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Siebengebirge

Entstehung des Siebengebirges

Vor grauen Zeiten ists gewesen, daß der Rhein oberhalb der Stadt Königswinter in einem gewaltigen, tiefen See schloß. Denen die damals in der Eifel und auf den Höhen des Westerwalds lebten, war das mächtige Gewässer, das oft die Fluren verheerend überschwemmte, gar nicht angenehm. Doch Hünenkräfte waren nötig, um den See abzuleiten. So schickten sie denn einst Boten ins Land der Riesen und baten, es möchten ihrer etliche hinabkommen und versuchen, das Gebirge zu durchstechen, das den Strom am Weiterfließen hindere. Wertvolle Geschenke seien ihr Lohn.

Da sind eines Tages sieben Recken gekommen mit riesigen Spaten, die haben mit wuchtigen Stößen eine Lücke in das Gebirge gegraben, also daß in wenigen Tagen das Wasser in die Spalte einriß, sie zusehends vergrößerte und dann hinabflutete. Der See verengte sich, verschwand vollends, und majestätisch strömte der befreite Rhein der Ebene zu.

Behaglich schauten die Hünen auf ihr Werk, die dankbaren Umwohner aber brachten ihnen reichliche Schätze, die sie aus dem Schacht der Berge gewonnen. Brüderlich teilten die Riesen, schulterten ihre Spaten und gingen davon. Des angehäuften felsigen Grundes aber war so viel, daß daraus sieben Berge entstanden, die noch heute an jener Stelle ins Land ragen und wohl so lange dort stehen werden, bis die Sieben abermals kommen, sie wegzufegen.

Das Nachtigallenwäldchen bei Honnef

Es ist ein reizendes Fleckchen Erde, jenes liebliche Honnef, das sich wie ein schönes Kind zu Füßen des alten Drachenfelsen am Rheinstrom hinschmiegt. Des Berges Riesenrücken schützt es vor dem eisigen Atem des Boreas, und milder weht darum die Luft in jenem Thal und Ort, den sie das deutsche Nizza nennen. Wenn den Wanderer die Juni-Abendsonne droben auf der Drachenfelshöhe zur Heimkehr mahnt, und er herunterschreitet durch das Honnefer Thal dem harrenden Dampfschiff zu, dann tönt dem Verspäteten rings aus den Büschen zahlloser Nachtigallen wunderbarer Gesang entgegen. Zahlreich, wie nirgends ringsum, haben sich hier die Sängerinnen der Liebe ein Stelldichein gegeben; seit langen Jahren ist's so, und die Sage vertraut uns: warum.

Einst sangen sie anderwärts, in der Eifel war's, im Forst der alten Abtei Himmerode. Dort klang, wie heute im Thal von Honnef, in schweigsamer Dämmerstunde ihr entzückender Gesang. Ihn vernahmen die frommen Mönche, die in den Kreuzgängen und im Klostergarten umherwandelten in gläubiger Betrachtung; ihn vernahmen die heiligen Büßer, die in den Zellen drinnen büßend den Leib kasteiten. Und in ihr murmelndes Beten mischte sich verführerisch der Nachtigallen lockender Werbelaut, und da haben sich in manchem Mönchsherz, das der Weltlust längst entsagt im tiefsten Innern, scheu und schämig, die Erinnerungen geregt, und in des frommen Bruders Ohr haben sie geraunt von süßen, sündigen Dingen.

Dann ist eines Tages der heilige Bernhard in die Abtei Himmerode gekommen und hat hineingeschaut in die Herzen der Brüder. Und es ergriff ihn tiefe Betrübnis, da er wahrnahm, wie aus manches Heiligen Seele der Gottesfrieden gewichen. Nicht unbekannt blieb ihm die Ursache. Voll heiligen Eifers trat der heilige Gottesmann hinaus in den Wald, so das Kloster umkränzte, und hob zürnend die Hand auf gegen die verführerischen Sänger des Forstes. »Hebet euch weg von hinnen! Ihr seid uns zum Ärgernis!«

Dräuend hatte es der Heilige hinausgerufen und siehe! Ein Gewimmel entstand in dem Geäst, ein Schwarm von zahllosen Nachtigallen hob sich aus den Büschen, noch einmal erfüllte den Forst ein entzückender Gesang; dann stoben sie fort mit scheuem Flügelschlag.

Im Thal von Honnef haben sie sich niedergelassen, und kein Bannfluch hat sie seither von dort vertrieben. Nicht sind sie der Weltlust abhold, wie Sankt Bernhard, die da träumend oder plaudernd wandeln allein oder zu zweien im Thal von Honnef; noch jene, die da träumend wandeln mit glänzenden Augen und hektischen Wangen im Garten von Hohenhonnef. Ihnen und jenen tönt der Nachtigallen bald schmerzenreicher, bald übermütiger Werbelaut – und jeder deutet ihn nach seiner Weise.

