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Als dem kleinen Maxel das Haus niederbrannte

Ich erinnere mich noch gar gut an jene Nacht.

Ein dumpfer Knall, als wenn die Tür des Schüttbodens zugeworfen worden wäre, weckte mich auf. Und dann klopfte jemand am Fenster und rief in die Stube herein: Wer des Klein Maxel Haus brennen sehen wollte, der möge aufstehen und schauen gehen.

Mein Vater sprang aus dem Bett, ich erhob ein Jammergeschrei und dachte fürs nächste daran, meine Kaninchen zu retten. Wenn bei besonderen Ereignissen wir anderen über und über außer Rand und Band gerieten, so war es allemal die blinde Jula, unsere alte Magd, die uns beruhigte. So sagte sie auch jetzt, daß ja nicht unser Haus im Feuer stehe, daß das Klein-Maxel-Haus eine halbe Stunde weit von uns weg wäre; daß es auch nicht sicher sei, ob das Klein-Maxel-Haus brenne, daß ein Spaßvogel vorbeigegangen sein könnte, der uns die Lug zum Fenster hineingeworfen, und daß es möglich sei, daß gar niemand hereingeschrien hätte, sondern uns nur so im Traum vorgekommen wäre.

Dabei streifte sie mir das Höselein und die Schuhe an, und wir eilten vor das Haus, um zu sehen.

»Auweh!« rief mein Vater, »'s ist schon alles hin.«

Über den Waldrücken herüber, der sich in einem weitgebogenen Sattel durch die Gegend legt und das Ober- und Unterland voneinander scheidet, strebte still und hell die Flamme auf. Man hörte kein Knistern und Knattern, das schöne, neue Haus, welches erst vor einigen Wochen fertig geworden war, brannte wie Öl. Die Luft war feucht, die Sterne des Himmels waren verdeckt; es murrte zuweilen ein Donner, aber das Gewitter zog sich sachte hinaus in die Gegenden von Birkfeld und Weiz.

Ein Blitz – so erzählte nun der Mann, der uns geweckt hatte, der Schaf-Gistel war's – wäre etlichemal hin und her gezuckt, hätte ein Drudenkreuz auf den Himmel geschrieben und wäre dann niederwärts gefahren. Er wäre aber nicht mehr ausgeloschen, der lichte Punkt an seinem untern Ende wäre geblieben und rasch gewachsen, und da hätte er, der Mann, gedacht: Schau du, jetzt hat's den Klein Maxel 'troffen.

»Wir müssen doch schauen gehen, daß wir was helfen mögen«, sagte mein Vater.

»Helfen willst da?« versetzte der andere, »wo der Donnerkeil dreinfahrt, da rühr ich keine Hand mehr. Der Mensch soll unserm Herrgott nicht entgegenarbeiten, und wenn der einmal einen Himmletzer (Blitz) aufs Haus wirft, so wird er auch wollen, daß es brennen soll. Hernachen mußt wissen, ist so ein Einschlagets auch gar nicht einmal zu löschen.«

»Deine Dummheit auch nicht«, rief mein Vater, und zornig, wie ich ihn noch selten gesehen hatte, schrie er dem Gistel ins Gesicht: »Du bist blitzdumm!«

Ließ ihn stehen und führte mich an seiner Hand rasch davon. Wir stiegen ins Engtal hinab und gingen am Fresenbach entlang, wo wir das Feuer nicht mehr sehen konnten, sondern nur die Röte in den Wolken. Mein Vater trug einen Wasserzuber bei sich, und ich riet, daß er denselben gleich an der Fresen (Freßnitz) füllen solle. Mein Vater hörte gar nicht drauf, sondern sagte mehrmals vor sich hin: »Maxel, aber daß dich jetzt so was treffen muß!« Ich kannte den kleinen Maxel recht gut. Es war ein behendiges, heiteres Männlein, etwa in den Vierzigern; sein Gesicht war voll Blatternarben, und seine Hände waren braun und rauh wie die Rinden der Waldbäume. Er war seit meinem Gedenken Holzhauer in Waldbach.

