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Geschichten unter dem wechselnden Mond

Eine sommerliche Mondnacht im Waldlande! Was kann es auf dieser Erde Lieblicheres geben!

Das Haus steht einsam auf der tannenumgrenzten Au. Alles ruht; der Brunnen aber sprudelt seine ewige Kette. Diese hebt in der Dunkelheit nun auf einmal an zu glühen und zu funkeln. Dort über den scharfgeschnittenen Zacken des Tannenwaldes steigt still und klar der Mond herauf, als höbe er sich empor mitten aus einem geheimnisvollen Urwald, in dem die wunderbaren Märchen sind. Der höchste Wipfel eines alten Baumes steht noch wie ein schwarzer Punkt in dem leuchtenden Rund. Aber bald löst sich dieses los von den dunkeln Massen des Waldberges und steht frei auf dem Himmelsgrund und wird immer reiner und glänzender; und die Schattengestalten auf der Au heben sich scharf ab vom blassen Boden, und über den Wäldern liegt der strahlendurchwirkte, bläuliche Duft.

Heute noch träume ich in solchen Mondnächten den glückseligen Traum vom Reiche Gottes auf Erden. Und vollends, als ich noch ein Knabe war, nicht allein den Glauben an Gott, sondern auch noch den an die Weltheit hegte, da erlebte ich in den ahnungsvollen Stunden eine große Seligkeit. Ich war in solchen Mondnächten kaum zu Bette zu bringen. Da stand ich an der Tür vor dem Haus, sah den Mond an und dachte an das Paradies.

Der Mond – er kam ja vom Paradiese her, sah man doch, wie er mit den Augen zwinkerte und vielsagend lächelte, als wisse er so manches, was er den Menschen wohl leise andeuten, aber nicht erzählen dürfe. Gott hat's verboten. Und so blieb er stumm bis auf den heutigen Tag, er lächelt uns nur von weitem so an, und weise Männer sagen, eines Tages würde der tanzende Alte schwindelig werden und würde einen Sprung machen nieder auf die Erde.

Ob wir dann wohl Näheres erfahren werden? Meine Ahne, welche zu jener Zeit, die ich meine, noch immer um mich war, deutete oft mit dem Finger nach dem Mond und rief :

»Du schau, Bübel, schau, der Mannähndl!«

Mannähndl, so heißen die Kinder bei mir daheim den Mond. Dann setzte die Ahne noch dazu: »Lug (schau) aber recht, Bübel, dort drin im Mannähndl sitzen Adam und Eva!«

Ja richtig, da sah ich wohl auch selbst die zwei dunkeln Gestalten, unsere ersten Voreltern, im Monde sitzen. Sie dürfen des Sündenfalles wegen nicht in den Himmel hinein, sie müssen zur Strafe im Mond verbleiben und niedersehen auf das Elend, das sie angerichtet haben.

Recht liebhaben mögen sich die zwei auch noch immer, dennoch aber müßte ihnen schauderlich langweilig werden bei ihrem Sitzen im Mond, täten sie nicht doch zuweilen hienieden auch etwas anderes sehen als Elend.

Es gehört dieses nicht ganz in die jungen Jahre des Waldbauernbuben hinein, aber zu leugnen ist's eben nicht: Der Weidknecht liegt auf seinem öden, einsamen Heu und kann nicht schlafen. Eine übermütige Heuschrecke hüpft fortweg über seine Knie und schließlich gar auf sein Gesicht. Der Mond guckt durch das Dachfenster herein und blinzelt. Hol der Kuckuck so ein Liegen da! denkt sich der Bursche und steht auf und geht hinaus in die schöne, wohlige Nacht. Wohin?

Der Mond guckt ihm nach – verrät aber nichts.

Ich auch nicht.

Ich war schon ziemlich erwachsen, als ich merkte, wo der Bartel den Most holt. Dann freilich ging ich sofort auch mit meinem Kruge aus. Der Mond hat es gesehen, wie mir's dabei erging. Ich wußte, in der hinteren Zimmerung des Nachbarhofes schlief sie, die mit dem gelben Haar. Ich krümmte den Zeigefinger und klopfte und flüsterte: »Du!« Da hörte ich, wie sich's drin rührte, pustete und mit den Zähnen scharrte; endlich hub es an zu meckern. Ich war an den Ziegenstall geraten.

Sofort versuchte ich es bei dem nächsten Fenster.

