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Unter Gentlemen

Ingenieur Willumsen hatte die richtige Empfindung, daß, falls in der Sache, die alle Gemüter auf Braendholt erfüllte, etwas ausgerichtet werden sollte, Kriminalassessor Klem die Sache in die Hand nehmen müsse.

Es wäre dem Ingenieur angenehmer gewesen, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, sondern wenn die lokale wohlbestallte Obrigkeit in diesen bewegten Tagen die Leitung übernommen hätte, wie es ihr nach dem Gesetz zukam.

Daraus darf der Leser sich nicht verleiten lassen, den Schluß zu ziehen, daß Ingenieur Willumsen ein Schurke wäre, oder wie es richtiger heißen würde »der Schurke«.

John Willumsen war der Sohn eines wohlhabenden Schiffmaklers in Fredericia, also auch ein Jütländer.

Die veränderten Verhältnisse nach unserem letzten unglücklichen Kriege hatten das alte Geschäft, an das er geknüpft war, zu einem ständigen, vielleicht langsamen, aber sicheren Rückgang gebracht, aber man merkte es nicht in den ersten Jahrzehnten, solange noch etwas aus den alten Tagen übrig war.

Die Familie lebte, wie sie immer gelebt hatte, in gleichmäßigem Provinzwohlstand; zwei Söhne wuchsen heran und zwei Töchter wurden verheiratet. Der älteste Sohn, der dem Vater im Geschäft folgen sollte, wurde in dessen Tätigkeit unterrichtet, und ging darin auf; die beiden Töchter verheirateten sich, die eine mit einem Advokaten, die andere mit einem Bankmann, und der jüngste Sohn war Ingenieur John, der lange nach seinen Geschwistern geboren war, infolge einer dieser unfaßlichen, aber nicht seltenen Launen des Storches, und der Ingenieur wurde, weil er wie alle, in den neunziger Jahren Heranwachsenden Jünglinge die Naturwissenschaften und die damit zu erobernde menschliche Herrlichkeit und Herrenstellung bewunderte.

Mit vierundzwanzig Jahren machte er sein Examen am Polytechnikum, und gerade als er ins Leben heraustreten sollte, brach in seinem Heim alles zusammen.

Der alte Schiffsreeder starb plötzlich am Herzschlag, und seine Gattin folgte ihm acht Tage später ins Grab.

Bei der Ordnung der Erbschaft stellte es sich heraus, daß seine Schulden dreimal so groß waren wie seine Aktiva, und da er beständig zäh dagegen gekämpft hatte, Aktiengesellschaft zu werden, wurde sein Sohn, der älteste Bruder des Ingenieurs bankrott erklärt und hatte das Ganze auszubaden.

Im weiteren Verlauf der Dinge zeigte sich, daß die beiden Schwäger, der Advokat und der Bankdirektor, jahrelang den alten Schiffsreeder mißbraucht und sich umfänglicher Schwindeleien schuldig gemacht hatten.

Ja, es ist hart, aber es erweist sich oft, daß Advokaten und Bankmenschen nicht so sind, wie sie sein sollten.

Ein sympathischer Advokat, ein edler Bankdirektor, diese beiden Figuren muß man im Leben suchen, die Literatur kennt sie nicht!

Und in Fredericia ging es im Ernste schlimm. Der Advokat nahm Gift und starb, während der Bankdirektor zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt wurde, da es nicht möglich war, ihn für verrückt zu erklären, was er, wie man annehmen sollte, gewesen sein mußte, als er seine Angelegenheiten so töricht besorgte, wie er es getan hatte.

Kurz, es wurde in Ingenieur Willumsens Heim so gründlich reiner Tisch gemacht, daß nichts mehr übrig blieb, was man ihm hätte nehmen können.

Das sind Dinge, die einen lebensfrohen jungen Mann schwer treffen und ihn in wenigen Wochen zu einem ganz anderen Menschen umwandeln können.

Und John Willumsen wurde ein anderer Mensch.

