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Siegthal

Die Heiden am Lüderich

Wo die Sülz sich mit der Agger vereinigt, erhebt sich unterhalb Bensberg eine Bergkuppe, der Lüderich geheißen. Die Leute erzählen sich, daß der Lüderich in alten Zeiten noch einmal so hoch gewesen sei, als heute. Wie es dann kam, daß er auf seine jetzige Gestalt zusammenstürzte, darüber weiß die Sage zu berichten. Am Lüderich wohnten dazumal noch Heiden, während die Umwohner bereits dem Christentum anhingen. In den Künsten des Lebens waren sie wohlerfahren, die Kinder der Welt, trieben Bergbau und förderten edle Metalle in stille aus dem Schoß des Lüderich. Kundige Zwerge sollen dem Heidenvolk dabei Dienste geleistet haben. Also kam es, daß des Berges Bauch ungezählte Stollen durchkreuzten, dieweil droben von seiner Kuppe üppige Prachtbauten hinabschauten ins Thal der Sieg. Wild und wüst aber war der Heiden Leben. Lust und Sünde feierten auf dem Lüderich Triumphe und voll Schmerz sahen die umwohnenden Christen, wie jene in schändlicher Weise dem Teufel huldigten und den Mann am Kreuze verhöhnten.

Da geschah es, als sie eines Tages wiederum ein Festgelage feierten und einer in übermütiger Zecherlaune die Gebräuche der Kreuzbekenner nachahmte, daß ein Hirsch von ungewöhnlicher Größe auf dem Platz erschien. In stolzer Herausforderung warf er seinen Kopf zurück, den mehr denn sechszehn Enden des Geweihes schmückten, und rannte geradewegs in den Hauptschacht des Berges hinein. In toller Hast rannte das neugierige Heidenvolk ihm nach. Droben auf einer Berghalde trieb just ein frommer Hirte seine Herde. Da hört er plötzlich über sich ein Vöglein singen:

Treib' Deine Schafe, o Hirt zu Thal!
Der Lüderich stürzt ein mit einem Mal.

Da trieb der Schäfer schreckensbleich seine Tiere hinab. Kaum war er unten, da donnerte es in den Lüften, der Lüderich krachte in seinen Tiefen und schweflige Flammen züngelten aus seinem geborstenen Bauch. Der Schäfer stürzte auf seine Kniee und verhüllte betend sein Haupt, vermeinend, der jüngste Tag sei gekommen. Als er aufschaute nach einer Weile, da war der Berg eingestürzt, die Prachtbauten der Gottesfrevler verschüttet, sie selber im Berg begraben.

Aus dem Blut der Heiden soll damals ein rotes Bächlein gequollen sein; Rotbach heißt es, denn sein Wasser ist rot geblieben bis zur Stunde. Viel Weinen und Wehklagen aber ward damals vernommen am Lüderich von den Hinterbliebenen. Wohl haben sie hineingegraben in den Berg, der aber gab seine Opfer nicht wieder; doch eine Quelle sprudelte dort hervor, wo sie weinend gruben und Thränenbach heißt das Bächlein bis heute, weil die Thränen es speisten, so die Weiber und Kinder der Erschlagenen vergossen haben.

Noch eine Grube ist vorhanden, welche die Heiden angelegt haben; man heißt sie den Heidenkeller im Munde des Volkes.

Der schlafende König

Im Wolsberg bei Siegburg soll er sitzen auf riesigem Steinblock, der schlafende König, der Rotbart des Siegener Landes. Sein mächtiges Haupt lehnt an den Steintisch und die Rechte umfaßt den Knauf des Schwertes. An vollen Krippen stehen herrliche Hengste und nebenan schlafen Knappen und Krieger. Oftmals sind Schmiede von geheimnisvollen Führern in die Berghöhlen gelockt worden. Mußten allda den Rossen die Hufeisen nachsehen, die vom ungeduldigen Scharren schadhaft geworden und sind reich beschenkt entlassen worden.

Also ist's einem jungen Schmied ereignet, der von Frankfurt gen Deutz seine Straße zog und in Siegburg Herberge hielt. Zu ihm gesellte sich, als er in der Morgenfrüh den Wolsberg passierte, ein älterer Mann in altertümlicher Tracht und frug ihn, ob er gewillt sei, einen guten Zehrpfennig zu verdienen. Dies hat der Schmied bejaht. Darauf hat ihn der Alte in den Berg hineingeführt, hat drei Thore geöffnet, worauf sie einen gewölbten Gang durchschritten, von dessen Decke seltsamer Schimmer wie von edlem Gestein herniederstrahlte. In ein neues Thor mündete er, dran sind zwei Riesen im Stahlkleide gestanden, die hielten gewaltige Hellebarden in ihrer Rechten, doch auf der breiten Brust neigte ihr Haupt im Schlummer. Der Kommenden Schritt hat sie aufgeweckt; ein Wort des Alten aber ließ sie in Schlaf zurücksinken.

