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Was bei den Sternen war

Selbst der Naturforscher gibt es diesmal zu, was der Poet behauptet, daß nämlich im Waldland die Sterne heller leuchten als sonstwo. Das macht die reine, feuchte Luft, sagt der eine; der andere hingegen meint, der kindliche Glaube der Einschichtbewohner sei Ursache, daß der Sternenhimmel so hell und hold niederfunkle auf den weiten, stillen Wald.

Hat doch mein Vater zu mir gesagt, als wir noch beisammen auf dem Holzbänklein unter der Tanne gesessen:

»Du bist mein liebes Kind. Und jetzt schau zum Himmel hinauf, die Augen Gottes blicken auf uns herab.«

Ei freilich, ich konnte mir's wohl denken, einer, der auf des Menschen Haupt die Haare zählt, muß hunderttausend Augen haben. Nun war es aber schön zu sehen, wie mir der liebe Gott mit seinen Augen zublinzelte, als wollte er mir was zu verstehen geben; ja, und ich konnte es doch um alles nicht erraten, was er meinte. – Ich nahm mir wohl vor, recht brav und folgsam zu sein, besonders bei Nacht, wenn Gott da oben seine hunderttausend Augen auftut und die guten Kinder zählt und die bösen sucht und recht scharf anschaut, auf daß er sie kennt am Jüngsten Tage...

Ein andermal saß ich auf demselben Holzbänkchen unter der Tanne, an der Seite meiner Mutter. Es war bereits spät Abendstunde, und die Mutter sagte zu mir:

»Du bist ein kleiner Mensch, und die kleinen Leute müssen jetzt schon ins Bett gehen, schau, es ist ja die finstere Nacht, und die Engel zünden schon die Lichter an, oben in unseres Herrgotts Haus.«

Mit solchen Worten ein Kind zur Ruhe bringen? Das war übel geplant.

»In unseres Herrgotts Haus die Lichter?« fragte ich, sofort durchaus für den Gegenstand eingenommen.

»Freilich«, entgegnete die Mutter, »jetzt gehen alle Heiligen von der Kirche heim, und im Haus ist eine große Tafel, und da setzen sie sich zusammen und essen und trinken was, und die Englein fliegen geschwind herum und zünden alle Lichter an und den großen Kronleuchter auch, der mitten hängt, und nachher laufen sie zu den Pfeifen und Geigen und machen Musik.«

»Musik?« entgegnete ich, in die Anschauung des Bildes versunken. »Und der Wollzupfer-Michel, ist der auch dabei?«

Der Wollzupfer-Michel war ein alter, blinder Mann gewesen, der bei uns Waldbauern das Gnadenbrot genossen und dafür zuweilen Schafwolle gezupft und gekraut hatte. Wenige Wochen vor diesem Abendgespräch war er gestorben.

»Ja du«, versetzte die Mutter auf meine Frage, »der Wollzupfer-Michel, der sitzt ganz voran bei unserem lieben Herrgott selber, und er ist hoch in Ehren gehalten von allen Heiligen, weil er auf der Welt so arm gewesen und so verachtet und im Elend hat leben müssen, und weil er doch alles so geduldig ertragen hat.«

»Wer gibt ihm denn beim Essen auf den Teller hinaus?« war meine weitere Frage.

»Nun, wer denn?« meinte die Mutter, »das wird schon sein heiliger Schutzengel tun.« Sogleich aber setzte sie bei: »Du Närrisch, der Michel braucht jetzt ja gar keine Behelfer mehr, im Himmel ist er ja nimmer blind; im Himmel sieht er seinen Vater und seine Mutter, die er auf der Welt niemalen hat gesehen. Und er sieht den lieben Herrgott selber und Unsere Liebe Frau und alle, und zu uns sieht er auch herab. Ja freilich, mit dem Michel hat's gar eine glückselige Wendung genommen, und hell singen und tanzen wird er bei der himmlischen Musik, weil der heilige David harfenspielen tut.«

»Tanzen?« wiederholte ich und suchte mit meinen Augen das Firmament ab.

