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Als ich...

Einst war in unserem Waldhaus ein alter Knecht, der einen gloriosen Spitznamen hatte: er hieß der Talerbüchsen-Toni.

Er besaß nämlich – ob als Erbschaft oder als Ersparnis, das ist nicht ergründet worden – einen kleinen Schatz von alten Silbermünzen, teils mit Bildnissen Maria Theresias, Friedrichs des Großen, teils mit dem Bilde der Mutter Gottes oder mit dem Zeichen vom Krummstab und Schwert, von Adlern, Löwen, zweiköpfigen Tigern, von Kreuzen und Ringen, seltsamen Buchstaben oder anderen geheimnisvollen Markierungen. Etliche dieser Münzen, die wir, ohne Unterschied des Landes, der Prägung und der Größe, Taler nannten, sollen sogar vom Dreißigjährigen Kriege hergestammt haben. Den Schatz hielt Toni, der Knecht, eingeschachtelt in einer runden, blutrot angestrichenen Holzbüchse. Wenn nun der Feierabend kam oder eine stille Feiertagsstunde war, holte er aus seiner Kleidertruhe die Büchse hervor, aber nicht etwa, um nach alter Geizhalsart für sich allein darin zu wühlen und zu schwelgen, sondern um die Talerfreude mit seinen Hausgenossen zu teilen, ihnen nach seiner Weise die Geldstücke zu erklären, sie dann auf dem Tisch klingen zu lassen, um die Feinheit des Silbers zu bekunden, und sich an den gierigen Blicken zu weiden, die auf seine schönen Taler niederstachen.

Sobald jedoch die Leute merkten, es fiele bei dieser wiederholten Silberbeschau weiter nichts für sie ab, wurde ihnen die Sache langweilig, und sie sagten: »Geh, laß uns in Ruh, Toni, mit deinen alten, blinden Schimmeln, wenn du keinen herschenkst, so wollen wir sie auch gar nicht sehen.« Derlei undankbare und lieblose Bemerkungen verdrossen den Knecht Toni allemal so tief, daß er in dem betreffenden Hause sofort den Dienst kündigte und in einen anderen Hof zog, wo man die Talersammlung, die den Inhalt seines Knechtelebens ausmachte, wieder besser zu würdigen verstand. – Aber die Bauersleute sind soviel hochsinnig, sie halten nichts aufs Geld, wenn sie es nicht kriegen. Und so kam es, daß der Toni gar häufig seinen Dienst wechselte, trotzdem er sonst ein stiller, zufriedener Mensch und gewiß kein schlechter Arbeiter war.

Nun, so war der Talerbüchsen-Toni auch in unser Waldhaus gekommen, und weil er an meinem Vater einen Mann fand, der die Geldstücke nicht nach dem Gewicht schätzte, sondern an den Bildnissen der Könige und Kaiser und besonders an der lieben Mutter Gottes seine Freude hatte, und weil er an uns Kindern – ich war damals etwa acht Jahre alt – eine jubelnde Schar von unersättlichen Bewunderern fand, so lebte er in unserem Hause neu auf. Und jeden Abend nach dem Vesperbrot kam er denn von seiner Gewandtruhe, die oben im Dachgelaß stand, zu uns in die Stube, geheimnisvoll die rote Büchse noch unter dem Rock bergend, sie dann langsam hervorziehend, stets mit einer Miene, als ob es das allererstemal geschehe und er etwas unerhört Neues aufzuzeigen hätte. Und wenn er dann am sicheren Ort des großen Eichentisches saß und wir in einem festen Wall um ihn herum waren, schraubte er mit einer bedächtigen Fertigkeit die Büchse auf und faßte einen um den anderen mit zwei Fingern an, wie der Priester die Hostie, und begann mit seinen Auslegungen. An jedem Stück war eine besondere Merkwürdigkeit. Da war eine Maria Theresia, die scheinbar ihre Augen verdrehte, wenn man ihr die blinkende Münze Fritz des Großen gegenüberhielt. Ein anderer Taler zeigte noch Rostflecken vom Dreißigjährigen Krieg, von welchem der Knecht bemerkte, man müsse nicht glauben, daß dieser Krieg dreißig Jahre lang ohne alle Unterbrechung gedauert habe; in den meisten Nächten, besonders aber zu den hohen Festtagen, habe man die Schlacht unterbrochen, und Freund und Feind habe in Gemeinschaft sein Gebet verrichtet. – Auf einem andern Taler war das wahrhaftige Bildnis Unserer Lieben Frau und ein Ablaß daran für den, der es küßte. Wir durften es auch küssen, alle der Reihe nach, auch die Dienstboten, die der Knecht gut leiden konnte; zu den andern sagte er, sie möchten sich ihren Ablaß nur anderswo holen, sie saugeten mit ihren ungewaschenen Mäulern leicht die ganze heilige Weihe aus dem Silber.