Weit wie ein Dom war die Halle, die nunmehr beide betraten. Auf erhöhtem Steinsitz in des Raumes Mitte der schlummernde Heldenkönig, um ihn hingestreckt seine Getreuen! In den Gängen nebenan an vollen Krippen die herrlichen Hengste! Bei jedem ein Häuflein neuer Eisen mit den dazu gehörigen Nägeln und zwei Häuflein abgenutzter Eisen, welche die Rosse abgetreten im felsigen Gestein! Den Gesellen weist der Graubart an, die Tiere zu beschlagen. Der aber meint, die Arbeit werde Tage fordern, beginnt aber dennoch frisch sein Werk. Flink geht ihm der Alte zur Hand, hebt der Rosse Bein empor und dröhnend hallen die Hammerschläge durch die Höhle. Zuletzt ist dem Gesellen vor Ermattung der Hammer entfallen und der Alte hieß ihn ausruhen, schob ihm einen Schild zum Sitz dar und ging abseits, um Labung zu holen. Kam dann mit einem goldenen Trinkhorn zurück und ein blondlockiger Knabe, der im folgte, kredenzte dem Schmied aus silberner Kanne. Der that einen mächtigen Schluck und trank das köstliche Getränk bis zu des Trinkhorns Neige. Griff dann, wunderbar gestärkt, wiederum zum Hammer und ruhte nicht, bis das letzte Roß beschlagen war.

Da hieß ihn der Alte die abgenutzten Eisen einstecken und blinzelte ihn dabei merkwürdig an. Hat den Gesellen dann wieder hinausgeführt, ihm artig gedankt und die Pforte zugeschlagen. Der Schmied aber hat, verwundert nach der Abendsonne hingeschaut, die hinter der Siegmündung über dem Rheine stand; denn ihm deuchte, er wäre nur etliche Stunden drinnen gewesen. Er schaute zurück; doch die Pforte war verschwunden. Da erinnerte sich der Geselle des Zehrpfennigs, den ihm der Alte zugesagt, aber nicht gegeben. Mißmutig langt er in die Tasche nach den abgenutzten Eisen, starrt sie an, wieder und wieder, reibt sich die Augen, wie wenn falscher Schimmer ihn blende. Doch es ist nicht die goldene Abendsonne, die den Hufeisen den gleißenden Schein verleiht: eitel Gold sind sie, das merkt der Geselle erst jetzt, wo er sie am Licht des Tages betrachtet.

Einen Jauchzer hat der Glückliche ausgestoßen und ist frohen Mutes zur Herberge zurückgekehrt. Hat dort sein seltsames Abenteuer kundgegeben, und der Schenke wie seine Gäste haben Augen gemacht, schier wie die Hufeisen so groß. Ein reicher Waffenschmied ist der Geselle geworden, hat des Schenkwirts Töchterchen, das es ihm zuvor schon angethan, heimgeführt als sein eheliches Weib und in Siegburg noch viele Jahre in Glück und Wohlstand gelebt. Wohl haben noch viele seitdem versucht, ein gleiches Glück zu erhaschen, doch des schlafenden Königs graubärtiger Knappe ist seither keinem mehr erschienen.

