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Häusliche Szenen

Gutsbesitzer Busgaard meldete den Diebstahl schriftlich bei dem Gericht in Leire und unternahm sonst keine Schritte. Wohl wütete er zunächst gewaltig, aber da das Geld fort war und nicht wiederkam, wieviel er auch wütete, so beschloß er in muhammedanischer Art alle Verantwortung auf die Obrigkeit zu wälzen, in der sicheren Vertröstung, daß sie nichts ausrichten würde. Wir wollen mit ihm nicht ins Gericht gehen, wegen seines mangelnden Zutrauens. Das Telegramm an Thomas war hinter seinem Rücken abgesandt worden. Das war ein kluger Schritt, aber ein Schritt, der vorbereitet werden mußte. Und dieser Vorbereitung sollen wir nun beiwohnen.

Die Szene ist idyllisch. Mittwoch Morgen auf Braendholt um 9 Uhr. Die Familie, die wir also kennen, ist im Wohnzimmer versammelt und der Hausherr und Ingenieur Willumsen spielen eine Sonate. Die übrige Familie hört zu. Die Mädchen arbeiten in Speisekammer und Küche und draußen in Scheunen und Ställen wird gewirtschaftet. Arthur Franck ist noch nicht aufgestanden, er liegt unter dem steinharten Federbett des Waldhüters und schnarcht.

Wir lassen ihn liegen und werfen einen Blick in die Busgaardsche Wohnstube, wo die blanken Mahagonimöbel glänzen und die weißen Dielen um die Wette mit Gardinen und Sofadeckchen leuchten.

Wir beschreiben das Idyll:

Und während die starken braunen Finger des Ingenieurs über die weißen und schwarzen Tasten hinspielten, glitt Onkel Bus auf den Flügeln der Töne empor zu höheren Sphären, dort wo immer Musik gemacht wird.

Die Sonne schien auf den Schnee draußen und warf weiße Reflexe gegen das Fenster, wo Monny stand, träumend den Kopf gegen das kalte Glas gelehnt, während sie hinausspähte zwischen den Bäumen hindurch nach dem Waldhüterhaus drüben auf dem Hügel am Waldrande, wo der schiefe niedrige Schornstein Ringe gegen den blauen Himmel emporblies. Und die Sonnenstrahlen glitten über ihr braungelocktes Haupt, streiften Tines rote Wangen, wirrten sich aus den hellen aschblonden Locken heraus und blieben ruhig auf der weißen Haube von Tante Mus liegen, die am Ende des Tisches saß und die fleißigen Finger mit großen gelben Stricknadeln arbeiten ließ, während ihre lieben mütterlichen Augen auf Tyr und Tut ruhten, die sich unter dem Tisch mit freundschaftlichen Fußtritten bedachten.

Wie – hätte irgend ein Schriftsteller im indianischen Sommer das schöner machen können.

»Monny komm her und wende für Ingenieur Willumsen die Seiten um,« erklang Busgaards Stimme oben von den Sphären herab. Monny zögerte.

»Monny, Dein Vater rief,« ließ sich die milde Stimme der Mutter vernehmen.

Und Monny ging langsam durchs Zimmer, während das Cello mit seinen tiefsten, sanftesten Flötentönen lockte, und es unter Willumsens Händen pianissimo wie Silberglöckchen läutete.

Das Blatt wurde umgewendet und Monny ging finster und oppositionell zum Fenster und zu ihren Träumen zurück.

Das Cello flötete so wehmütig und die Glocken klangen so schelmisch – da knarrte plötzlich die Tür – und ging ganz langsam auf, während Onkel Bus Ruhe gebietend den Kopf schüttelte.

Es war Klemmesen.

Er brachte Neuigkeiten – und die trieben ihn vorwärts, aber die Abwehr seines Herrn lähmte seinen Schritt; er blieb stehen und drehte den Kopf, bald nach rechts, bald nach links, trat von einem Fuß auf den anderen, geriet dann unter die Macht des Cello und begann mit dem Kopf den Takt zu schlagen, während die Neuigkeit ihm auf den Lippen brannte.

Die Hausfrau beugte sich zu ihm.

»Was gibt's, Klemmesen?«

Da kam es heraus – leise flüsternd, tuschelnd aber fest und deutlich.