Besonders ein halberwachsener Bursche, der Hiasel, war es, welcher durch manch lose Bemerkung über den Toni und seine Büchse des alten Knechtes Unwillen in so hohem Grade erweckt hatte, daß er nicht ein einzig Mal zur Talerschau, geschweige zum Kuß zugelassen wurde.

Der Hiasel war kurze Zeit früher als unterstandsloser, etwas verkommener Junge des Weges gestrichen, und mein Vater hatte ihn aufgenommen, mit gutem Hanfzeug bekleidet, auch ordentlich ausgefüttert, denn die ersten Wochen war der heimatlose Bursche gar nicht zu sättigen gewesen. Dafür griff der Hiasel nun auch die Arbeit flink an, war munter, und das regelmäßige Leben schien ihm gar nicht übel zu gefallen. Er sah jetzt recht gesund aus, war schlank gewachsen, und weil er sich auch die Haare kämmte, so wollte er schier ein hübsches Bürschlein werden. Ich, das muß ich wohl gestehen, hatte keine besondere Zuneigung zum Hiasel, nicht allein, weil er mir immer als Beispiel aufgestellt wurde, wenn ich mich nicht waschen und strählen lassen wollte, sondern und viel mehr noch, weil der Hiasel »Peitenstegga« anstatt Peitschenstecken sagte. Er war aus dem Niederösterreich herübergekommen, und mir war das »Fremdeln« in der Sprache unheimlich und dieses »Peitenstegga« geradezu eine Ungeheuerlichkeit. Der Bursche schnitt mir manchen Peitschenstecken und unterstützte mich bisweilen in meinen kindlichen Spielen; doch niemals vermochte ich für ihn Neigung zu fassen, da wandte ich mich zehnmal lieber dem alten Toni und seiner Talerbüchse zu.

Des Alten schmunzelndes, wichtigtuendes Gesicht anzuschauen war für mich eine rechte Unterhaltung. Dieses platte runzelige Gesicht mit den großen Wangenknochen, mit den völlig wasserfarbigen Äuglein, die fortwährend hinter den buschigen Brauen Verstecken spielten, wenn die Taler aufmarschierten, dieses Gesicht war ein großer Spaß; und wie der Mann als Zeichen seiner höchsten Befriedigung die furchige Stirnhaut auf und nieder riß und selbst die Ohrläppchen bewegte wie ein Eselein, das war doch gar zu possierlich. Und nun kam mir auf einmal der Gedanke: Wenn der Toni schon in seiner Lustigkeit ein so spaßiges Gesicht machte, wie erst, wenn er zornig und wild ist? – Mit diesem Gedanken hebt die Geschichte an.

Eines Tages, als die Leute auf dem Feld waren, stieg ich mit etwas schlotternden Beinlein die Stiege vom Dachgelaß herab und freute mich auf die Stunde, wenn der Toni wieder seine Taler aufzeigen will und sie nicht findet. Das wird ein Gelächter geben! Aber ich lache still und sag den Spaß erst am andern Tag.

Es war die g'nötige (drangvolle) Schnittzeit, da wird bis in die späten Abende hinein gearbeitet, da ist's nichts mit dem Talergucken. Ich vergaß auch bald darauf, ich mußte Garben tragen und dem Vater die Kornschöberlein aufspreizen helfen. Auch waren die Kirschen reif, eine Zeit voll Sehnsucht für mich, denn ich wagte noch nicht, den Stamm emporzuklettern, und das Niederziehen der Äste vermittels Haken war scharf verboten; wenn ein Ast brach, da verstand mein Vater keinen Spaß. Das mutwillige Abreißen von Ästen nannte er: den Nachkommen Kirschen stehlen. Das war freilich ein garstiges Wort, und darum verzichtete ich schließlich doch lieber auf die so hellrot niederleuchtenden Kirschen bis zum Samstagfeierabend, wenn sie mir der Vater regelrecht herabholte oder der Hiasel es tat, der ein arger Kletterer war.