»Närrisch, du!« sagte sie in der Kammer, »was willst denn jetzt um Mitternacht? Ist ja die Geisterstund!«

»Ja«, sagte ich, »desweg fürchte ich mich und möcht gern zu zweien sein.«

»Schau«, entgegnete sie, »bei mir ist das grad umgekehrt. Ich schlaf zu einzeln gut und tät mich zu zweien fürchten.«

»Aber du wirst einsehen, Julie, es ist eine kalte Nacht –«

»Bigott, Bübel!« sagte das Mädchen mit dem gelben Haar, »erkälten darfst du dich nicht; das litte ich auf keine Weis. Und desweg ist es, daß ich dir treuherzig sag: Geh heim in dein warmes Bett!«

Ich denke über diese soviel närrische Zeit hinweg lieber wieder an die Kindschaft zurück.

 

Gingen ich und meine Mutter einmal mitten in der Nacht durch den Wald. Es war ein Kohlenbrennermädchen gestorben, und nun gingen wir zur Bahre, um zu beten und den Eltern der Verstorbenen die Leichenwache halten zu helfen. Wir schritten langsam über das Moos dahin, der Wald war finster. Hoch über den Wipfeln aber stand der Vollmond und legte, wo er durch das dichte Geäst dringen konnte, milchweiße Sternchen und Täfelchen vor uns auf den Boden.

Als wir auf eine kleine Lichtung kamen, stand meine Mutter still, wendete ihr Gesicht empor, hielt eine Hand über die Augen und sagte:

»Jetzt, da kann man es einmal schön sehen, das Spinnrad Unserer Lieben Frau.«

Sie meinte den Mond, der ja so zarte Fäden herniederspann zwischen den Wipfeln und Ästen.

Dann wendete sich die Mutter zu mir:

»Du hast gute Augen, Bub. Lug in den Mannähndl hinein, dort drin sitzt Unsere Liebe Frau und tut spinnen. Sie spinnt ein himmlisches Kleid für das Mägdlein, das heute auf der Bahre liegt. Und guck noch ein wenig – deine Urahne sitzt auch daneben!«

Wahrhaftig, da sah ich's, dort im Monde saßen zwei wunderholde Frauen beim Rocken.

Dann gingen wir wieder, und der Mond oben ging mit uns den gleichen Schritt und spann seine himmlischen Seiden nieder in unseren weiten Wald.

Als wir zum Haus kamen, in welchem das Kohlenbrennermädchen lag, stand die Tür weitmächtig offen, und der Mond schien hinein auf die Leiche, und das Angesicht des Mädchens war zart und lieb und mild, wie weißes Wachs.

»Es ist uns das Öl ausgegangen«, sagte der Kohlenbrenner, »Wir können keine Ampel herstellen, und so haben wir die Tür aufgemacht, daß der Mondschein das Totenlicht sollt sein!«

Da dachte ich wohl gleich an Unsere Liebe Frau; sie spinnt für das Mägdlein ein himmlisches Kleid.

Wir wachten so lange bei der Leiche, bis das Morgenrot auf den Waldwipfeln zu schimmern begann und der Mond blaß und glanzlos niedersank hinter den fernen Felsen des hohen Schwab.

Dann huben sie das Kind auf und trugen es davon. Und als der Mond wieder kam, fand er auf dem Kirchhof einen treuen Hügel und ein hölzernes Kreuzlein darauf, und darüber senkte er süß und still seinen Strahlenschimmer.

 

Ein anderes Mal war wieder Leichenwache.

Der Waldjosel kleiner Franz war gestorben, und ich, ein Knabe mit neun Jahren, nahm mein Erbauungsbuch und mein Fernrohr, das ich einem alten Hausierer abgeschachert hatte, und ging zur nächtlichen Leichenfeier.

Wir besaßen im Hause einen hundertjährigen Kalender, der hatte schon vor vielen Jahren für die heutige Nacht eine Mondesfinsternis prophezeit, ohne daß er gewußt haben mochte, daß ich, der Waldbauernbub, um diese Zeit wirklich mit einem Fernrohr ausgerüstet war. Ich wollte doch gar zu gern sehen, wie das schwarze Ungetüm, das kein Mensch kannte und das auch der Hundertjährige nicht zu beschreiben wußte, den lieben Mond anpacken und sich in denselben hineinfressen würde.