»Und jetzt, Bübel, geh schlafen!« mahnte die Mutter. Wohl machte ich die Einwendung, daß sie im Himmel erst die Lichter angezündet hätten und also gewißlich auch noch nicht schlafen gingen; aber die Mutter versetzte mit entschiedenem Ton, im Himmel könnten sie machen, was sie wollten, und wenn ich fein brav wäre und einmal in den Himmel käme, so könnte ich auch machen, was ich wollte.

Ging zu Bett und hörte in selbiger Nacht die lieben Englein singen.

Wieder ein andermal saß ich mit der Ahne auf der hölzernen Bank unter den Tannen.

»Guck, mein Bübel«, sagte sie, gegen das funkelnde Firmament weisend, »dort über das Hausdach hin, das ist dein Stern.«

Ein helles, flimmerndes Sternchen stand oft und auch heute wieder über dem Giebel des Hauses; aber daß selbes mein Eigentum wäre, hörte ich von der Ahne das erstemal.

»Freilich«, belehrte sie weiter, »jeder Mensch hat am Himmel seinen Stern, das ist sein Glücksstern oder sein Unglücksstern. Und wenn ein Mensch stirbt, so fällt sein Stern vom Himmel.« Todeserschrocken war ich, als gerade in diesem Augenblick vor unseren Augen eine Sternschnuppe sank.

»Wer ist jetzt gestorben?« fragte ich, während ich sogleich schaute, ob mein Sternchen wohl noch über dem Dachgiebel stehe. »Kind«, sagte die alte Ahne, »die Welt ist weit, und hätten wir nur Ohren dazu, wir täten Tag und Nacht nichts hören als Totenglockenklingen.«

Focht mich dieweilen nicht an.

»Ahndl«, fragte ich; denn Kinder, die in ihrem Haupt so viel Raum für Vorstellungen und Eindrücke haben, sind unermüdlich im Fragen, »Ahndl, wo hast denn du deinen Stern?«

»Mein Kind«, antwortete sie, »der ist schon völlig im Auslöschen, den sieht man nimmer.«

»Und ist das ein Glücksstern gewesen?«

Da schloß sie mich an ihre Brust und hauchte: »Wird wohl so sein, du herzlieber Enkel, wird wohl so sein!«

 

Ein alter Schuhmacher kam zuweilen in unser Haus, der redete wie ein Heide. Wir Menschen, meinte der alte Schuhmacher, kämen nach dem Tode weder in den Himmel noch in die Hölle, sondern auf einen Stern, wo wir so wie auf dieser Welt wieder geboren würden und je nach Umständen weiterlebten.

Das Närrischste aber sagte schon der Schulmeisterssohn aus Grabenbach, der als Student einmal zu uns kam. Der schwätzte von Bären und Hunden und Wasserschlangen, die da oben am Himmel herumliefen, und ein Widder und ein Walfisch sei auch dabei; und gar eine Jungfrau wollte er durch seine Augengläser gesehen haben. Dieser Schulmeisterssohn war schuld daran, daß mich mein Vater nicht studieren lassen wollte.

»Wenn sie solche Narrheiten lernen in der Stadt«, sagte mein Vater, »daß sie auf unseres Herrgotts goldnem Firmament lauter wilde Tiere sehen, nachher hab ich genug. Mein Bub, der bleibt daheim.«

Eine junge Magd hatten wir im Haus; die war gescheit, die hat einmal was gesagt, was mir heute das Herz noch warm macht. Sie hatte es sicherlich von ihrem alten Ziehvater, der so ein Waldgrübler gewesen war. Der Mann hat etwas Wundersames in seinem Kopf gehabt; er wäre gern Priester geworden, aber blutarm, wie er war, sind ihm alle Wege dazu verlegt gewesen. Da wurde er Kohlenbrenner. Ich habe den Alten oft heimlich belauscht, wenn er auf seinem Kohlenmeiler stand und Messe las, oder wenn er den Vögeln des Waldes vorbetete wie voreinst der heilige Franziskus in der Wüste. Von diesem Mann mag unsere junge Magd das seltsame Wort gehört haben.