Damals erfuhr ich, was ein böses Wort vermag. Als der Hiasel hoch oben auf einem schaukelnden Aste saß und ihm bei jeder Schwenkung des Hauptes die frischen Kirschengabeln förmlich in den Mund hineinhingen, rief er zu mir nieder ins Gras, es wäre eine Schande, daß ich noch auf keinen Kirschbaum könne! Und er warf mir, der ich die Haube nach Kirschen auftat, ein paar feuchte Kerne hinein. Ich sprang ergrimmt an den Baumstamm, und in wenigen Augenblicken war ich zu meiner eigenen Überraschung oben beim Hiasel.

Ich wollte eben der Jubelstimmung über meine plötzlich eingetretene Mannhaftigkeit in einem hellen Juchschrei Luft machen, als daneben im Hause auf einmal ein unheimlicher Lärm entstand. Der Toni sprang wie rasend zur Tür heraus, hielt mit beiden Händen seinen grauen Kopf und schrie:

»Mein Geld ist weg! Mein Geld ist weg!«

Ihm folgte mein Vater: der Toni solle sich doch nicht den Kopf wegreißen, das Geld würde sich ja finden, er ließe das ganze Haus untersuchen. Ein paar Dienstmägde zeterten: das wäre ihnen auch auf der Welt noch nicht passiert, daß sie sich aussuchen lassen müßten wie Schelminnen, aber sie täten es von selber, würfen dem Bauern all ihre Habseligkeiten vor die Füße, Stück für Stück, und solle er schauen, ob die dumme Talerbüchse darunter sei.

»Die dumme Talerbüchse!« stöhnte der alte Knecht, »o Bauer! mein Bauer! Das Herz möchte mir zerspringen vor lauter Unglück!« Und er hub an laut zu weinen und ging, immer noch den Kopf zwischen den Händen haltend, ums Haus herum, als müsse die Talerbüchse irgendwo auf dem grünen Rasen liegen.

Jetzt hörte ich auch die Stimme meiner Mutter, welche darüber schalt, daß die Leute an ihren Gewandtruhen die Schlüssel stecken ließen, daß sie damit leicht ein ganzes Haus in Unehr bringen könnten; sie halte aber dafür, der Toni hätte in seiner verrückten Weise das Geld aufs Kornfeld mitgeschleppt und dort verstreut. Seit Wochen sei kein Bettler, kein Handwerksbursch oder sonst ein Fremder in den Hof gekommen, und daß im Haus kein Dieb lebe, das wisse sie gewiß.

Mir, der ich auf dem Kirschbaum hockte, war wunderlich zumute. Wenn ich jetzt nur wieder unten wäre! Das Ding geht höllisch schief!

Im Haus wurde der Hiasel gerufen.

»Wenn's eins im Haus getan hat – niemand anderer als der Hiasel!«

Als der Junge dieses Wort gehört hatte, sprang er vom Baum mit einem kecken Schwung über die Äste hinweg auf den Erdboden. Bald war er von den Leuten umringt. Der Toni hatte seine Fassungskraft wiedererlangt, er faßte daher den Hiasel am Arm und fragte, wo er das Geld habe!

Der Bursche war im Gesicht röter als die reifste Kirsche und sagte, er wisse von keinem Geld.

Das Leugnen würde ihm nichts nutzen. Man wisse bestimmt, daß er die Taler genommen habe!

Auf eine solche Anschuldigung ist der Bursche – überhaupt ungewandt im Reden, aber gewohnt, herrischen Aussprüchen sich zu fügen – ganz stumm geworden. Er stand da wie ein Stück Holz und starrte den Ankläger schier seelenlos an.