Der Drachenfels

I

Wenn der Wanderer die reizend gelegene Musenstadt Bonn verlassen hat, erschaut er bald zur Linken des Dampfers, der ihn über den majestätischen Strom trägt, die mächtigen Kuppen des Siebengebirges. Des vordersten Berges steilragenden Gipfel krönen noch heute Turm und Mauern eines alten Ritterschlosses. Von jenem lieblichen Berg mit dem schauerlichen Namen, allwo es zur Sommerzeit nimmer stille wird von Zechersang und Becherklang, erzählt das Volk eine rührende Sage.

In den ersten Jahrhunderten nach der Geburt des Welterlösers nahmen die Germanen auf der linken Rheinseite willig die Kreuzeslehre an, die ihnen der heilige Maternus, ein Jünger des großen Völkerapostels, aus Gallien herüberbrachte. Vergeblich waren lange Zeit der frommen Christenboten ernste Bemühungen bei den heidnischen Stämmen des innern Germaniens. Sie verharrten in ihrem Heidentume und verschlossen ihre Gaue finster den fremden Kreuzespriestern aus dem Reiche, das bereits früher unter verschlagenen Heerführern seine gepanzerten Legionen auf freie Männererde geführt hatte.

Damals soll ein gräulicher Lindwurm in einer Höhle des Felsen gehaust haben, (die noch heute das Drachenloch heißt), ein Drachen von scheußlicher Gestalt, der täglich sein Felsloch in der Höhle verließ und in die Wälder des Thales raste, Menschen und Tiere bedrohend. Menschliche Kräfte waren ohnmächtig gegen das Ungetüm und vermeinend, eine erzürnte Gottheit verberge sich in dem schlangenartigen Molch, erwiesen sie ihm göttliche Ehren und opferten ihm Verbrecher und Gefangene.

Ein roher Heidenstamm bewohnte den Fuß des Berges. Oft unternahmen die kriegslustigen Männer verheerende Raubzüge auf die linke Rheinseite und trugen erbarmungslos Mord und Brand unter ihre christlichen Brüder. Einst waren sie wiederum nächtens hinübergezogen und erbeuteten in wildem Kampfe mit den Überfallenen Gut und Gefangene. Unter den letzteren befand sich eine Jungfrau von wunderbarer Schönheit. Zwei Führer, von ihrer Anmut entflammt, verlangten sie für sich, Horsrik der ältere, ein berühmter Häuptling, ein gefürchteter Kämpfer mit Bärenstärke und Tigerwildheit, der jüngere, Rinbold, von minder rohen Sitten, doch gleicher Kühnheit.

Schaudernd wandte sich die liebliche Jungfrau zur Seite, als sie die beiden Fürsten blitzenden Auges um ihren Besitz streiten sah. Ringsum die siegestrunkenen Männer. Mehr noch als der Preis der eigenen Beute bewegt sie der Streit der Mächtigen um das gefangene Christenweib. Schon finden die grollenden Worte der beiden Gegner einen Widerhall in den Herzen der umstehenden Krieger. Horsrik fordert, der gefürchtete Kämpfer; – Heilrufe aus der Männerrunde ermutigen ihn. Rinbold fordert, der jugendstolze Heerführer, zahlreichere Heilrufe aus der Männerrunde begrüßen ihn. Finster starrt der andere, seine Riesenfaust umklammert drohend den Streitkolben. Da lichten sich der Männer geschlossene Reihen. Zwischen die Streitenden tritt der Oberpriester, ein silberhaariger Greis mit ernstem Blick und strengen Zügen. Grollend tönt des Greises zorngepreßte Stimme:

»Verflucht sei jeder Zwist um den Besitz der Fremdgläubigen! Nicht soll die Christin die Edelsten unseres Stammes entzweien. Keines Anteil werde die Tochter derer, die wir hassen. Dem Drachen sei sie geopfert, die Stifterin unseligen Zwiespaltes. Zu Wuotans Ehre, den sie lästert und ihre Erzeuger, werde sie geweiht, wenn sein Sonnenauge sich öffnet zum andernmal!«

Beifall murmeln die Männer, als erster Horsrik, hocherhobenen Hauptes steht die Jungfrau. Schmerzlich und bewundernd hängt an ihrem engelgleichen Antlitz das Auge Rinbolds, des jugendstolzen Führers.

II.

In der Frühe des folgenden Tages, noch ehe die Tagesgöttin ihr strahlendes Haupt aus den Purpurkissen des Ostens erhob, wurde es im Thale lebendig. Durch des Waldes Dämmer bewegte sich ein lärmender Zug hinauf zur Höhe, voran die Priester, in ihrer Mitte, bleich, doch gefaßt, die Gefangene. Schweigend hatte sie geduldet um des Herrn willen, daß des Oberpriesters knöcherne Hand um ihre Stirne die Opferbinde wand und geweihte Blumen flocht in das gelöste Haar. Manch mitleidiger Blick aus des Volkes Kreis hatte die Standhafte heimlich gestreift, eines jugendstolzen Heerführers Blauauge hatte flammend gezuckt in unsagbarem Weh beim Anblick der todgeweihten Jungfrau.

