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Schildert unglückliche Liebe

Wir wissen, Tine war blond und Monny brünett. Tine war folglich ein gutes und frommes Mädchen. Monny dagegen war eher ein Charakter. Tine war froh und glücklich über die Anwesenheit des Geliebten, sie strahlte um die Wette mit unsres Herrgotts heller Sonne. Monny war ganz und gar nicht froh, und um dies zu erklären, müssen wir auf etwas zurückgehen, was der Leser vielleicht schon vergessen hat. Als Arthur Franck an jenem Sonnabend, wo der Gutsbesitzer das Paar überrascht hatte, Monny vorgeschlagen hatte, die 2500 Kronen zu stehlen und in die weite Welt zu ziehen, hatte Monny die Sache als Scherz genommen. Es konnte ihr ja nie einfallen zu glauben, daß ihr Arthur es ernst meinte. Ihren geheimen Postdienst hatten sie nicht wieder aufzunehmen gewagt, und den ganzen Sonntag hatte, sie auf eine Nachricht von Arthur gewartet. Er war indessen nach der Stadt gezogen um zu fouragieren. Das war natürlich und verzeihlich, denn die Küche beim Waldhüter war nicht erster Klasse. Dann kam am Montag die Entdeckung, und in der Verwirrung vergaß Monny ganz die unvorsichtigen Worte des Geliebten. Aber gegen Mittag suchte sie ihn in seinem Schlupfwinkel auf und als sie ihm das Furchtbare, was geschehen war, erzählte, kam es ihr mit einem Male in Erinnerung, was er am Sonnabend gesagt hatte. Sie erinnerte ihn daran und Arthur wurde böse. Sie bereute ihren Argwohn und sie schieden als gute Freunde; aber der häßliche Gedanke tauchte immer wieder auf, und als sie sich am Dienstag auf mündliche Verabredung hin trafen, war es, als ob zwischen ihnen etwas entzwei wäre. Arthur wurde übellaunig und sagte, er wollte abreisen. Monny wollte ihn nicht bitten zu bleiben, und die Beiden hatten es recht unbehaglich zusammen. Aber die Abreise wurde trotzdem auf Donnerstag verschoben. Mittwoch war es dann, wo Vetter Thomas ankam, und Monny meinte, sie müßte ihn mit dem Geschehenen bekannt machen. Aber sie wollte und konnte doch Arthur nicht mißtrauen, und darum, fand sie, durfte sie dem Vetter Arthurs Anwesenheit nicht verraten, ohne ihm loyal vorher mitgeteilt zu haben, was sie tun wollte.

Die Beiden kannten einander, denn Thomas, der ein recht gesuchter juristischer Repetent war, hatte Arthur Franck vorbereitet. Der junge Mann war indessen kein sehr fleißiger Student, und er hatte sich nicht gerade durch pünktliches Erscheinen bei seinem Repetenten ausgezeichnet. Thomas liebte die Ordnung, und obwohl er kein Kopfhänger war, seinen Studien hatte er immer mit Ernst und Eifer obgelegen, schwänzen und Mangel an Pflichterfüllung waren ihm von Herzen zuwider. Man konnte daher nicht annehmen, daß Mosjö Arthurs Aktien bei dem Assessor hoch ständen, und wenn es nun Thomas einfiele, den Bruder Leichtfuß zu beargwöhnen. Allein der Gedanke daran genügte, um jeden Zweifel bei Monny zu verscheuchen und sie ganz und ungeteilt auf die Seite des Geliebten zu stellen; man hatte ja so viel von diesen Kriminalassessoren gehört, und wenn Thomas nun wirklich darauf verfiel und den Verdacht faßte, von dem sie jetzt absolut nicht mehr begreifen konnte, wie er auch nur schattenhaft in ihr hatte aufsteigen können, so war ihr ganzes kleines Abenteuer mit einem Schlage verraten, ihr Arthur dem schändlichsten Geschick ausgesetzt und sie selbst in Grund und Boden unglücklich und zu Grunde gerichtet für Zeit und Ewigkeit. Alles dies waren Betrachtungen, die wohl den Sinn eines achtzehnjährigen Mädchens zum tiefsten Nachdenken anregen konnten. Und nun forderte die Situation von ihr, daß sie handeln sollte.

Schweren Sinnes und voll banger Ahnungen ging Monny daher durch den Park nach dem Waldhüterhaus, während Vetter Thomas und der Kreisrichter das erste Verhör, das wir aus der vorangehenden ausführlichen Schilderung kennen, abhielten. Ein Unglück kommt selten allein; das liegt wohl daran, daß der Sinn unter der Wirkung eines Unglückes für die Auffassung eines andern empfänglich gemacht wird, oder vielleicht darin, daß das, was an und für sich kein Unglück ist, leicht dazu wird, wenn es mit einem wirklichen Unglück zusammentrifft. Genug, im Park begegnete sie Willumsen, der ihr offenbar aufgelauert hatte.