Der lebensfrohe, hübsche junge Ingenieur, der sich durch sein bedeutendes musikalisches Talent einen großen Verkehr und sich Freunde verschafft hatte, zog sich mit einem Male in die vollkommenste Einsamkeit zurück. Er las in allen Blättern die schärfsten Angriffe auf alle die Menschen, die er von Kindheit an lieb gehabt hatte und die ihn von Herzensgrund aus verwöhnt hatten.

Der würdige und joviale Vater, eine der Spitzen der Stadt, der sichere Mann bei aller Wohltätigkeit und allen Festlichkeiten, über den John nie ein böses Wort gehört hatte, wurde als ein gewissenloser Abenteurer geschildert, der die sauer erworbenen Sparpfennige anderer vergeudet hatte.

Die Schuld für sein Unglück wurde auf die alte liebevolle Mutter geschoben, deren Lächeln seine Kindheit erhellt, deren fleißige Hände sein liebes Heim geschmückt und festlich gemacht hatten. Es wurde behauptet, ihre Verschwendungssucht und Untauglichkeit hätten ihren Mann ins Unglück gestürzt.

Und fand man vielleicht auch noch für die Toten eine Entschuldigung – der Tod soll ja angeblich versöhnen – so war man unbarmherzig gegen die Lebenden.

Der arme Bankrottierer wurde als ein ausschweifender Trunkenbold geschildert. Mochte er auch jährlich beim Vogelschießen seinen Spitz und, was selbstverständlich unzulässig ist, ein Liebesverhältnis mit einer Doktorsfrau gehabt haben; das hatte man mehrere Jahre lang gewußt und entschuldigt; jetzt wurde er herzlos verdammt und ausgestoßen, ja der Doktor ließ sich aus diesem Grunde sogar von seiner Frau scheiden!

Hans Willumsen mußte nach Amerika reisen, und damit seine Strafe noch empfindlicher würde – die Doktorsfrau reiste mit. Wir wollen ihn in seinem Unglück nicht weiter verfolgen, auch nicht mit unseren moralischen Betrachtungen.

John liebte seinen einzigen Bruder sehr und bezahlte ihm von seinen Ersparnissen die Reise in das fremde Land. Seine beiden Schwestern mußte er auch eine Zeitlang unterhalten, die Familien ihrer Männer wollten nicht das Geringste mit ihnen zu tun haben. Es war alles so jämmerlich und traurig, daß wir uns nicht weiter damit beschäftigen wollen.

Und jetzt nach einigen Jahren ehrlicher Arbeit, wo er verzweifelt mit Entbehrung und Armut hatte kämpfen und sogar seine Zuflucht zu Wucherern von der unangenehmsten Sorte hatte nehmen müssen, traf er ein schönes junges Mädchen, das nach allen Voraussetzungen des Lebens ihn sofort hätte lieben und seine Liebe erwidern sollen, und statt dessen – ist sie verlobt in einen Taugenichts von Juristen, Arthur Franck, den wir kennen, und den wir, nachdem, was wir von ihm wissen, im Verdacht haben und verachten dürfen.

Ja, nicht genug damit; der strebsame, tüchtige junge Ingenieur muß sich darein finden, daß das Mädchen, das er liebt, – Monny – ihn schnöde und völlig unbegründet eines niedrigen und häßlichen Verbrechens zeiht!

John Willumsen hatte sich ungefähr acht Tage in Roskilde aufgehalten und dort die Bekanntschaft des Kreisrichters Heiden gemacht, da sie ihre Mahlzeiten im selben Gasthaus einnahmen.

Sie hatten sich, musikalisch wie beide waren, rasch gefunden, und in der Junggesellenwohnung des Kreisrichters Duette bis zum frühen Morgen gespielt.

