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Wie ich mit der Thresel ausging und mit dem Maischel heimkam

Die Kramer-Thresel, das war eine der acht Seligkeiten meiner Kindheit. Sie war ein altes Weib, und das war ein Glück, denn die jungen Weiber jener Gegend tragen ihre Seligkeiten nicht auf dem Rücken umher, wie das die Kramer-Thresel tat, und die jungen Weiber bieten ihre Schätze nicht an Knaben unter siebzehn Jahren aus, wie das die Kramer-Thresel tat. Sie trug eine braune Holzkraxe auf ihrem krummen Rücken, in derselben waren der Schubladen drei oder vier, und obendrauf lag noch ein großes blaues Bündel festgebunden.

Wenn wir Kinder etwas recht Braves, recht unerhört Braves taten, so sprach aus dem Munde unserer guten Mutter der Geist der Verheißung. »Kinder«, sprach er, »wenn einmal die Kramer-Thresel kommt, so will ich euch was kaufen.«

Da huben wir denn allemal ein Freudengeschrei an und stampften mit den Füßen, bis die Mutter wieder sagte: »Ja, wenn ihr ein solches Getös macht, da werde ich euch nichts kaufen!«

Alsogleich war's still, daß man ein Mäuschen hätte laufen hören können, wenn eins gelaufen wäre. Aber die Mäuse kamen nur in der Mitternacht hervor – und die Kramer-Thresel kam gar nicht.

Heißt das, sie kam. Seit urewigen Zeiten kam sie des Jahres ein- oder zweimal in unser Haus, wir selbst hatten das schon erlebt, doch so unbeschreiblich langsam ging die Zeit dahin, daß uns Kindern zwischen Frühjahr und Herbst und zwischen Herbst und Frühjahr eine blaue Ewigkeit lag, in der die Mythe von der Kramer-Thresel schwamm und verschwamm wie eine Lerche im Himmelsblau.

Und einmal mitten im Winter, an einem ganz gewöhnlichen Tag, da der Vater im Stall die Ochsen striegelte und die Mutter in der Stube spann und meine kleineren Geschwister sich einer zerbrochenen Spule wegen auf dem Fletz (Fußboden) herumbalgten und ich Feldrüben in den Schweinstrog schnitt, im Busen den Trieb, mich an dem Kampf zu beteiligen – ging die Tür auf, und sie war da.

Die Kramer-Thresel. Und als aus ihrer Kraxe die Schubladen mit den Taschenfeiteln und den Mundharmoniken, und den Tabakspfeifen und den hellrot angemalten Spielkästlein, und den messingenen Hosenknöpfen und Hafteln, und den bunten Zwirnsträhnen und Nähzeug, und den feingeschnitzten Holzlöffeln, und den Stehaufmandeln und allem, allem auf unserem Tisch ausgestellt waren und wir Kinder mit Poltern und Stoßen ringsumher die Bänke besetzten und Augen und Mund auftaten, da sah ich erst ein, was dieser Tag für ein grauenhaftes Loch gehabt hätte, wenn die Kramer-Thresel nicht gekommen wäre.

Mein Sinn stand nach allem, obzwar ich mir sofort klarstellte: Alles kannst nicht haben, den Himmel kriegst erst, wenn du gestorben bist, aber auf eins setz dich fest. – Meine Hand zuckte nach einem Rößlein, das auf einem Brettchen stand, welches vier »Radeln« hatte. Das Rößlein war ziegelrot angestrichen und hatte an den Weichen weiße Blumen.

Und im Sattel saß ein blauer Reiter, der hatte einen großen Schnurrbart im Gesicht und sogar Augen und einen wirklichen Federbusch auf.

»Laß stehen, Bub, und greif nicht alles an!« verwies mir die Mutter, aber die Kramer-Thresel, welche so gütig und geduldig war wie Unsere Liebe Frau, sagte: »Oh, das macht nichts, tu's nur angreifen, das Zeugl, schau, der Husar reitet dir schon entgegen!« und schupfte das Rößlein, daß es zu mir über den Tisch herrollte.

»Haben ja kein Geld nicht«, bemerkte die Mutter.

