Gestalt, eine Goldkette strahlt auf seiner Brust, und keck flattert die Hahnenfeder von seinem Samtbarett. Er bot dem Meister den Gruß der Steinmetzen. Ein Meister der Baukunst sei er selber in Person, ein Haus habe er vor vielen Jahren erbaut – hier funkelten seltsam seine schillernden Augen unter spärlichen Brauen –, daran der Zahn der Zeit vergeblich nage, Könige und Kaiser hätten es geschaut, reiche Herren und mächtige Prälaten.

Stumm maß der Meister den hochfahrenden Sprecher. Doch jener hub an, höchlich zu loben des Dombaumeisters riesenhaftes Werk.

»Aber däucht es Euch nicht verwegenes Thun eines armen Sterblichen, ein solches Werk zu beginnen?« fragt er plötzlich, schier rauhen Tones. »Der erste Stein hätte Euch sagen sollen, daß ein Anderer erntet, was Ihr gesäet.«

»Wer möchte es mir verwehren, zu vollenden, was ich begann?« fragt der Meister, den leise Scheu ergreift ob der Antwort.

»Das Leben – oder nennt es Tod!« antwortet mit schneidendem Hohn der Andere. Dann spöttisch: »Dem Willen eines Wurmes gebietet ihr armen Menschen nicht, und schon von Eurem ersten Atemzug an bedroht euch euer grimmigster Feind und sicherer Besieger, der Tod.«

»Ich aber beendige, was ich begann!« ruft trutzig der Meister. »Ich mache meine Wette, selbst mit dem Bösen.«

»Hola!« lacht ingrimmig der Fremdling. »Solch Vermessenem biete ich gerne eine Wette: eher vermess' ich mich, ein Bächlein zu leiten von Trier nach Köln, wohl an fünfzig Stunden weit, und Enten sollen drin schwimmen, bevor Ihr Euren Dom beendet.«

»Es sei!« spricht finster Meister Gerhard und schlägt verblendet in des Fremdlings dargereichte Rechte. Fischkalt war sie und ein Frösteln durchlief ihn.

Da schlug jener eine Lache an, höhnisch gellend.

»Preis der Wette deine Seele!«

Entgeistert starrt der Meister. Schon aber hat der Andere den feuerfarbenen Mantel geöffnet.

»Auf Wiedersehen, Vermessener!« Ein Sturmwind erhebt sich und entführt ihn heulend.

II.

Finsterer wurden seit diesem Tage die Wolken auf der Stirn des Meisters. Ruhelos irrte er auf den Gerüsten, rastlos betrieb er seine Arbeit. Je mehr er ihre Ausdehnung maß, um so dräuender ward in ihm die Besorgnis: nie werde er sie vollenden. Schon das Frührot fand ihn unter den Gesellen und noch abends wanderte er herum, lobte die Fleißigen, tadelte die Trägen. Manchmal auch schaute er hinaus in die Richtung von Trier, ob nichts Ungewöhnliches sich zeige. Mit hoffnungsvollem Staunen gewahrte er, daß sein Widerpart gar nicht bemüht schien, die Wette zu gewinnen. Nichts kündete an, daß große Arbeiten im Trierer Lande unternommen seien.

Schon wandelte ihn Hoffnung an. Wenn er nicht gewinne, also tröstete sich Meister Gerhard, werde er zum wenigsten nicht verlieren.

Eines Tages stand er aus der Spitze des vollendeten Turmes. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er wandte sich zitternd um. Hinter ihm stand der unheimliche Baumeister. War es der Böse oder nur ein teuflischer Magister der schwarzen Kunst?

»Wohlan, Meister Gerhard! Wie steht Euer Werk? Ich sehe, daß es rüstig fortschreitet. Glücklicherweise habe ich meine Arbeit bald vollendet, sonst liefe ich große Gefahr, meine Wette verlieren.«

»Ich habe mir es kaum gedacht,« spöttelt der Meister, »um Euren Kanal zu graben, bewegt ihr nicht allzuviel Erde.«

»Wißt, lieber Vetter! ich selbst gelte mir mehr als hundert Arbeiter zusammen, und, wie gesagt, mein Werk ist nahezu fertig.« Gereizt sprach's der Mann im feuerfarbenen Mantel.