Es hätte daher für den Ingenieur nahe gelegen, sich an den Kreisrichter zu wenden und seine Aufmerksamkeit auf die Dinge zu lenken, die er auf verschiedene Weise über den von Wirt und Hausherrn nicht anerkannten Jüngling, der auf Braendholt und dessen nächster Umgebung sein Spiel trieb, erfahren hatte. Doch Willumsen meinte, da es doch der Assessor Klem war, der die eigentliche Arbeit mit der Untersuchung hatte, so wäre es das Natürlichste, sich an ihn zu wenden.

Dazu kam noch, daß Willumsen durchaus nicht wünschte, daß der junge Mann arretiert und bestraft würde; er wünschte hauptsächlich um Monnys willen, natürlich übrigens auch um seiner selbst willen, daß dieser Arthur Franck, dessen Namen er übrigens nicht kannte, gezwungen werden sollte, die Gegend ganz still ohne Untersuchung zu verlassen.

Der Diebstahl würde dann wohl nicht aufgeklärt werden, aber die Familie würde einen Skandal vermeiden; und da die 2500 Kronen für den steinreichen Busgaard keine größere Rolle spielten, würde Willumsen der Familie, und auch dem Assessor, einen bedeutenden Dienst leisten, wenn er den Dieb in aller Stille verschwinden ließ, ohne daß Gericht und Öffentlichkeit das geringste damit zu tun hätten.

Das war ganz klug und gentlemanlike gehandelt, wenn man es unter den hier gegebenen Voraussetzungen betrachtet, und es galt für Willumsen nur Assessor Klem dazu zu bringen, auf seinen Gedankengang einzugehen und seinen Anweisungen zu folgen. Daher suchte und traf er ihn in der Wohnstube in der früher geschilderten erbaulichen Konferenz mit der geliebten Tine.

Tine flüchtete wie ein Rehkalb, und der Ingenieur lächelte Thomas höflich verständnisvoll zu. Dieser gab sich nicht die geringste Mühe die Situation zu erklären, die wohl auch keiner Erklärung bedurfte.

»Wollen Sie mit mir sprechen, Herr Ingenieur?« fragte Thomas und lud Willumsen ein, Platz zu nehmen. Er fühlte sich hier als Herr im Hause; jedenfalls war ihm die Wohnstube der Schauplatz des Verbrechens, als Schlachtfeld angewiesen.

Der Ingenieur bejahte.

Thomas bot ihm eine Zigarre an. – Thomas rauchte gute Zigarren.

Willumsen nahm die Zigarre und Thomas reichte ihm Streichhölzer zum Anzünden. Unterdessen betrachtete er den jungen Ingenieur, dessen ganzes Wesen und Auftreten ihm gefielen.

Willumsen war ordentlich, in keiner Weise herausfordernd gekleidet. Er ging mit losem Kragen und Vorhemd, und er hatte lose Manschetten. Namentlich dies prägte sich Thomas ein, er haßte lose Manschetten; und als echtem Großstädter schien es ihm nicht recht mit der Würde eines Gentlemans vereinbar, lose Manschetten zu tragen ...

»Herr Assessor,« sagte Willumsen anfangs mit einer gewissen Zurückhaltung, »rein durch Zufall bin ich in den Besitz eines Wissens gekommen, das vielleicht dazu beitragen könnte, Licht über das in hohem Grade beklagenswerte Ereignis zu werfen, das, wenn ich nicht irre, der wirkliche Grund Ihres Besuches hier im Hause ist ...«

Thomas unterbrach ihn mit zuvorkommendem Lächeln: »Darf ich um jedes Mißverständnis zwischen uns zu vermeiden, bemerken, daß es keineswegs ein in hohem Grade beklagenswertes Ereignis ist, was den wirklichen Grund zu meinem Besuch in diesem Hause bildet. – Sie irren sich also! Es ist im Gegenteil ein in hohem Grad erfreuliches Ereignis. Meine Kusine Tine, die uns soeben verließ, und ich sind miteinander verlobt. Es ist eine Zeitfrage, wann wir heiraten. Sie will mich haben und ich will sie haben. Ich pflege meinen Willen durchzusetzen. Davon brauchen wir also nicht weiter zu reden. Aber das ist die Veranlassung zu meinem Besuch.«

Man beachte Assessor Klems Auftreten bei diesem scheinbar unwichtigen Punkt. Es war im Gericht wie im Leben seine Stärke augenblicklich die Tête zu nehmen und der Sichere zu sein, während die, zu denen er sprach, unsicher wurden. Und das ist eine gute Eigenschaft für einen Mann in Amt und Würden.

