Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wenn ein Kriminalassessor liebt

Kreisrichter Heiden hat gefrühstückt und sitzt jetzt am Klavier in der Wohnstube, damit beschäftigt die Familienvioline zu stimmen, um ein Duo mit dem bestohlenen Busgaard zu probieren. Polizeidiener Hansen hat einen Bissen Brot und einen Schnaps in der Leutestube erhalten und ist jetzt dabei den Taillenumfang der Wirtschaftsschülerin, Fräulein Antonsen, zu messen – dies geschieht aus Gründen der Vorsicht in der Speisekammer.

Und Thomas Klem – Dr. jur. und Kriminalassessor, der Mann, auf dessen Schultern alles ruht – er steht in der Fensternische in seiner Stube, während die Sonne die Eisblumen am Fenster schmilzt, tief versunken in seine starke junge Liebe.

Thomas Klem liebte Martine Luthera Busgaard – ja das klingt nach Lustspiel, das duftet nach Spießbürgerlichkeit, das kann unmöglich erhaben sein. Und doch, es ist erhaben, denn die Liebe ist erhaben. An und für sich ist diese Bemerkung banal, aber an dieser Stelle, in dieser Erzählung, die sich hier zu Höhen zu erheben trachtet, die sie später nicht wieder erreichen wird, muß es mit fünfzölligen Nägeln im Bewußtsein des Lesers festgenagelt werden, daß in dem Satze: die Liebe ist erhaben – doch mehr als Banalität steckt.

»Tine,« sagte Thomas, der selber die Empfindung hatte, daß ihre Liebe sich in ungewohnt erhabene Regionen verstieg, »der Kuß der Geliebten schmeckt doch am besten!«

»Thomas,« sagte Tine mit Zweifel in der Stimme.

»Nein, Geliebte, wie kannst Du an Jung-Hagbarths Treue zweifeln.«

»Warum nennst Du Dich Hagbarth?« fragte Tine mit einem Lächeln, das die Mißstimmung verscheuchen sollte.

»Frage nicht,« antwortete Thomas und küßte sie – »für Dänemark ist das Erhabene in der Liebe durch Hagbarth und Signe symbolisiert, jüngst vorgeführt im Tiergarten unter einigen herrlichen Buchenstämmen, auf die die Kopenhagener bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal aufmerksam wurden. Tine, Dein Vater gleicht der Königin Bera, ohne die Perfektibilität dieser hohen Dame. – Tine!«

»Wenn Vater nur wollte,« seufzte die holde Maid.

Aber ihr Vater wollte nicht. Es läßt sich nicht verhehlen, daß ein junger Mann, der in züchtiger Liebe ein Heim gründen will, Mittel haben muß, und die Assessoren des Kriminalgerichts sind bezahlt wie bessere Kegeljungen, vielleicht weil der Öffentlichkeit die Augen für ihre Vortrefflichkeit noch nicht aufgegangen sind.

Thomas seufzte. »Tine, ich habe bisweilen Lust der Gerechtigkeit Lebewohl zu sagen und ins Gastwirtsfach überzugehen. Das Bier ist ja der Weg zu Ruhm und Macht. Und ich fühle selbst, daß ich ohne Dich nicht menschenwürdig leben kann. Ich kann nicht, Tine.«

»Ich bin so grenzenlos unglücklich,« seufzte Tine mit Tränen in den Augen, Tränen, die wohl trotzalledem Freudentränen waren.

Thomas küßte die Tränen fort. »Und ich bin grenzenlos glücklich – vierzehn Tage lang. Weißt Du, Tine, es gibt keine Liebe auf Erden, die in Seligkeit sich mit unglücklicher Liebe messen kann. Das wirst Du merken, wenn wir beide erst glücklich werden. Und Spaß beiseite, jetzt muß es geschehen! Du mußt nämlich wissen, Tine, daß ich Schaden an meiner Seele nehme. Es ist etwas daran an dem Wort, es ist nicht gut, daß der Mann allein sei. Meine Gedanken sind mein Kapital – mein einziges, doch das Kapital ist gebunden, die Gedanken sind bei Dir. Und meine Liebe zu Dir, die mich emportragen sollte, führt mich von dem fort, was meine Aufgabe ist. Es ist grenzenlos töricht, wenn man es als erhabener Herr der Schöpfung aussprechen muß, kleine Tine, aber ich bin ganz unglücklich, und was schlimmer ist, ich werde ganz untauglich. Es ist zu Hause in meiner Stube ein leerer Platz, und selbst, wenn ich innerlich überzeugt bin, daß die Zeit kommen wird, wo ich Dich bitte, mich mit meiner Arbeit allein zu lassen – jetzt ist es merkwürdig, ich kann nicht arbeiten ohne Dich.«

Tine fühlte das Bedürfnis den Armen zu trösten und tröstete ihn.