»Wirklich?« Meister Gerhard erblich. »Ich möchte wissen, mit welcher Höllenkunst Ihr das zuwege gebracht.«

»Wie Ihr wollt, Vetter! Ihr habt mir nur zu folgen.« Er ergreift den Meister bei der Hand, nimmt ihm den Sinn und führt ihn durch die Lüfte. Nach wenigen Minuten berührten sie die Erde. Der Meister, den es gruselt, erkennt das Trierer Land. Zu seinen Füßen entspringt eine Quelle und fließt in eine Felsöffnung.

»Komm, Alter!« lacht der Böse und sich niederbeugend, verschwindet er unter dem Felsen. Verstört folgt ihm Meister Gerhard. Er findet sich in einer Felsgrotte. Das Wasser der Quelle rann plätschernd in einen Kanal, dessen Anfang er erblickte.

»Sieh, daß ich nicht log und meine Zeit nicht versäumte, triumphiert der Böse. Wenn Du willst, folgen wir dem Bächlein und du selber magst urteilen über das, was ich geleistet.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als eine geheimnisvolle Kraft den Meister ergriff und ihn mit Blitzesschnelle vorwärts bewegte. Der Böse voran. Bleich vor Entsetzen schaute der Meister das Werk. Kein Zweifel blieb, er hatte die Wette verloren. Dumpfe Verzweiflung packte ihn. Aber seltsam! Schon nach kurzer Zeit nahm sein verstocktes Antlitz wieder einen ruhigen Zug an, ja, es schien, als schleiche ein unterdrücktes Lächeln heimlich über sein Antlitz.

Der Ausgang war erreicht; durch dieselbe magische Kraft, die ihn fortgetragen, fühlte sich Meister Gerhard auf die Erde zurückversetzt.

»Dies war die Hälfte meines Werkes«, und ein grinsendes Lächeln umzuckte des Bösen Lippen. »Nun laß uns die Enten schauen, die versprochenen, lieber Gevatter!«

Dreimal schlug er in die Hände und gebot Gerhard, acht zu geben. Dieser, schier belustigt, lauschte aufmerksam. Minuten vergingen. Leer blieb des Bächleins Ausgang. Kein Entengeschnatter ward hörbar.

Abermals klopfte der Böse in die Hände, stärker als das erstemal. Wiederum harrte er vergebens des Erfolges.

Spöttisch lächelte der Dombaumeister.

Einen höllischen Schrei gellte der andere und verschwand, dieweil Meister Gerhard murmelte:

»Niemals wird er seine Wette gewinnen. Den Grund weiß ich, Gerhard von Ryle.«

III.

Aber eine dumpfe Schwermut hat den Dombaumeister seit dem letzten Abenteuer erfaßt, trotz alledem. Noch häufiger denn vorher sah man ihn auf den Gerüsten und Leitern. Ganze Stunden verbrachte er in trübem Sinnen. Nun er seinen Widerpart erkannt, mit dem er sich vermessen, zu ringen – wer könnte es anders sein, als der leibhaftige Gottseibeiuns – war er sich der fürchterlichen Gefahr bewußt, darinnen er schwebte und seine unsterbliche Seele.

Manchmal, nach langen Minuten bangen Grübelns, überflog ein Lächeln seine Züge. Er atmete tief auf und murmelte, sich selber Mut einflößend:

»Er wird niemals seine Wette gewinnen, ich weiß warum!«

Tief beklommen zeigte sich sein jugendliches Eheweib über des Meisters seltsames Gebaren. Ihr behagte nicht seine Verschlossenheit. Vergebens versuchte ihr kosendes Lippenpaar, dem schweigsamen Munde des grüblerischen Eheherrn das Geheimnis abzuschmeicheln, das seine Zunge hütete. Nicht ungern empfingen des Meisters Lippen den reichen Schatz liebender Zärtlichkeit, aber zu allen Bitten und Beteurungen des neugiergestachelten Gemahls lächelten sie nur bittersüß und sprachen über das Geheimnis so viel wie die Austern von ihrer Schale.

Da trat eines Tages ein fahrender Magister in das Haus des Meisters, als jener just draußen am Dombau weilte. Ein Scharlachmantel umhüllte die hochgewachsene Gestalt und keck flatterte die Hahnenfeder vom schwarzen Samtbarett. Höchlich artig benahm sich der Fremde und gefällig waren sein Wesen wie seine Worte. Den Meister wollte er besuchen, und da er ihn nicht zuhause antraf, pflog er unterhaltende Rede mit seiner jungen Hausfrau. Minder stockend flossen gar bald die Worte des züchtig-verschämten Weibes. Warmen Blick und warmes Herz fand sie bei dem fremden Magister: warme Teilnahme schenkte er der Verlassenen und zum Danke vertraute sie ihm unter vielen Seufzern und Klagen, wie ein Stein des Ärgernisses zwischen sie und ihren Ehegemahl gelegt, sintemal er ein Geheimnis behüte, das ihm vielen Kummer bereite.