Man kommt zu solch einem großen Mann und hat seine ganze Lektion wohl vorbereitet. Er hört täglich Massen von verschiedenen Sachen, die er nicht kennt, und »man« hat das Übergewicht, da »man« wie gesagt seine Lektion kann. Der große Mann muß daher damit beginnen, einen unsicher zu machen und glückt es, so hat er kraft seiner Größe und des Umstandes, daß er es ist, den man sucht, sofort das Übergewicht und die Führung. Es gehört Intelligenz und Routine dazu, das Manöver abzuwehren und ruhig und unangefochten im alten Gleise fortzufahren.

Diese Routine fehlte Willumsen, er errötete und stotterte.

Thomas lächelte wohlwollend und herablassend: »Nachdem ich Ihnen so das Geheimnis meines Herzens offenbart habe, kann ich vielleicht zu dem Ihrigen übergehen. Sie interessieren sich für meine Kusine Monny, die ein reizendes und pikantes junges Mädchen ist. Darf ich Ihnen zuvörderst sagen, daß ich von vornherein nichts gegen Sie einzuwenden habe. Sie sind mir von dem ausgezeichneten Kreisrichter vorzüglich empfohlen; mein Onkel schätzt sie, was er mit mir nicht tut, und uneigennützig wie ich bin, gönne ich dem vortrefflichen Landwirt einen Schwiegersohn, den er schätzt. Meine Tante, für die ich beinahe religiöse Verehrung empfinde, hat nur gute Worte für Sie übrig. Kurz, Sie sind vortrefflich empfohlen. Aber – was haben Sie mit Kaare Mortensen & Co., Klerkestraße 10 zu tun?«

Willumsen wurde jetzt blutrot und der Assessor genoß seinen Triumph. Er liebte es, die Menschen so zu verwirren; das war ihm eine Lebensnotwendigkeit, ein Sport, den er zur Kunst ausgebildet hatte.

»Junger Mann,« sagte er wohlwollend und gemütlich, »ich bin Kriminalassessor, und wie Sie sich vielleicht denken können, besteht zwischen dem Kriminalgericht und den Wucherern der Stadt eine gewisse Wechselwirkung in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Kaare Mortensen gehört zu denen, die man passieren lassen kann. Wir haben ab und zu eine Unterhaltung miteinander. Neulich fragte er mich, ob es wahr wäre, daß Sie mit der Tochter meines Onkels hier auf Braendholt verlobt wären«.

»Das habe ich nie gesagt,« fiel ihm Willumsen äußerst unangenehm berührt ins Wort.

Der Assessor nickte. »Ich habe auch nie etwas derartiges behauptet. Aber der ausgezeichnete Menschenfreund Kaare Mortensen, der seine Klienten mit nie ruhender Aufmerksamkeit verfolgt. Und daraus schließe ich, daß Sie einer von seinen Klienten sind. Ist es so?«

»Das will ich nicht leugnen,« erwiderte Willumsen.

Thomas fuhr fort: »Das ist klug von Ihnen, denn es würde mir Mißtrauen gegen Sie einflößen. Und ich habe wie gesagt sonst nur Gutes über Sie gehört. Ich redete Mortensen die Sache aus und beschloß die Verhältnisse zu untersuchen. Die Sache drückt Sie und es besteht die Möglichkeit, daß ich Ihnen in irgend einer Weise behülflich sein kann – verstehen Sie, Leute seines Schlages haben nun einmal einen gewissen Respekt vor dem Kriminalgericht. Also ich stehe in dieser Hinsicht zu Diensten. Wieviel schulden Sie?«

Das war nun nicht Willumsens Meinung. Arm war er, und er schuldete dem Wucherer Geld; er zweifelte nicht, daß das Gespräch zwischen Thomas und dem Wucherer stattgefunden hatte, er kannte ja Thomas nicht und ahnte nicht im entferntesten, daß an dem ganzen Bericht kein wahres Wort war, sondern daß es nur eine Falle war, die der Assessor ihm aufstellte.