»Du guter Gott, Bus« – die Frau fuhr in die Höhe – »Klemmesen sagt, daß Sau Nr. 16 Ferkel bekommt und sie ebenso schnell auffrißt wie sie kommen ...«

Ratsch –

Die Musik brach ab, und Busgaard fuhr in die Höhe.

»Was sagst Du, Mutter? – Monny, Tine nimm das Instrument – da mag der Teufel Landmann sein.«

Das Violoncell fiel in Tines Schoß, Monny verwickelte sich mit den Füßen in Mutters Garnknäueln, und Tyr und Tut hüpften von ihren Stühlen. Aus der Idylle wurde ein Wirrwarr, der nur kinematographisch wiederzugeben ist.

»Warum zum Teufel« – »Bus,« tönte es ermahnend von den Lippen der Hausfrau.

»Warum sagten Sie das nicht gleich? – Sie Leithammel, Idiot, Oberjütländer ...«

»Der Herr Gutsbesitzer spielten so herrlich,« sagte der Verwalter und legte den Kopf auf die Schulter.

Busgaard zog die Hosen hinauf und stampfte sich Zirkulation in die Beine: »Danke schön, aber wenn bei jedem Takt ein Saugferkel darauf geht, so wird es weiß Gott eine etwas zu teure Sonate. – Kommen Sie ...«

Und Busgaard schnurrte herum wie ein Kreisel.

Tyr und Tut im Chor: »Ach Vater, dürfen wir mitkommen?«

Seid ihr verrückt, Jungens, erscholl Vaters Stimme; aber Tyr blieb dabei:

»Es ist so hübsch zu sehen, wenn eine Sau Ferkel kriegt. – Dürfen wir nicht, Mutter?« Und ehe die Frage beantwortet war, eilten Busgaard, Klemmesen und die beiden Knaben zur Tür hinaus nach den Gegenden, wo es duftet, und wo eine Sau lebendige Junge bekam.

Tine lächelte und Monny wandte sich an den Ingenieur.

»Wollen Sie nicht mit hinaus und das ländliche Schauspiel betrachten, Herr Willumsen?«

Augenblicklich flog der Ball zurück: »Ja, wenn die Damen meinen –.«

Tines Lächeln löste sich in Lachen auf und Monny warf den Kopf in den Nacken. Frau Busgaard beschwichtigte freundlich. Es amüsierte sie, Monnys kleine Attacken auf den Ingenieur zu beobachten. Sie verstand sie nicht ganz, sie konnten das eine oder das andere bedeuten. Und daß sie Arthur Franck bedeuteten, wußte die zärtliche Mutter ja nicht. Zärtliche Mütter wissen nicht alles, und brauchen vielleicht auch nicht alles zu wissen.

Willumsen hatte seine Ahnungen und war im Begriff, seine Vortruppen zu einem kleinen Vorstoß zu ordnen.

»Fräulein Monny,« sagte er äußerst freundlich, »machen Sie nicht einen kleinen Spaziergang bei dem herrlichen Wetter?«

Monny warf den Kopf zurück und sagte spitz: »Nein, danke.«

»Ich glaube, ich tue es,« sagte der Ingenieur darauf. »Ich bin nicht wie Sie, Fräulein Monny, die am liebsten lange Spaziergänge allein macht.«

»Geniert Sie das?« tönte es wie eine Aufforderung zum Kampf.

»Nur insofern, als ich Wert darauf legen würde, dabei zu sein,« erwiderte der Ingenieur und fügte hinzu: »sehr großen Wert.«

Monny sah ihn groß an: »danke, dann bleibe ich lieber zu Hause.«

Jetzt kam der erste scharfe Schuß: »Man sollte meinen, Sie gingen zum Stelldichein.«

Monny richtete sich empor, schritt durchs Zimmer, stemmte die Hände in die Seiten und blieb mitten vor ihrem Feinde stehen: »Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, unverschämter Mensch!«

»Aber Monny!« erscholl es im Chor von Mutter und Schwester.

Doch Monny ging stolz und hochaufgerichtet wie Carmen im ersten Akt durchs Zimmer und verschwand durch die Eßzimmertür.

Willumsen sah ihr lange nach, und sagte dann zu Tine gewandt: »Sie kann mich gewiß nicht recht leiden.«

Tine lachte. »Das scheint so.«

»Ist sie in einen anderen verliebt?« fragte Willumsen prüfend.