Merklich hoben sich die Brauen, unmerklich spitzten sich die Ohren des trostspendenden Magisters.

»Wie jedes Seins Traktierung Kenntnis des elementaren Grundstoffes erheischt, so ist Eurem Gemahl nur dann zu helfen, wenn man sein Geheimnis kennt«, dozierte gewichtig der Magister. »Versuchet, schöne Frau, durch Eurer Lippen Beredsamkeit und Eurer Reize Süße, in lauschiger Minnestunde Herz und Vertrauen des Meisters zu gewinnen, auf daß sein Mund verrate, was sein Herz verbirgt, dann kann ich Euch helfen und der Frauen glücklichste werdet Ihr.«

Das Weib that nach Geheiß, aber ohnmächtig ab prallten die Pfeile der Verführerin an dem eisernen Schweigen des Mannes. Drei Tage nach seinem ersten Besuch erschien der Magister aufs neue.

»Weil Ihr keinen Erfolg hattet, o unwürdige Tochter Evas, habe ich noch ein zweites Mittel. Doch Bedenken hege ich, daß Ihr es verschmäht.«

Heftig quälte jene die Neugier. Inständig bat sie den gelehrten Magister, sich zu erklären.

»Wohlan ich spreche,« ruft dieser feierlich. »Mitleid heischt das Weib, zwiefach Mitleid Ihr. Ein wunderbares Kräutlein weiß ich. Daraus brauet einen Trank für Euren Eheherrn. Er wird in der Nacht träumen; sein Traum wird ihn verraten, und ihr wißt das Geheimnis.«

Dankend nahm sie die Gabe aus des fremden Magisters Hand. Am Abend breitete sie das Tränklein und reichte es ihrem Gemahl. Meister Gerhard sank aus den Umarmungen seiner zärtlichen Hausfrau in einen tiefen Schlaf. Unruhig war bald der Schläfer. Seinem Mund entfuhren unverständliche Worte. Ängstlich lauschte sein wachendes Weib. Der Scharfsinn ihres Geschlechtes verband des Träumens Lallen zu verständlicher Rede und bald wußte sie um die grauenvolle Wette, die Meister Gerhard mit dem Bösen in eigener Person zu schließen sich vermaß.

»Er wird niemals seine Wette gewinnen,« lallte der Schläfer, »ich habe das Geheimnis.«

»Und was mag es sein?« fragte sich herzklopfend eine aus dem Geschlecht jener, der einst der Böse den Apfel gab.

»Er kann machen, was er will,« fuhr der Meister fort. »Niemals wird eine Ente aus dem unterirdischen Kanal herausschwimmen, wenn er nicht von Viertelstunde zu Viertelstunde Luftlöcher darinnen anbringt. Aber der Böse wird niemals auf diesen Gedanken kommen.«

Am andern Morgen erschien mit dem Frührot – kaum hatte der Meister sein Haus verlassen, der fahrende Magister. Treulich berichtete ihm das Weib, was sie gehört.

Da stieß der Mann im feuerfarbenen Mantel eine triumphierende Lache aus und verschwand. Bleich und ehrfurchtsvoll stand des Meisters geschwätziges Weib.

IV.

Meister Gerhard stand hoch auf dem Domkrahnen. Dunkle Wetterwolken nahten vom Rheine her. Der Meister trieb die Werkleute zu schneller Arbeit an. Schwül war die Luft. Da legte sich eine Hand schwer auf seine Schulter. Aufgeschreckt aus wohligen Zukunftsträumen wendete er sich um und sein Antlitz ward erdfahl. Hinter ihm stand im Scharlachgewand, das schwarze Samtbarett geschmückt mit der wallenden Hahnenfeder, der Böse. Sein Angesicht triumphierte. Schweigend zeigte er nach unten: am Fuß des Domes zeigte sich ein Bächlein, schnatternd schwamm eine Ente auf seinem Wasser. Ihr folgten etliche.

Da packte verzweifelnde Wut des Meisters Herz: verloren Wette und Seele. Grinsend steht der Böse und öffnet die gekrallten Hände.