Thomas war nämlich im Begriff, seinen Argwohn gegen Klemmesen ganz fallen zu lassen und suchte jetzt einen Gegenstand für seinen Verdacht. Der Brief von Kaare Mortensen an den Ingenieur lenkte den Verdacht auf diesen.

Die Affäre Arthur Franck war dem Assessor ja noch ganz unbekannt – und es war ein ganz gewöhnlicher Untersuchungsrichtertrick, Willumsen zu verlocken, die Höhe seiner Schulden anzugeben, und daraus auf eine mögliche Verbindung zwischen ihm und dem Diebstahl zu schließen.

Kriminalassessoren sind wie Klapperschlangen, sie können prachtvoll aussehen, aber sie sind nicht angenehm im Zimmer zu haben.

Na, dumm war Willumsen nicht; er ärgerte sich, daß seine Einführung bei dem Assessor ganz anders ausgefallen war als er gewünscht hatte; es war durchaus nicht so leicht für ihn, jetzt als Ankläger aufzutreten, aber seinen Vorsatz wollte er nicht aufgeben, und daher wollte er sich nicht näher auf seine ökonomischen Verhältnisse einlassen, die nicht gut waren und es nach allem was wir wissen, ganz ohne seine Schuld auch nicht sein konnten.

»Herr Assessor,« sagte er sehr höflich, aber nicht ohne eine gewisse Würde, »ich habe viel Mißgeschick gehabt, und wenn Sie meine Familienverhältnisse kennen, was Sie zweifellos tun, da das Land so klein ist und Sie so wohlunterrichtet zu sein scheinen, so werden Sie wissen, daß darin eine gewisse Entschuldigung für meine Geschäftsverbindung mit Kaare Mortensen liegt. Ich glaube indessen, ich kann sie allein lösen, und möchte nicht gern darüber reden. Sie dürfen nicht böse sein – aber.«

»Gott bewahre,« sagte Thomas mit der größten Überlegenheit in Tonfall und Mienenspiel. »Sprechen wir nicht mehr davon.«

Gleichzeitig aber notierte er den Ingenieur unter die verdächtigen Personen. Er war doch nicht umsonst Kriminalassessor, und ganz unberechtigt war es ja auch nicht. Wucherschulden muß man nun einmal nicht haben.

Äußerlich war Thomas lauter Wohlwollen.

»Lassen Sie mich denn hören, was Sie wünschen, Herr Ingenieur, und verzeihen Sie, daß ich aus Interesse für Sie und meine Kusine Monny mich in Dinge mischte, die, wie wir nun einig sind, außerhalb der Diskussion bleiben sollen.«

Jeder wird einsehen, daß Willumsen jetzt eine ganz andere Sprache reden mußte, als er sich ursprünglich vorgenommen hatte, und daß die einmal gelernte Lektion nicht mehr auf die Gelegenheit paßte. Doch dies war eben die Situation, die Thomas hatte herbeiführen wollen.

Der Ingenieur gab also eine sehr trockene, aber doch recht umfassende Schilderung der Begebenheiten, die er in Erfahrung gebracht hatte.

Er gab zu, daß Monny ihm nicht günstig gesinnt sei, aber er hätte allen Anlaß zu glauben, daß eine leichtsinnige Verliebtheit in einen anderen daran schuld sei. Er erzählte dann, daß dieser andere sich in unmittelbarer Nähe von Braendholt aufhielt und daß verschiedene, unter andern er selber, ihn um den Hof hätten herumschleichen sehen.