Die Kramer-Thresel überhörte zum Glück das gefährliche Wort, sie machte einen Deuter auf mich und sagte: »Das ist gewiß das ausbündige Bübel, das lesen und rechnen kann und allerhand Gedichtet's austüpfelt, wie's die Leut verzählen.«

»Ja«, antwortete die Mutter, ohne das Spinnrad auch nur einen Augenblick stehenzulassen, »austüpfeln kann er schon was, wenn er nur nicht so schlimm sein tät!«

»'s selb glaub ich nicht, daß er schlimm ist«, meinte die Thresel, »weißt was, Waldbäurin, das Bübel kunntst mir leihen. – Ganz ernster Weis, Waldbäurin. Meine Tochter, die hat bei den Geißen heimbleiben müssen, und jetzt bin ich morgen auf dem Rattner Kirchtag hell allein. Der Kramerstand (Kramladen im Freien) ist just nicht klein, Leut sind viel, und ist allemal ein Gedräng ums Standl herum, eins kann nicht genug aufpassen, und hab ich mir unterwegs noch träumen lassen: wenn ich den Waldbauernbuben kunnt mitkriegen, ich tät schon was hergeben.«

So die Thresel. Und als jetzt die Mutter das Spinnrad stehenließ, um Antwort zu geben, war mir »wie einer armen Seel beim Jüngsten Gericht«.

Die Mutter sagte: »Ja, wenn die Thresel meint, daß sie ihn brauchen kann, vielleicht friert ihm der Unend (Fürwitz) dabei ein Eichtl (wenig) aus, und Zeit hat er, daß er mitgeht.«

Ich bin von der Bank geflogen, und ehe noch an den Vater berichtet werden konnte von meiner unglaublichen Standeserhöhung, war ich schon im Sonntagsg'wandel.

Meine Geschwister erhielten jedes ein Holzlöffelchen, das glänzend schwarz lackiert war und in der Höhlung ein rotes Blümlein hatte. Sie fuhren alsogleich damit in den Mund und bildeten sich ein, sie äßen Kindsbrei.

»Und der Reiter gehört dein«, sprach die Kramer-Thresel zu mir, »den hebt dir die Mutter auf, und morgen, wenn du heimkommst, laßt ihn recht ausreiten.«

Die Mutter riet, ich solle ein Stück Brot mitnehmen, allein die Thresel sagte, indem sie ihre Warentrage wieder zurechtmachte: »Das wär nicht schlecht: verköstigen werde ich meinen jungen Kramer schon selber. Verhoff's, daß wir ein gutes Geschäft machen werden auf dem Rattner Kirchtag. Und jetzt werden wir anrucken müssen, Bübel.«

»So gehts halt in Gottes Namen!« sagte die Mutter und spann. Meine Geschwister aßen mit ihren neuen Löffeln von der Tischplatte weg noch die leere Luft, und wir gingen, wie es die Mutter gesagt.

Ratten ist ein Dörflein zwischen den Waldbergen der Feistritz am Fuße der Rattneralpe. Es hat viele Bauernhäuser auf den Hängen und in den Schluchten zerstreut. Es hat einen ausgiebigen Dorftrost, nämlich ein paar stattliche Wirtshäuser, und es hat eine schöne, geräumige Kirche, in welcher der heilige Nikolaus als Pfarrpatron wohnt. Diesem Patron zu Ehren wird alljährlich zu seinem Namenstag, am 6. Dezember, ein Kirchtag abgehalten, und das war der Kirchtag, zu dem wir gingen.