»Nicht daß ich wüßte,« antwortete Tine. »Glaubst Du wohl, Mutter?«

»Nein, da garantiere ich dafür,« sagte Frau Busgaard und legte das Strickzeug beiseite. »Machen Sie sich nichts daraus, Herr Ingenieur. Monny ist ein Kind. Sie ist ein wenig eigen. Sie meint es gut.«

Willumsen lächelte. »Mit mir meint sie es jedenfalls ehrlich. Und Ihr Mann ist vielleicht auch zu freundlich gegen mich.«

Frau Busgaard nickte. – »Wir nehmen das zweite Frühstück heute etwas zeitiger. Der Wagen ist nach der Stadt, meinen Neffen abzuholen. Ich habe ihm telegraphiert, er kommt mit dem Morgenzug.«

Tine fuhr mit einem Ruck in die Höhe.

»Thomas kommt?«

»Es sollte eine Überraschung sein,« sagte Frau Busgaard freundlich. »Freust Du Dich darüber, Tine?«

Tines ganze Person sprach – nur ihr Mund schwieg.

Frau Busgaard erklärte: »Sie müssen wissen, Herr Ingenieur, daß ich kein rechtes Zutrauen zu unserem neuen Kreisrichter habe. Er wird die Diebesgeschichte kaum allein aufklären können, und mein Neffe ist ein wahres Wunder in dieser Richtung. Darum habe ich ihn gebeten, zu kommen. Ich habe meinem Mann nichts davon gesagt. Er kann Thomas Art nicht recht leiden. Aber wenn mein Neffe erst hier ist, wird er sich, meine ich, schon darein finden. Das Wichtigste ist ja, daß wir den Dieb finden. Meinen Sie nicht auch?«

Willumsen verneigte sich. »Selbstverständlich. Nichts ist so häßlich wie der Argwohn, der sich unwillkürlich auf die Leute im Hause richtet. Aber ich glaube doch, Sie tun dem Kreisrichter unrecht. Heiden ist ein stiller Mann, eine Künstlernatur, aber er ist kein dummer Mann, und sein Amt versieht er gut.«

»Man sagt, es sei in den wenigen Monaten, die er hier ist, mehr gestohlen worden, als in der ganzen Amtszeit des vorigen Kreisrichters,« sagte Tine mit Nachdruck.

Willumsen lachte. – »Sie sind nicht unparteiisch, Fräulein Tine.«

Tine wurde rot. – »Ich verbitte mir ...«

Und auch sie verließ mit ziemlich festen Schritten das Zimmer.

Frau Busgaard drehte ihre Haubenbänder umeinander.

»Sie haben doch keinen rechten Stein im Brett bei den Mädchen, Herr Ingenieur,« sagte sie gutmütig. »Na, Tine und Thomas ziehen an einem Strang, und ich habe ihn lieb. Er ist der einzige Sohn meines einzigen Bruders, und Sie werden ihn auch schätzen lernen. Er hat eine scharfe Zunge, aber das Herz sitzt auf dem rechten Fleck. Und das tut der Kopf übrigens auch. Sie sollen sehen, wir werden Vergnügen an Thomas haben.«

»Ich freue mich auf ihn,« sagte der Ingenieur höflich. Das tat er eigentlich nicht; er hatte das Gefühl, als sollte er sich zu den Alten halten, bei den Jungen waren seine Chancen vorläufig nur gering.

Jetzt stürzte Tyr herein, beinahe ehe er die Tür geöffnet hatte.

»Mutter, Mutter, das war ein Spaß. Sowie die Ferkel kamen, fraß die Sau sie auf – wie bei der Katze, die du mir vorige Weihnachten in Kopenhagen gekauft hattest. Die kleinen Tiere gingen einfach durch das große durch.«

Und Tyr glänzte vor Freude und schwitzte vor Vergnügen über den praktischen Beitrag zur Fortpflanzungslehre, dem er draußen im Schweinestall beigewohnt hatte.

Nach ihm kam Busgaard. Er schwitzte auch und trocknete sich den Schweiß mit seinem großen rotgeblümten Taschentuch von der Stirn.

Und dann fluchte er: »Dieser Satans Viehknecht, dieser Tölpel, der Kerl ist ein kompletter Esel! Ich werfe ihn hinaus, ohne Lohn, augenblicklich.«

»Das tust Du nicht,« sagte Frau Busgaard beruhigend.

»Du meinst, dann rennt er gleich zum Kreisrichter und bekommt Recht, wie?«

Und Busgaard schwitzte stärker und trocknete sich die Stirn eifriger.