Was sollte sie tun? Davonlaufen konnte sie nicht, ihn auf andre Weise loszuwerden ging ebenfalls nicht. Es blieb ihr nichts andres übrig, als den Umweg über das Pfarrhaus zu nehmen und durch einen Besuch bei Pastor Mortensens Rieke den unerwünschten Begleiter loszuwerden.

Willumsen hatte offenbar etwas auf dem Herzen und das mußte sie anhören, obgleich es sie nicht im allermindesten interessierte. Sie haßte diesen Menschen. Sie konnte ihn geradezu nicht ausstehen!

Doch er ging an ihrer Seite und es war offenbar seine Absicht, sich nicht abschütteln zu lassen. Sie ließ ihn reden. Es blieb ihr ja nichts anderes übrig. Sie gingen rasch durch den Schnee, erst durch den Park, dann längs der ausgefahrnen Landstraße; es stimmte Monny nicht milder, daß der Weg, den sie jetzt gehen mußte, dem, der zum Waldhüter und zu Arthur führte, gerade entgegengesetzt war.

Willumsen redete. Sie sah ihn nicht einmal an, und im Grunde war Willumsen ein hübscher schlanker Bursche mit dichtem braunen Haar, leicht rötlichem Vollbart und verständigen dunklen Augen. Er war weit herumgekommen und hatte nicht wenig gelernt, so daß er bei den meisten Dingen mitreden konnte. Die Damen hatten ihn und er sie gern. Es war wohl eigentlich nur die Geschichte mit Arthur, die Monny feindlich gegen ihn stimmte! Das glaubte er selber; er hatte sich angestrengt, um in dieses kleine Mysterium einzudringen, jetzt glaubte er auf der Spur zu sein, und darum sprach er.

»Fräulein Monny,« sagte er, »ich bin mir bewußt, Ihnen nie etwas Böses zugefügt zu haben. Ich habe Sie gleich vom ersten Mal an, wo ich Sie sah, außerordentlich hochgeschätzt, und ich bin ehrlich bestrebt gewesen, mich Ihnen angenehm zu machen. Das ist mir nicht geglückt. Von Tag zu Tag sind Sie immer unfreundlicher gegen mich geworden.«

»Und darum fände ich es passend, wenn Sie mich in Frieden ließen!« erwiderte Monny schroff.

»Das kann ich nicht,« sagte Willumsen. »Ich habe Sie lieben lernen. Ich bin arm, aber die Arbeit geht mir gut von der Hand, Ihr Vater und ich haben gemeinsame Interessen. Ihre Mutter ist lieb und gut und freundlich gegen mich. Sie müssen mir den Gefallen tun, mir zu sagen, ob ich persönlich Ihnen zuwider bin, am liebsten sollten Sie mir auch sagen warum! Oder – und das ist es eigentlich, was ich Sie fragen wollte, ist es ein andrer, ich meine, interessieren Sie sich für einen andern? – Herrgott, wir sind doch Menschen, und dazu vernünftige Menschen. Sie können es mir ruhig erzählen. Ich habe kein Recht, mich in Ihr Vertrauen einzudrängen, ich bitte Sie bloß, mir die Freundlichkeit zu erweisen und mir zu antworten.«

Monny blieb stehen und stemmte die Hände in die Seiten. »Herr Willumsen,« sagte sie mit Festigkeit und bedeutender Würde. »Es ist mir unfaßlich, daß Sie nicht begreifen können, daß ich Ihr Vertrauen nicht wünsche und Ihnen auch das meinige nicht schenken will. Ich bitte Sie nur, mich in Frieden zu lassen.«

»Das kann ich nicht,« antwortete Willumsen betrübt, aber ziemlich fest. »Sie können mir antworten, daß Sie einen andern lieben, dann weiß ich es. Aber solange Sie mir das nicht sagen, solange müssen Sie mir erlauben zu hoffen. Und ich kann Sie versichern, daß ich kein Mittel unversucht lassen werde, das dazu beitragen kann, Ihnen eine Ansicht von mir beizubringen, wie ich mir bewußt bin, sie zu verdienen, und wie sie Ihr Vater und Ihre Mutter bereits haben.«

»Soll das eine Herausforderung sein?« fragte Monny. Es kochte geradezu in ihrem Innern.