Als ich über die Felder ging, stieg der runde Mond gerade über die Teufelssteinwälder herauf, vollwangig und freundlich lächelnd. Er hatte wohl keine Ahnung, was ihm nach dem Hundertjährigen heute bevorstand. Mein Instrument hielt ich in der inneren Rocktasche verborgen, und so kam ich zum Hause, wo der tote Franzel lag. Er lag in der Wohnstube aufgebahrt, und daneben stand ein Tisch, um welchen schon mehrere Leute saßen, die Tabak rauchten, dabei über Wirtschaftsdinge sprachen und auf mein Vorlesen warteten. Glaubensgrübler waren dabei, so die alte Riegelbergerin, so der Holzschlager Thomerl; und das war mir gerade recht, denn ich hatte in meinem Buch ein Kapitel über den Weltuntergang vorbereitet.

Zuerst, als sich die Weiber herangezogen hatten, wurde ein geistliches Lied gesungen:

»Hört, liebe Kinder insgemein,
all Reiche, Arme, groß und klein,
höret zu mit Traurigkeit,
der jüngste Tag ist nimmer weit.

An einem so erschrecklichen Tag,
da fallen die Stern vom Himmel herab;
Sonn und Mond verfinstern sich,
die Allmacht Gottes kündet sich.«

Und so weiter war im Lied die Rede vom Tale Josaphat, von Posaunengetön, von der Auferstehung der Toten und vom strengen Gericht.

Somit war das Volk in die rechte Stimmung versetzt. Ich schlug mein Buch auf, um mit den Vorhersagungen eines theologischen Schriftstellers und mit nachdrücklicher Stimme die Wahrheit des Liedes zu beweisen. Die prächtigsten Zeichen und Wunder predigte ich zusammen; die Sterne purzelten vom Himmel wie Hagelkörner, und Sonne und Mond verfinsterten sich derart, daß ein alter Bauer, der Brunnmichel, es für nötig hielt, mit den Fingern das Kerzenlicht zu putzen. »Au weh!« sagte er dabei, »auch beim Waldjosel ist das Feuer heiß.«

»Ja, das magst dir merken«, meinte die alte Riegelbergerin, »und kein solcher Übermut sein, du alter Tatel. Bedenk's nur, wenn schon das Feuer beim Waldjosel so heiß ist, wie wird's erst in der Höll brennen!«

»Bedank mich sauber für deine Christenlehr«, antwortete der Brunnmichel, »du meinst, weil ich, der siebzig Jahre alte Schippel, aufs Steirischtanzen noch was halt. Weißt, Riegelbergerin, ich denk mir halt so:

Seids lustig, seids lustig,
tuts singen und hupfen,
so kann euch der Teuxel
kein Haarl ausrupfen!«

»Aber du mein Gott!« rief der Holzschlager Thomerl entrüstet, »jetzt hebt er mit seinen Schelmenliedern an, und neben uns liegt ein Totes!«

»Jesus, Maria und Josef!« kreischte ein Weib und riß ihren Kopf vom Fenster zurück, »Schauts hinaus, Leut, der jüngste Tag! Den Mond schauts an, ein großmächtiges Stuck ist weg'brochen!«

Alles stürzte zu den Fenstern, zur Tür.

»Das ist gewiß, der höllisch Drach frißt den Mond auf!«

»Und kehr die Hand um, wird er auch die Sonn im Rachen haben, nachher, behüt dich Gott, Taglichten, nachher mögen wir in der Finsternis den Haber schneiden.«

»Ja, wenn einer wachst!«

»Ja, wenn einer anbaut wird! Ich denk, nach dem Haberfeld werden wir nicht viel fragen. Werden bald die Posaunen zu hören kriegen!«

»Wer hätt's gemeint, daß wir das noch sollten erleben!«

»Und von Toten auferstehen sollten, ehvor wir gestorben sind«, sagte der alte Michel, »aber ich fürchte, es ist nur eine Mondesfinsternis.«

In der Erregung war das Licht ausgelöscht; die Ampel an der Leiche glimmte kaum; der Mond schien mit mattem Licht auf den Fußboden der Stube herein. Ich tat mein Fernrohr hervor, zog es auseinander und hockte unter den Tisch hinab, damit ich durch das kleine Fenster mit meinem Instrument dem schon hochstehenden Mond beikommen konnte.

Ich erschrak selber. Der ganze untere Teil, wo sonst Adam und Eva saßen, war weg, und der andere, der noch da war, zitterte wie das zusammengebrochene Lamm vor dem Wolf.

Mehrere Weiber waren, wie es bei Finsternissen gebräuchlich ist, mit Hafendeckeln, Pfannen und Töpfen ins Freie geeilt und huben an zu schellen und zu klirren: vielleicht gelänge es doch noch, dem Ungeheuer die Beute abzujagen.

