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Consilium juridicum

Onkel Bus war liebevoll und mild. Daran war hauptsächlich der Spaziergang vor Tisch schuld, aber zugleich und vielleicht nicht zum wenigsten das kleine hübsche Intermezzo, das eben geschildert wurde. Und wenn Onkel Bus mild war, wollte er Musik machen.

Doch der Kreisrichter war diesmal nicht dazu aufgelegt.

»Lieber Herr Gutsbesitzer,« sagte er, »ich kann es wirklich nicht verantworten, die wichtige Sache länger ruhen zu lassen. Ich muß mit Ihrem Neffen darüber verhandeln, was wir vornehmen sollen. Auf mir ruht die Verantwortung, ich kann die Arbeit nicht länger von mir schieben.«

Dem konnte Onkel Bus natürlich nicht widersprechen, aber ehrlich gesagt fand er es viel einfacher, Thomas den ernsthafteren Teil der Arbeit zu überlassen. Auf diesem Punkt war Onkel Bus ein echter Landmann. Er wollte wirklich etwas für seine Ausgaben haben, und hatte er Tine jetzt an Thomas gegeben, so war es nur recht und billig, daß dieser zum Entgelt eine Arbeit leistete, die er aller Wahrscheinlichkeit nach besser leisten konnte, als der ihm in musikalischer Hinsicht weit überlegene Kreisrichter.

Doch Heiden blieb fest. Jetzt fühlte er sich als Kreisrichter. und fühlte er den Drang zu wirken.

Fast war er neidisch auf den Assessor geworden, wegen des aktiven Anteils, den dieser an den Ereignissen hatte, und doch hatte Heiden selber das Ganze von sich geschoben.

Jetzt zuckten dem braven Kreisrichter die Finger, in die Sache einzugreifen, der er den ganzen Tag keinen Gedanken geschenkt hatte.

Und warum?

Weil Hansen ihm mitgeteilt hatte, daß ein Gegenstand für die Untersuchung unten im Rollkeller säße. Das war mehr als Heiden aushalten konnte. Er wollte die Ehre haben, den Verhafteten zu verhören, er wollte die Verantwortung für den weiteren Verlauf der Sache übernehmen, weil er der zuständige Kreisrichter war. –

Die beiden Beamten saßen in Busgaards Zimmer, in der vom Kreisrichter gewünschten Konferenz.

»Zunächst hätte ich Lust zu erfahren, was Sie gesehen und gehört haben,« sagte der Kreisrichter.

»In großen Umrissen sollen Sie es erfahren,« erwiderte Thomas freundlich, »aber nur in großen Umrissen, dieweil das Geheimnis meiner Methode ist, daß sie als Anschauungsunterricht wirken soll.

Ich ging davon aus, daß hier ein Hausdiebstahl vorläge, und darin waren Sie ja heute morgen mit mir einig; aber der Hausdieb, den wir zunächst im Verdacht hatten, schien uns beiden ein ehrlicher Mann zu sein. Das führte Sie dazu, in Ihrem Verdacht schwankend zu werden, während es mich darauf brachte von der Person abzusehen und davon auszugehen, daß alle ehrlichen Männer verdächtig wären. So kam ich dazu, abgesehen davon, daß ich meine privaten Kartoffeln häufelte, was ich bekenne in reichem Maße getan zu haben, den Verdacht auf Willumsen zu richten, und ich fand heraus, daß er im allerhöchsten Grade verdächtig sei, aber gerade als ich im besten Zuge mit ihm war, wurde ich auf den dritten aufmerksam, der jedem Polizeibeamten auffällig erscheinen mußte.«

»Das ist vermutlich der, der im Keller sitzt,« warf Heiden ein.

»Richtig,« antwortete Thomas. »Aus dem Grunde sitzt er im Keller, während Klemmesen und Willumsen frei herumgehen. Klemmesen ist von dem Verdacht völlig gereinigt, denn er hat Busgaard Aufklärungen über seine Ersparnisse und Einkünfte gegeben. Er hat damit meinen ausgezeichneten Onkel geärgert und mich erfreut, aber er hat zugleich über eine Menge kleiner Dinge, die ich später vor Ihnen aufrollen werde, Licht verbreitet. Ich habe gesprächsweise alle Hausbewohner verhört und mein Verdacht, daß ein Hausdiebstahl vorliege, ist mehr als bestätigt worden – er ist zur Gewißheit geworden.«

»Sieh an,« sagte der Kreisrichter, »das ist nicht wenig; und doch sitzt der junge Mann im Rollkeller.«