Alles dies war nicht neu für Thomas, der dieselbe Geschichte von Niels gehört hatte; dennoch machte es einen gewissen Eindruck auf ihn, namentlich die vollkommene Übereinstimmung, die beinahe auf Verabredungen zwischen den Berichtenden zu beruhen schien.

Aber Niels stand ganz außer Verdacht und die Erzählung des Ingenieurs, die nur die Wiedergabe dessen was der ungebildete erzählt hatte, von seiten eines gebildeten Mannes war, ergänzte im Grunde ganz gut, was Thomas vorher erfahren hatte.

Es war also unzweifelhaft, daß Monny in Verbindung mit einer Person stand, die im höchsten Grade verdächtig war, und es war nicht tunlich, diese Seite der Sache ruhen zu lassen.

Der Verdacht gegen Klemmesen mußte aufgegeben werden – im stillen beschloß Thomas jedoch ihn bis zur äußersten Möglichkeit auszunutzen, aber es war doch eine eigne Sache, den Verdacht gegen ein Kind des Hauses zu richten, und noch dazu gegen Monny, die, wie Thomas wohl bekannt war, ein recht schwieriges Menschenkind war.

Er ließ also Willumsen erzählen, und als die faktischen Umstände klargelegt waren, sah er den Erzähler nachdenklich an und fragte ihn mit einer Miene, als ob er seiner Antwort eine das Geschick der Welt entscheidende Bedeutung beilegte, was er nun meinte, daß man tun solle.

Auch dies war ein kriminalistischer Trick. Man erwirbt sich nämlich nicht allein einen guten Einblick in das Wesen der Menschen, wenn man sie zwingt, unvorbereitet aufzutreten, und sie unsicher macht; man kann auch Gewinn davon haben, wenn man sie glauben läßt, daß sie im Augenblick die Führenden sind und daß man ihren Anschauungen und Meinungen die allergrößte Bedeutung und Wichtigkeit beilegt.

Jetzt war also Willumsen da, wo er hin wollte, aber vorsichtig und immer noch ein wenig unsicher.

»Herr Assessor,« sagte er, »ich möchte gern, daß wir beide diese Sache als Gentlemen anfassen, und ich bin überzeugt, daß Sie damit einverstanden sind.«

»Fräulein Monny ist eine junge Dame, die die Bedeutung der Situation, in die sie geraten ist, nicht begreift. Gegen mich ist sie eingenommen, ich würde gern ihre Abneigung überwinden, aber ich sehe ein, daß ich geduldig sein muß. Rom ist nicht an einem Tage erbaut worden. Ich glaube Sie verstehen mich und ich will Ihnen vollkommenes Vertrauen schenken. Könnten Sie nicht mit Ihrer Kusine reden und ihr erzählen, daß man auf diese Dinge aufmerksam geworden sei, und daß sie sich den allerunangenehmsten Schwierigkeiten aussetze, wenn es zu einer Behandlung dieser Angelegenheit durch die Polizei käme.«

»So wäre es vielleicht möglich, daß man in aller Stille ohne eigentliche gerichtliche Untersuchung feststellen könnte, ob der junge Mann der Dieb ist oder nicht. Doch ist dies unter Gentlemen wohl nicht die wichtigste Frage. Das Geld spielt nicht die Hauptrolle; das Wichtigste ist, daß die Sache geordnet wird, ohne daß Fräulein Monny kompromittiert und ohne daß der häusliche Friede hier gestört wird.«

Thomas legte den Kopf auf die Seite. »Und Sie wollen sich gern die Rolle des edlen Retters vorbehalten! Tja, sie ist mörderlich gut ausgedacht und, um ihren eigenen Ausdruck zu gebrauchen, unter Gentlemen ist sie eigentlich akzeptabel. Aber Sie vergessen doch, daß ich gegen eine lächerlich geringe jährliche Bezahlung von der Öffentlichkeit angestellt bin, über die öffentliche Sicherheit zu wachen, und es würde das ganze Arrangement des für mich notwendigen Reizes berauben, wenn das Resultat nur das wäre, daß Sie die begehrte Jungfrau heimführten, während ich um meinen Anteil an der Beute, nämlich den Dieb, betrogen würde.«