»Nimmer sollst Du mich lebend haben!« gellt Meister Gerhard und stürzt sich in die Tiefe.

Brüllender Donner bedeckt seinen Todesschrei. Grimmig wütet das Wetter. Der lichtumlohte Himmel däucht ein Flammenmeer. Die Feuerglocke wimmert vom Turm: des Dombaumeisters Haus hatte der Blitz gezündet.

Die Flammen vernichteten des genialen Meisters Plan, und Jahrhunderte lang stockte des Riesendomes Vollendung. Das Werk trauerte um seinen Erbauer, verödet standen die Hallen, unvollendet die gewaltigen Türme. Nachts schwebte um sie klagend Meister Gerhards Geist, also erzählen sich die Bewohner von Köln. Grollend klagte er die spätern Geschlechter an, daß ihre Lauheit das Riesenwerk unvollendet lasse, das früherer Zeiten schöpferische Kraft verkünde. Ungehört verhallt des Schemens verzweifelnde Klage. Geschlechter gingen, neue kamen – und endlich ward zur That, was Kleingläubige nie geglaubt. Vollendet stand der Dom in königsstolzer Größe, das erhabenste Gotteshaus in deutschen Landen.

Seitdem erschien Meister Gerhard nie wieder. An der Stelle, wo er hinabstürzte unter des Höllenfürsten Fluch, ist sein Steinbild errichtet zu ewigem Gedächtnis.

Die Heinzelmännchen

Das war noch in der guten, alten Zeit, die wir Jüngern so oft seufzend im Munde führen, allwo noch gutmütige Zwerge den Menschen erschienen sind und sie beglückt haben. In Schluchten und Höhlen hatten sie zumeist ihre palastartigen Wohnungen aufgeschlagen und hüteten dort unermeßliche Metallschätze der Erde, wie auch andere Schätze, sind auch wohl als Bergleute und vortreffliche Metallarbeiter thätig gewesen, als welch letztere sie herrliche Kleinodien und Waffen, so den Schatz der Nibelungen verfertigten. Dort lebten sie, von Königen beherrscht, Freunde der Finsternis, die sie nicht meiden durften, wollten sie nicht an der Sonne zu Stein werden. Mit der Zeit aber durften sie ungestraft an die Oberfläche der Erde, wohin sie durch Zwergen- oder Quarxenlöcher gelangten und den Menschen scheu auswichen. Wo sie früher zum Nutzen und Segen der Bevölkerung geschaltet und gewaltet haben, hat sie nun die fortschreitende Kultur vertrieben.

Niemand von uns hat je so ein Zwerglein gesehen: ihre Größe war verschieden und wechselte von der Größe eines Daumens, einer Spanne bis zu der eines vierjährigen Kindes. Alle kennzeichnete ein verhältnismäßig sehr großer Kopf, den Körper verunstaltete häufig ein Höcker, doch sahen sie in ihrer Bergmannstracht und den Zipfelkappen recht possierlich aus, Heinzchen nannten sie wohl die Leute, auch Heinzelmännchen.

In jener guten, alten Zeit also gab's auch in der heiligen Stadt Köln solche Heinzelmännchen und die biedern Kölner wußten gar Erbauliches von ihnen zu berichten. Gevatter Zimmerer und andere hatten dazumal gar mehr Feiertage als im Kalender stehen. Legten sich die Zimmerleute auf die lange Bank, so kamen derweil die flinken Männlein und meißelten, sägten und hämmerten nach Herzenslust und – so berichtet der poetische Chronist, dem wir hier folgen – eh' sich's der Zimmermann versah, stand das ganze Haus schon fertig da.