Der Graf von Windeck

Die Grafen von Windeck waren ein mächtiges Dynastengeschlecht im Siegthal. Graf Konrad war der letzte dieses Geschlechtes. In seiner Jugend hatte er dem Wein und der Minne seinen Zoll entrichtet, hatte manche Lanze im heißen Sommer gebrochen und war auch als begeisterter Kreuzfahrer im heiligen Lande gewesen. Den Abend seines Lebens verbrachte er auf seiner Stammburg, darinnen seine engelschöne Tochter Bertha als guter Genius waltete, bis ein fürchterliches Geschick den Windecks ein erschütterndes Ende bereitete. Darüber berichtet die Sage folgendes: Um die holdselige Bertha hatte Herr Heinrich von Waldenfels, des Burgherrn ritterlicher Freund, geworben. Den Werber aber hatte der Windeck schmerzlich abgewiesen. Dem Kloster habe er die Jungfrau in ihren ersten Jahren gelobt und kein Gesetz der Welt werde ihn von seinem Gelöbnis entbinden. Schon habe er seine würdige Schwester, die Äbtissin des Klosters Rheindorf, verständigt; nach einer Woche werde der letzte Windeck seine einzige Tochter dem Herrn weihen. Mit Groll und Schmerz ist der Waldenfels heimgeritten. Ein Brieflein ist zu ihm hingeflattert am folgenden Morgen von der Geliebten Hand, und Antwort ward der harrenden Maid, die nicht gewillt war, den Hochzeitsschleier mit dem Nonnenschleier zu vertauschen. Als die Nacht herabsank auf die Veste Windeck und das Thal der Sieg, da hat sich an schwankender Strickleiter, die zarte Frauenhand herabließ, ein kühner Ritter in die Kemenate des Burgfräuleins geschwungen, und bald darauf ist derselbe Ritter den tollkühnen Weg wieder hinabgestiegen und hat mit der Linken ein zartes Mägdlein umfaßt, das sich an ihn schmiegte. Unten aber hat ein feuriger Rappe gestanden, der wieherte freudig seinem Herrn entgegen. Der aber erblaßte, denn auf des Tieres Gewieher war droben in des Turmvogts Kammer ein Lichtlein aufgeflattert. Wie ein Pfeil schwang sich der Waldenfelser mit seiner kostbaren Beute auf den Hengst und wild raste das edle Roß den Fluß entlang durch die Nacht. Leis weinte in des Ritters Armen die zitternde Maid; denn schwer lastete auf ihrer armen Seele das Vergehen. Mit sanftem Kosen tröstete sie der Ritter. Ehe der Morgen dämmere, winke seine Veste und ehe das Tagesgestirn über ihrem Scheitel strahle, habe sie beide des Pfaffen Segensspruch untrennbar verbunden.

Da gellte Hifthornruf durch die Nacht und Rossegetrapp polterte vom Walde herab. »Wir sind verraten!« raunt der Ritter und ein Wehruf entströmt dem bleichen Mund seiner Geliebten. Wilder rast der gehetzte Renner. »In Bogenschußweite geht der Steg über die Sieg; habe ich ihn erreicht und seine Pfosten gelockert, den Verfolgern zum Verderben, dann sind wir gerettet!« Wild entschlossen sprach's der Waldenfelser. Doch flehend umschlang ihn die Jungfrau. »Erbarmen, Geliebter! Lieber wähle ich den Tod als im Gemahl den Mörder des Vaters zu hassen.« Da winkt schon der Steg, aber toll bäumt sich der schäumende Rappe vor dem schmalen Balken, nicht Zorn noch Sporn treibt ihn vorwärts, und näher tönt der Rossehuf der Verfolger. Noch einmal spornt der Graf das keuchende Tier, mit jähem Sprung stürzt es in die Flut und wirft aufbäumend die, so es trägt, in die Wellen. Die Wasser rauschen in kreiselndem Lauf...

Im Frühlicht ziehen des Windecks Knechte zwei Leichen ans Land, die hielten im Tod sich umschlungen, Jammernd wirft sich der alte Windeck aus die Toten und stöhnt leise: »O Gott! Du strafst die Sünder schwer! Hätte ich zeitig enthüllt, daß Bertha den eigenen Bruder freite, so lebten mir noch meine Kinder!« Am dritten Tag hat man den Alten bei den Geschwistern begraben. Wo die Sieg die Liebe einst vor Schande gehütet hat, dort wirbelt noch heute ein Strudel.