»Wenn du's willig sagst, wo mein Geld ist«, sprach der Toni in milder, fast bittender Weise, »so geschieht dir nichts; ich lege beim Waldbauern ein Gebitt ein, daß er dich frei laufen laßt. Wenn du aber leugnest, so schlage ich dich tot!«

Und ich? Als ich merkte, welch schreckbare Wendung mein »Spaß« zu nehmen begann und daß die Sache jetzt gar nicht einmal wie ein Spaß aussah, und als ich eine Geisterstimme hörte: Das, was du getan hast, war Diebstahl! – da war wohl mein erster Gedanke: Alsogleich sagen, du hast das Geld hinter der Gewandtruhe unter den Holzsparren gesteckt. – Aber sehr rasch rief eine andere Stimme: Das wäre zu gefährlich! Siehe, jetzt reißt er schon die Heckenrute ab, die kriegst du, sobald du das Wort sagst! Denn das Gesicht des alten Knechtes war ganz schreckbar anzusehen, die Wut, die Ratlosigkeit und den Jammer habe ich in meinem Leben nirgends so scharf ausgedrückt gefunden als damals auf dem Angesicht des Toni. Da gab's nichts zu lachen! Wohl totenblaß mag ich gewesen sein, als ich mich hinter den Kirschbaumstamm schlich, dann plötzlich kehrtmachte, ins Haus eilte, ins Dachgeschoß hinauf, die unselige Talerbüchse aus ihrem Versteck holte und in die sperrangelweit offene Gewandtruhe des alten Knechtes warf.

Als ich hernach wieder zum Kirschbaum zurückgekommen war, lagen von der Heckenrute nur mehr die weißen Splitter umher auf dem grünen Rasen; die Leute verzogen sich grollend und scheltend, und den Waldweg entlang wankte der Bursche mit zerrauftem Haar.

Der Knecht wimmerte im Hause umher, der Vater trat zu mir und sagte, ich hätte nun gesehen, wohin Unehrlichkeit führe; den Hiasel habe er verjagt, und ich solle nun wieder auf den Kirschbaum steigen.

Jetzt sag's! Jetzt sag's! rief es ungestüm in mir. Aber ich habe es nicht gesagt. Mir war, als könnte ich es nicht mehr sagen, als sei schon zuviel geschehen. Ich war ja fürs ganze Haus das fromme, gutmütige Büblein, das schier den ganzen Katechismus auswendig wußte und das heilige Evangelium lesen konnte so schön und kräftig wie der Pfarrer auf dem Predigtstuhl, ich sollte nun als Dieb und Schuftlein dastehen! Hatte ich nicht die haarsträubende Entrüstung der Leute gesehen, die sich in allen Formen über den armen Hiasel entleerte? Über mich mußte es noch ärger kommen, denn ich war ein doppelter Bösewicht. Für einen solchen ist es doppelt unklug, sich zu verraten – und ich habe nichts gesagt.

Hingegen bin ich jetzt fortgegangen, den Waldweg entlang, um den Hiasel zu suchen. Ich bin, wie der Steig führt, in den Schmithofgraben hinabgegangen und jenseits wieder emporgestiegen zu den Hochwaldungen des Teufelssteingebirges. Und auf der Höhe, dort, wo der weite, grüne Anger liegt, mitten im Wald, und wo das hohe, rot angestrichene Christuskreuz steht, dort habe ich ihn gefunden. Er lag unter dem Kreuze und schlief, und auf seinem Antlitz lagen Spuren von Tränen.

Über den schwarzen, hohen Baumwipfeln lag die Abendröte, kein Lüftchen und kein Laut war auf dem dämmernden Anger – ich saß neben dem schlafenden Burschen und weinte. Kinder weinen oft, aber es wird wohl selten sein, daß einer so bitter, bitterlich weint, als ich's damals getan habe, da ich Wache hielt vor dem schlummernden Jungen, dem so grob Unrecht geschehen war.

Wecken wollte ich ihn nicht. Er war ja so müdegehetzt. Daß er unschuldig ist, das weiß er, und wird ihm's sein lieber Schutzengel auch im Traum sagen. Er hat nicht Vater und Mutter, er hat nichts Gutes auf der Welt, und wenn ihm jetzt schon fremde Sünden zugeworfen werden, weil ihn kein Mensch in Schutz nimmt, wie erst, wenn er groß ist und es die schlechten Leute innewerden: Das ist einer zum Tragen und Büßen...! Er soll schlafen.