Ebenso ging es beim Bäckermeister zu. Während die Burschen schliefen, ächzten die Männchen mit den schweren Säcken daher, kneteten, wogen, hoben und schoben und noch ehe der Bäckerjungen Chor erwacht, war das frische Morgenbrot schon fertig. Dem Fleischer widerfuhr dieselbe erfreuliche Heimsuchung: die nächtlichen Helfer hackten, mengten und mischten, und wenn der Gesell die verschlafenen Augen rieb, hingen im Laden bereits die dampfenden Würste. Auch der Küfer erfreute sich des verschwiegenen Besuches der fleißigen Zwerge und selbst Meister Zwirn – wie ein Märchen klingt es – wurde von ihrer Gunst beglückt. Einen Staatsrock hatte ihm das würdige Stadtoberhaupt in Auftrag gegeben und emsig führte des Meisters Hand die Nadel. Doch ihm erging's, wie es seither unzähligen Schneiderlein ergangen, die an heißem Sommertag in moslemischer Stellung die Nadel führen, er nickte ein. Und da regte es sich in dem Zimmer und auf den Tisch schlüpften die Männchen und nähten und paßten und strichen mit kundiger Hand. Als der Meister erwachte, war des Bürgermeisters Rock fertig. Darob war jener baß erfreut und staunend stand seine Hausfrau und fand der Worte nicht genug. Ein jugendliches Weib ist sie gewesen, das der Fürwitz oft schon geplagt hat im Leben. Jetzt saß er ihr wieder im Nacken und raunte ihr loses Zeug ins Weiberohr und in ihren Augen hat ein Schelmengedanke aufgeblitzt.

Am Abend, als der Meister bereits schlief, erhob sich sachte sein Ehegespons und streute Erbsen ins Zimmer, allwo auf dem Tisch ein halbvollendetes Wams lag. Stellte sich dann mit einem Lichtlein, das sie unter der Schürze hielt, hinter die Thür und lauschte. Bald schon ward es auf der Stiege lebendig, zuerst ein trippelnder Schritt, dann ein Hinschlagen, ein Ausgleiten, ein Fallen und Kollern, dazwischen Lärmen, Schreien und Verwünschungen. Hurtig ist des Schneiders boshaftes Weib hinuntergesprungen mit dem Licht, aber schon waren sie verschwunden.

Seitdem sind die Heinzelmännchen niemals mehr in Köln gesehen worden und auch anderwärts hat man von ihnen nichts gehört.

Jan und Griet

Ze Köllen em ahle Kümpcheshoff,
Wonnt ens ene Boorschmann.
Dä hatt en Mähd, de nannt sich Griet,
Ne Knäch, dä nannt sich Jan.

Also hebt es an, das bekannte niederrheinische Volkslied von Jan von Werth, der ein berühmter Reiter-General der Kaiserlichen gewesen ist, als Schwed und Franzos sich in die Zeche deutscher Uneinigkeit teilten. Daß aber der große Jan von Werth eines Kölner Bauern Knecht gewesen und nur seinem Unglück in der Liebe sein Glück im Lebensspiel verdankt, das weiß man nur in und bei der heiligen Stadt am Rhein.

Jan war ein fleißiger Gutsknecht, eine treue Seele und auch kein übler Bursch. Mancher Dirne wäre der Jan als Freier gar nicht unwillkommen gewesen, aber des braven Jan verliebtes Herz lag seit langem in dem Banne der hübschen Griet, einer dienstbeflissenen Maid des Kümpchenshofes. Nicht allzulange glühte Jans Liebe im Verborgenen. Eines Tages trat er vor die Angebetete hin, gestand ihr unter vielem Schluchzen, daß er sie herzlich gern habe, daß er willig für sie zweimal so viel schaffen wolle, wie für den Bauern, und nachdem der Biedere noch viel geredet, was er lange bei sich getragen, bat er die schmucke Griet, ob sie nicht sein Weib werden wolle.

Da stemmte die übermütige Dirne die runden Arme in die Seite, warf den hübschen Kopf zurück und ihre Schelmenaugen maßen den braven Freiersmann. Dann schüttelte die Griet bedauernd das blonde Haupt und ein Lächeln, schier spöttisch, zuckte um ihren frischen roten Mund.

»Du bist ein Knecht, Jan, und wirst es, glaub' ich, bleiben Dein Lebtag. Du kannst nichts dafür, ich aber möchte gern einen reichen Halfen haben mit Kühen, Ochsen und Pferden.«

Da stieg dem treuen Jan eine Blutwelle ins Gesicht: aber er beherrschte sich, denn er hatte sie herzlich gern, die da so herzlos redete.

»Wie du willst!« sagte er traurig und wandte der stolzen Dirne den Rücken. Hat von der Stunde an kein Wort mehr zu ihr gesprochen außer dem Gruß. Die übrigen Knechte und Mägde aber lispelten untereinander, daß die hochfahrende Griet dem Jan einen Korb gegeben, und manch spöttisches Lächeln traf den verunglückten Freier, mehr von den Männern als von den Weibern. Da hat's den Jan nimmer gehalten auf dem Kümpchenshof und so ist er eines Tages fortgegangen, hat Handgeld genommen und ist Soldat geworden.