Thomas lächelte: »Er sitzt dort aus privatrechtlichen Gründen; doch lassen Sie mich hinzufügen, es ist möglich, daß ich meinen Coup nicht durchführen kann. Es ist möglich, daß ich nicht beweisen kann, daß ich recht habe. Und in diesem Fall bin ich sehr gegen meinen Willen genötigt, den jungen Mann auszuliefern. Ich rechne mit starkem und bedeutendem Widerstand, und ich unterschätze meine Gegner niemals. Ich betone daher ausdrücklich, es ist möglich, daß mein großes Verhör damit endet, daß Sie sagen non liquet, wie die alten römischen Richter taten, wenn die Sache nicht genügend aufgeklärt war. Und aus diesem Grunde führe ich jetzt gern dieses Gespräch mit Ihnen. Glückt es mir nicht, den Dieb festzunageln und die Beweise auf den Tisch zu legen, so bitte ich Sie dabei mitzuwirken, daß diese Sache in Frieden geordnet wird. Ich glaube, Busgaard ist bereit, sie fallen zu lassen. Die Summe ist gewiß groß, aber sie bedeutet für ihn nicht viel, und für die Familie ist es am besten, wenn die Sache heute zum Abschluß kommt, ob sie entschieden wird oder nicht.

Wollen Sie mir dazu helfen?«

Der Kreisrichter legte den Finger an die Nase und sah sehr nachdenklich aus.

»Ich glaubte, Sie wären Ihrer Sache sicher,« sagte er.

»Sicher,« wiederholte Thomas lächelnd, »wer ist sicher? Ich bin meiner Sache ziemlich gewiß, mehr darf ich nicht behaupten. Aber ich möchte ungern daneben treffen. Ich bin nicht unfehlbar. Ich habe im Sinn, ziemlich weit zu gehen, viel weiter als Sie je gehen würden. In einem Verhör dieser Art ist ein coup de main rätlich und zulässig. Aber wenn er mißglückt, ist ein rascher Rückzug nötig.

Sie müssen mir also ganz freie Hand lassen. Wollen Sie das?«

Heiden kaute eine Weile daran.

»Viel ist es nicht, was Sie mir die Ehre erwiesen, mitzuteilen,« sagte er lächelnd.

»Abgesehen von dem allgemeinen Verdacht gegen Willumsen, den Sie nicht einmal begründet haben, eigentlich gar nichts. Aber ich will versuchen, mich Ihres Vertrauens würdig zu zeigen, indem ich Ihnen Vertrauen schenke. Das ist eine hübsche und bisweilen nützliche Übung zwischen Männern von Geist. Sie können über mich disponieren. Wollen Sie ein Verhör haben mit Protokoll und dem ganzen Apparat, oder wünschen Sie einen Anschauungsunterricht in Ihrem eignen Stil.«

»Absolut das letztere,« antwortete Thomas eifrig. »Ein Monstrum, wie ein Gerichtsprotokoll darf nicht zum Vorschein kommen, am allerwenigsten in dieser Sache, ehe sie klar und offen vor Augen liegt.«

»Und Sie meinen, sie kann ohne Einschreiten beigelegt werden? Es handelt sich doch um einen bedeutenden Diebstahl?«

»Ich meine, daß jeder Prozeß, der sich nicht um Mord oder Gewalt von grober und gefährlicher Art dreht, eingestellt werden kann und muß, wenn die sonstigen Umstände dafür sprechen.

So lange wir einem großen, vielleicht dem größten Teil der Missetaten, die begangen werden, machtlos gegenüberstehen, haben wir das Recht zu wählen, welche wir verfolgen wollen und welche nicht. Das Eigentumsrecht war einst der Grundpfeiler der menschlichen Gemeinschaft; jetzt haben wir andere ebenso wertvolle Güter kennen gelernt und ihnen gegenüber treten neue Ideen ins Leben. Wir wollen daher nicht zu doktrinär an den alten Begriffen festhalten. Es ist bisweilen ganz geschickt, die großen Diebe laufen zu lassen, sie sind vielleicht doch nicht so gefährlich für die Gesellschaft wie die kleinen.«

Heiden schüttelte den Kopf. »Prinzipien haben Sie wohl nicht, mein lieber Klem,« sagte er.

»Nein«, erwiderte Thomas, »ich bekenne, daß ich Vollblut-Nützlichkeitsmoralist bin. Aber ist man es konsequent, so ist es ja in Wirklichkeit nur eine neue Bezeichnung für dasselbe, wie das Alte. Das wichtigste ist, daß wir beide einig sind.«

Das waren sie also. Thomas begab sich auf sein Zimmer, um die letzte Hand ans Werk zu legen.

Der Kreisrichter blieb sitzen und dachte nach. Dann schüttelte er sein ergrauendes Haupt und sagte vor sich hin:

»Du bist gewiß nicht auf Deinen rechten Platz gekommen, lieber alter Freund.«

Das sagte er zu sich selber, denn er hielt viel von sich und das nicht mit Unrecht.


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