»Wenn einem andern das Haus niederbrennt«, sagte mein Vater, »na, so brennt ihm halt das Haus nieder.«

»Ist's beim Klein Maxel nicht so?« fragte ich.

»Dem brennt alles nieder. Alles, was er gestern gehabt hat und heut hat und morgen hätt haben können.«

»So hat der Blitz den Maxel 'leicht selber erschlagen?«

»Das wär 's best, Bub. Ich vergunn ihm das Leben, Gottseid, ich vergunn ihm's – aber, wenn er ehvor hätt beichten mögen und in keiner Todsünd gewesen wär, wollt richtig gleich sagen, das allerbeste wenn's ihn auch selber 'troffen hätt.«

»Da wär er jetzt schon im Himmel oben«, sagte ich.

»Watsch nur nicht so ins nasse Gras hinein. Geh gleim hinter mir und halt dich beim Jankerzipf an. Vom Maxel, von dem will ich dir jetzt was sagen.«

Der Weg ging sanft berganwärts. Mein Vater erzählte.

»Jetzt kann's dreißig Jahr aus sein – ist der Maxel ins Land 'kommen. Armer Leute Kind. Die erste Zeit hat er bei den Bauern herum einen Halterbuben gemacht, nachher, wie er sich ausgewachsen hat, ist er in den Holzschlag 'gangen. Ein rechtschaffener Arbeiter und allerweil fleißig und sparsam. Wie er ist Vorarbeiter worden, hat er sich vom Waldherrn ausgebeten, daß er das Sauerwiesel auf der Gfarerhöh ausreuten und für sein Lebtag behalten darf, weil er soviel gern eigen Grund und Boden hätt. Ist ihm gern zugesagt worden, und so ist der Maxel alle Tag, wenn sie im Holzschlag Feierabend gemacht haben, auf sein Sauerwiesel 'gangen, hat den Strupp (das Gestrüpp) weggeschlagen, hat Gräben gemacht, hat Steine ausgegraben, hat die Wurzeln des Unkrautes verbrannt – und in zwei Jahren ist das ganze Sauergütel trockengelegt, und es wachst gutes Gras drauf, und gar ein Fleckel Brandkorn hat er anbaut. Wie es so weit angeht, daß er's auch mit Kohlkraut hat probiert und gesehen, wie gut es den Hasen schmeckt, ist er um Waldbäume eingekommen. Die können sie ihm nicht schenken wie das Sauerwiesel, die muß er abdienen. So hat er Arbeitslohn dafür eingelassen, und die Bäume hat er umgehauen und viereckig gehackt und abgeschnitten zu Zimmerholz – alles in den Feierabenden, wenn die anderen Holzknechte lang schon sind auf dem Bauch gelegen und haben ihre Pfeifen Tabak geraucht. Und nachher hat er angehebt, an solchen Feierabenden andere Holzhauer zu verzahlen, daß sie ihm bei den Arbeiten helfen, die ein einziger Mann nicht dermachen kann, und so hat er auf dem Sauerwiesel sein Haus gebaut. Fünf Jahr lang hat er daran gearbeitet, aber nachher – du weißt ja selber, wie es dagestanden ist mit den goldroten Wänden, mit den hellen Fenstern und der Zierat auf dem Dach herum, schier vornehm anzuschauen. Ein fein Gütel ist worden auf der Sauerwiese, und wie lang wird's denn her sein, daß uns unser Pfarrer bei der Christenlehr den Klein Maxel als ein Beispiel des Fleißes und der Arbeitsamkeit hat aufgestellt? Nächsten Monat hat er heiraten wollen; und daß er heraufgestiegen ist vom Waiselbuben bis zum braven Hausbesitzer und Hausvater – Bub, da ruck dein Hütel! Und jetzt ist auf einmal alles hin. Der ganze Fleiß und alle Arbeit die vielen Jahr her ist umsonst. Der Maxel steht wieder auf demselben Fleck wie vorher.«