Wir hatten drei Stunden dahin zu gehen, weil wir unterwegs in einigen Häusern zusprachen, verhoffend, ein paar Kreuzer zu lösen. Die Leute schoben aber ihre Einkäufe auf den morgigen Kirchtag. »Macht nichts«, meinte die Thresel, »sie kommen uns morgen.« Da im tiefen Schnee der Graben, den wir Pfad nannten, gar schmal war, so schritt voran die Thresel mit ihrer Kraxe, deren angebundener Ballen hoch über ihr Haupt hinausragte; und hintendrein trippelte ich und hatte nur selten einen Blick frei über die Schneemauer hinaus in die weite Welt. Diese weite Welt dehnte sich bis zum Waldhang, der hinter dem vereisten und versulzten Wasser aufstieg und an welchem dort und da ein Häuslein klebte oder eine träge rauchende Kohlstätte war. Und endlich sah ich über eine Höhung die rote Riesenzwiebel des Kirchturms von Ratten hervorragen. Auf der Straße, in die wir nun einbogen, war es recht lebhaft. Da fuhren Schlitten, mit einem alten Roß oder mit einem alten Weib bespannt, da schleppten andere an hochgeschichteten Rückentragen, Jüdlein darunter mit ihren Bündeln, doch den übrigen vorhastend, da huschten mit aufgestülpten Rockkragen Musikanten mit vereisten Schnurrbärten, da kamen schon Holzknechte und Tagwerker in ihrem Sonntagsstaat daher und trotteten recht langsam, als wenn es gar nicht eile, aber doch auf dem kürzesten Weg dem schon durch und durch lebendigen Wirtshaus zu.

Auf dem Kirchplatz baute das Krämervolk schon an seinen »Ständen«, deren Bretter noch öde und leer lagen, deren Wand- und Dachgerippe noch von keiner Plache überspannt waren.

Als wir mitten auf den Platz gekommen waren, blieb die Thresel stehen, starrte gegen das Kirchhofstor hin und murmelte: »Was ist das?«

War der Standplatz schon verbaut, der an der lebhaftest begangenen Stelle lag, just vom Kirchtor her, und den die Thresel von alters her besessen hatte. Der Maischel, ein wegen seiner spottbilligen Waren berüchtigter Hausierjude, hatte hier seine Stätte aufgeschlagen.

»Ich pack nit aus«, sagte die Thresel in einem schönen Ebenmaß von Entrüstung und Selbstgefühl und tat just so, als wollte sie auf der Stelle umkehren. Stand noch zu rechter Zeit der Taverner da, der Kirchenwirt, der die Standplätze zu vergeben hatte und der seine Handlung damit entschuldigte, daß er der Thresel zu bedenken gab, der Jude habe doppeltes Standgeld für den Platz am Kirchhofstor geboten.

Für einen solchen Handel, sagte nun die Thresel, sei ein Jude zu wenig, einer müsse sein, der das Gebot mache, und ein zweiter, der es annehme.

Der Taverner tat ein süßes Lächeln, als hätte ihm die Thresel eine Schönheit gesagt, dann schlug er ihr den gegenüberliegenden Platz vor, just neben der Bildsäule des heiligen Nikolaus, das wäre eigentlich noch ein viel besserer Platz und für den alten Preis zu haben.

Was blieb nun übrig, als anzunehmen? Nun gingen wir eine warme Suppe essen, dann machten wir uns flink an das Standaufrichten. Die Thresel hatte ihr eigenes Zeug dazu, welches in einem Gelaß der Taverne aufbewahrt war und welches wir nun herbeischleppten. Als wir die Bretter heranschleiften, wußte die Thresel ein paarmal solche Schwenkungen zu machen, daß wir damit scharf an das gegenüberliegende Judenständlein anrannten. Dieses wackelte, aber der Maischel stützte es behendig und schmunzelte dabei. Der Jud Maischel war ein gar schlichtes, aber rührsames Männlein, sein Haar und Bart war kohlschwarz und gekräuselt wie bei neugeborenen Lämmern die Wolle, in seinem dunkelroten Gesicht lugten zwei Äuglein, die einem nie ins Antlitz schauten, sondern allemal, wenn er sprach, der Gegenperson an den Hals oder an die Achsel guckten. Der Jud Maischel hatte eine geradezu überchristliche Sanftmut, er war mit nichts zu erzürnen. Tief entrüstet war er einzig nur, wenn man ihm für eine Ware, die er auf drei Gulden schätzte, etwa zwölf Groschen anbot. Aber voll tiefer Verachtung schlug er die Ware um dies schmähliche Angebot los, und dem Käufer wurde angst und bang.

»Frau Thresel«, sagte ich nun zu meiner etwas schwermütig gewordenen Prinzipalin, »die Rattnerleut sind Ehrenleut, die kaufen dem Leutanschmierer nichts ab, die Frau Thresel wird's schon sehen.«

»Gott geb's!« seufzte sie auf.