Das mußte Willumsen natürlich einräumen, »aber,« fügte er hinzu, »es kommt mir vor, als wäre es unmöglich, die Sache in Güte zu ordnen, wenn die Polizei erst hineingezogen ist. Man kann den Dieb wohl nicht so ohne weiteres laufen lassen?«

»Hm – m,« sagte Thomas und zog den Laut in die Länge. »Man kann vieles in dieser Richtung. Es werden täglich Hunderte von Diebstählen begangen; es werden wohl einige Tausend jedes Jahr angezeigt und einige Tausend Menschen angehalten.«

»Das will also sagen, daß es unmöglich ist, auch nur einen einigermaßen repräsentablen Bruchteil der vorliegenden Fälle zu behandeln. Es kann daher verteidigt werden, daß man ein Äuge schließt, wo es aus anderen Gründen erwünscht ist.«

»Und deshalb ist es vielleicht das Sicherste, ohne Rücksicht auf Monny, sich des stark verdächtigen jungen Mannes zu versichern.«

»Es sei denn, Sie hätten einen besseren Vorschlag, den ich mich auf alle Fälle bereit erkläre in Erwägung zu ziehen und mit Ihnen zu diskutieren.«

Willumsen hatte eine Idee, die wohl etwas gewagt erscheinen konnte, die aber bei näherer Betrachtung doch vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen war.

»Kann ich nicht den Versuch machen, die Geschichte in Ordnung zu bringen,« sagte er; »ich meine, kann ich nicht den jungen Mann aufsuchen? Es kann doch kein reiner Lump sein, wenn er Zugang zu den Kreisen finden konnte, in denen Fräulein Monny verkehrt.«

»Es wäre also immerhin möglich, daß ich ihm klar machen könnte, daß seine Stellung unhaltbar sei, und ihn vielleicht zwingen könnte, zurückzugeben, was er sich angeeignet haben mag. Es ist ja möglich, daß wir uns irren, aber wäre das nicht eine Lösung, die für alle Teile am befriedigendsten wäre?«

Thomas erhob sich und lächelte liebenswürdig und gewinnend: »Lieber Ingenieur,« sagte er, »Sie haben vollständig recht; Sie haben Vollmacht zu handeln, wie Sie es andeuteten. Weder der Kreisrichter, noch der Polizeidiener sind von dieser Phase der Angelegenheit unterrichtet; dies bleibt zwischen uns und zwischen Ihnen und den beiden Männern, denen Sie Ihre Entdeckung mitgeteilt haben, Klemmesen und Niels.«

»Klemmesen möchte ich nur persönlich noch eine abschließende Behandlung angedeihen lassen, den Rest überlasse ich vollständig Ihnen.«

»Also ans Werk und zeichnen Sie sich aus – meine besten Wünsche begleiten Sie, aber warten Sie bis nach dem Mittagessen.«

Das versprach der Ingenieur und damit war die Verhandlung zu Ende.

Willumsen machte sich gleich auf den Weg zur Ausführung seiner Pläne. Thomas Klem dagegen versank in tiefes Nachdenken.

Wenn man einmal seinen Mitmenschen nicht vollkommen traut, so schafft man sich eine bedeutende Arbeit, und der Kreis der Verdächtigen war jetzt auf einmal erweitert und eingeengt.

Thomas wollte dem Ingenieur nicht entgegenarbeiten, dessen ganzes Auftreten das Gepräge von Verstand und Überlegung trug, aber er wollte ihm nicht blind vertrauen, und namentlich wollte er selbst nicht untätiger Zuschauer sein.

Er wollte ein ernstes Wort mit Monny sprechen, darum wollte er Frist bis nach Tisch haben.

Und dann war noch die Sache mit Klemmesen.


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