Ähnliches mag ich gedacht oder gefühlt haben, und ein unendliches Mitleid kam über mich, eine Reue und eine Liebe, und ich wußte mir vor Weinen nicht zu helfen. Als er sich einmal ein klein wenig bewegte, da ging's mir heiß durchs Herz, und mir verging fast der Mut, es ihm zu sagen, daß ich das Schelmenstück getan hätte, wofür er mißhandelt worden. Konnte ihn das nicht gegen mich empören, wütend machen? Konnte er mich nicht auf der Stelle totschlagen in diesem finsteren Wald und mir dabei zuschreien: die Strafe dafür hätte er schon im voraus empfangen?

Aber – und das allein ist's, was aus jenem bösen Tag heute noch milde auf mich herüberschaut – ich blieb neben dem Schlummernden kauern und war entschlossen, nicht eher von ihm zu gehen, als bis ich ihm alles gestanden und abgebeten hätte. Dann wollte ich ihn mitnehmen hinein in mein Vaterhaus, daß er alles dort habe, was ich bisher gehabt, und das so lang, so lang, als die Heckenruten wachsen neben dem Kirschbaum.

Bevor jedoch der Hiasel aus seiner schweren Betäubung erwachte, kam was anderes. Den Waldweg heran knarrte ein Leiterwagen, bespannt mit zwei Ochsen, die ein Mann leitete. Der Stegleitner von Fischbach war's, er fuhr von seinem Walde heim – ich kannte ihn von einem Ochsentausch her, den er etliche Wochen früher mit meinem Vater unternommen. Trotz der tiefen Dämmerung erkannte ich auch die Ochsen als jene, welche er von uns fortgeführt hatte. Das heimelte mich an. Als der Stegleitner hier unter dem Kreuz einen schlafenden und einen schluchzenden Jungen fand, war er gar erschrocken und fragte, was das zu bedeuten habe. Und vor den Stegleitner bin ich hierauf hingekniet, als ob er der Bestohlene oder der Mißhandelte gewesen wäre, und habe ihm wohl mit gefalteten Händen alles erzählt.

Der Stegleitner war ein ruhiger, ernster Mann; als ich fertig war, fragte er nur, ob ich fertig wäre, und da ich schwieg, hat er mir folgendes gesagt: »Mit dem Hiasel hast du und hat dein Vater nichts mehr zu schaffen, der gehört jetzt mein, ich nehm ihn mit mir. Abbitten wirst du ihm's, wenn du größer geworden bist, denn das – mußt du wissen – verjährt nicht. Für jetzt werde ich ihm sagen, was zu sagen ist, daß sein Schutzengel seine Unschuld ans Licht getragen hat. Mehr braucht er nicht zu wissen. Und du, Waldbauernbub, gehst jetzt heim, und was du zu tun hast, das weißt du.«

»Das Geld ist schon zurückgegeben«, bemerkte ich gefaßter.

»Das Geld ist Mist«, sagte der Stegleitner, »die Ehre gibst zurück. – Mein Kind!« fuhr er fort und richtete mich mit seiner Hand auf, »schau, dort oben heben jetzt die Sternlein an zu leuchten. Sie schauen nieder auf dich, wenn du bei der Tür eintrittst in dein Vaterhaus, sie sehen, was du tun wirst und was lassen – und sie brennen fort, bis zum Jüngsten Gericht!«

Die Worte waren ruhig, fast leise gesprochen, und doch war mir, als bebte vor ihnen der Erdboden unter meinen Füßen.

Der Stegleitner blieb mit seinem Gefährt noch stehen bei dem roten Kreuz; ich tat einen kurzen Blick auf den Schläfer, und mir war, als sähe ich das Bild eines Heiligen. Dann ging ich heimwärts; ging und lief und ahnte Gespenster, die mir folgten.

Als ich gegen unser Haus kam, hörte ich schon von weitem die Stimme meiner Mutter, die meinen Namen rief.