Nun wurde es Abend, und am Abend wurde es lustig. Beim Taverner waren alle Tische besetzt, und auf jedem Tisch stand ein Kerzenlicht, und darüber war der Wein- und Bratenduft und der blaue Tabakrauch, daß es eine helle Pracht war.

Wir zwei saßen im Ofenwinkel, hatten neben uns auf der Bank ein Glas Obstwein stehen, in das wir – einmal ich und einmal die Thresel – eine Semmel tauchten. Die Wirtin wollte uns Licht bringen, indem sie sagte: »Nicht einmal ein Toter mag ohne Licht sein.«

»Das schon«, antwortete die Thresel, »aber wir zwei sind noch lebendig, und zum Dasitzen sehen wir häufig genug, und daß wir uns für andere beleuchten lassen wollten, dazu sind wir zu wenig schön.«

In Wahrheit wollte sie nur nicht, daß das übrige Krämervolk, welches in der Wirtsstube hochmütigerweise bei Wein und Schöpsenfleisch schwelgte, unser bescheidenes Nachtmahl sehen sollte. Sie hatte eine Ahnung davon, was bei einem Kaufmann der äußere Schein bedeutet.

Die Gesellschaft wurde immer lauter und unbändiger, und etliche Burschen huben an zu singen:

»In Ratten, da ist's lustig,
in Ratten, da ist's lustig,
in Ratten, da ist alles frei,
da gibt's ka Polizei!«

»Leider Gottes!« sagte die Kramer-Thresel vor sich hin, »und jetzt gehen wir schlafen.«

Sie hatte sich eine Kammer bestellt; ich wurde zum Pferdeknecht ins Bett getan. Der Pferdeknecht hatte schon von Natur einen stattlichen Leib, als er aber so neben mir im Bette lag und schlief – er schlief wie ein Pferdeknecht –, floß er so sehr auseinander, daß ich an den Rand gedrückt wurde und Gefahr lief, auf den Boden zu fallen. Glücklicherweise war vom Bett etwa nur einen Fuß entfernt die Stallwand, an welcher zwar das Wasser des Stalldunstes niedertropfte, an welche ich mich aber mit dem ausgestreckten Arm dermaßen anstemmen konnte, daß ich dem Druck meines Bettgenossen die ganze Nacht hindurch glücklich standhielt. Daß man in solcher Lage vom Schlaf nicht belästigt wird, ist selbstverständlich, und so hatte ich denn Zeit, in Gedanken den Pferdeknecht zu entschuldigen, der, müde von des Tages Last und Plage, rechtmäßig ja über das ganze Bett verfügen konnte; und in Gedanken auch Gebete zu verrichten, daß morgen unter meiner Mitwirkung der Kirchtag für meine Prinzipalin doch um Gottes willen gut ausfallen möge. Ich sann mir Reden aus, um die Käufer anzulocken und die Waren zu preisen, und ich sah die Leute herbeiströmen zu unseren köstlichen Sachen. Wir hätten alles verkauft, auch das leere »Standl« noch dazu, wenn ich nicht zu früh von meinem Traum erwacht wäre. Und nun gewahrte ich, daß sich mein Pferdeknecht mitsamt den Pferden fortgemacht hatte – »schon fahrend draußen auf den kalten Straßen«. Jetzt, das war ein Wohlbehagen, wie ich mich nach Gefallen strecken konnte im weiten Bett und mich einmal gründlich durchwärmen. Ich bedauerte den Pferdeknecht, daß er schon so früh in den Winter hinaus mußte, aber im Grunde war's mir doch lieber, als wenn er noch im Bett gelegen wäre mit seiner breiten, schlaftrunkenen Wesenheit.

Leider dauerte das nicht lange. Die Thresel tastete sich in den Stall, rief meinen Namen und fragte, ob ich ausgeschlafen hätte. Ich sprang sogleich auf. Als wir bei der Frühsuppe saßen in der wohldurchwärmten Wirtsstube, gab mir die Thresel Weisung, wie ich mich am Standl zu verhalten hätte. Fürs erste einmal achtgeben, daß nichts »Füße kriegt«, dann, wenn um den Preis von etwas gefragt würde, es ihr, der Thresel, alsogleich mitzuteilen, nach ihrem Ausspruch nachher aber nicht mehr »handeln« zu lassen, weil sie die Sachen nicht überschätze. Dann gab sie mir zwei Sechser, damit ich wisse, wofür ich mir am Standl Finger und Nase erfrieren lasse, dann nahm sie ihre Kraxe, und wir gingen in des lieben Gottes Namen hinaus auf den Kirchplatz.