Ein grimmer Krieg war's, den dazumal der Kaiser gegen die Reichsfeinde focht und an tapfern Soldaten war Mangel. Ein kühner Krieger mochte es da wohl zu etwas bringen und Jan von Werth war einer von denen. Der ehemalige Knecht vom Kümpchenshof brachte es bald seiner Unerschrockenheit und Tapferkeit wegen zum Korporal, und als er in einer Schwedenschlacht abermals durch seinen glänzenden Mut die Entscheidung herbeiführte, ward ihm ein ganzes Regiment anvertraut. Endlich gar stieg der Regiments-Hauptmann zum Reitergeneral und der Name des großen Jan von Werth ward mit einem Schlage berühmt, als er die gefürchteten Franzosen in einem Reitertreffen bei Tuttlingen auf's Haupt schlug.

Auch von einer zarten Seite versöhnte ihn das Glück: dem berühmten General Jan von Werth reichte ein liebreizendes, adeliges Fräulein die Hand zum Ehebunde.

Jener aber, die den armen Bauersknecht Jan vor Jahren verschmäht hatte, war das Glück wenig hold gewesen. Die hübsche Griet wartete Mond um Mond und Jahr um Jahr auf den reichen Halfen mit Kühen und Ochs und Pferd, aber der erträumte Freier kam nicht, maßen schon dazumal bei dem nüchternen Bauernvolk rote Dukaten mehr Wert hatten, als rote Wangen, und blitzende Thaler mehr Reiz, denn blitzende Augen. Aber die blitzenden Augen und roten Wangen werden einst alt, und es kamen Tage, allwo die alternde Griet gerne einem Knecht wie weiland dem Jan als Ehegespons gefolgt wäre, leider kam keiner. Und so hat denn die alte Griet, nachdem die roten Wangen und blitzenden Augen längst vergangen, wehmütig alle Hoffnungen eingesargt. Hat dann am Severinsthor einen Apfelkram aufgeschlagen und sich kümmerlich durchgeschleppt ihre alten Tage.

Da ist eines Tages im Severinsviertel eine mächtige Bewegung entstanden unter den Leuten. Neugiervoll strömten die braven Kölner herzu, um einen der Ihren zu sehen, der heute durch das Severinsthor einziehen sollte mit seinem siegreichen Heerhaufen. Und der hatte es vom Bauersknecht zum Reitergeneral gebracht. Da kam er bereits, hoch auf reichgezäumtem Roß, geschmückt mit goldstrotzendem Generalskleid, auf dem kühnen Kopf den breitkrempigen Hut mit der wallenden Feder: der große Jan von Werth! Hinter ihm ein Troß prächtiger Reiter.

Und das Stadtsoldatenkorps, die Funken, wirbelten die Trommeln, die Kölner schrieen ihrem Landsmann Vivat zu; das hutzelige Weiblein aber, so am Apfelkram saß und Kastanien briet, schaut mit einem merkwürdigen Ausdruck zu dem stolzen Reitergeneral auf. Da hält dieser dicht vor ihrem Kram das Pferd an, schaut ihr ins Gesicht und spricht still lächelnd: Griet, wer das gedacht hätt'!«

Da zuckt es in dem runzeligen Gesicht auf und seufzend raunt die alte Griet: »ja Jan, wer das gewußt hätt!«

Und der große Jan ritt in das heilige Köllen. Die Stadtsoldaten wirbelten die Trommeln und die Kölner schrieen ihrem Landsmann Vivat zu.

* * *

Ein prächtiges Denkmal haben ihm die Kölner gesetzt in seiner Vaterstadt, und den niederrheinischen Mägdlein ist sie wohl bekannt, die Geschichte von Jan und Griet, und manche Maid da unten im Bann der alten Stadt Köln soll durch sie bewogen worden sein, nicht gar so hartherzig zu verfahren mit ihrem Freiersmann, sintemal man nicht wissen kann, ob in ihm ein künftiger Reitergeneral steckt, wie in dem großen Jan von Werth. Vielleicht geht auch manch anderm rosigen Jungfräulein, dessen Wiege nicht am Rhein steht, die Geschichte zu Herzen, und es gelobt, in der Liebe nicht allzu wählerisch zu sein, auf daß es nicht eines Tages mit der alten Griet zu seufzen hat: »Wer das gewußt hätt'!«


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