Der starke Hermel

Ein wilder Knabe ist er gewesen, Hermann, von seinen Gaugenossen der starke Hermel genannt. Gleich seinem Zeitgenossen, dem jungen Cheruskerfürsten, der des Varus Legionen am Osning zerschmetterte, also haßte der Sohn der Berge die römischen Zwingherren, die dazumal die Ufer des Rheines und seiner Nebenflüsse mit ihren Kohorten bevölkerten und den Adler des Augustus an die deutschen Eichen hefteten. Mit List und Tücke banden die aalglatten Fremdlinge den freien Germanen das römische Joch vor die Stirne, legten ihre Hände auf das Land und alles, was darauf wuchs, und zwangen die germanischen Bauern, ihnen Frondienste zu leisten gegen kärglichen Entgelt. Grimmiges Hadern gab's da oftmal zwischen den überlisteten Fronleuten und den fremden Eroberern. Vergebens beschwerten sich die Männer aus dem Thal der Sieg bei Sigurd, dem Fürsten der Sigamber, ihrem rechtmäßigen Herrn, den das gleißende Gold des Tiberius in römische Netze gelockt hatte zum Schaden seines Volkes. Da geschah es, daß ein großgewachsener, wilder Knabe zum Frondienste befohlen wurde. Der starke Hermel war es, der sieben Jahre lang seiner Mutter Brust getrunken und davon stark geworden war wie ein junger Ur. Die Fremdlinge freuten sich des blonden Hünen, der mit zwanzig Jahren die Kraft zweier Gallier übertraf. Als aber der Arbeitstag kam und die andern schon längst auf der Tenne standen, lag der träge Geselle auf dem Stroh und schnarchte. Der Vogt weckte und schalt ihn. Er aber sagte mit Lachen, daß es nicht notwendig sei, um solch geringer Arbeit willen früher aufzustehen. Er wolle noch vor Mittag mit dem ganzen ungedroschenen Vorrat fertig werden, nur bedinge er sich den Karren mit Stroh, so hoch er sich laden lasse, für sein Lager, sowie Brot und Fleisch, so viel er essen möge, zur Kost. Die Bitte ward ihm gewährt, und der junge Riese ging hinaus in den Wald, nahm einen Eichenstamm und befestigte ihn mit einem Seil an eine Tanne, kehrte dann zurück, hob der Scheune Dach ab, auf daß es ihn nicht hindere und drosch mit seinem Riesenflegel, daß das Stroh rasend herumstob. In einer Stunde war das Werk gethan und der Goliath nahm das Dach als Futterschwinge und schwang sie, daß die Streu wirbelte wie Schneeflocken. Trug dann das gereinigte Korn in Säcken auf den Speicher und verlangte seinen Lohn. Willig gewährten ihn die Heiden, die ihm staunend zugeschaut.

Als er aber den Karren mit Stroh zurecht setzte, da vermochten die vorgespannten Ochsen den hochbeladenen nicht fortzubewegen, und grimmig schlug der Recke die Tiere mit der Faust zusammen, schirrte sie ab, warf sie oben auf das Stroh und zog den Wagen selber fort. Lachend rief er den fremden Herren zu: »Mit Fleisch bin ich schon versorgt; nun das Brot noch!«

Da ging ein Raunen durch die Reihen der Herren. Unbehaglich ward ihnen die Kraft dieses Riesen und sie hielten Rat, wie sie sich seiner entledigen möchten. Am folgenden Tag gab ihm der Vogt den Auftrag, den Brunnen zu reinigen im Herrenhof und versprach den fettesten Hammel zum Lohn. Willig stieg Hermel hinab und wand den Schlamm aus dem Schacht. Da wälzten gedungene Spießgesellen dicke Steine an den Brunnenrand und stießen sie gleichzeitig hinunter, daß Hermel davon zerschmettert würde. Der aber sang just ein lustiges Lied zur Arbeit und rief unwillig herauf:

»Jagt mir die Hühner vom Brunnenrand weg! Sie scharren mir den Kiessand in die Augen, daß ich nicht fortarbeiten kann.« Ei! dachten die da droben, nennt er die Mauersteine noch Kiessand, so wollen wir ihm den Spott doch verleiden. Und holten einen Mühlstein, den fünf Mann mit Hebebalken fortschieben mußten und ließen ihn in den Brunnen hinabstürzen. Oben jubelten die Heiden, doch ein teutonischer Fluch drang grollend aus der Tiefe. Aus dem Schacht schwang sich der Hüne, der hatte sich den Mühlstein um den Hals gebunden, und schalt gutmütig mit grimmigem Lachen die Fremdlinge, daß ihm ob ihres losen Streiches der Schädel brumme. Hat sich dann ein neues Stück Arbeit ausbedungen, da der Abend noch fern sei und ihm der Hammel erst nach voller Tageslast recht wohl gedeihe.

Da sandten sie ihn hinaus in den Wald, wo er mit andern Fronleuten Holz fällen sollte. Als er dort zuvor, treuer Gewohnheit folgend, sein Mittagsschläfchen hielt, da schichteten die römischen Mietlinge Holz und Stroh um ihn her, zündeten dies an und umzingelten triumphierend den lohenden Wall. Da klang nach einer Weile rauhes Räuspern hinter der Flammenwand, dann hustete einer, wie wenn ihn Qualm belästige, und dann rasselte es da drinnen und mit einer wilden Verwünschung sprang der Riese über den Feuerkreis hinaus, riß einen Eichenstamm aus und erschlug die feigen Römer, die draußen jubelten, riß dann mit glühenden Freiheitsworten die herbeigeeilten Stammesgenossen mit sich fort, und ein grimmiges Morden veranstalteten die Männer des Siegthales an ihren Zwingherren. Nur wenige retteten sich in ihren Booten auf das gallische Ufer des Rheines, der starke Hermel aber ward hoch gefeiert und noch tausend Jahre später sangen die Fahrenden von dem kühnen Sohn der Berge aus dem romantischen Siegthal bei Waldbröl.


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