»Was das für ein Tag ist!« klagte sie, »Geld und Kinder werden gestohlen, da müssen doch rein Zigeuner im Land sein!« Aber Geld und Kind hatten sich nun glücklich wiedergefunden, und in der Stube kniete der Vater am großen Tisch, knieten die anderen Leute an den Wandbänken herum, und sie beteten laut und gemeinstimmig den üblichen Samstagrosenkranz. Mir war wohl und weh. Ich kniete zum alten Knecht Anton – recht nahe an seine Seite hin – und begann laut mitzubeten. Sie wiederholten immer wieder das Vaterunser und das Ave Maria, und ich stimmte in den surrenden Ton mit ein und sagte fortwährend: »Lieber Knecht, vergib mir meine Schulden, ich habe dir das Geld gestohlen! Lieber Knecht, vergib mir meine Schulden, ich habe dir das Geld gestohlen!«

Weil der Toni entweder stark schläfrig war, oder weil er während des Rosenkranzes in Gedanken an die wiedergefundene Talerbüchse schwelgte, so währte es ziemlich lang, bis ihm mein wunderlicher Text auffiel. Endlich huben sich seine Stirnhaut und sein Ohrläppchen an zu bewegen, er wendete sachte sein entsetztes Gesicht und schrie in die Stube hinein, man solle still sein und den kleinen Buben allein weiterbeten lassen.

Und als, von solcher Unterbrechung überrascht, alles still war, duckte ich mich weinend in den Wandwinkel und wimmerte laut: »Ich habe das Geld genommen!«

Der Rosenkranz war für heute aus. Die Begebenheiten spitzten sich nun rasch und scharf einem herben Ende zu, welches Ende jedoch durch den Umstand, daß der Hiasel geborgen und von seiner Ehrenrettung bereits durch den Stegleitner Kenntnis haben mußte, bedeutend gemildert worden ist.

Von diesem verhängnisvollen Tag an ist der Talerbüchsen-Toni nicht mehr lange bei uns geblieben. Aber zum Abschied nahm er mich an seine Gewandtruhe. Dort öffnete er gravitätisch die Büchse und schenkte mir daraus ein funkelndes Talerlein als – Finderlohn.

Nach Jahren, als der Toni mühselig und krank geworden war, wollte er mit seinem Silberschatz eine »wundertätige Kapell'« stiften, was ihm aber der Pfarrer entschieden mißriet. Hingegen ward ihm nahegelegt, ob er nicht einem braven Bauernburschen, dem dieser Silberlinge wegen einmal Unrecht geschehen, ein kleines Andenken hinterlassen wolle?

Aber der Hiasel war nicht im Lande. Er war lange im Stegleitnerhof gewesen, und man hatte schon davon gemunkelt, daß er dort die hübsche Haustochter heiraten werde – da wurde die Gegend plötzlich geräumt. Alle jungen, kräftigen Männer mußten fort. Es war die Zeit, in welcher nach dem Sprichwort die Weibsleute um jeden Stuhl rauften, auf dem einmal ein Mannsbild gesessen. Wie die Meereshochflut, die den Damm zerreißt, so brach der Feind ins Vaterland herein. Oh, laßt mich schweigen von den Ereignissen jener Tage, sie waren furchtbar groß. Der Sturm war bald vorüber; viele Männer kehrten heim, viele blieben auf ewig aus. Der Hiasel kam mit einem durchschossenen Fuß zurück. Bei Königgrätz war's gewesen.

»Armer Bursch«, so begrüßte der alte Stegleitner den Heimkehrenden, »jetzt bist ein zweites Mal unschuldigerweis geschlagen worden.«

»Ich trag's«, antwortete der Hiasel, »mir ist's nur ihretwegen hart!«

»Was ihretwegen!« sagte der Bauer, »ihre Ahndl, meine Mutter selig, hat auch einen hinkenden Mann gehabt. Dirndel, geh her! Schau, der Krumme kann dir nicht so leicht davonlaufen. Der lieb Herrgott geb seinen Segen dazu!«

Jetzt ist die Geschichte aus. Heute ist der Hiasel angesehener Stegleitner, und sein Weib vergilt ihm – soviel mir bekannt ist – hundertfach manch erlittene Unbill.

Der alte Talerbüchsen-Toni ist erst vor wenigen Jahren gestorben. Der größte Anteil seiner Münzen ging auf das Begräbnis, etliche Stücke nahm er mit in seinen Sarg, darunter das mit dem wahrhaftigen Bildnisse der Mutter Gottes. Da ist's wohl kein Wunder, daß der Alte im Tod ein so wohlgemutes, fast schmunzelndes Gesicht machte und im Grabe schmunzelnd zu Asche zerfallen wird – bei den Talern.


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