Es war noch nächtig, aber man hörte schon das Gesurre der Leute, und die Kirchenglocken läuteten zu der Rorate. An den »Kramerstandln« war viel Hämmern und Schreien, und auch wir prüften nochmals unsere Bude und legten, während drin in der Kirche die Orgel tönte, unter stillem Einschluß in die heilige Messe die Waren aus. Und nun trat mir die Größe und Vielfältigkeit der Habe meiner Prinzipalin ganz vor Augen. Sie hatte alles, denn was sie nicht hatte, daran dachte ich nicht, es war Nebensache. Sie hatte Klein- und Galanteriewaren, wie sie der Bauer braucht, oder wenigstens gerne besäße, wenn er sie kaufen könnte: allerlei Messer und Gabeln und andere Werkzeuge, Geldtäschchen, Brieftaschen, Hosenträger, Uhrschlüssel, Rauchzeug, Sacktücher, Heiligenbildchen, Einschreibbüchlein, Zwirn, Bänder, Kinderspielwaren, Handspiegel und so weiter über den langen und breiten Tisch hin, und was an den Stangen und Haken hing, und was noch in den Laden der Kraxe und in dem unerschöpflichen Ballen war.

Aber als nun der Tag graute – ein trüber, sachte schneiender Wintertag –, da mußte ich sehen, daß der Jude uns gegenüber all dieselben Sachen ausgestellt hatte, aber viel kecker und wirrer ausgestellt, daß sie ordentlich in die Augen schrien. Und an den Dachecken seines Standls prangten zwei rote Fähnlein wie bei uns zu Kriegszeiten, wenn die Soldaten fortzogen, oder beim Festscheibenschießen am Kaisertag, oder wenn sonst etwas Unerhörtes war. Und zwischen den Fähnlein war eine große Tafel: »Gut und billig, da kaufts ein!« Und nahm jetzt – wie die Leute aus der Kirche strömten – der Racker eine Mundharmonika zwischen die Zähne und blies darauflos und schrie über die Leute hin, daß er einen Haupttreffer gemacht hätte in der Lotterie und daher heute alles verschenke. »Das Stück Silberlöffel fünf Kreuzer, das Dutzend noch billiger!« rief er und brachte damit die Leute in Verwirrung. Dann schwang er hellrote Seidentücher über die Köpfe hin, »für Dirndaln!« rief der Maischel, konnte aber nicht einmal die Worte aussprechen, »und wenn das eine tragt um den Hals, laufen ihr alle Buiben nach. Ich geb's aber nicht her!« Und zog es hastig wieder zurück. Solche Sachen trieb er und schrie fortwährend: »Da gehts herbei! Da wird gehandelt, geschenkt, noch was draufgegeben, da ist der Glücksberg!« Und immer dichter wurde um das Judenstandl die Menschenmenge, und uns, dem ehrbaren Stande der Thresel, wendeten sie den Rücken zu.

Mir wurden in meinem Zorn alle Schneeflocken grün und gelb vor den Augen, und ich stieß die Thresel: sie solle doch auch zu schreien anheben, daß uns die Leute sähen.

»Du bist nicht gescheit«, sagte sie zu mir, »wo solche Leute lärmen, da ist's ein Schand und Spott, das Maul aufzumachen. Da packen wir lieber z'samm.«

Jetzt hub weiter unten auf dem Platz auch noch ein anderer zu schreien an; das war ein Krainer, wollte aber gescheiter sein als der Jude und rief: »Daher, Leutel, daher! Bei mir ist die Schönheitsseife zu haben, die echte, approbierte und privilegierte Schönheitsseife! Werden alle garstigen Dirndln, die sich damit waschen, engelsauber und alle alten Weiber blutjung!«

»Das ist Schwindel vom Krainer!« rief der Maischel, »bei mir zu bekommen die ganz neu erfundene, blütenweiße und rosenrote Schönheitsseife, aber nur für die Jungen und Schönen zu gebrauchen, daß sie nicht werden alt. Echt und billig. Meine Herren und Damen, geht nicht vorbei an eurem Glück!«

Selbstverständlich wählte jeder die Seife des Juden.