»Nein,« erwiderte er. »Es ist eine demütige Bitte, oder, wenn Sie wollen, eine Erklärung. Sie können antworten, was Sie wollen, aber eine Antwort will ich haben.«

Monny war nicht umsonst Busgaards Tochter. Sie sah dem zudringlichen Herrn gerade in die Augen, mit einem Blick, der geradezu Funken sprühte: »Sie sind es, der die 2500 Kronen gestohlen hat!« sagte sie, »und dann haben Sie obendrein noch die Frechheit, mich mit Ihren Erklärungen zu verfolgen.«

Sie bebte dabei – aber nun war es gesagt; es war natürlich der gräßlichste Unsinn – aber das mußte der Mann doch verstehen, und es waren offenbar scharfe Mittel nötig.

Die abgefeuerte Salve wirkte offenbar nicht so auf Willumsen, wie sie berechnet hatte. Der Ingenieur wurde nicht zornrot, er wurde überhaupt nicht böse, er betrachtete sie nur lächelnd und schüttelte den Kopf.

»Fräulein Monny!« sagte er schließlich ganz ruhig, aber mit großem Nachdruck auf jedem Wort. »Ich weiß nicht, was Sie berechtigt, so etwas zu mir zu sagen; es ist weit unhöflicher, als Sie vielleicht glauben. Es ist etwas, was man eigentlich ganz und gar nicht zu einem Mann sagen kann, von dem man absolut nichts wissen kann und von dem man nicht das Recht hat, etwas Unehrenhaftes zu vermuten, geschweige denn auszusprechen. Aber, laß gut sein, Sie haben es einmal gesagt und ich kann Ihnen ansehen, daß Sie es bereuen.«

»Nein!« unterbrach ihn Monny und stampfte mit dem Fuß in den Schnee.

»Gut,« antwortete er, »Sie bereuen es also nicht. So will ich Ihnen sagen, daß weit mehr Grund vorliegt, den im Verdacht zu haben, der sich bei einem der Untergebenen Ihres Vaters verborgen hält, der Ihres Vaters Sekretär, denselben, aus dem das Geld gestohlen ist, – als Briefkasten benutzt, und der sich auf den Hof schleicht, wenn er glaubt, daß andre nicht aufpassen.«

Monny wurde rot wie eine Päonie, aber er fuhr fort. – »Ich habe Ihnen nicht aufgelauert; ich spioniere nicht, aber ich habe Augen und Ohren. Ich mische mich nicht in Sachen, die mich nichts angehen, ich beabsichtige nicht Ihrem Vetter, dem Assessor, mitzuteilen, was ich weiß, wenn er nicht fragt; fragt er, so sage ich die Wahrheit. Ich habe nicht gelernt zu lügen und ich verachte die Lüge. Wir beiden sollen also Feinde sein!«

Und Ingenieur Willumsen zog seinen Hut, verbeugte sich und ging nach dem Hof zurück, während Monny stehen blieb und nach Luft schnappte.

Einen Augenblick dachte sie daran ihn zurückzurufen. Ihr Geheimnis war verraten, sie konnte sich vielleicht durch Freundlichkeit sein Schweigen erkaufen. Aber nach dem, was geschehen war, nach dem, was sie gesagt hatte! Nein unmöglich, so tief konnte sie sich nicht demütigen.

Sie biß die Zähne zusammen und die Tränen traten ihr in die Augen. Sie mußte mit Arthur, mit Thomas reden. – Sie mußte retten, was zu retten war, ehe es zu spät war. Und jetzt verdächtigte er Arthur. Es ging ihr mit einem Male auf, wie schlimm das Ganze aussah. Warum hatte sie auch die unartigen Worte zu Willumsen gesagt? Er war doch nicht der Dieb, konnte nicht der Dieb sein ... Sie hatte nicht das geringste Recht dazu! – Und dann konzentrierten sich alle ihre Gedanken auf Arthur, und ohne daran zu denken, daß ihr Feind ihrer Spur folgen könnte, verließ sie die Landstraße und ging querfeldein durch den Schnee auf den Waldrand los, wo das Haus des Waldhüters lag.

Willumsen stand still, als er sich gut ein paar hundert Ellen von ihr entfernt hatte; dann drehte er sich um und sah ihr nach. Sie hatte natürlich nicht gemeint, was sie gesagt hatte, aber es war doch wohl am besten, der Assessor erfuhr etwas von dem jungen Mann da draußen im Waldhüterhaus.

Am liebsten mußte es aber so geschehen, daß nicht Willumsen den Angeber zu spielen brauchte.