Erreicht war der Felsvorsprung, den schon oftmals unschuldiges Menschenblut geschändet. Stumm umwanden die fanatischen Priester ihren zarten Leib mit Stricken und schnürten ihn an den heiligen Baum Wuotans, der den Schluchtrand überschattete. Keine Klage entfuhr der Christin bleichen Lippen, keine Thräne schimmerte in ihren Augen, die verklärt hinaus schauten in den frührotlichten Himmel. Des Volkes Schwarm lichtete sich und zerstob; schweigend und scheubefangen standen in der Ferne die erwartungsvollen Heiden.

Die ersten Sonnenstrahlen fluteten über den Berg. Sie flammten in der Blumenkrone, die der Jungfrau Haar umschlang, spielten in dem geistentrückten lieblichen Antlitz und umgaben es mit einem Glorienkranz von Licht und Schimmer.

Die Christenjungfrau erwartete den Tod, wie die Verlobte den Bräutigam. Ihre Lippen bewegten sich leise wie im Gebet.

Da drang aus der Tiefe dumpfes Getön; der Drache fuhr fauchend aus seiner Höhle über den Waldweg. Er erblickt das Opfer an der Stätte, die seiner Blutgier bekannt. Hochauf krümmt sich der schuppengepanzerte Wanst, auf scharfkralligen Beinen gespreizt, scheußlich wirbelt er den schlangenartigen Schweif und zeigt in gräßlich gähnendem Rachen sein tödliches Gebiß. Schnaubend kriecht das Ungeheuer heran, gierig züngelnd, aus den blutigen Augen sprühen höllische Flammen.

Todesschauer faßt auch die Jungfrau beim Anblick des scheußlichen Molches. Aus dem Busen reißt sie zitternd ein funkelndes Goldkreuz und hält es, wie abwehrend, mit einem bebenden Aufschrei zu Gott, dem Lindwurm entgegen. Und Staunen! Hochaufbäumend, wie vom Blitz getroffen, fährt dieser zurück und stürzt rückwärts über zackiges Felsgestein in die Tiefe. Unter brüllendem Geheul und dem donnernden Geröll stürzender Felsstücke verschwand das Untier in den aufbrausenden Wogen des Stromes.

Einstimmiger Schrei entfuhr den abseits harrenden Heiden. Staunen und Schreck auf allen Gesichtern! In müder Ergebung, mit traumhaft geschlossenen Lidern stand die Jungfrau und betete leise zu dem, der sie gerettet. Da sanken die Stricke, die sie schnürten; zwei sehnige Arme ergriffen sie und trugen sie in den Kreis der staunenden Menge. Sie hob die Augen und sah den jüngern der beiden Heerführer; seine rauhe Kriegerhand erfaßte die ihre. Wie vor einem himmlischen Wesen beugte der Jüngling das Knie und berührte mit den Lippen ihre weißen Finger. Laute Heilrufe ertönten dem Häuptling.

Der Priestergreis trat vor, und erwartungsvolles Schweigen lag über dem Volke. Wer sie gerettet habe vor dem sichern Verderben, wer der Gott sei, der den Seinen so sichtlich helfe, fragte er feierlich die Christin. Und triumphierend leuchteten die verklärten Augen der Jungfrau.

»Dies Bild des Christengottes hat den Drachen zerschmettert und mich gerettet,« rief sie siegreich. »In ihm ruht das Heil der Welt und die Wohlfahrt der Menschen und Völker.« Mit scheuer Ehrfurcht betrachtete der Priestergreis das Christuskreuz.

»Möchte es bald erhellen deinen Geist und den von diesen allen,« sprach die Jungfrau ernst. »Es wird euch größere Wunder offenbaren wie dieses; denn unser Gott ist groß.«

Man geleitete die Jungfrau zurück in ihr Vaterland samt den übrigen Gefangenen. Sie kehrte bald zurück, begleitet von einem christlichen Priester. Die Stimme des Glaubens und der Unschuld wirkte Wunder in den Herzen der Heiden. Zu Tausenden begehrten sie die Taufe. Der Priestergreis und Rinbold waren die ersten, die ihr Haupt der neuen Lehre beugten. Jubel herrschte in dem Stamm, als die Jungfrau dem jugendlichen Heerführer die Hand reichte fürs Leben. Ein christlicher Tempel erstand in dem Thale und eine stolze Burg den Neuvermählten, auf der Höhe des Felsens. Wohl zehn Jahrhunderte blühten die Drachenburger, ein mächtiges Geschlecht in den Gauen des Rheines.


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