Ich habe dazumal meine Frömmigkeit noch aus der Bibel bezogen, und so entgegnete ich auf des Vaters Erzählung: »Der Himmelvater hat den Maxel halt gestraft, daß er so aufs Zeitliche ist gegangen wie die Heiden, und der Maxel hat sich 'leicht ums Ewige zu wenig gesorgt. Sehet die Vöglein in den Lüften, sie säen nicht, sie ernten nicht –«

»Sei still!« unterbrach mich der Vater unwirsch, »der das hat gesagt, ist der König Salomo gewest, der kann so was schon sagen. Unsereiner sollt's probieren! – Ich kenn mich nimmer aus, und das sag ich, wenn's mir so geht wie dem Klein Maxel, ich bin verzagt und heb an zu faulenzen. Wenn ein Mensch mit dem Zündholz in ein Strohdach fährt, so wird er in den Kotter gesteckt – ist auch recht, gehört ihm nichts anderes. Aber wenn einer vom Himmel herunter Feuer auf das nagelneue Haus wirft, das ein armer, braver Arbeitsmann gebaut –«

Er unterbrach sich. Wir standen auf der Anhöhe, und vor uns loderte die Wirtschaft des Klein Maxel, und das Haus brach eben in seinen Flammen zusammen. Mehrere Leute waren da mit Hacken und Wassereimern, aber es war nichts anderes zu machen, als dazustehen und zuzuschauen, wie die letzten Kohlenbrände in sich einstürzten. Das Feuer war nicht wütend, es brüllte nicht, es krachte nicht, es fuhr nicht wild in der Luft herum; das ganze Haus war eine Flamme, und die qualmte heiß und weich zum Himmel auf, von wannen sie gekommen.

Eine kleine Strecke vom Brande war der Steinhaufen, auf welchen der Maxel die Steine der Sauerwiese zusammengetragen hatte. An demselben saß er nun, der kleine, braune, blatternarbige Maxel, und sah auf die Glut hin, deren Hitze auf ihn herströmte. Er war halb angekleidet, hatte seinen schwarzen Sonntagsmantel, das einzige, was er gerettet, über sich gehüllt. Die Leute traten nicht zu ihm; mein Vater wollte ihm gern ein Wort der Teilnahme und des Trostes sagen, aber er getraute sich auch nicht zu ihm. Der Maxel lehnte so da, daß wir meinten, jetzt und jetzt müsse er aufspringen und einen schreckbaren Fluch zum Himmel stoßen und sich dann in die Flammen stürzen.

Und endlich, als das Feuer nur mehr auf dem Erdengrund herumleckte, und aus den Aschen die kahle Mauer des Herdes aufstarrte, erhob sich der Maxel. Er schritt zur Glut hin, hob eine Kohle auf und zündete sich die Pfeife an.

Ich war damals doch noch klein und konnte nicht viel denken. Aber an das erinnerte ich mich: Als ich in der Morgendämmerung den Klein Maxel vor seiner Brandstätte stehen sah, und wie er den blauen Rauch aus der Pfeife sog und von sich blies, da war mir in meiner Brust plötzlich heiß. Als ob ich es fühlte, wie mächtig der Mensch ist, um wieviel größer als sein Schicksal, und es für das Verhängnis keinen größeren Schimpf gäbe, als wenn man ihm in aller Seelenruhe Tabakrauch in die Larve bläst.

Und als die Pfeife brannte, setzte er sich wieder auf den Steinhaufen und blickte in die Gegend hinaus. Was er gedacht hat, das möchtet ihr wissen? Ich auch.

Später hat der Klein Maxel die Asche seines Hauses durchwühlt und aus derselben sein Schlagbeil hervorgezogen. Er schaftete einen neuen Stiel an, er machte es an einem Schleifstein der Nachbarschaft wieder scharf – und ging an die Arbeit. Seither sind viele Jahre vorbei: Um die Sauerwiese liegen heute schöne Felder, und auf der Brandstätte steht ein neugegründeter Hof. Junges Volk belebt ihn, und der Hausvater, der Klein Maxel, lehrt seine Söhne das Arbeiten, erlaubt ihnen aber auch das Tabakrauchen. Nicht gar zuviel – aber ein Pfeiflein zu rechter Zeit.


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