Nun hub der Maischel an und schellte mit einem Sack Nummern und ließ ziehen. Er spielte seine Waren aus; mit einem Groschen Einsatz konnte man goldene Ringe und Uhren, ganze Fläschchen von Liebestränken und die unglaublichsten Schätze gewinnen.

Die Thresel hatte den lärmenden Juden lange beobachtet – Zeit hatte sie dazu –, und nun sagte sie kopfschüttelnd: »Der ist vom Teufel besessen.«

Der Markt war schon in vollstem Gang, es wurde gefeilscht und gekauft, es wurden Späße getrieben beim Lebzelter und beim Schnapsschenker, und man hörte singen:

»In Ratten, da ist alles frei,
da gibt's ka Polizei!«

Weiber gingen umher von Stand zu Stand und füllten ihre Handbündelchen mit Äpfeln, Nüssen, Lebzelten und Spielwaren für ihre Kinder zum »Nikolo«. Ich hielt die Hände in den Hosentaschen und zappelte mit den Füßen hin und her und klöpfelte die hartgefrorenen Schuhe aneinander. Von den Zehen wußte ich ohnehin nichts mehr, sie gaben kein Lebenszeichen von sich, was übrigens in jenen Zeiten bei mir nichts Neues war – die Zehen hielten ihren Winterschlaf, und die Kälte fing in ihnen allemal erst an weh zu tun, wenn es warm wurde.

Nun, so trippelte ich an unserem vergessenen Standl, und wir hatten immer noch nicht ein Stück verkauft. Mir war zum Verzagen.

»Ich möchte in den Erdboden sinken«, flüsterte ich der Thresel zu.

»Dazu ist er viel zu hart gefroren«, war ihre Antwort, »aber das muß ich schon sagen, ein solcher Kirchtag ist mir was Neues.«

Das Wort hat mich ins Herz getroffen. Vielleicht war ich die Schuld? Ich hatte keinen Schick, gar keinen, konnte die Sache nicht betreiben, stand da »wie der Damerl beim Tor« und schaute blitzdumm drein. – Ein solcher Kirchtag ist ihr was Neues!

Jetzt sah ich am Rande unseres Standes einen guten Bekannten von meiner Gegend, es war des Grabenbergers Geißbub, das Natzelein. Das lugte so auf die bleiernen Taschenuhren her und auf die Ludelpfeifen und auf die blinkenden Federmesserlein und auf mich, wohl erwägend, wieso ich bei diesen Schätzen stehe, die er mit gierigen Augen angriff, nachdem ihm früher die Thresel mit den Worten: »Schau, das gehört nicht dein, das laß stehen!« seine Finger von einem zinnernen Streichholzbüchslein losgelöst hatte. Zu diesem Natzelein strich ich nun hin, und ihm heimlich meine zwei Sechser in die Hand drückend, flüsterte ich ihm hastig ins Ohr: »Kauf was! Kauf dir was!«

Alsbald stand ich wieder an meinem Platz und schaute mutiger auf die ergebene Thresel hin, mit Herzklopfen die Herrlichkeit erwartend, da jetzt bald ein Käufer anrücken würde.

Das Natzelein lugte in seine hohle Hand, und als es sah, es wären zwei silberne Sechser drin, machte es ein grinsendes Gesicht zu mir herüber, dann drehte es sich flugs um und kaufte drüben beim Juden ein Tabakrauchzeug.

Jetzt vergaß ich meiner Würde, hin schoß ich zwischen den Beinen der Leute wie ein gereizter Tiger auf das Natzelein zu und warf es zu Boden. Ein Gebalge entstand, daß der Schnee stäubte und die Leute mit hellem Gelächter einen Kreis um uns bildeten. ich wollte dem Natzelein für seinen Hochverrat die neue Pfeife entwinden und sie zu Scherben machen, aber der Rattner Gemeindediener ließ mir keine Zeit dazu. Dieser Mensch faßte mich beim Rockkragen an und zog mich hübsch kräftig in die Höhe, und weil alles rief, ich hätte ohne allen Anlaß den arglosen Jungen überfallen, so war nun vom Gemeindekotter die Rede.