Dies verlief eine Weile in Stillschweigen.

»Tine,« sagte Thomas ernst. »Im Grunde ist es ganz dumm von Dir und mir, daß wir uns wie ein paar Operettenliebende aufführen, die auf den Klimax im dritten Akt warten, um im vierten vereint zu werden. Und nun muß es ein Ende haben! Es gibt garnichts romantisches in der Geschichte unserer Liebe, sie beruht auf sich selber und muß aus sich selber wachsen. Wir sind alt genug dazu, und nun muß es ein Ende haben! Dein Vater kann mich nicht leiden, das ist sein Fehler. Deine Mutter hat mich um einen Dienst gebeten, und ich leiste ihr einen Dienst, doch dann muß ihr Ehegemahl sich darein finden, daß ich Dich als Siegespreis mitnehme. Die Möglichkeiten, die wohl verborgen unter meiner vielleicht nicht sonderlich vertrauenerweckenden Schale liegen, kannst nur Du allein durch Liebe zur Entwicklung bringen. Und ich kann merken, daß Dir die Lust dazu nicht fehlt.«

Das war nicht weiter verwunderlich, denn Tine hatte die Arme um seinen Hals geschlungen und sah zu ihm auf, als ob er ein Halbgott wäre. Es dient zu Thomas Klems Ehre, daß er in einem solchen Augenblick ganz die Lust verlor, witzig zu sein, eine Gewohnheit, die, im Vertrauen gesagt, die größte Schwäche des Mannes war.

»Du bist ein Engel, Tine,« sagte er ganz leise.

Dies ist ja keine außergewöhnliche Wendung, sie zeichnet sich auch nicht durch Originalität oder besonders modernes Gepräge aus, aber sie ist eben so gut, wie sie alt ist. Wer es nicht glaubt, probiere es!

»Kleine Tine,« fuhr Thomas fort und zog sie vom Fenster weg nach dem kleinen steifen Roßhaarsopha – das von früheren Herren auf Braendholt und ihrer Liebe berichten konnte – »kleine Tine! Jetzt geloben wir einander, daß wir diese Stätte zusammen verlassen und dort hingehen, wo wir wirken sollen. Und als ein Pfand dieses Gelübdes sollst Du in mir in diesen Tagen einen Diener dieses Hauses sehen, einen demütigen Diener, der sein Kreuz schweigend trägt und in der Stille wirkt. Aber daß Du es weißt, Tine, jetzt lasse ich Dich nicht mehr.«

Und Tine bekräftigte das Gelübde schweigend. Die richtige Liebe ist stumm. Oder ist das nur eine schwache Entschuldigung für die mangelnde Fähigkeit, der Liebe Worte zu verleihen?

Monny brach in das Idyll ein. Sie klopfte leicht an die Tür und stand einen Augenblick später schweigend mit einem Lächeln im Zimmer. Dann lachte sie und sagte neckend: »Das sollte Klemmesen sehen, Tine!«

Thomas sprang auf: »Wer ist Klemmesen? – Ich sage, wer ist Klemmesen?«

Und so kriegte Thomas zu wissen, wer Klemmesen war. Wieder bewies die Liebe hier ihre Allmacht. Assessor Klem, der große Mann, der Herr über das Wohl und die Freiheit von Hunderten, hatte in diesem Augenblick das Gefühl, als ob ihm das Herz zusammengepreßt und die Kehle zugeschnürt würde. Er wiederholte den Namen für sich: Klemmesen, Klemmesen – ich muß das Weiße in den Augen des Mannes sehen. Ich muß Klemmesen sehen! Und die Gefahr, die er geahnt und gefühlt hatte, als etwas Unbestimmtes, nahm feste Form, nahm Menschenform an und wurde zu Klemmesen. Tine begriff es garnicht und Monny war ganz bestürzt. Die beiden kannten ja den richtigen Klemmesen.

Für Thomas war es nur ein Name, der Name eines Unbekannten, aber so viel Mensch war Thomas doch, daß der Name das Böse in ihm in Bewegung setzte. Bulwer würde geschrieben haben: Wehe Klemmesen.

Was Bulwer tun konnte, können wir hier auch tun: Wehe Klemmesen! Und der Konflikt tritt in sein erstes Stadium. Die Idylle verwandelt sich in Kampf.

Als Thomas Klem in die Wohnstube trat, saß der Kreisrichter da und spielte Haydn mit Busgaard. Was Polizeidiener Hansen machte, wissen wir auch. Heiden wandte sich dem Assessor zu, aber bevor er noch ein Wort sagen konnte, gab Thomas den Ereignissen die Wendung, die die Polizeimänner dahin zurückbrachte, wohin sie gehörten.

Und jetzt ist also alles auf seinem richtigen Platz.


 << zurück weiter >>