»Der Sternenhimmel da oben«, sagte sie einmal, »das ist ein großmächtiger Liebesbrief mit goldenen und silbernen Buchstaben. Fürs erste hat ihn der liebe Herrgott den Menschen geschrieben, daß sie doch nicht ganz auf ihn vergessen sollten. Fürs zweite schreiben ihn die Menschen füreinander. Das ist so. Wenn zwei Leut, die sich rechtschaffen liebhaben, weit auseinander müssen, so merken sie sich vorher einen hellen Stern, den sie beide von aller Fremde aus sehen können, und auf dem ihre Augen zusammenkommen. Dasselbig funkelnde Ding dort«, setzte die Magd leise und ein wenig zögernd bei, indem sie auf ein glühend Sternlein deutete, das hoch über dem Waldrand stand, »dasselbig Ding, das schaut zu dieser jetzigen Stund auch der Hans an, der weit drin im Welschland ist bei den Soldaten. Ich weiß wohl, er wird nicht darauf vergessen, es glänzt wie kein Stern so hell auf dem ganzen Firmament.«

Eines Tages mußte ich am Waldrand spätabends noch die Rinder weiden, die tagsüber im Joch gegangen waren. Sonst war in solchen Stunden die lieb Ahne bei mir, aber die war nun seit länger unwohl und mußte zu Hause bleiben. Jedoch hatte sie mir versprochen, oftmals vor das Haus herauszutreten und den Hühnerpfiff zu tun, damit mir in der einschichtigen stillen Nacht nicht zu grauen beginne.

Ich stand zagend neben meinen zwei Rindern, die auf der taunassen Wiese eifrig grasten, aber ich hörte heute keinen jener lustigen Pfiffe, welche meine Ahne mittels zweier Finger, die sie in den Mund legte, so vortrefflich zu machen verstand, gewöhnlich zu dem Zwecke, um die Hühner damit zusammenzulocken.

Das Haus lag still und traurig oben auf dem Berg. Von der tiefen Schlucht herauf hörte ich das Rieseln des Wässerleins, das ich sonst noch nie vernommen hatte. Hingegen schwiegen heute die Grillen ganz und gar. Ein Uhu rief im Wald und erschreckte mich dermaßen, daß ich die Hörner des Rindes erhaschte und dieselben gar nicht mehr loslassen wollte.

Der Sternenhimmel hatte heute einen so heiligen Ernst; mir war, als hörte ich durch die große Stille das Saitenspiel des heiligen Sängers David klingen. – Siehe, da löste sich plötzlich ein Stern und fiel in einem scharfen Silberfaden, der gerade über unser Haus niederging, vom Himmel herab.

Mir zuckte es heiß durchs Herz, mir blieb der Atem stehen. »Jetzt ist die Ahne gestorben!« sagte ich endlich laut, das ist ihr Stern gewesen. Ich hub an zu schluchzen. Da hörte ich vom Haus her bereits des Vaters Stimme, ich sollte eilends heimzu treiben.

Bald jagte ich in den Hof ein. Das Haus war in allen Fenstern beleuchtet; ein Geräusch und Gepolter war, und Leute eilten hin und her nach allen Ecken und Winkeln.

»Geschwind, Peterle, geh her!« rief es mir von der Tür aus zu, und das war die Stimme der Ahne. Ich lief in das Haus – was hab ich gehört? Kleinkindergeschrei.

»Ein Brüderlein hast 'kriegt«, rief die Ahne, »das hat ein Engel vom Himmel gebracht!«

So war es. Mutter lag schon im Bett, und sie hielt das winzige Kindlein an der Brust.

Ein Engel vom Himmel! Ja, ich habe ihn fliegen gesehen.

»Ahndl«, sagte ich, »es ist nicht wahr, daß Sterne fallen, lauter Engel sind es, die mit kleinen Kindlein niederfliegen vom Himmel!«

Ich verharre bei diesem Glauben noch heute, da ich vor einer Wiege stehe, in die mir selbst ein liebes himmlisches Wunder gegeben ist.


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