Und der Ingenieur schritt nachdenklich heim nach dem Hof, er pflegte sich nicht den Rang ablaufen zu lassen und am wenigsten von einem Grünschnabel, wie dem da unten im Waldhüterhause. Über ihn wußte Willumsen Bescheid. Woher er dieses Wissen hatte, werden wir später erfahren.

Am Scheunentor stand Klemmesen und erholte sich von dem sonderbaren Erlebnis drinnen im Hause. Klemmesen war kein Dummkopf – weit entfernt, aber sein Hirn arbeitete langsam. Er und der Ingenieur waren gute Freunde, und er nickte ihm freundlich zu, als er ihn um die Scheune herumkommen sah.

»Das ist ein lustiger Herr, der Assessor,« sagte Klemmesen; »er ließ die Möbel herumrücken und spielte eine richtige Komödie. Aber höflich ist er, mächtig gebildet und angenehm.«

»Das sind die Schlimmsten,« erwiderte der Ingenieur.

»Wie beliebt?« ertönte es aus dem Munde des Verwalters.

»Ein Wort, Klemmesen! Sie fallen durch. Sie haben ein Auge auf Tine geworfen, nicht wahr? Und das hat er auch. Er hat erste Priorität.«

»Wie beliebt?«

»Sie fallen durch, Klemmesen.«

Der Verwalter schüttelte den Kopf. »Der Gutsbesitzer hat mir die Älteste halbwegs versprochen, gerade wie Ihnen die Jüngste zugesagt ist. Und der Gutsbesitzer steht dafür ein. Er sagt, so soll es geschehen, und so geschieht es.«

»Das glauben Sie!« Willumsen schüttelte den Kopf. »Aber angenommen, die Mädchen wollen nicht?«

»So sagt er, sie sollen, und damit Basta. Sie sind nur so ungeduldig, Willumsen! Immer ruhig Blut; mit Vorsicht praktiziert man Eier in einen Hopfensack. Wir werden sehen, alles geht gut.«

Willumsen seufzte. »Für Sie vielleicht! Aber nun ist die elektrische Anlage fertig, ich muß abreisen und was dann? Es ist wohl Tine, die der Assessor haben will.«

Klemmesen guckte auf. »Glauben Sie überhaupt, daß er eine haben will? Er gehört ja zur Familie und wenn er auch ein bißchen mit den Mädchen schäkert, so bedeutet es wohl nicht allzuviel. Es sind doch beides reizende Mädchen. Ich nehme die, die ich kriegen kann, für mich macht es keinen Unterschied. Mir soll keiner kommen und sich um das rein Persönliche mit mir zanken.«

Und der Verwalter lachte mit sattem Behagen und rieb sich die großen roten Arbeitshände. »Es heißt nur den Mut nicht verlieren, Willumsen! Mag der Assessor nach dem Geld und dem Dieb suchen, das ist ja sein Beruf, so können wir, Sie und ich, in der Zwischenzeit das unsrige bei den Mädchen tun; es geht schon alles so, wie es soll! Ich nehme meine, Du nimmst Deine, dann sind wir alle zufrieden.«

Der Ingenieur nickte.

»Wissen Sie was, Klemmesen, ich glaube es wird schwerer, als Sie denken. Aber ich gebe es nicht auf. Monny ist ein entzückendes Mädchen, ein Staatsmädchen. Und man ist doch zum Teufel noch ein erwachsener Mann.«

Klemmesen rieb sich die Hände und grunzte behaglich. »Und was für ein Mann, ein richtiger Mann – ein Mann mit Mark in den Knochen! Es fehlte noch, daß die traurigen Kopenhagner mit unsern Mädchen abziehen sollten. Was Willumsen? Sie sind ja auch sozusagen Jütländer, wenn Sie auch nur in Fredricia geboren sind. – Und wir Jütländer müssen doch durch dick und dünn zusammenhalten. Nicht?«

Dagegen hatte Willumsen im Augenblick nichts zu sagen; er bedurfte eines Bundesgenossen und der Verwalter log nicht, wenn er sagte, daß seine Aktien bei dem Gutsbesitzer gewaltig hoch standen. Willumsen wußte ja nicht, daß sich das Netz über dem pfiffigen Jütländer zusammenzog, und er bekräftigte die Bundesgenossenschaft mit einem Händedruck, worauf der Verwalter alles erfuhr, was der Ingenieur von Arthur und Monny wußte.

Draußen im Waldhüterhaus jedoch weinte Monny an Arthurs Hals, so daß diese Geschichte, die so lustig begann, nahe daran ist, traurig zu werden.

Hoffen wir, daß es nur ein Übergang ist, wie der Fuchs sagte, als sie ihm den Balg abzogen.


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