Da kam ich drauf, daß der Ausspruch der Thresel auch auf mich passe: »Ein solcher Kirchtag ist mir was Neues.« Aber ich biß in die Lippen hinein, und wie sie mich auch verhörten: warum ich raufend geworden? das wäre sauber, wenn es an Kirchtagen die kleinen Buben den Großen nachmachen wollten! – ich sagte kein Wort. Ich konnte keines sagen und wollte auch nicht, weil ich mir dachte, sie könnten dann glauben, das, was geschah, wäre aus Geschäftsneid geschehen.

So wurde ich nun befragt, ob ich der Kramer-Thresel ein Sohn sei; da schrie meine Prinzipalin vom Standl her, ich wäre nichts weniger als ihr Sohn, ich wäre der Waldbauernbub, sonst ein gutes Kind, aber ich müsse vor Kälte wahnsinnig geworden sein.

Der Gemeindediener von Ratten konnte nichts Besseres tun, als stark in seinen riesigen Schnurrbart hineinzufauchen und mich dann an der Hand durch die Leute, die ganz grauenhaft bereitwillig uns eine Gasse bildeten, vom Marktplatz wegzuführen. Vom Markte weg und hinaus vor das Dorf, wo er mich mit dem wohlgemeinten Rat, ich solle schauen, daß ich heimkäme, auf der freien Straße stehenließ.

Von Rechts wegen hätte ich jetzt wimmern sollen, allein ich konnte nicht, meine Entrüstung war zu groß. Ich beschloß, nicht zu schauen, daß ich heimkäme, sondern auf der Straße zu warten, um über den Grabenberger-Buben, wenn er des Weges ginge, ein gerechtes Gericht zu halten und auch die Kramer-Thresel abzupassen, um ihr den ganzen Sachverhalt mitzuteilen, wie ich dem Natzelein mein Geld gegeben, daß er ehrenhalber bei uns was für sich kaufe, und wie diese falsche Kreatur die Silberlinge zum lärmenden Juden getragen habe.

Spät am Nachmittag, als schon das Volk der ganzen Gegend mit seinen verschiedenen Einkäufen und Räuschen zu Fuß und zu Schlitten vorübergezogen war, kam die Thresel mit ihrer schweren Trage herangeschnauft, und neben ihr watschelte die Kreatur daher mit verbundenem Kopf, liebreich von der Alten an der Hand geführt und gezärtelt, als wollte sie es gutmachen, was ihr Bursche an diesem Natzelein verbrochen. Unter solchen Umständen verbarg ich mich rasch hinter einem Fichtenstamm und ließ sie vorbeiziehen. Und dann ging ich ihnen langsam nach, voll der tiefsten Betrübnis.

Ich war noch nicht auf halbem Wege, als eine solche Müdigkeit über mich kam, daß ich mich an den Schnee hinlehnte, um zu rasten. Auf diesem Pfad gingen keine Menschen mehr. Es war im Hauensteiner Wald, die Häher und Krähen stäubten Schnee herab von den Bäumen. – Ich mußte schon recht gut geschlafen haben, da wurde ich plötzlich aufgerüttelt, und vor mir in der Abenddämmerung stand der Hausierer Maischel mit seinem Bündel.

»Was ist's denn mit dir, Würmlein«, sagte er, »das Erfrieren ist ja nicht gesund! Da müssen wir noch beizeiten einheizen!« Er hielt mir ein Holzplützerchen an den Mund, und als ich daraus ein paar Schlucke tat, da wurde mir so warm inwendig, so warm ums Herz, daß es mir zu Sinn kam: Der Maischel ist doch kein schlechter Mensch. Da er fand, daß es nicht ratsam sei, mich allein zu lassen, so ging er mit mir bis zum Hause meines Vaters. Also ist es geschehen, daß ich mit der Thresel ausging und mit dem Maischel heimkam.


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