Er fauchte ein paar Minuten und fiel dann über den abwesenden Kreisrichter Heiden in sehr unparlamentarischen Wendungen her, die mit der durch die Situation gegebenen Bemerkung endeten: »Und wenn der Knallidiot mir wenigstens meine Gelder wieder schaffen könnte! – Aber das kann er natürlich auch nicht –.«

Tante Mus benutzte kluger Gewohnheit gemäß die Gelegenheit; das war ihre Force, und darauf beruhte ein gut Teil ihrer stillen aber unzweifelhaften Macht.

»Bus,« warf sie leicht hin, »darum habe ich auch nach Thomas telegraphiert! Niels holt ihn mit dem Wagen von der Bahn.«

In alten Tagen betrachtete man Explosionen als etwas Unangenehmes und Abnormes; in unseren Tagen, wo nicht allein Gasmotoren, sondern alle Motoren, Petroleum- und Benzinmotoren durch eine ununterbrochene Reihe von Explosionen getrieben werden, die also eine Bedingung für den Betrieb von Automobilen und Luftschiffen sind, hat man sich an diese Erscheinungen gewöhnt. Ein moderner Leser wird sich also auch an Gutsbesitzer Busgaard gewöhnen können, dessen ganzes Leben eine fortgesetzte Reihe kräftiger Explosionen ist.

Bei dem Namen Thomas explodierte er gewaltig.

»Den Teufel hast Du –.«

»Pst, Bus, pst,« erwiderte Frau Busgaard beschwichtigend. – »Ja, das habe ich. Ich mag nicht, daß die Leute hier auf dem Hofe herumgehn und sich gegenseitig verdächtigen. Und von Thomas weiß ich, was Du auch von ihm sagen magst, auf Diebe versteht er sich. Und deshalb meine ich, wir sollen ihn zu dem brauchen, wozu er gut ist. Das ist meine Ansicht, und ich bin sicher, ich habe recht!«

Busgaard brummte – aber sie hatte recht. Das haben Frauen nicht immer. Aber wehe dem Ehemann, dessen Frau es so eingerichtet hat, daß sie meistens recht hat. Die Männer sind nun einmal geneigt einzuräumen, daß ihr Widerpart recht hat, und darum unterliegen sie. Frauen räumen das niemals ein. Und darum ist auch kein Auskommen mit ihnen. Wenn sie nicht sind wie Frau Busgaard, dann gnade Gott! Und sie sind nicht alle wie Frau Busgaard. Freuen wir uns, daß sie so ist. –

Thomas wurde stillschweigend akzeptiert.

»Die Sonate ist hin,« sagte Busgaard den Kampf aufgebend. Erst verliere ich 5 Spanferkel, dann ärgere ich mich über den verwünschten Kreisrichter und den infamen Diebstahl, und jetzt schafft Mutter mir den Laffen, den Thomas, auf den Hals. – Alles an einem Vormittag! es wäre erklärlich und verzeihlich, wenn ich mich dem Trunke ergäbe – rein spielen, wenn es mir so im Kopf summt, kann ich nicht – facit, der Tag ist verloren. Ich gehe zum Vieh hinaus. – Glauben Sie nur, Ingenieur, die stummen Kreaturen sind die wahren Freunde des Menschen.«

Mit dieser philosophischen Bemerkung ging Onkel Bus hinaus, um zu wirtschaften, wodurch der Betrieb auf Braendholt für einen Tag ernstlich gebremst wurde.

Frau Busgaard schüttelte den Kopf und nahm den Strickstrumpf wieder auf.

»Sie haben wohl nichts dagegen, daß ich meinem Neffen das Zimmer, das Sie haben, gebe? Er hat es immer gehabt, wenn er hier war,« sagte sie freundlich zu Willumsen, und der Ingenieur verstand, daß der Herr, der kam, einen Stein im Brett hatte an den Stellen, von denen die eigentliche Regierung auf dem Gute ausging.

Er neigte den Kopf mit einem »Gott bewahre« und ging, um seine Habseligkeiten zu ordnen.

Unterdessen rollte ein Wagen dem Hofe entgegen, und darin saßen unsere beiden Rechtsgelehrten aus der Eisenbahn, die somit auf den Kampfplatz geführt wurden, den das Leben ihnen für diesen Augenblick anweisen wollte.


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