Mittlerweile war die vorher leuchtende Scheibe schier zu einem Kipfel zusammengeschwunden – und ich begann nun zu meinem Erstaunen auch jenen Teil wiederzusehen, der gar nicht da war. Es stand wahrhaftig noch der ganze Mond am Himmel, nur war er fleckig und schwarz geworden, wie im Herbst die kranken Erdäpfel schwarz werden. Und nun dachte ich bei mir: Es sieht nicht aus, als ob ein Ungeheuer den Mond im Rachen hätte, es weist sich vielmehr als wie eine Krankheit, die den lieben Mond überfällt, daher auch das Fieber, das Zittern, wie ich es durch mein unruhiges Fernrohr beobachten konnte.

Ich war mitten in meinen Forschungen, da rief plötzlich einer: »Was macht denn der da unter dem Tisch? Hat er was Heimliches?«

»Das werden wir gleich sehen, herauf mit dem Waldbauernbuben!«

Sie zogen mich hervor, und jetzt sahen sie mein Instrument, womit ich den Mond betrachtet hatte.

Das war Unheil. Zuerst fuhr die Riegelbergerin auf mich los. Sie hieß mich den Unchrist, der selber nicht glaubt, was er gerade erst aus dem heiligen Buch gelesen hat, der wie die Heiden mit Röhren und Gläsern den Himmel ergründen will, mit Teufelswerkzeugen dem Herrgott gleichsam ins Auge schaut und in den Magen hinein!

Der Holzschlager Thomerl riß mir das Fernrohr aus der Hand und stürzte damit zum Ofen: »Da gehört's hinein!«

Alles war außer Rand und Band und wollte mir böse. Da flüsterte mir der Michel ins Ohr: »Bub, lüg ihnen geschwind was vor, sonst kratzen sie dir die Augen aus.«

Jetzt rief ich den Leuten zu: »Seids froh, daß ich mit dem Fernrohr hinaufgeschaut hab, daß ich's euch erzählen kann, wie's jetzt zugeht da oben!«

»Wir wollen's nicht wissen!« schrien einige.

»Ist alles Verblendung!«

»Na!« sagten ein paar Weiber spottweise, »wenn du schon so gescheit bist, so erzähl's halt, was du gesehen hast.«

»Soviel ich hab sehen können«, sprach ich, »hält der Mond sein Sacktuch vors Gesicht und weint.«

»Über was kann er denn weinen«, rief die Riegelbergerin aufgeregt, »als aber die Schlechtigkeit der Welt!«

»Oder über die Dummheit der Leut«, ergänzte der Michel.

Ich sah, daß es schiefging, und meinte gleichwohl mit etwas Schalkheit, ich wäre in meiner Beobachtung nur zu früh gestört worden und hätte es nicht so genau gesehen, möglicherweise, und mir habe es sogar so geschienen, als hätte der Mond vor lauter Lachen sein Taschentuch vors Gesicht gehalten.

»So hat er wen ausgelacht!« sagte der alte Michel und schielte auf die Riegelbergerin hinüber.

»Weißt du was, Bub!« fuhr mich diese an, »du bist ein Fabelhans und du gehst hinaus! – aber gleich gehst hinaus!« Sie hob gegen mich ihre zwei mageren Fäuste.

»Oho!« rief der Michel und stellte sich dazwischen, »ist das eine Mode? Beim Leichwachen? Dem Bübel geschieht nichts, und jetzt, Weiberleut, singts wieder eins, wißts kein Lustiges, so tut's ein Trauriges, aber fein nach dem Takt, daß einer dabei tanzen kann.«

»Die Finsternis ist schon vorbei«, berichtete der Hausvater, der zur Tür hereinkam. Und siehe, der Mond war wieder licht und rund, er weinte nicht und lachte nicht – in stiller Freundlichkeit blickte er nieder auf den Zimmermann, der über den Anger schritt und auf der Achsel den kleinen weißen Sarg herantrug.

Neben diesem glitt ein schwarzes Ungeheuer daher. Es war der Schatten vom Zimmermann und dem Sarge.

 

Einmal zur Herbstzeit war ich mit Markus, unserem alten Knecht, spätabends noch auf dem Felde. Wir lehnten Habergarben aneinander; ich hielt die Garben zusammen, und der Markus bog die Hüte darauf.

Ich blickte dabei den aufgehenden Mond an und konnte mein Auge gar nicht wenden, bis der Markus plötzlich rief:

»Jesus Maria, das ist ein Unglück! Jetzt ist mir der Bub mondsichtig geworden!«

Ich erschrak. Ich kannte einen Mondsüchtigen, der schlafend auf allen Dächern herumstieg und dabei ein Gesicht hatte, so blaß wie der Mond selber.

Der Markus lachte über meinen Schreck, und ich wendete mein Auge von der Mondscheibe ab.

»Ja, ja, magst schon gucken«, sagte der alte Knecht, »jetzt aber werd ich dir's deuten, wie der Mond da oben aufgekommen ist.« Das war mir gleich recht, obwohl man, wenn der Markus was erzählte, nie wußte, ob er zum Ernst oder zum Spaß rede; sein Gesicht freilich, das war dabei ernsthaft genug, und diesem nach meinte man immer, seine Worte seien der dreizehnte Glaubensartikel ein für allemal. Aber ein paarmal waren doch Reden von ihm ertappt worden, die keinen Reisepaß durch das Land der Wahrheit mit sich getragen hatten.

»Wie der Mond aufgekommen ist?« fragte ich erstaunt.

»Wie der Mond aufgekommen ist«, versetzte der alte Knecht. »Spitz die Ohren, Kleiner, aber fürcht dich nicht, daß ich dich dran pack; hör, gewesen ist es so: Wie Sankt Michael Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben gehabt hat, kehrt er zurück in den Himmel. – Na, hast sie ausgejagt, diese Herrgottssakermenter? fragte der Gottvater. – Hätt der Herr auch einen anderen schicken mögen! brummt Sankt Michael in seinen Bart; nein du, Bart wird er keinen gehabt haben... Ich hab mir, sagt er, in dieser Höllenfinsternis da unten das Knie angestoßen, daß schon all des Teufels ist, oder was. Beim Tag geht's noch an, da schupfen die Engel den Sonnenball hin und wieder; aber in der Nacht ist das schon eine stockfinstere Welt übereinand! Kann's der Eva gar nicht für übel halten, wenn sie in der rabenschwarzen Nacht einen unrechten Apfel erwischt hat; wird schon noch öfters so was passieren. Die Leut müssen einen Mond haben! – Ja? fragt der Gottvater, na, so steh ein wenig beiseit, Sankt Michael! ich erschaff jetzt den Mond! – Richtig, hat's getan! Aber, sagt der Gottvater, auf daß die Leut wissen, daß es nur ein guter Wille ist von mir, und daß sie sich nicht eine Rechtssache daraus machen, so laß ich den Mond im Monat allemal nur vierzehn Nächte scheinen, die übrigen vierzehn laß ich's finster sein. – Und deswegen«, setzte der Knecht bei, »haben wir den zunehmenden und den abnehmenden Mond.«

»Ja so, deswegen«, sagte ich sehr zufrieden; nun wußte ich schon mehr als der Pfarrer, der an die Offenbarungen unseres alten Evangelisten Markus nicht immer glauben wollte.

 

So ging es eine Weile fort, da kam endlich für mich und den guten Mond eine andere Zeit. Ich hatte in Kindberg einen Vetter, der ein gelehrter Mann war. Den besuchte ich einmal und fand ihn desselben Abends spät auf dem Dach seines Hauses, wo er vor einer erschreckend großen Kanone stand. Die Kanone war schnurgerade auf den armen Mond gerichtet, der über den Giebeln des Ortes mit weinendem Vollgesicht stand und herniederschaute. Der Vetter guckte durch das gewaltige Rohr so hinaus und sagte dann zu mir:

»Jetzt komm, Bursch, stell dich da her und guck auch einmal!« So guckte ich denn auch einmal. – Josef und Jerum, hab ich aber jetzt meinen Kopf zurückgeworfen! Was habe ich gesehen? Da drin in der Kanone ist ein mächtig großes helles Schneefeld gewesen; und wie ich länger geschaut, hab ich Berg und Tal gesehen und ein ganzes Alpenland, und alles wie von purem Eis und Schnee. Ich habe mit meinen Augen alle Höhen und alle Täler und Schluchten abgesucht – aber ich habe Adam und Eva nicht gefunden, und ich habe Unsere Liebe Frau mit dem Spinnrocken nicht gefunden.

»Ist ein schöner, lieblicher Glaube gewesen«, sagte mein Vetter, »und wenn du dabei bleiben willst, gut, aber gehen wir jetzt schlafen.«

»Nein«, rief ich, »wenn etwas dahintersteckt, so will ich's wissen.«

Dann hat mir der Vetter die Naturgeschichte des Mondes erzählt. – Was hab ich jetzt? Einen starren, toten, ausgebrannten Himmelskörper ohne Wärme, ohne Lächeln. Selbst das Licht ist nicht sein Eigentum.


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